Fotograf Jörg Möller: Die Unschärfen im Blick
In der Brotfabrik in Weißensee gibt es noch wenige Tage eine sehr interessante Ausstellung zu sehen. Am Sonntag, den 7. November, um 16 Uhr beginnt die Finissage. Wer es bis dahin nicht schafft, dem seien die Kataloge empfohlen.
Seltsam, die dunklen Bilder in den hellen – fast grellen – Räumen. Ein Kontrast, der den Blick schärft. Denn Ablenkung entfällt.
Seit Anfang Oktober zeigt die Galerie der Brotfabrik in Berlin-Weißensee eine Exposition, die rund 80 Fotos von Jörg Möller aufreiht. Aufreiht, hm. Klingt merkwürdig, scheint aber so. Denn die Fotos – allesamt Schwarzweiß – wirken an den weißen Wänden wie aufgefädelt. Wie lange Reihen durch die Zeit, wie schmale Wege durchs Leben.
Seine Fotos lassen sich Zeit
Die Ausstellung vereint Fotos von 1998 bis heute, bietet biografische Motive und Bilder aus der Nacht. Möller lässt sich Zeit, seine Fotos lassen sich Zeit. Angenehm auch die Unschärfen; angenehm die Grautöne und manchmal die Reflexion einer Glasscheibe, die das Motiv des Suchers überlagert – wie der echte Blick nach draußen.
Obwohl die Räume sehr weiß sind und sauber, wirkt die Ausstellung weder clean noch steril. Zwar fehlt Farbe, dennoch laden die Bilder ein, einzutauchen. Der Betrachter sucht nicht den optischen Abstand, sondern Nähe.
Irgendwie stimmig, hier fehlt nichts. Jedes Bild erzählt eine spannende Geschichte, öffnet seltsame Blicke in die Welt, öffnet etwas, das hinter der Linse verborgen scheint. „Ich erzähle ohne Worte“, sagt Jörg Möller über seine Arbeit. „Schärfe und ausreichend Licht sind nicht immer wichtig. Manchmal geraten die Bilder unscharf – wie Erinnerungen.“
Bilder geschehen lassen
Wer Jörg Möller einmal beim Fotografieren zusehen durfte, der weiß: Er macht keine Bilder, er lässt sie geschehen. Manchmal belichtet er eine halbe Stunde lang, oder – wie an der zerklüfteten Küste von Lanzarote – mehr als eine und eine Viertelstunde. Nur das Licht des Vollmonds, das musste genügen.
Denn Kunstlicht ist eine Lüge, eine Illusion. Im Unterschied zum sterilen Mainstream ist Möller ein echter Purist. Meist fotografiert er mit Kameras, die schon 70 oder 100 Jahre auf dem Buckel haben.
Wie erwähnt: Licht und Schärfe sind kein Muss. Sie sind gegeben, oder eben nicht. Der Augenblick oder der verzögerte – der hinausgezögerte – Moment der langen Belichtung ist hell oder dunkel, scharf oder unscharf. Er ist – unverdorben und unberührt.
Das Auge darf sich gewöhnen
Dem Auge tut das gut, weil es sich gewöhnen kann. Wie in der Nacht oder in der Dämmerung. Deshalb braucht es Zeit, sich die Fotografien von Jörg Möller anzusehen. Sie sind ein bisschen wie der Blick über die Schulter des Menschen, der vor uns geht. Der vor uns sitzt. Der wir sein könnten oder sein werden.
Auf der Website der Brotfabrik findet sich ein wunderbarer Text von Ingeborg Ruthe, die zur Vernissage in die Ausstellung einführte:
Jörg Möllers »Nachbilder« erzählen von der Vagheit und der nächtlichen Stille abseits der Großstadtlichter. Die wie aus der Zeit gefallenen nächtlichen Szenerien zeugen vom Noch-Erkennbaren und gleichzeitig Unheimlichen einer Landschaft, eines Gebäudes, einer menschlichen Silhouette. Für den Fotografen ist der Raum dazwischen wesentlich, das Unausgesprochene, der Rest Unfassbarkeit seiner nächtlichen Langzeit-Belichtungen eigentlich banaler Situationen … Es ist die Sprache der Zeichen, die solch eine Fotografie bestimmt, so voller Beiläufigkeiten, auch kryptisch, die eine geradezu mystische Aufladung erfahren.
Hier geht es zur Website der Ausstellung in der Brotfabrik. (bis 7. November 2021)
Website des Fotografen Jörg Möller aus Berlin.
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