Dieter Mann oder Das Glück des Zuschauers
Der Berliner Schauspieler war einer der großen Mimen aus dem Osten Deutschlands, auf Augenhöhe mit Rolf Hoppe und Eberhard Esche. Proletarierkind, Dreher, Schauspieler, Intendant. Ein Rückblick.
Als Dieter Mann auf die Welt kam, herrschte Krieg. Eigentlich Zwischenkrieg, denn Frankreich und Polen waren besiegt, die Waffen schwiegen. Doch die Ruhe währte nur kurz: Zwei Tage nach seiner Geburt stürmte die Wehrmacht weiter nach Osten, gegen die Sowjetunion.
Nun bekam Berlin den Krieg immer häufiger zu spüren: Bombennächte, Rationierung der Lebensmittel und Hunger, schließlich die nahende Front. Dieter Mann wuchs in Pankow auf, früher Berlin NO (Nordost). Dort kamen die Russen rein, nach der Schlacht an den Seelower Höhen. Sie kamen rein über Pankow und die Schönhauser Allee.
Vom Arbeiter zum Künstler zum Intendanten
Dann war Frieden, der Knirps wuchs inmitten der Trümmer auf. Kindheit und Jugend gab es kaum, als 14-jähriger begann er eine Lehre als Dreher, zwischen 1955 und 1957 arbeitete er im Schleifmaschinenwerk in Berlin, damals volkseigen – VEB. Das Abitur holte er an der Arbeiter-und-Bauern-Fakultät nach und ging zur Schauspielschule.
Das war 1962. Zwei Jahre darauf bekam er seine erste Rolle am Deutschen Theater, dem er mehr als vier Jahrzehnte fest verbunden blieb. Aus dem Proletarierkind wurde ein Arbeiter, wurde ein Künstler, später Intendant des DT.
Fehlstart mit verbotenen Filmen
Neulich habe ich eine seiner ersten Filmrollen gesehen, als jungen Arbeiter bei der Wismut im Erzgebirge. Der Film heißt Columbus 64, in den Hauptrollen Armin Müller-Stahl und Sepp Wenig, damals Arbeitsdirektor der Wismut.
Und wie Manns erster Kinofilm Berlin um die Ecke verschwand auch Columbus 64 im Giftschrank – zu schlapp, zu wenig Aufbaugeist, zu wenig Sozialismus und Fahnen. Dafür echt, ehrlich und auch heute noch unglaublich spannend.
So begann seine Filmkarriere. Man musste schon eine gehörige Portion Stehvermögen haben, um weiterzumachen. Stehvermögen, das lernt man an der Drehbank, und das war es, was Dieter Mann Zeit seines Lebens in seinen Rollen verkörperte. Er spielte viele Rollen, großartige Rollen, sein Repertoire war legendär.
1967: Ich war neunzehn
Dann, 1967, endlich, klappte es mit einem Kinofilm: Konrad Wolf holte den jungen Mimen ins Kollektiv von Ich war neunzehn, in dem Dieter Mann an der Seite von Jaecki Schwarz spielt. Mann verkörpert einen desillusionierten Soldaten der Wehrmacht, der kurz vor Kriegsende noch einmal zur Waffe greift, um die SS abzuschlagen.
Es ist eine kleine Rolle, eine Episode – ähnlich wie in Columbus 64. Und doch gelingt es Dieter Mann, sich für diese Szenen in den Mittelpunkt zu spielen, seiner Figur Statur und innere Haltung zu geben – fernab von Propaganda oder offiziöser Moral.
Meister der schmalen Lippe
Der Spiegel hat Mann als Meister der schmalen Lippe bezeichnet. Das trifft durchaus zu, das war Manns Markenzeichen. Immer schien er auf seltsame Weise in sich gekehrt, setzte Mimik nur sehr, sehr sparsam ein. Gerade deshalb wirkten seine Sätze wie Hammerschläge – auf der Bühne und der Leinwand: Der Mensch erkennt sich nur im Menschen, sprach er beispielsweise 1975 in Goethes Torquato Tasso. Nur das Leben lehret Jedem, was er sei.
Manns Lebenslauf auf Wikipedia listet rund 50 Theaterrollen, 32 Kinofilme, 34 Fernsehfilme, 14 TV-Serien, mehr als 50 Hörspiele und zahlreiche Audio-CDs, denen er seine Stimme lieh. Besonders eingeprägt hat sich mir die Verfilmung einer Erzählung von Bert Brecht aus dem Jahr 1979: Die Rache des Kapitäns Mitchell. Darin spielt Mann den Kapitän extrem unterkühlt, was den inneren Vulkan, seinen Rachedurst umso deutlicher macht.
Die ARD hat einen schönen Nachruf geschnitten, der ihm lakonische Eleganz bescheinigt. Mann war ein guter Grund, ins Theater zu gehen. Und, wunderbar, dieses Fazit:
Er war ein Meister des pointierten Spiels, der unterhaltsamen Gedankentiefe. Das war ein Ereignis. Was für ein Glück für uns, ihn erlebt zu haben.
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