Globetrotting trotz Corona: Clanmother Rebecca Budd aus Vancouver ließ sich – virtuell – entführen. In ihrem jüngsten Podcast von Tea, Toast & Trivia sprachen sie mit Eglund über das Erzgebirge. Denn das Bergland im sächsisch-böhmischen Grenzgebiet gehört mittlerweile zum Weltkulturerbe der Unesco.
Clanmother und Eglund gemeinsam unterwegs: Ausgangspunkt der Zeitreise ins Erzgebirge sind die Berichte des römischen Geschichtsschreibers Tacitus, der in seine Werk Germania vor 2.000 Jahren erstmals einen besonderen Landstrich erwähnt:
So haben das Land weiter östlich (vom Hercynischen Walde – H.S.E.) die Bojer innegehabt, ein gallischer Stamm. Noch ist der Name Boihämum erhalten als Erinnerung an die Geschichte des Landes, wenn auch dessen Bewohner gewechselt haben.
Boihämum – das heutige Böhmen – erhielt seinen Namen von den Bojern, die als lebenslustig und ein bisschen faul beschrieben wurden. Deshalb wird der Begriff Boheme für (Lebens)Künstler benutzt, für Menschen, die sich eher geistigen Freuden zugezogen fühlen als harter, schwerer Arbeit.
Undurchdringlicher Miriquidi
Boihämum war gegen die nördliche angrenzenden Berge – das heutige Erzgebirge – und die sächsischen Germanen durch den Dunkelwald, den legendären Miriquidi getrennt. Dieser Landstrich lag außerhalb der römischen Erfahrungswelt, denn vor zwei Jahrtausenden galt der Wald als undurchdringlich. Hier fanden die Kenntnisse des römischen Schreibers ihre Grenze.
Die bis zu 1.200 Meter aufsteigenden Berge waren unbewohnt, galten als sehr unwirtlich. Noch heute markiert das Erzgebirge im Winter und Frühjahr die kältesten Temperaturen zwischen Alpen und Ostsee. Auch sind heftige Stürme und Starkregen keine Seltenheit.
Fränkische Bauern rodeten den Dunkelwald
Die Besiedlung des Erzgebirges begann erst vor rund tausend Jahren, als der Markgraf von Meißen fränkische Bauern ins Land holte. Sie begannen, den Dschungel zu roden. Sie wuschen glitzernde Graupen (Metallkörner aus Zinn oder Silber) aus den Bächen und Flüssen, zunächst im sogenannten Seifenabbau.
Dabei arbeiteten sich die Seifner entgegen dem Flußlauf vor. Wo die Erzader aus dem Ufersand trat, stießen sie in die Böschung vor – mit der Spitzhacke. Diese Methode wurde später beim Goldrausch in Kalifornien und am Klondike angewendet. Auch hier dominierte die Goldwäsche, bis die Erzadern in die Berge mündeten. Untertage wurden Bergeisen und Schlägel zu den wichtigsten Werkzeugen der Bergleute.
Berggeschrey zog Tausende an
Den Gängen von Zinn, Blei, Kupfer und Silber folgend wurde das Erzgebirge – neben den Alpen und dem Harz – zur Wiege des Bergbaus in deutschen Landen. Im 12. Jahrhundert wurden bei Freiberg reiche Erzgänge mit Blei und Silber entdeckt. Teilweise reichten die Erzgänge bis zur Grasnarbe und waren außerordentlich reich.
Das erste Berggeschrey zog Tausende arme Bauern und Tagelöhner nach Sachsen, um als Bergarbeiter ihr Glück zu versuchen. Freiberg entstand mit seinem Bergamt, fortan Vorbild für alle freien Bergstädte wie Annaberg, Schneeberg oder Sankt Joachimsthal (heute Jachymov in Tschechien).
Als 1477 in Schneeberg gediegen Silber aus dem Berg geholt wurde, hub das zweite Berggeschrey an, das rund hundert Jahre dauerte. Zu dieser Zeit wurden die letzten Urwaldriesen des Miriquidi gerodet, um Holz für den Ausbau der Silbergruben und die Hütten der Bergleute zu bekommen. Bis zu 600 Meter teuften die Bergleute die Schächte im Schneeberger Revier ab. Auch in Böhmen wurden ergiebige Erzgänge entdeckt und aufgefahren.
Konkurrenz des Adels und der Pfaffen
Mit diesem Silber wurde der Meißner Dom erbaut. Dieses Silber floß nach Prag auf den Hradschin, sächsisches und böhmisches Silber steckt im Petersdom in Rom. Das kaiserliche Bergregal – die Vergabe von Bodenschätzen an die Landherren und den Klerus – führte zu wachsenden Spannungen. Denn Bischöfe und Markgrafen konkurrierten um die ergiebigsten Gruben, der Kaiser musste entscheiden.
Natürlich war auch der Kaiser in Prag (später Wien) an den Einnahmen aus dem Silberbergbau beteiligt. Weil es in Europa nur sehr wenige Goldminen gab, war der metallische Reichtum des Mittelalters und der Neuzeit vor allem auf Silber aus Sachsen, Tirol und von den Eidgenossen gegründet.
Silberbarone bejubeln Luther
So wundert es nicht, dass der sächsische Kurfürst Friedrich der Weise und etwa später die Grafen Schlick in Böhmen den Auftritt Luthers zum Anlass nahmen, um die uralte Fehde mit dem römisch-katholischen Klerus endgültig zu entscheiden. Im Zwickauer und Freiberger Revier war die Reformation besonders erfolgreich, denn dort litten die Bergleute besonders heftig unter den Zwangsabgaben an mehrere Herren: Landesherr, Adel, Bischof und Rom.
So begann der Dreißigjährige Krieg als Aufstand der evangelischen Silberbarone in Böhmen gegen den katholischen Kaiser in Prag. Verschärft wurde der Kampf durch die Schwemme von Gold und Silber aus den Minen Südamerikas, das durch die Karavellen der Spanier und Portugiesen nach Europa geschifft wurde – beides katholische Mächte und eng mit dem Kaiser des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation verbunden.
Wer Metall hatte, hatte Geld, hatte die Macht
Reformation und Gegenreformation – vor allem in Böhmen – sind eng mit dem Silberbergbau verbunden. Denn wer die Gruben regierte, bekam Geld in die Kassen. Silber und Silbermünzen lösten das älteste Kapital der Geschichte ab: Sie wurden wertvoller sogar als Ackerland und Weide. So stand der Bergbau an der Wiege des Kapitalismus und der industriellen Revolution.
Das böhmische Silber wurde berühmt. Die Münzen der Grafen Schlick aus Sankt Joachimsthal gaben dem Thaler – oder Taler – seinen Namen. Im 16. und 17. Jahrhundert wurde er in ganz Europe als harte Währung geschätzt – aufgrund seines hohen Silbergehalts.
Als sich die 13 Kolonien in Nordamerika von der englischen Besatzung freimachten, suchten sie eine eigene Währung, die sich vom Pfund, von der Mark oder dem Franken unterscheiden sollte. Sie übernahmen den Taler – umbenannt in Dollar – und machten ihn zur führenden Währung weltweit.
Das Ende des Silberbergbaus
Mit dem Dreißigjährigen Krieg und seinen Verwüstungen brach der Silberbergbau im Erzgebirge und Böhmen zusammen. Manche Dörfer versteckten sich vor der marodierende Soldateska Wallensteins in ehemalige Stollen, um der Brandschatzung, Vergewaltigung und Ermordung zu entkommen.
Als der Krieg vorbei war, herrschte im früheren Silberland die bitterste Armut. Viele Bergleute flohen deshalb im 18. Jahrhundert nach Übersee, nach Amerika, wo sie halfen, reiche Bergbaugebiete in den Appalachen aufzuspüren und zu entwickeln.
Andere Familien wandten sich gen Osten, folgten dem Ruf der russischen Zaren. Peter und Katharina, die beiden Großen im Kreml, warben säschische und böhmische Bergleute gezielt ab, um eigene Minen auszubeuten – im Donbass und im Ural.
1898 – das Jahr der Pechblende
Der Niedergang des Silbers wurde 1898 besiegelt, als das britische Pfund Sterling und der US-Dollar den Goldstandard einführten. Damit war das Silber als Münzmetall entwertet, die letzten Gruben im Erzgebirge schlossen ihre Schächte und Stollen.
1898 war aber auch das Jahr, in dem Henri Becquerel und Marie Curie in Paris an einem seltsamen Mineral forschten – an Pechblende aus Sankt Joachimsthal. Dieses pechschwarze, knollenartige Mineral hatten die Bergleute wagenweise aus den Silbergruben geholt – und auf Halde geworfen.
Für sie war es wertlos, weil es kein Metall enthielt, zumindest kein Edelmetall. Aber: Becquerel und Curie entdeckten daran die Radioaktivität. Später fand Marie Curie in der Pechblende neben dem Schwermetall Uran auch Spuren von Radium.
Uran war schon 1789 von dem Apotheker Martin Klaproth in Berlin aus Pechblende isoliert worden. Das Mineral stammte aus der Gegend von Johanngeorgenstadt, eine der jüngsten Bergstädte am Kamm des Erzgebirges – von böhmischen Bergleuten gegründet, die vor der Gegenreformation nach dem Dreißigjährigen Krieg ins protestantische Sachsen flohen. Klaproth versetzte das Erz mit Säure und erhitzte es. Das schwarze Pulver, das daraus entstand, nannte er Uranit.
Ein Erzräuber erfährt neue Ehren
Pechblende ist seitdem als Uranerz bekannt, und im Erzgebirge ist dieses Mineral besonders reichhaltig. Im Mittelalter zeigten seine schwarzglänzenden Knollen das Ende von Silbergängen an, weshalb es die Bergleute als Erzräuber verfluchten.
Mit der Entdeckung der Radioaktivität un der Zerfallsreihe des Urans – Marie Curie extrahierte ein Gramm Radium aus zwei Tonnen Joachimsthalter Pechblende – hob weltweit ein Radium Rush an, auch bekannt als drittes Berggeschrey. Radium und radioaktive Strahlen galten als neues Heilmittel in der Medizin, bis die Verstrahlung ihre ersten Todesopfer forderte – auch Marie Curie.
Nach den Gruben kamen die Bäder
In Schlema und in Sankt Joachimsthal entstanden weltbekannte Radonbäder, die zahlungskräftige Klientel anzogen. So wurde das Erzgebirge zum Zauberberg, die Gebäude der Sanatorien in Jachymov sind noch heute eindrucksvoll – trotz ihrer historischen Patina.
Das Edelgas Radon gehört ebenfalls zur Zerfallsreihe des Uran, das in der Pechblende – und anderen Uranmineralien – steckt. Wohl dosiert, erwies es sich als nützlich gegen Hautkrankheiten und andere Symptome, unter anderem nervöse Leiden. Im Erzgebirge kommt es gelöst in Bergquellen vor, die es aus der Pechblende aufnehmen.
Bis zum Zweiten Weltkrieg kamen die Kurgäste aus aller Welt. Karlsbad und Franzensbad auf der böhmischen Seite sind noch heute ein Begriff. Mittlerweile hat auch Schlema seinen Status als Bad und Heilquelle neu begründet.
Uran wird zum strategischen Sprengstoff
Mit dem Zweiten Weltkrieg wurde Uran zum strategischen Metall, weil es den Sprengstoff für die Atombombe gab. Unmittelbar nach Kriegsende kamen sowjetische Spezialisten ins Erzgebirge und nach Böhmen.
Dort begannen sie, die alten Erzhalden aus dem Mittelalter mit Geigerzählern abzusuchen. Sie fanden Pechblende mit mehr als zwanzig Prozent Urananteil. Damals verfügten die Sowjets kaum über eigene Ressourcen. Die Uranerze aus dem belgischen Kongo hatten sich die Amerikaner unter den Nagel gerissen, die obendrein in Colorado und in Kanada über große Urangruben verfügten.
Stalins einzige Chance
So war die Pechblende aus dem Erzgebirge Stalins einzige Chance, im Rennen um die atomare Aufrüstung mitzuhalten. Aus diesem Grunde wurde unmittelbar nach dem Krieg die Sowjetische Aktiengesellschaft SAG Wismut gegründet, um Uran für sowjetische Atommeiler und Atombomben aus der Erde zu holen, aufzubereiten und nach Osten zu karren. Auch auf der böhmischen Seite wurde Uran abgebaut.
Die Bedingungen im Uranbergbau ähnelten zunächst den Schilderungen aus dem Mittelalter. Mit Spitzhacke, Schlägel, Eisen und Karbidlampe gingen die Bergleute wie Maulwürfe untertage. Tödliche Unfälle, gefährliche Verletzungen und Verstrahlung mit Lungenkrebs oder Leukämie waren die Folge.
Berüchtigte Straflager in Jachymov
Auf der tschechischen Seite entstanden berüchtigte Straflager, in denen politische und andere Häftlinge nach dem Vorbild des sowjetischen Gulag-Systems ausgebeutet, ausgezehrt und umgebracht wurden. Auf der sächsischen Seite türmten viele der zwangsweise eingewiesenen Bergleute nach Bayern, oder kamen in anderen Erwerbszweigen unter. Erst gegen Ende der 1950er Jahre wurde der Uranbergbau bei der Wismut professionalisiert und modernisiert.
Bis zur Wiedervereinigung holte die Wismut rund 220.000 Tonnen Uran aus dem Erzgebirge und aus Tagebauen in Thüringen – als Reparation für die Sowjetunion. Erst 1990 ging dieses barbarische Kapitel der Nachkriegsgeschichte zu Ende.
Zu diesem Zeitpunkt war das Erzgebirge hochgradig verstrahlt, durch aggressive Säuren und Arsen verseucht und vielerorts eine Bergbauwüste. Unzählige Bergleute litten an Staublunge, Rheuma und Krebs, hervorgerufen durch die radioaktiven Stäube, Mineralien und Wässer in den Gruben.
Lesen wie aus einem alten Buch
Dreißig Jahre später weisen nur einige Museen oder Markierungen in der Landschaft auf den Uranbergbau hin. Die bewegte Geschichte des Erzgebirges – Kruzne Hory auf Tschechisch – lässt sich dennoch überall in dieser Region lesen wie aus einem alten Buch.
Heute sind die Schächte, Halden und Absetzbecken verschwunden. Die Hügel sind bewaldet und grün, mit herrlichen Schluchten und Gewässern. Die Grenze zwischen Sachsen und Böhmen ist offen, frei passierbar. Die Unesco hat beide Seiten des Erzgebirges – in Sachsen und Böhmen – als historische Montanregion zum Weltkulturerbe erhoben.
Lust auf mehr? Dann hören Sie rein (in englischer Sprache):
Podcast: Traveling To The Erzgebirge With Eglund (23:55 min.)
Website von Tea, Toast & Trivia
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