Vor 500 Jahren hielt er den Fürsten eine Predigt, die sich gewaschen hatte. Der Mensch ist göttlich, weder Knecht noch Tier. Seinem Ruf folgten Bauern und Knappen. Dafür landete er auf dem Schafott – und wurde zur Legende. Wurde zur Hoffnung im Dunkel der Jahrhunderte, zum Rebell in Christo.
Nur dran, dran, dran! Es ist Zeit. Lasset euch nit erbarmen. Dran, dran, dran, dieweil das Feuer haiß ist. Lasset euer Schwert nit kalt werden! Schmidet Pinkepanke auf den Ambossen Nimrots! Werfet ihnen den Turm zu Boden! Man kan euch von Gotte nit sagen, dieweil sie über euch regiren. Dran, dran, weil ihr Tag habt. Gott gehet euch vor, volget, volget! (Thomas Müntzer, 1525)
Diese Worte waren Funke und Zunder zugleich, die den Aufruhr entfachten. Unter dem Prediger Thomas Müntzer (auch: Münzer) und der Fahne des Bundschuhs zogen Haufen der Bauern und Bergarbeiter durch Thüringen, um gegen Knechtschaft und Enteignung durch die Landesherren zu protestieren. Als Adam grub und Eva spann, wo war denn da der Edelmann?
Martin Luther bezeichnete den glühenden Prediger als „Mordsgeist, der die Seelen der Untertanen verderbt und die Reformation entstellt“. Der „aufrührerische Geist von Allstedt“ sei eine Gefahr für die göttliche Ordnung, die oben und unten klar teilt. Wer dagegen rebelliert, ausgebeutet und Untertan zu sein, rebelliere gegen Gottes Wille.
Gläubige brauchen keine Pfaffen
Ganz anders Müntzer: Gott existierte für ihn in der persönlichen Fühlung des Gläubigen, der weder Kirche noch Pfaffen brauchte, um zu Gott zu finden, um Gott in sich selber zu entdecken. Von der Kanzel donnerte er: „Ein Volk von Priestern sollt Ihr mir sein!“
Während Luther die göttliche Schrift als ordnenden Leitfaden in den Himmel hob, predigte Müntzer den zornigen Gott des Alten Testaments. Er schickt das Kreuz, dass der Mensch in Armut und Bitterkeit ertragen muss, bis er in der Furcht erzittert und reif ist für den Empfang des Heiligen Geistes.
Unmittelbaren Geist gepredigt
Dieser Geist, so Müntzer, ergießt sich unmittelbar in die Seele der Menschen, ohne Unterschied zwischen Laien, Priestern und Gelehrten. Damit brachte er Tausende auf die Straße, aufs Schlachtfeld und letztlich in den Tod.
Der Bauernkrieg von 1524 bis 1526 war die letzte große Erhebung auf deutschem Boden, der letzte Versucht einer Revolution bis 1848. War Ausbruch der Hoffnung, bevor sich dreihundert Jahre lang das Leichentuch von Defätismus, Hörigkeit und protestantischer Ergebenheit senkte.
Erster Ketzer des Protestantismus
Müntzer war der erste Ketzer der Reformation. Wenig ist von ihm bekannt, nur kurze Zeit ragt seine Lichtgestalt aus der Geschichte.
Um 1490 als Sohn eines Handwerker in Stollberg im Harz geboren, wuchs er in Quedlinburg auf. Das Jahr 1506 sieht ihn als Student in Leipzig, 1512 in Frankfurt an der Oder. Er sprach Latein, Griechisch und Hebräisch und schloss seine Studien als Magister ab, als Lehrer.
Lehren hieß predigen
Anschließend lehrt er in Halle, Aschersleben, Braunschweig, Halberstadt und Jüterbog. Lehren bedeutete damals vor allem Predigt, von der Kanzler herab in die Köpfe der Gemeinde. Luther selbst empfahl den jungen Heißsporn 1520 auf die Pfarrstelle nach Zwickau.
Das Tor zum Erzgebirge galt als Hauptstadt des blühenden sächsischen Silberbergbaus. In Zwickau geriet Müntzer an den Propheten Nikolaus Storch und dessen Freunde.
Mystik des Tausendjährigen Reiches
Sie pflegten spätmittelalterliche Mystik und hielten das Tausendjährige Reich für nahe. Das Reich war damals der stärkste Mythos, den das Christentum aufzubieten hatte, noch unverdorben durch spätere Vereinnahmung durch die Nazis.
Das Reich bedeutete Himmelreich auf Erden, Ende des irdischen Jammertals, Gelobtes Land schlechthin. Der Antichrist werde kommen und alle Gottlosen von den Auserwählten Christi erschlagen.
Manifest von Prag
Müntzers aufmüpfige Rede passt den Stadtoberen nicht. Er muss fliehen, wendet sich nach Böhmen. Sein Prager Manifest ruft die Böhmischen Brüder, die Nachfolger des Ketzers Jan Hus, zu Hilfe. Damit kündigt Müntzer bereits die Auseinandersetzungen an, die hundert Jahre später zum Prager Fenstersturz und zum Dreißigjährigen Krieg führen.
Doch auch Böhmen kann den ruhelosen Prediger nicht halten. 1523 erscheint er in Allstedt im Thüringischen, an der Grenze zum Mansfelder Land. Er heiratet eine entlaufene Nonne, hier wird sein Sohn geboren.
Bund der Auserwählten
Im Frühsommer 1524 gründet er einen „getreulichen Bund göttlichen Willens“, dem sich viele Allstedter und Mansfelder Bergknappen anschlossen. Das soll er sein, der Bund der Auserwählten, der Bund der Vollstrecker für den Jüngsten Tag.
Müntzer fühlt sich berufen, von Gott erkannt, das Reich auf Erden zu errichten. Er predigt gegen die Papisten und gegen Luthers dröge Lehre von der heiligen Schrift – sie vernebeln die Hirne der Armen und Entrechteten, verstellen den direkten Zugang zu Gott. Faktisch wendet sich Müntzer gegen jede kirchliche Hierarchie, sei sie katholisch oder protestantisch eingefärbt.
Gottesdienste auf Deutsch
In der Literatur wird der wilde Prediger als klein gewachsen, mit schwarzen Haaren und „funkelndem Blick“ beschrieben. In Allstedt wirkt er revolutionär: Er schafft das Kirchenlatein ab, hält Gottesdienste auf Deutsch.
So zwingt er Luther, nachzuziehen. Müntzer verdeutscht katholische Messbücher, die bis ins 19. Jahrhundert von der Kirche benutzt werden. Und im Juli 1524 tritt er vor Herzog Johann von Sachsen, um ihm die Leviten zu lesen. Vor versammelter Entourage auf dem Allstedter Schloss fordert er den Fürsten auf, die Gottlosen mit dem Schwert zu vertilgen:
Lasset die Übeltäter nicht länger leben, die uns von Gott abwenden. Denn ein Gottloser hat kein Recht, zu leben, so er die Frommen hindert.
Nur Achselzucken übrig
Der Fürst hat dafür nur Achselzucken übrig. Mitte des 16. Jahrhunderts ist der Machtkampf zwischen dem Papst und den weltlichen Herrschern in vollem Gange. Luthers Protestantismus gibt ihm die Gelegenheit, sich der katholischen Konkurrenz zu entledigen.
Starke Könige in England und Frankreich setzen sich gegen den Papst durch, doch Deutschland ist zersplittert. Hier gibt es keine starke Hand, nur viele große und kleine Fürstentümer. Einige schlagen sich auf die Seite Luthers, andere halten es weiterhin mit Rom.
Biblischer Text oder Popanz?
Bei Luther steht die gedruckte Bibel höher als katholischer Popanz, Echo überkommener Strukturen aus dem Alten Rom. Luther gibt den Landesfürsten die Handhabe, katholische Ländereien zu enteignen und zu vereinnahmen, mitsamt der freien Bauern, die zu Knechten und Leibeigenen herabsinken. So geschehen in Hessen, in Sachsen, in Thüringen oder 1525 in Brandenburg, wo der Deutsche Orden säkularisiert und aufgelöst wird.
Der Machtkampf erfasst ebenso den Bergbau in Böhmen, Sachsen, Schlesien und Thüringen. Dort stehen althergebrachte katholische Privilegien neben den Schürfrechten adeliger Herren. Letztlich gerät die Reformation zur ökonomischen Revolution, denn sie setzt den Schlusspunkt hinter die Dominanz der katholischen Bischöfe und Äbte in weltlichen Dingen.
Kein fürstliches Schwert rührt sich
Kein fürstliches Schwert rührt sich, kein Landsknecht wird in Marsch gesetzt, um Gottes Reich auf Erden zu errichten. Enttäuscht wendet sich Thomas Müntzer gegen die Obrigkeit, gegen die „großen, dicken, feisten Pausbacken“, die ihr Leben „mit tierischem Fressen und Saufen“ hinbringen.
Ohne Ausnahme gehören sie zu den Gottlosen, die die Armen zu ihren Hackklötzen gemacht haben. Um den Tyrannen den Hals zu füllen, müssten sich die Armen so sehr abmühen, dass sie keine Zeit mehr fänden, die Schrift zu lesen und zum Glauben zu kommen.
In den Wirren des Bauernkriegs
Wieder muss er fliehen, gejagt vom Herzog, verteufelt von Luther. Anfang August 1524 kommt er nach Mühlhausen, wo es gärt und wabert. Müntzer gerät in die Wirren des Bauernkrieges, der sich von Schwaben ausbreitet.
Wieder wird er Pfarrer, als die Unruhen von Franken nach Thüringen überschwappen. Schlösser und Klöster werden geplündert und verwüstet. Mit scharfer Zunge ruft Müntzer die Bergknappen des Mansfelds auf, den Bauernhaufen beizustehen.
Die Zeit der Fürsten mit ihren Ränken ist vorbei. Da hat ihr Gewalt ein Ende, sie wird in kurzer Zeit dem gemeinen Volk gegeben. Meinst du, dass Gott nicht mehr an seinem Volke denn auch euch Tyrannen gelegen? (Müntzer an Albrecht von Mansfeld)
Predigten geraten zur Manie
Die Predigten geraten zur Manie, je mehr sich der Himmel über deutschen Landen verdunkelt. Aufgeschreckt von den Anfangserfolgen der bäuerlichen Scharen schließen sich die Fürsten zusammen, setzen ihre Heere in Gang. Nicht für Gott, sondern gegen rebellische Untertanen.
Mitte Mai 1525 kommt es bei Frankenhausen zur Entscheidung. Landgraf Philipp von Hessen und Herzog Georg von Sachsen nehmen die Aufständischen in die Zange. Als ein Regenbogen übern Himmel spannt, fallen Bauern und Knappen auf die Knie. Freudig beten und singen sie, bis die ersten Salven aus fürstlichen Kanonen einschlagen.
Auf dem Schafott vor Mühlhausen
Wilde Flucht beginnt, Landsknechte erschlagen die Fliehenden. Thomas Müntzer wird erkannt und gefangen, wird gefoltert und am 27. Mai 1525 auf dem Feld vor Mühlhausen enthauptet. Zur Abschreckung wird sein Kopf auf einen Spieß gesteckt.
Luther frohlockt, zu Recht habe der Unhold einen elenden Tod erlitten: „Wer den Müntzer gesehen hat, der mag sagen, er habe den Teufel leibhaftig gesehen in seinem höchsten Grimm.“ Dieses Urteil hielt sich lange. Jahrhundertelang galt Müntzer bei Katholiken und Protestanten gleichermaßen als dämonische Gestalt.
Bejubelter Untergang
Theologen und Historiker bejubelten seinen Untergang. „Die Einstellung kann den Vertretern des offiziellen Protestantismus nicht allzu übel genommen werden, ist doch ihre Existenz von Müntzers revolutionärem Brand bedroht“, schrieb Walter Nigg in seinem Buch der Ketzer. „Sein Chiliasmus hätte für ihre Welt eine allzu heftige Explosion bedeutet.“
In der Geschichte überlebt nur, was Substanz bietet. Was einmal gesagt ist, bleibt in der Welt. Doch es wandelt sich und lässt manches in neuem Licht erscheinen. Im Zwanzigsten Jahrhundert änderte sich auch die Bewertung des streitbaren Pfarrers der Bauern und Knappen.
Engels holt ihn aus dem Schatten
Zunächst holte ihn Friedrich Engels mit seiner Schrift Der deutsche Bauernkrieg aus dem Schatten. Er spann den Bogen von 1525 bis 1848. Heinrich Heine urteilte: „Luther hatte unrecht und Müntzer hatte recht.“ Der marxistische Philosoph Ernst Bloch veröffentlichte 1921 das Buch Thomas Münzer – Theologe der Revolution, er prägte das Etikett „Rebell in Christo“.
Versuche der politischen Vereinnahmung
Die Nazis versuchten, Müntzer als Bauernführer für sich in Anspruch zu nehmen und antiklerikale Ressentiments zu schüren. Danach machte ihn die offizielle Geschichtskunde der SED zum frühen Kommunisten, stilisierte den Bauernkrieg zum „Wetterleuchten einer neuen Gesellschaft“.
Ein Film der Defa aus dem Jahre 1956 bietet interessantes Zeugnis dieser späten Interpretation. Zugleich wird die prophetische Kraft Müntzers spürbar und historisch genau dargestellt. Dem Zeitgeist entsprechend werden Reformation und Bauernkrieg zur frühbürgerlichen Revolution verdichtet, die zwar scheiterte, aber letztlich im Sozialismus der DDR ihre Erfüllung fand.
Botenläufer Gottes, Rebell in Christo
Botenläufer Gottes, Rebell in Christo, der neue Johannes, der das Reich Gottes auf Erden errichten wollte. Er ist gescheitert, wirkt dennoch nach – bis heute. Denn das Unerledigte drängt:
Niemals hat die Menschlichkeit Tieferes gewollt und erfahren als in den Intentionen dieses Täufertums, hin zur mystischen Demokratie. Was sich gestern träumte und intendierte, muss morgen sein, gegen die Sehnsucht wenigstens weder Gewalt noch Finsternis gewachsen, hinter der Wüste wartet Kanaan in unerforschter Pracht, und der Gott im Münzerischen ist immer wieder bei Tag Wolke, in der trübsten Nacht Feuersäule. (Ernst Bloch)
Walter Nigg urteilte vorsichtiger: „Müntzer nun auf den Thron zu heben und Luther aufs Schafott zu schicken, verkennt wiederum die religiöse Kraft des Reformators aus Wittenberg. Es gilt, jede Gestalt auf ihre Art bestehen zu lassen.“
Denn Luthers Kompromisse mit der Obrigkeit schuf dem Protestantismus ein starkes Heerlager und sicherte sein Überleben gegen die Jesuiten und ihre Heilige Inquisition. Nach Niggs kluger Einschätzung führte Müntzer „den protestantischen Protest auch auf sozialem Gebiet durch“, viel weiter als Armenvorsorge und Almosen der Kirchen. Er bezeichnete Müntzers Predigten als „soziale Ketzerei, die zu großer Bewunderung zwingt.“
Metaphysisches Ereignis
Nach Auffassung des Philosophen Johann Gottlieb Fichte ist „das Evangelium ist kein historisches, sondern ein metaphysisches Ereignis.“ So gesehen, steht Müntzer in einer Reihe mit dem Metaphysiker Eckhart oder mit Joachim di Fiore, der das Reich des Menschen predigte, das Himmelreich auf Erden – als klare soziale Aufgabe des Christentums. Ernst Bloch stellt Müntzer in diese Ahnenreihe, als er schrieb:
Denn Münzers Arbeit an der Welt ist immerhin Verzicht auf alle bequemere, duldsame Ruhe und auch härtester Verzicht darauf, dass irgendwie, irgendwo nur eigene, individuelle Erlösung geschehe, bevor der Mensch nicht schwebt, bevor nicht allen Menschen wenigstens der äußere Weg zum rechten Leben offensteht. Solange noch die Ungezählten, Namenlosen im Elend verschollen gehen, sind die wahllose Güte, das wahllose Leiden und Gelassenheit, ja selbst die frühe christliche Weltindifferenz gerade aus Christlichkeit verboten.
Starke Substanz für die Geschichte
Befreit man die Predigten Müntzers vom religiösen Zwist, der die Kämpfe des 16. Jahrhunderts markierte, bleibt in der Tat starke Substanz stehen. Seine Predigten ordnen sich ein in die Geschichte der Hoffnung, Hoffnung auf bessere Zeiten – hier und jetzt, oder nach dem Tod irgendwo dort oben, irgendwo unten.
Ernst Bloch hat die Hoffnung zum wichtigen Treiber der Geschichte erkoren (Prinzip Hoffnung). Deshalb vermochte der streitbare Marxist durchaus christliche Wurzeln zu erschließen – ohne ideologische Scheuklappen. In seinem Buch über Thomas Münzer zitierte er den Rebell in Christo:
Es kann vor dem Wucher und vorm Schoß und Zinsen niemand zum Glauben kommen, der Schade der Welt wird je länger, je breiter, dass dem menschlichen Glauben der Weg verschlossen ist.
Wer sich dazu frei macht, vermag das Rechte auch durchaus zu träumen und zu hören. Jeder ist dessen fähig, nach der ernsten Bereitung, wozu er den freien Willen hat.
Weiterführende Quellen:
Thomas Müntzer: Die Fürstenpredigt, Philipp Reclam Jun., Stuttgart 1979
Ernst Bloch: Thomas Münzer als Theologe der Revolution, Aufbau Verlag, Berlin 1960
Walter Nigg: Das Buch der Ketzer, Artemis Verlag, Zürich und Stuttgart, 1962
Friedrich Engels: Der deutsche Bauernkrieg, Neue Rheinische Zeitung, 1850
Defa-Studio für Spielfilme: Thomas Müntzer (1956) (Datenbank der Defa-Stiftung)
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