Podcast: Über Schönheit in Natur und Kunst
Rebecca Budd war erneut mit Klausbernd Vollmar zu Tea, Toast & Trivia verabredet – dieses Mal zu einem spannenden Gespräch über Schönheit und ihre Funktion: als Fluchtpunkt unserer Sehnsucht, als Versprechen von Heimat und Geborgenheit, als Verbindung des Individuums mit dem Universum. Als das Unmögliche, das die Grenzen des Möglichen immer neu herausfordert.
Der neue Podcast von Clanmother Rebecca Budd aus Vancouver mit dem Psychologen Klausbernd Vollmar in Cley-next-the-Sea an der Küste von Norfolk entführt die Hörerschaft auf eine erstaunliche Reise zwischen der Innenwelt des Menschen und seiner Umgebung, gemeinhin als Natur und/oder Kultur (Gesellschaft) bezeichnet. Die Interaktion des Einzelnen mit seinem natürlichen und kulturellen oder sozialen Umfeld wird maßgeblich von Sehnsüchten begleitet und geleitet. Die Realität wäre nichts, ohne den Traum.
Schönheit als Ausdruck von Sehnsucht
Diese Sehnsüchte haben ganz wesentlich mit Schönheit zu tun. Schönheit stand am Beginn von Religion und Philosophie. Die kulturell gesetzten Ideale von Schönheit dominieren in der Kommunikation, in der Wirtschaft und in der Kunst.
Den alten Griechen und ihren Philosophen galten Weisheit, Eros und Häuslichkeit als schön. Ihr Ausdruck waren Symmetrie und goldener Schnitt. Sie erkannten, wie anziehend (attraktiv) Schönheit auf die Menschen wirkt, weil die Natur schön ist. Schönheit als das Erwünschte, dass die Menschen in ihren Bann zieht. Deshalb ist die Schönheitsindustrie das wohl älteste Gewerbe der Welt, findet Schönheit ihren frühesten Ausdruck in der naiven Kunst der Steinzeit.
Die Furcht vor der Schönheit
Schönheit, sagt Klausbernd Vollmar, hat sehr viel mit Symmetrie zu tun, mit der ungestörten, perfekten Form. Archetypisch – das gilt für alle Kulturkreise – versprechen als schön angesehene Menschen eine perfekte genetische Disposition, werden bei der Parnerwahl also bevorzugt.
Andererseits ist die Sache ambivalent, denn besonders schöne Menschen haben es nicht selten besonders schwer in der Liebe. Filmstars und Pin-up-Girls können ein Lied von ihrer Einsamkeit singen. Lastet doch auf ihnen der Fluch der Engel, die als wunderschön und gefährlich zugleich gelten.
Die Ambivalenz der menschlichen Psyche
An der Schönheit drückt sich die Ambivalenz der menschlichen Psyche aus – der Mensch ist hin und her gerissen, angezogen und abgestoßen zugleich, sucht Nähe und Distanz zugleich. Was als schön gilt, wird biologisch, kulturell und ökonomisch definiert.
Seit der Steinzeit haben sich die Ideale enorm gewandelt: Die frühesten Venusfiguren sind üppig in ihrer Leibesfülle, mit ausladenden Hüften und fruchtbaren Brüsten. Heutzutage als schön bezeichnete Mannequins kommen dünn daher, fast androgyn.
Hinzu kommt, dass sich in der vernetzten Welt die Schönheitsideale der Kulturen mischen. Blonde Engel mit blauen Augen gehören in die Rezeption der westlichen Hemisphäre. In islamischen Ländern werden sie verteufelt.
Nähe und Distanz zugleich: Sogar in der christlichen Lehre wohnt dem schönen Engel etwas Diabolisches inne. Satan gilt als gefallener Engel, als Höllenfürst mit Feuer und Rauch statt Seidenflügel und Wolke Sieben. Er ist die Antithese zur Schönheit, um die bleichen, blonden, blauäugigen Engel noch stärker herauszustellen.
Die Macht und ihr Zauber
Schönheit verspricht Geborgenheit, Heimat und Macht – Macht vor allem über die Widrigkeiten des Alltags und des irdischen Lebens, auch Macht (Zauber) über andere Menschen. Deshalb haben sich Fürsten, Könige, Kaiser und Industrielle zu jeder Zeit mit allerhand schönem Tand umgeben, mit schönen Frauen sowieso.
Doch dieses Versprechen ist ein Irrtum, weil weniger „schöne“ Menschen nicht automatisch weniger gebildet oder mächtig sind. Schönheit ist kein Verdienst, auch wenn es die meisten Menschen (unbewusst) implizieren.
In der modernen, narzistischen Mediengesellschaft zeigt sich Schönheit allgegenwärtig, beispielsweise in der Werbung. Das Internet quillt über von Schönheitstipps, die Tourismusindustrie weckt Fernweh nach schöner, unberührter Natur, Chirurgen versprechen schöne Gesichter und Proportionen, cleveres Marketing weckt Sehnsüchte, Bedürfnisse, Konsum.
Rares Gut wird zum Überfluss
Galt Schönheit einst als Fluchtpunkt aus dem irdischen Jammertal, drängt sie sich heute geradezu auf – an jeder Ecke. Das wirklich spannende an dem Podcast ist der Gedanke, der sich im Verlauf der Sendung aufdrängt: Wie leer wird der Alltag durch den Überfluss des „Schönen“!
Schönheit in der Natur oder in der Kunst drückt die Sehnsucht der Menschen aus, ihre Grenzen zu erweitern, Neues zu entdecken und zu wagen – steckt darin doch das Versprechen einer wie immer gearteten Belohnung. „Schönheit kommt aus der Freundlichkeit, aus dem Herzen“, sagt Klausbernd Vollmar. Wird dieser psychologische Weg aus der Innenwelt nach draußen durch oberflächliche Schönheitsreize entwertet und überblendet, sterben Fantasie, Sehnsucht und Hoffnung gleichermaßen.
Das endlose Flimmern der Werbebilder macht den grauen Alltag besonders fühlbar, denn das Herz lässt sich nicht so leicht korrumpieren wie das Auge. Schönheit, wirkliche Schönheit, birgt ja auch das Versprechen, dass die Flucht aus der Tristesse überhaupt möglich ist.
Fühlanstöße im Lockdown
Der Podcast dauert keine halbe Stunde, und er kann die Hörerschaft lediglich anstoßen, kann ermuntern, selber zu denken und zu fühlen. Die Tage sind grau, der Lockdown nagelt uns zu Hause fest. Vielleicht bietet dieser Podcast den Anlass, die hektischen Bilder, die billigen Versprechen, die schöne neue Welt (Aldous Huxley) abzuschalten und einfach nur zu lauschen.
Folgt man Rebecca Budd und Klausbernd Vollmar, dann ist Schönheit nicht langweilig, sondern der Ausweg aus der Tristesse und der Langeweile. Wer Herz und Sinne für das Schöne öffnet, das immer auch einfach ist, findet Sehnsucht und Hoffnung wieder. Für die Schönheit gilt im besonderen Maße: Weniger ist mehr, und darum kostbar. Eglund empfiehlt: Unbedingt reinhören!
Website von Tea, Toast & Trivia
Zu Klausbernd Vollmars Blog „The World according to Dina“ geht es hier.
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