Zum Tod von Mikis Theodorakis: Freiheit ist nicht verhandelbar
Der griechische Sänger hat ein reiches Werk hinterlassen: Lieder von Mauthausen und der Ägäis, gegen die Diktatur der Obristen und vor allem El Canto General, den Großen Gesang von Pablo Neruda – ein Schatz fürs Erbe dieser Welt.
Der griechische Komponist Mikis Theodorakis ist vergangene Woche gestorben, im biblischen Alter von 96 Jahren, bis zuletzt die flimmernde Sonne der Ägäis vor Augen. Damit endete der Lebensweg eines Menschen, der in seiner Heimat als Held verehrt wird.
Heldenstatus ist ein zweischneidiges Schwert, Ruhm und Legende legen sich wie Patina über die künstlerische Substanz, die dieses Leben ausmachte. Und über die politische Substanz, speziell im Falle von Theodorakis. Denn stets verstand er sich als politischer Künstler. Damit steht er neben Ludwig van Beethoven oder Hanns Eisler – auf Augenhöhe.
Griechenland neu belebt
In diese Riege steigt nur auf, wer prägend wirkt. Theodorakis hat Griechenland, die griechische Kultur auf neue Weise belebt, sie vom Staub der Antike befreit. Er lieferte die Musik zum Filmklassiker Alexis Sorbas, der 1965 in die Kinos kam, nach einer Romanvorlage von Nikos Kazantzakis. Für diesen Film schuf Theodorakis den Sound der Sehnsucht, Sehnsucht nach den Inseln und Küsten am Ionischen Meer und der Ägäis, nach Kreta und Zypern.
Mit Anthony Quinn bekam dieses neue, hinter den Mauern einer grausamen Dikatur verborgene Griechenland ein unvergessliches Gesicht. Sein Sirtaki am Strand gilt als Ikone des Kinos. Man muss sich das vorstellen: Als in Athen die militaristische Junta regierte, warfen Quinn und Theodorakis ihren Glauben an ein freies, unteilbares, europäisches Griechenland in die Waagschale. Mehr Politik ist in der Kunst nicht möglich.
Mit der Waffe in der Hand
Theodorakis war ein Linker, dazu hat er sich Zeit seines Lebens bekannt. Weil Links und Rechts in seiner Bedeutung im Laufe der Zeit mäanderte, muss man präzisieren: Er war Kommunist, kämpfte schon gegen die Wehrmacht und die SS. Er kämpfte aktiv mit, auch später im Bürgerkrieg gegen rechte Kräfte. Sie wurden von den Briten unterstützt, damit Athen nicht ins feindliche Lager überlief. Ohne britische Hilfe wären rote Fahnen zur Akropolis marschiert, wie die Partisanen Titos in Zagreb, Belgrad und Sarajewo.
Der Komponist wurde interniert und schwer gefoltert, ließ sich seine Vorstellung von Freiheit aber nicht austreiben. Anfang der 1960er Jahre wurde er erstmals ins Parlament in Athen gewählt – für die Linke. Es folgte ein Militärputsch ultrakonservativer Offiziere, der sogenannten Obristen. Sie regierten Griechenland mit harter, blutiger Hand.
Erneut wurde Theodorakis verhaftet und gefoltert, nur auf internationalen Druck hin gelang ihm die Ausreise nach Frankreich, ins Exil. Die Obristen herrschten von 1967 bis 1974, erst danach kehrte Theodorakis in seine Heimat zurück.
Ein Gegner von Diktatur und Krieg
Er war und blieb ein Gegner von Diktatur und Krieg, von jedweder Diktatur und jedem Krieg auf der Welt, sei es im Kosovo, in Palästina, im Irak oder der schwelende Konflikt mit der Türkei um Zypern. Ende der 1980er Jahre wurde er wieder ins Parlament gewählt und half, eine Mitte-Links-Regierung auf den Weg zu bringen.
Während der Finanzkrise Anfang der 2010er Jahre kritisierte er harsch die Intervention der sogenannten Troika aus Brüssel und die unsozialen Vorgaben für die Kredite an Griechenland, das vor der Zahlungsunfähigkeit stand.
Mehr als tausend Werke im Nachlass
Mehr als tausend Werke hat er hinterlassen. Heraus sticht die Musik der Filme und der Zyklus Mauthausen, dessen Lieder wie Freiheitshymnen klingen. Seit 1963 fand er in Maria Farantouri eine gewaltige Stimme, die seine Kompositionen in alle großen Konzertsäle der Welt trug, auf nahezu allen Frequenzen der Radios und Fernsehstationen.
Farantouri und Theodorakis waren Stimmen der freien Hellas, denn das Ende der Obristen zeichnete sich ab. Ihre Lieder der Patriotischen Front gingen um die Welt, gehörten zum Repertoire der Achtundsechziger. Roger Willemsen schrieb später: „Europa hatte keinen Che Guevara, es hatte Mikis Theodorakis. Wir waren mit ihm. Wer nie vom Umsturz der Diktaturen geträumt hat, wird bekanntlich nie erwachsen.“
Der unermüdliche Komponist traf sich mit Gamal Abdel Nasser in Kairo und mit Tito in Jugoslawien, mit Jigal Allon in Tel-Aviv, mit Jassir Arafat, mit Francois Mitterrand, Olof Palme und Willy Brandt. Es war die Zeit des globalen Aufbruchs der Sozialisten, der in Deutschland in Brandts Wahl zum Bundeskanzler gipfelte.
Selbst in Spanien, seit 1938 durch General Franco als Diktator regiert, regten sich zarte Versuche der Demokratisierung. Der Tod des Generalisimo im Jahr 1975 beendete vier Jahrzehnte dunkler Agonie auf der Iberischen Halbinsel. Unmittelbar danach folgte die Revolution der Nelken in Portugal.
Pinochet putscht sich an die Macht
Andernorts schlugen die Militärs erneut zu, beispielsweise in Chile. Dort hatte 1973 der Sozialist Salvador Allende die Wahl gewonnen. Er drohte, die Kupferminen zu verstaatlichen und jedem Schulkind eine kostenfreie Mahlzeit zu garantieren.
Diese Maßnahmen erschreckten die Amerikaner, die solchen Linksruck nicht hinnehmen wollten. Die CIA mobilisierte einen rechten Mob und putschte den faschistischen General Augusto Pinochet an die Macht – auch mit westdeutscher Hilfe.
Pinochets Schergen mordeten den Sänger Victor Jara und viele tausend Sozialisten, Demokraten und Intellektuelle. Gegen dieses Blutbad, gegen diese dunkelste Stunde der Geschichte Südamerikas – der gesamten freien Welt – setzte Theodorakis sein wichtigstes, sein gewaltigstes Werk. Nachdem er 1972 Pablo Neruda und Salvador Allende persönlich getroffen hatte, vertonte er den Großen Gesang, das Hauptwerk Nerudas.
Der Große Gesang von Pablo Neruda
El Canto General zählt heute zu den großartigsten Schöpfungen der spanischsprachigen Literatur – und der Musikgeschichte. Das Oratorium wurde im September 1974 in Frankreich uraufgeführt. Neruda war kurz nach dem Putsch im September 1973 gestorben, vermutlich vergiftet; und Allende von Pinochets Schergen beim Sturm seiner Amtsräume erschossen.
Wo immer der Canto General zur Aufführung kam, war das Werk eine politische Demonstration gegen die Junta in Chile und ihre Drahtzieher in Washington. Theodorakis hat die von tiefer Mystik getragene Dichtung Nerudas auf unvergleichliche Weise in Musik übersetzt, hat den indianisch-spanischen Duktus aufgegriffen und in eigentümliche, berauschende Rhythmen gebracht.
Resümee eines langen Lebens?
Mitte der 1980er Jahre sagte Wolf Biermann über Theodorakis: „Ja, er ist ein bedeutender Mensch, ja, ich liebe dieses eitle Arschloch – anders ist es ja auch gar nicht auszuhalten. Ich liebe seine Lieder und bin froh, wenn ich sie nicht hören muss, das ist es: ich ärgere mich über seine Zwiespältigkeit.“
Zehn Jahre später urteilte Arthur Miller: „Ich bezweifle, ob es ein anderes Leben gegeben hat, das so stark die Zusammenhänge zwischen revolutionärer Kunst und politischer Freiheit aufzeigt.“
Im Spätsommer 2021, am Tag nach seinem Tod und an den folgenden Tagen, wurde Theodorakis weltweit betrauert. Der Künstler für die Freiheit durfte sehr alt werden, viel älter als die meisten seiner Weggefährten. Er starb als freier und geachteter Mann in Athen – in dieser sehr alten, ewig jungen Stadt.
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