Hemingway: Alter Mann ohne Meer
Vor sechzig Jahren gab sich einer der erfolgreichsten Schriftsteller die Kugel, wählte den Freitod. Was hat das mit den jüngsten Unruhen auf Kuba zu tun? Es war der Konflikt zwischen Fidels Revolutionären und den USA, der Hemingway den Rest gab. Der Verlust von Heimat und einem guten Ort zum Schreiben.
Anfang Juli 1961, ein Landhaus in Ketchum im US-Bundesstaat Idaho: Früh stand der Schriftsteller Ernest Hemingway auf, holte ein Gewehr und Munition, lud die Waffe durch, stellte sie auf den Boden, legte sein Kinn auf und drückte ab. Mary Welsh beschrieb die Szene, in ihren Memoiren mit dem Titel Wie es war:
Am nächsten Morgen weckte mich das Geräusch von zwei Schubladen, die zugestoßen wurden, und schlaftrunken ging ich hinunter und sah etwas, sah einen Bademantel und Blut, und die Schrotflinte im zerrissenen Fleisch, im Vorraum vor dem Wohnzimmer.
Obwohl er nur ein Dutzend Romane geschrieben hatte, war Hemingway der bekannteste Schriftsteller des zwanzigsten Jahrhunderts. Denn er hatte zudem fast sechzig Kurzgeschichten sowie eine kaum zählbare Flut von Zeitungsartikeln geschrieben. Innerhalb von zwei Jahrzehnten stieg er zum bestbezahlten Autor auf, verdiente Millionen.
Biografien füllen Regalmeter
Warum gab er sich die Kugel? Die biografische Literatur über Ernest Miller Hemingway, geboren 1899 in Oak Park bei Chicago im US-Bundesstaat Illinois, füllt einige Regalmeter. Seltsamerweise wurden die politischen Hintergründe seines Freitods kaum thematisiert. Nur der kubanische Autor Norberto Fuentes und Hemingways Witwe Mary Welsh geben Einblicke in das Gezerre um den weltberühmten Gringo.
Fakt ist: Ende der 1950er Jahre war Hemingway durch Alkoholismus schwer gezeichnet, seine Depressionen wurden mit Elektroschocks verschlimmbessert. Der Krieg hatte ihn – wie Millionen andere – abgestumpft und innerlich zerstört. Obwohl Hemingway seine Kriegserlebnisse hinter einer männlich-harten Maske zu verbergen suchte, wurde er Zeuge der Gräuel – und konnte sie nicht bewältigen.
Ein Leben zwischen Kriegen
Im ersten Weltkrieg als Fahrer einer Ambulanz des Roten Kreuzes an der italienisch-österreichischen Front verwundet, kehrte er in den 1930er Jahren nach Italien zurück. In einem Aufsehen erregenden Interview entlarvte er als erster westlicher Korrespondent die faschistitschen Plattheiten Mussolinis. In Spanien stellte sich Hemingway auf die Seite der Republik, weshalb ihn General Franco zur unerwünschten Person erklärte. Erst in den 1950er Jahren durfte der Dichter wieder einreisen.
Im zweiten Weltkrieg kam Hemingway mit den Landungstruppen General Eisenhowers nach Frankreich, wo er die zwanziger Jahre verbracht hatte, damals noch bettelarm und gänzlich unbekannt. Als hoch bezahlter Kriegskorrespondent schloss er sich den Truppen von General Leclerc an, die im August 1944 die französische Hauptstadt befreiten. Später nahm Hemingway an der mörderischen Schlacht um den Hürtgenwald bei Aachen teil, wo die US-Armee in wenigen Tagen mehrere Zehntausend Mann verlor.
Dunkle Wolken über Europa
Bis zum Aufstieg von Mussolini und Hitler hatte Hemingway in Frankreich gelebt, vor allem in Paris. Er hatte Deutschland, Österreich, die Schweiz und Italien bereist, kannte Spanien und natürlich die Riviera. In der Zeit vor der großen Wirtschaftskrise reichten einige Dollars aus, um sich gut über Wasser zu halten – und zu schreiben.
Später beschrieb er die Monate in Paris als die Glücklichsten seines Lebens, immer wieder kam er darauf zurück. 1964 erschien postum Paris – Ein Fest fürs Leben, das diese frühe Zeit eindrucksvoll Revue passieren lässt.
Hemingway war einer der ersten Globetrotter, einer der ersten Weltbürger überhaupt. Bis zu seinen Lebensjahren auf Kuba hatte er faktisch keinen festen Wohnsitz. Das muss man verstehen, um den Zusammenhang mit den späteren Ereignissen rund um die kubanische Revolution herzustellen.
Erstmals 1928 in Havanna
Der Schriftsteller war im April 1928 erstmals nach Kuba gekommen, nach Havanna und Cayo Hueso. Hinter ihm lagen zwei Wochen Überfahrt auf einem britischen Dampfer, der in La Rochelle abgelegt hatte. Seine Frau Pauline Pfeiffer war hochschwanger.
Weil sich die politischen Verhältnisse in Europe verdunkelten und sich die große Wirtschaftskrise mit dem Börsenkrach von 1929 bereits ankündigten, suchte Hemingway erneut nach einem Ort, um in Ruhe arbeiten zu können.
Er war damals 28 Jahre alt, hatte mit dem Roman Fiesta einen ersten Achtungserfolg verzeichnet – aber nicht mehr. Das war längst kein Durchbruch. Auf Cayo Hueso wollte er das Manuskript von In einem andern Land abschließen. Dieser Antikriegsroman, der 1929 erschien, machte ihn ähnlich berühmt wie Erich Maria Remarques Im Westen nichts Neues, der 1928 in den Buchhandel gekommen war.
Zwischenstation auf Key West
Pauline Pfeiffer stammte aus reicher Familie, und ihr Onkel vermachte dem frisch vermählten Brautpaar Hemingway ein mondänes Anwesen in der Whitehead Street in Key West, der letzten Insel einer Kette, die vom Festland Floridas weit in die Karibik ausgreift.
Auf Key West sah sich Hemingway mit der amerikanischen Wirklichkeit konfrontiert: Money makes the world go round. In seinem 1937 erschienen Roman Haben und Nichthaben rechnet der Autor hart mit seinen Landsleuten ab. Die Verfilmung mit Humphrey Bogart gilt heute noch als Klassiker, als literarische und cineastische Absage an den American Dream.
Ein Jahr später, 1938, siedelte Hemingway endgültig nach Kuba über. Welche Bedeutung die Insel für ihn hatte, schilderte er 1952 in einem Brief an Edward Wilson:
Ich habe immer Glück gehabt, wenn ich in Kuba arbeitete. Ich bin 1938 von Key West hier herübergezogen und habe diese Farm gemietet und schließlich gekauft, als Wem die Stunde schlägt herauskam. Es ist ein Fleck, wo man gut arbeiten kann, außerhalb der Stadt und auf einem Hügel, so dass es nachts kühl ist. Ich wache auf, wenn die Sonne aufgeht, und mache mich an die Arbeit, und wenn ich aufhöre, schwimme ich und trinke etwas und lese die Zeitungen aus New York und Miami.
Für Hemingway war Kuba ein Paradies, ein Refugium, ein Rückzugsort. Er war weit genug entfernt von den USA, von den Steuerfahndern, den mediengeilen Touristen, vom Trubel um seine Person als erfolgreicher Schriftsteller, von den Begehrlichkeiten der Verlage und der großen Filmstudios, die sich um seine Skripte rissen.
Zudem bekam die Ehe mit Pauline Pfeiffer die ersten Risse. Der Abschied von Key West lässt sich durchaus mit der Scheidung von Pauline erklären, denn als er nach Kuba kam, war eine neue Frau an seiner Seite: Martha Gellhorn. Mit ihr kaufte er außerhalb von Havanna ein Grundstück, die Finca Vigia, wo er insgesamt 21 Jahre verbrachte. Er blieb Kuba treu, nicht Gellhorn: Ende des Krieges ließ sich von ihr scheiden und heiratete 1946 seine vierte Frau – Mary Welsh. Auf Kuba.
Ein preiswertes Paradies
Für den Schriftsteller Hemingway war Kuba ein Paradies. Es war sehr preiswert, denn der US-Dollar stand hoch im Kurs. Hemingway führte ein Leben, in dem er über die schlechte Versorgung der kubanischen Bevölkerung hinwegsehen konnte. Zu Diktator Batista hielt er Abstand, aber er kritisierte ihn nicht – wie beispielsweise General Franco in seinem Spanienroman Wem die Stunde schlägt.
Zudem waren die USA schnell erreichbar, denn gelegentlich musste er mit dem Finanzamt, den Verlagen und den Filmstudios verhandeln. Hemingway hatte einen guten Teil seiner Bekanntheit dem Umstand zu verdanken, dass seine literarischen Vorlagen mit Stars wie Humphrey Bogart, Lauren Bacall, Lee Marvin, Burt Lancaster, Gary Cooper, Ingrid Bergman, Gregory Pack, Ava Gardner oder Susan Hayward verfilmt wurden.
Die Sonne des Ruhms
Große Literatur traf großes Kino und machte große Kasse. Einerseits sonnte sich der Autor im Ruhm, andererseits suchte er die räumliche Distanz zu Amerika. Denn er wusste, und so hatte er es in Haben und Nichthaben beschrieben, dass der ökonomische Druck, die Oberflächlichkeit und die Verlogenheit in Amerika seine kreativen Energien beschränken, austrocknen und verdorren konnte.
Zudem war ihm der Egozentrismus der meisten Amerikaner verhasst, die nicht einmal wussten, wo Kuba oder gar Europa lagen. In seinem Brief an Edward Wilson schrieb er 1952 weiter:
Durch den Krieg habe ich etwa fünf Arbeitsjahre meines Lebens verloren, und die versuche ich jetzt nachzuholen. Ich kann nicht arbeiten und in New York herumhängen, weil ich das nie gelernt habe. Aber in diesem Herbst, wenn Der alte Mann und das Meer herauskommt, wirst Du etwas von dem Ergebnis der letzten fünf Jahre sehen.
Der alte Mann und das Meer
Diese Erzählung steht heute – sowohl von ihrer politischen wie von ihrer literarischen Einordnung – bei manchen Kritikern noch über den großen Romanen wie In einem andern Land oder Wem die Stunde schlägt. Die Erstveröffentlichung erfolgte am 1. September 1952 im Life-Magazin, das in den Kriegsjahren zahlreiche Reportagen Hemingways von der Westfront veröffentlicht hatte.
Ein Jahr später erhielt die Novelle den Pulitzer-Preis, 1954 den Nobelpreis für Literatur. Der Autor schien auf dem Zenit seines Könnens, des Pomps um seine Person und natürlich seiner Tantiemen.
Und er war rehabilitiert. Denn der 1950 erschienene Roman Über den Fluss und in die Wälder war von der Kritik als melancholischer Monolog eines alten Mannes abqualifiziert worden, der sich nach seiner Zeit als Offizier zurücksehnt und vergangene Schlachten glorreich wiederholen will.
In der Tat ist das Bucht kaum verdaulich, es ist ein larmoyanter Versuch, altbackenes Heldentum zu beschwören. Doch gerade der Zweite Weltkrieg hatte gezeigt, dass der Krieg nichts mit Heroismus zu tun hat, gar nichts, weder für Besiegte, noch für die Sieger. So markierte dieser Roman den Tiefpunkt des literarischen Schaffens von Hemingway, wenn er auch interessante Einblicke in die Psyche des Autors kurz nach dem Krieg offenbart.
Auf Kuba riss er das Steuer herum
Auf Kuba riss Hemingway das Steuer herum – noch einmal. In seiner Erzählung vom alten Fischer Santiago fand er erneut ein Alter Ego – wie des Obersten Richard Cantwell im Roman von 1950. Aber Santiagos Heldentum ist rein individueller Natur. Er führt den Kampf allein gegen die Elemente: gegen die See, die Zeit, sein Alter, einen wunderschönen Marlin und schließlich gegen die Haie. Es gibt keine Fanfaren, keine Lorbeeren, nicht einmal den Tod.
In keinen anderen Werk hat Hemingway den Krieg und die Politik hinter sich gelassen, wie in diesem. Und er schenkte Kuba und den Kubanern ein zeitloses Werk, in dem sie sich verstanden fühlten. Deshalb wird Papa Cheminguey auf der karibischen Insel noch heute mit einem ähnlichen Nimbus verheert wie Che Guevara oder Simon Bolivar oder – Fidel Castro.
Die beiden letzten Jahre
Der Nobelpreis ging an den Autor, aber er ging zugleich an Kuba, das bis dahin in der Weltliteratur kaum aufgetaucht war. Plötzlich stand der schmutzige Hinterhof der USA im Rampenlicht. Die Herrschenden in Washington hatten stets Batista den Rücken gestärkt, als sein Regime zur Terrorherrschaft verkam. Nun hatte ausgerechnet ein US-amerikanischer Autor, ein Gringo, Kuba mit Weltruhm überhäuft.
Hemingway mischte sich in politische Dinge kaum ein, aber diese selbstgewählte Isolation konnte ihn nicht von der Politik retten. Noch im September 1956 schrieb er:
Vorläufig, den Sommer über, sind wir auf der Finca Vigia, und das Buch muss geschrieben werden.
Er arbeitete an einen großen Werk über das Meer, dessen Teile später (1970) – postum – unter dem Titel Inseln im Strom erscheinen sollten. Doch er wurde gestört, denn im Januar 1959 stürzten Fidels Revolutionäre die verhasste Diktatur Batistas. Nach mehr als zweijährigem Guerrillakampf zogen sie in Havanna ein. Auf ihrem Programm stand zunächst ein unabhängiger Nationalstaat, dessen parlamentarische Ordnung sich an den USA orientieren sollte.
Eine Zeitlang war sogar im Gespräch, Kuba als weiteren Bundesstaat in die USA aufzunehmen. Doch die Revolutionäre ordneten einige Maßnahmen an, um die Rückkehr Batistas und seiner Schergen zu verhindern. So wurden wichtige Industrien verstaatlich: Tabak, Zuckerrohr, Rum. Eine Bodenreform brachte der mittellosen Landbevölkerung eine neue Existenzgrundlage. Das ging mit Enteignungen einher, viele begüterte Kubaner flohen deshalb ins nahegelegene Florida.
Das Symbol des Kalten Krieges
Schnell spitzte sich der Konflikt zu, denn Präsident Kennedy zeigte Castro die kalte Schulter. Zunehmend wurden amerikanische Firmen verstaatlicht, amerikanische Konten in den Banken von Havanna eingefroren. Schließlich beschlagnahmten die Kubaner jedewedes fremdes Eigentum, darunter auch die Finca Vigia der Hemingways.
Ende der 1950er und Anfang der 1960er Jahre stand die Welt am Rande eines dritten, totalen Krieges – zwischen den Atommächten USA und Sowjetunion sowie ihrer verbündeten Lager. Kubas Revolution wurde zum Symbol des Kalten Krieges. Washington drohte die Gefahr, dass die Insel unmittelbar vor der Küste Floridas zum schwimmenden Flugzeugträger der Russen würde – wie es 1962 zur Kubakrise tatsächlich geschah.
Und Kennedy fand kein Mittel, die enteigneten US-Konzerne sowie die keifende Meute in Miami an die Kette zu legen. So wandte sich die politische Meinung in den USA gegen Castro und gegen Hemingway, der noch immer auf der Insel ausharrte. Dabei war es Kennedy selbst, der Castro in die Hände Moskaus trieb. Erst 1962 verkündete Fidel, dass Kuba fortan den Weg des Sozialismus beschreiten wollte – mit tatkräftiger wirtschaftlicher und militärischer Hilfe der Sowjets.
Zwischen den Fronten
Allerdings war Hemingway zu mehrmonatigen Aufenthalten in den USA gezwungen, um seine Depressionen zu kurieren. Der Alkohol und die Gespenster der Kriegserinnerungen forderten ihren Tribut. In den USA – in der Ära der hysterischen Antikommunisten wie Joe McCarthy – galt Hemingway als Freund Castros. Fotos, die ihn beim Angeln mit Castro zeigten, waren um die Welt gegangen.
Auch wurde sein Spanienroman Wem die Stunde schlägt als Unterstützung für die Kommunisten verunglimpft. Hemingway hatte in diesem Buch sowohl die Gräuel der Francisten als auch der Republikaner kritisiert. Aber auch hier spielten Bilder eine große Rolle: Seit ihren gemeinsamen Tagen in Madrid im Jahr 1936 verband Hemingway eine Freundschaft mit Ilja Ehrenburg, dem bekannten Romancier des Tauwetters in Moskau. Ein Russenfreund konnte nur der Feind Amerikas sein, so die simple Logik.
Bei einem Empfang für amerikanische Nobelpreisträger – kurz nach Hemingways Freitod – hatte Kennedy persönlich den Dichter und seine Frau Mary Welsh als „politisch unzuverlässig“ bezeichnet – freilich nur in einer kaum hörbaren Nebenbemerkung. Über Kuba verhängte er das Embargo, das bis heute gilt.
Er wollte nicht gehen
Hemingway wollte nicht gehen, denn er liebte seine Finca und sein Boot, die Pilar. Er liebte den Luxus, seine Getränke in den Bars von Havanna und die Parties. All das kassierte der junge kubanische Staat, auch die Bankschließfächer in Havanna wurden geöffnet. Es war nicht mehr erlaubt, Schmuck oder Gemälde aus dem Land zu schaffen. Erst auf persönliche Intervention von Fidel Castro durfte die Witwe einige persönliche Gegenstände in den USA mitnehmen.
Bis kurz vor der Übersiedlung nach Idaho im Nordwesten der USA hielt Hemingway störrisch an Kuba fest. Dass er schließlich doch ging, entschied sich beim Besuch eines Gesandten des US-Außenministeriums. Der Inhalt der Unterredung ist unbekannt, doch lässt sich vermuten: Die Amerikaner drohten dem Abtrünnigen ihrerseits mit Entzug von Tantiemen, Bankkonten und möglicherweise sogar der Staatsbürgerschaft.
Tod im letzten Winkel
Ketchum im Sun Valley in Idaho ist so weit entfernt von den Zentren der amerikanischen Zivilisation, wie man sich nur entfernen kann, ohne die USA zu verlassen. Auch bei der Wahl seines letzten Wohnorts drückte Hemingway seine Verachtung für den American Way of Life aus.
Zerrüttet durch Alkohol, Medikamente, Elektroschocks und Erinnerungen spürte er, dass seine kreative Kraft am Ende war. Ihm fehlte der wichtigste Teil, die unerschöpfliche Quelle: Die See vor Kuba, die er jeden Morgen vor Augen gehabt hatte, wenn er den Turm auf der Finca hinaufstieg, um in luftiger Höhe zu schreiben.
Keine Touristen, keine Devisen
Heute ein Museum, kann man von dort weit übers Land schauen, über die Küste bei Havanna und das Meer mit den dünnen, grünen Linien der Cayos in der Ferne. Die Kubaner haben alles belassen, wie es Hemingway verließ.
Auch auf Key West gibt es ein solches Museum, als amerikanisches Pendant. Sogar Hemingways Katzen – ihre zahllosen Nachkommen – dürfen dort ungestört streunen.
Normalerweise kommen jeder Jahr Millionen Touristen nach Havanna, um die Finca des berühmten Autors zu besuchen, oder das Hotel Ambos Mundos oder die Bar Floridita oder Cojimar, das kleine Fischerdorf unweit der Hauptstadt.
Doch die Coronapandemie hat den weltweiten Verkehr lahm gelegt. Kuba, das unter der Ägide Castros seine Wirtschaft niemals modernisiert hat, rutschte in eine Wirtschaftskrise, weil die Devisen der Touristen fehlen. Bis 2019 kamen pro Jahr mehr Touristen auf die Insel, als sie Einwohner zählt. Nun, da sie ausbleiben, wiegt das Embargo der Amerikaner umso schwerer.
Paradies in Aufruhr
Kuba ist ein Paradies, und es ist die Hölle zugleich. Die Planwirtschaft hat einstmals ertragreiche Wirtschaftszweige zerstört. Landwirtschaftliche Produkte wie Tabak oder Zuckerrohr spielen heutzutage auf dem Weltmarkt kaum Geld ein, zudem sind die veralteten kubanischen Betriebe nicht konkurrenzfähig.
Kubanischer Rum muss mit Rum aus Miami konkurrieren, seit die einflussreiche und sehr vermögende Familie Bacardi vor der Revolution aus Havanna floh. Weil es auf Kuba keine Stahlwerke gibt, ist das ganze Land von Schrott übersät: zerfressene Eisenträger, Autowracks und Halden des Militärs. In Havanna gibt es ein Viertel, das aus verschrotteten Lokomotiven besteht, ein morbides Fotomotiv für die Touristen.
Havanna, einst eine der schönsten Städte der Welt, ist faktisch ein Ruinenmeer. Zwar pumpt die Unesco viel Geld ins Land, um koloniale Altstädte zu restaurieren. Aber die einfachen Kubaner haben davon wenig, wenn die Gäste ausbleiben. Der Tourismus war und ist der wichtigste Erwerbszweig der Karibikinsel.
Der Unmut der jungen Leute macht sich Luft. Sie wollen an der Welt teilhaben, wollen nach Amerika, nach Europa, nach Asien. Niemand soll sie daran hindern. So herrscht Aufruhr im Paradies.
US-Präsident Biden hätte die historische Chance, das Embargo aufzuheben und damit die Insel näher die US-Wirtschaft zu binden. Er könnte nur gewinnen, ebenso die Exilgemeinde in Miami und die Kubaner selbst. Biden könnte einen fundamentalen Fehler Kennedys korrigieren, mit sechzig Jahren Verspätung.
Zurück zu Hemingway: Wenn die Pandemie abflaut, werden sie zurückkommen, die Millionen der Touristen. Ganz sicher. Einige, viele, haben Bücher im Gepäck, oder Filme vor Augen. Denn eine Novelle wie Der alte Mann und das Meer wird immer über dem kleingeistigen, engherzigen Gezänk der Politiker und Bosse stehen. Sie ist die unsichtbare, zeitlose Brücke, die Cojimar mit Key West verbindet – neunzig Meilen über die glitzernde See.
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