Heinrich Böll: Wir kommen von weither
Vor 50 Jahren bekam der gebürtige Rheinländer den Nobelpreis für Literatur. Anlass für eine Erinnerung – an ihn und an seine deutschen Erinnerungen.
Zwischen Kriegsende 1945 und dem Ende des Kalten Krieges 1989 wurden drei deutsche Schriftsteller mit den Nobelpreis geehrt: Hermann Hesse (1946), Nelly Sachs (1966) und Heinrich Böll. Hesse lebte seit 1919 in der Schweiz, wo er 1962 verstarb. Nach dem Gemetzel des Ersten Weltkriegs hatte er die eidgenössische Staatsbürgerschaft angenommen.
Die gebürtige Berlinerin Nelly Sachs war 1940 mit ihrer Mutter nach Schweden geflohen, wo sie mit Unterstützung von Selma Lagerlöf Asyl bekamen. Nach dem Krieg kehrte sie nur zu Reisen nach Deutschland zurück, permanente Rückkehr war für sie ausgeschlossen.
Bei Kriegsende keine dreißig Lenze
Einzig Heinrich Böll lebte in Deutschland, als ihn die Entscheidung des Nobelkomitees erreichte. Mehr noch: Er galt als Sprachrohr einer Generation, die bei Kriegsende noch keine dreißig Lenze zählte. Böll war an allen wichtigen Fronten gewesen, als Soldat in Frankreich, später in Russland.
Kritisch begleitete er die Restauration kirchlich-chauvinistischer Kreise in Westdeutschland, die sich im Filz der CDU und des katholischen oder evangelischen Klerus manifestierte. So wurde er zur Zielscheibe unter anderem der Springerpresse in Berlin.
Tod im Tauwetter
Seine Romane, Kurzgeschichten und Essays erlebten weltweit Millionenauflagen. Böll war einer der wichtigsten Fürsprecher echter Demokratisierung in Deutschland, unterstützte Willy Brandt und die Sozialdemokraten und suchte das Gespräch mit sogenannten Linksterroristen.
Auch setzte er sich für Dissidenten aus dem Osten ein: Wolf Biermann, Andrej Sacharow, Alexander Solschenitzyn oder Lew Kopelew. Als er 1985 starb, begann in Moskau gerade ein politisches Tauwetter, das zum Ende des Kalten Krieges führte.
Anlässlich des 50. Jahrestages seines Nobelpreises mag an dieser Stelle das wunderbare Gedicht genügen, das er am 8. Mai 1985 für seine siebenjährige Enkelin Samay schrieb:
Wir kommen weit her, liebes Kind,
und müssen weit gehen
Wir kommen weit her,
liebes Kind,
und müssen weit gehen.
Keine Angst,
alle sind bei Dir,
die vor Dir waren.
Deine Mutter,
Dein Vater
und alle, die vor ihnen waren,
weit weit zurück.
Alle sind bei Dir,
keine Angst.
Wir kommen weit her
und müssen weit gehen,
liebes Kind.
Eine weitere Empfehlung – neben seinen unvergleichlichen Romanen – ist das Interview Eine deutsche Erinnerung, das er 1975 mit dem französischen Intellektuellen René Wintzen führte, und das Wintzen drei Jahre später in Buchform publizierte, in Deutschland erschienen bei Kiepenheuer & Witsch.
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