Joseph Schmidt: Sein Lied geht um die Welt
Neu entdeckt: Er lieh den Goldenen Zwanzigern seine Stimme. Erst gefeiert in Wien, Berlin und New York, dann von den Nazis in die Emigration getrieben. Wo er einsam und mittellos starb.
Neulich in der Straßenbahn, vom Prenzlauer Berg nach Friedrichshain: Ich treffe Uli Schmidt, guter Bekannter seit vielen Jahren. Eine echte Kieznudel, sozusagen. Fährt nach Friedrichshain, weil er dort sein Büro hat. Man muss wissen, dass Friedrichshain – topografisch gesehen – in einer Senke liegt. Am Ufer der Spree. Also fährt man sprichwörtlich den Prenzlauer Berg hinunter. Eine Schussfahrt mit Folgen.
Denn wir reden über dies und das, ach ja. Dann fällt ein Name: Joseph Schmidt. Ich denke: Joseph Schmidt – Uli Schmidt. Wenn die mal nicht verwandt sind. Sind sie auch, wie sich herausstellt, aber in größerem Zusammenhang, als weit entfernte Mischpoke. Uli kennt sich aus mit der jüdischen Vergangenheit von Berlin, das hat mit seiner Familiengeschichte zu tun. Auch Joseph Schmidt war Jude. Überrascht fragt Uli: „Du kennst ihn nicht, wirklich nicht?“ Ich zucke mit den Achseln. Da summt er: „Ein Lied geht um die Welt, ein Lied, das Euch gefällt …“
Da war doch mal was …
Am Bersarinplatz steige ich aus, winke Uli zum Abschied. Irgendwie ist er immer für eine Geschichte gut. Ich summe: „Ein Lied geht um die Welt…“ Hm, kommt mir bekannt vor, wie ein alter, fast vergessenes Kinderlied. Das war doch mal was, oder?
Das Interesse des Autors ist entzündet, einer Fackel gleich erhellt der Name das Hirn: Joseph Schmidt, die Stimme der Goldenen Zwanziger. Aufgewachsen in einer Gegend, in der sich über die Jahrhunderte verschiedene Kaiser, Sultane, Könige und (rote) Zaren die Klinke in die Hand gaben: Bukowina. Heute gehört dieser Landstrich zum Westen der Ukraine, fast an der rumänischen Grenze.
Jahrgang 1904, Sohn streng orthodoxer Juden. Als junger Mann bereits ein gut geschulter Sänger, wird er Kantor in der wichtigsten Synagoge von Chernowitz, damals die legendäre Heimat liberal eingestellter Juden, die sich in der Diaspora gut eingerichtet und es zu einigem Wohlstand gebracht haben. Ursprünglich gehörte die Bukowina zu Österreich-Ungarn. Zum Ende des Ersten Weltkrieges fiel sie an Rumänien. 1940 rückten die Sowjets ein.
Zu klein für die große Bühne
Die Synagoge, in der Joseph Schmidt liturgische Dienste pflegte, ist heute ein Kino, ein Vergnügungstempel. Immerhin haben Russen und Ukrainer dem Tenor ein Denkmal gesetzt. Schmidt verlässt die Bukowina um 1925 herum, um in Berlin sein Gesangstalent zur Profession zu entwickeln. Die Oper ist sein Ziel, sein Traum, sein Dilemma: Mit 1,54 Metern ist er zu klein für große Rollen auf hohen Bühnen.
Doch seine Stimme, diese Stimme – unschlagbar groß! Sie macht Karriere, über neue Medien, die damals die Welt erobern: Schallplatte und Radio. Mit dem Schlager „Ein Lied geht um die Welt“ landet Joseph Schmidt einen Hit, einen Welthit, der sogar den Stoff für einen sehr erfolgreichen Film liefert. Zwischen 1929 und 1933 singt Schmidt in sage und schreibe 38 Opern, die der Berliner Rundfunk produziert. So wird er zur Stimme der Goldenen Zwanziger, die bereits in die grauenhaften Dreißiger driften, bleibt im Ohr jenes Zeitalters wie neben ihm nur Caruso und die Comedian Harmonists.
Von den Nazis vertrieben
Am 20. Februar 1933 hat er seinen letzten Auftritt im deutschen Rundfunk. Denn Hitler kommt an die Macht, der Homunkulus von Millionen deutschen Kleinbürgern, die so eine wunderbare Stimme nicht ertragen können. Geknechtet in Schulen, Kasernen, Amtsstuben und Fabriken können sie überhaupt keine Schönheit ertragen, keine echten Wunder, nur davon schwärmen.
Von Neid und Missgunst zerfressen, schicken sie den Juden Joseph Schmidt in die Emigration. Im Mai 1933 feiert der Film „Ein Lied geht um die Welt“ zwar noch Premiere – in Berlin. Doch unmittelbar danach fliehen der Tenor und sein Regisseur nach Wien. Mehrere Tourneen führen ihn nach Palästina, an die Carnegie Hall in New York, nach Belgien und Frankreich. 1938 verlegt er sein Exil nach Brüssel, rettet sich 1940 vor den deutschen Panzern ins unbesetzte Frankreich von Marschall Vichy.
Zu viele Juden in der Schweiz
Er ist Jude, also kann er nicht in Deutschland und den von der Wehrmacht besetzten Teilen Europas leben. Für die Franzosen ist er Deutscher, also wird er verhaftet. Kurz vor der Auslieferung an die Gestapo gelingt ihm 1942 die Flucht über die Schweizer Grenze. Er kommt allein und zu Fuß, einer von vielen Tausend Illegalen. Einen Pass hat er nicht mehr, kein Geld, keine Verwandten. In Zürich ist er so geschwächt, dass er auf der Straße zusammenbricht. Dabei liegen auf seinen Konten in den USA ausreichend Mittel – nur hat er keinen Zugriff.
In dieser Zeit haben die Schweizer große Angst vor „Verjüdung“, denn für die gehetzten Opfer der Nazischläger ist das kleine Alpenland die letzte Insel im braunen Strom. Auf allen erdenkbaren Wegen versuchen sie, die löchrige Grenze zu überschreiten. Wen die Schweizer Polizei einfängt, der wird an der Grenze direkt auf die Lkw der SS übergeben. Denn laut einem Gesetz von 1942 galten Juden nicht als politische Flüchtlinge.
Am Tag vor der Freiheit
Joseph Schmidt hatte Glück, ein kleines Glück. Er wird erkannt und nicht ausgeliefert. Man bringt ihn ins Internierungslager Girenbad im Kanton Zürich. Dort beantragt er eine Arbeitserlaubnis, die ihm zunächst verweigert wird.
Kurz darauf erkrankt er schwer, der Hals entzündet sich, Herz und Brust schmerzen. Er wird ins Kantonsspital eingewiesen. Seine Schmerzen werden ignoriert, weil er kein Geld und keinen Status hat, immerhin wird die Entzündung behandelt, oberflächlich. Mitte November 1942 wird er als „geheilt“ entlassen, kehrt nach Girenbad zurück – ohne Aussichten, Hoffnung, Papiere. Es ist eisig kalt, viel Schnee fällt in diesem Winter, und er kommt sehr früh.
Zwei Tage nach seiner Entlassung stirbt Joseph Schmidt in einem nahegelegenen Restaurant. Die Wirtin hat seine Schwäche erkannt und ihm das Sofa im Wohnzimmer angeboten. Für eine Sendung des Schweizer Fernsehens erzählt die wackere Frau ein Vierteljahrhundert später, wie schnell das Ende kam. Joseph Schmidt starb an Herzversagen, klammheimlich, ohne Seufzer, bleich und erschöpft.
Der Vollständigkeit halber und zur Ehrenrettung der Schweizer muss erwähnt werden, dass seine Arbeitserlaubnis am folgenden Tag eintraf. Dann wäre er frei gewesen.
Was bleibt?
Zur Ehrenrettung der deutschen Behörden können wir an dieser Stelle nichts vorbringen. Für solche Schande gibt es keine Worte. Was bleibt? Eine wunderbare Stimme, eine traurige, lyrische Stimme, aus einer versunkenen, traurigen Zeit:
Ein Lied geht um die Welt,
ein Lied, das Euch gefällt.
Die Melodie erreicht die Sterne,
jeder von uns hört sie so gerne.
Von Liebe singt das Lied.
Von Treue singt das Lied.
Und es wird nie verklingen,
man wird es ewig singen.
Vergeht auch die Zeit,
das Lied bleibt in Ewigkeit.
Über Joseph Schmidt ist eine ausgezeichnete Biografie erschienen:
Alfred A. Fassbind:
Joseph Schmidt – Sein Lied ging um die Welt
Römerhof-Verlag, Zürich 2012
ISBN 978-3-905894-14-1
(mit CD, St. Gallen: Sonimex, 2012, alle Titel gesungen von Joseph Schmidt)