
Patrice Lumumba: Opfer der Uranbarone
Vor sechzig Jahren wurde Patrice Lumumba ermordet. Bei dem Komplott mischten die Belgier mit, die Briten, die Amerikaner, ebenso konkurrierende Stammesführer. Es ging um Macht, um koloniale Privilegien – und vor allem um den Brennstoff für das beginnende Atomzeitalter.
Mitte Januar 1961 wurde Patrice Lumumba ermordet, damals der Führer der Unabhängigkeitssbewegung im Kongo, dem riesigen Land in der Mitte Afrikas. Mit 35 Jahren wurde er brutal aus dem Leben gerissen, weil er belgischen und US-amerikanischen Interessen im Wege stand. Er war anderen Stammesführern ein Dorn im Auge, die sich mit der belgischen Schutzmacht arrangieren wollten.
Denn dieses Arrangement versprach satte Gewinne für die Warlords und ihr Gefolge: Die Demokratischen Republik Kongo, wie sie heute heißt, ist eines der reichsten Länder der Welt, besonders gesegnet mit Bodenschätzen: Kupfer, Coltan, Cobalt, Gold, Silber, Erdöl, Zink, Zinn, Mangan, Wolfram und Kohle.
Blutkohle, wie man sie heute nennt, die von schwarzen Kulis mit bloßen Händen aus den Bergen des Hochlands gekratzt wird, und deshalb auf dem Weltmarkt besonders billig zu haben ist.
Der erste Deal der Atomindustrie
Vor allem aber ist der Kongo sagenhaft reich an Diamanten. Die Ausbeute der Edelsteine steht den Klunkern aus Russland und Botswana nur wenig nach. Die Demokratische Republik Kongo ist der drittgrößte Produzent von Naturdiamanten, vor Australien, Kanada, Angola oder Südafrika.
Doch wirklich wichtig war das Uran, daran war das Interesse der Belgier besonders groß. Denn 1942 verkauften sie 4.200 Kilogramm kongolesisches Uran an die Amerikaner, die daraus die erste Atombombe bauten. Diese Uranmenge entsprach seinerzeit fast dem gesamten Uranvorrat weltweit. Die enormen Erlöse, die der belgische König aus diesem Geschäft zog, steckte er später in den Aufbau der belgischen Atomkraftwerke.
Zündstoff für das Manhattan-Projekt
Schon 1913 hatte man Uranerz in Haut-Katanga entdeckt, einer Provinz im damaligen Belgisch-Kongo. Die Erzvorkommen der Shinkolobwe Mine waren außergewöhnlich reichhaltig. Bereits vor dem Zweiten Weltkrieg hatten die Amerikaner Interesse bekundet, bis der Deal im Jahr 1942 durch das Manhatten-Projekt konkret wurde.
Belgien wurde zum Hauptlieferanten der USA, erhielt auf diese Weise Zugang zur Technik der Atomreaktoren. Noch heute laufen die Atomkraftwerke Doel und Tihange. Doel ist der älteste Meiler in Europa, älter sogar als Tschernobyl. Und Tihange pflegt den zweifelhaften Ruf, der störanfälligste Schrottmeiler des Kontinents zu sein, unweit der deutschen Grenze.
Ende der 1950er Jahre lag auf dem Schwarzen Kontinent das sogenannte afrikanische Jahr in der Luft. Im britischen Kenia wurde die Unabhängigkeitsbewegung von Jomo Kenyatta angeführt, in Tanganjika (später Tanzania) vom charismatischen Julius Nyerere, in Guinea von Sekou Touré und in Ghana vom legendären Kwame Nkrumah.
1960 gewann Lumumba die Wahlen
Auch in Belgisch-Kongo wurde es unruhig, bis 1960 Lumumbas Partei die Wahl gewann. Sie war erst zwei Jahre zuvor gegründet worden. Er wurde 1960 erster Premierminister des unabhängigen Kongo – gegen den Widerstand der weißen Siedler und der belgischen Oberschicht.
Selbstbewusst trat Lumumba auf, beispielsweise auf dem Festakt zur Feier der Unabhängigkeit. In seiner Rede widersprach er dem belgischen König Baudouin, der die „zivilisatorischen Verdienste“ seiner Kolonialherrschaft gelobt hatte, die „Errungenschaften“ unter den weißen Herren.
In Anwesenheit des Königs und internationaler Diplomaten widersprach er dem Monarchen, prangerte die Unterdrückung durch die Kolonialverwaltung an:
„Wir haben zermürbende Arbeit kennengelernt und mussten sie für einen Lohn erbringen, der es uns nicht gestattete, den Hunger zu vertreiben, uns zu kleiden oder in anständigen Verhältnissen zu wohnen oder unsere Kinder als geliebte Wesen großzuziehen. Wir kennen Spott, Beleidigungen, Schläge, die morgens, mittags und nachts unablässig ausgeteilt wurden, weil wir Neger waren. Wir haben erlebt, wie unser Land im Namen von angeblich rechtmäßigen Gesetzen aufgeteilt wurde, die tatsächlich nur besagen, dass das Recht mit dem Stärkeren ist. Wir werden die Massaker nicht vergessen, in denen so viele umgekommen sind, und ebenso wenig die Zellen, in die jene geworfen wurden, die sich einem Regime der Unterdrückung und Ausbeutung nicht unterwerfen wollten.“
Selbst unter Briten und Franzosen, die damals große Gebiete im Osten, Westen und Norden Afrikas kolonial verwalteten, galt die belgische Kolonialherrschaft als besonders brutal und menschenverachtend.
Die Belgier hinterließen Chaos
Mit der Unabhängigkeit zogen sich die Belgier weitgehend aus dem Kongo zurück. Es gab keine Schulen, keine Kliniken, keine Sozialfürsorge. In der kongolesischen Armee gab es keine einheimischen Offiziere, nur drei Kongolesen waren im Staatsdienst tätig. Lediglich 30 Kongolesen verfügten über eine akademische Ausbildung.
Lumumba war Sozialist, und er drohte mit der Verstaatlichung des Bergbaus und der Plantagen. So malte die belgische Presse das Horrorbild des Kommunisten und Weißenhassers, deutsche Medien bezeichneten ihn als Negerpremier. Als er tot war, titelte eine belgische Zeitung: La mort de Satan! (Tod des Teufels)
Zu viel Geld stand auf dem Spiel
Und: Wegen der reichen Vorkommen an Uran und strategischen Metallen lehnte US-Präsident Dwight D. Eisenhower die Zusammenarbeit mit dem freien Kongo ab. Amerikanische Unternehmen waren an den Minen in der Provinz Katanga beteiligt, da stand sehr viel Geld auf dem Spiel.
Also wandte sich Lumumba an die Sowjets, ersuchte militärische Unterstützung gegen die belgischen Fallschirmjäger. Sie hatten die abtrünnige Provonz Katanga besetzt, um den Bergbau für die westlichen Konzerne sichern. Es folgten die sogenannten „Kongo-Wirren“, ein Bürgerkrieg, in dem belgische Francs und amerikanische Dollars die entscheidende Rolle spielten.
In dieser Auseinandersetzung tauchte als Gegenspieler Lumumbas erstmals der Oberst Joseph Mobutu auf, der später einer der blutigsten Diktatoren Afrikas werden sollte. Mobutu war als Parteigänger Lumumbas gestartet, wandte sich nun gegen ihn, die USA und Belgien im Rücken. Im September 1960 putschte die kongolesische Armee unter Mobutu und übernahm die Macht. Lumumba wurde unter Hausarrest gestellt, allerdings bewacht und geschützt von eilig entsandten Truppen der Vereinten Nationen.
Ein Mordauftrag der CIA
Zu dieser Zeit hatte die CIA bereits beschlossen, Lumumba aus dem Weg zu räumen – offenbar auf persönlichen Befehl von Eisenhower. Ende November 1960 gelang Lumumba die Flucht aus Léopoldville, jedoch wurde er kurze Zeit später wieder von Mobutus Truppen verhaftet.
Mitte Januar 1961 gelang Lumumba erneut die Flucht, während einer Meuterei der Militärs. Am 17. Januar 1961 verschwand er von der Bildfläche. Spätere Gerüchte, dass er gesehen worden sei, bestätigten sich nicht. So wird dieses Datum von den Historikern mittlerweile als Todestag angenommen.
Erst im Jahr 2000 begann eine Kommission des belgischen Parlaments, die genauen Umstände des Mordes zu klären. Der Bericht erschien im November 2001 – mehr als vier Jahrzehnte nach Lumumbas Verschwinden. Er war fast tausend Seiten stark und enthielt haarsträubende Details.
Die letzten Tage des Premiers
Ihm zufolge wurden Lumumba und zwei seiner Gefolgsleute tatsächlich am 17. Januar 1961 von Soldaten in Katanga erschossen, die unter belgischem Kommando standen. Auch der britische MI6 soll in die Ermordung involviert gewesen sein. Zuvor waren die Delinquenten gefoltert, bespuckt und verhört worden.
Besonders perfide: Die Leichen wurden sofort verscharrt, einige Tage später aber wieder ausgegraben. Die Leiche des Führers der Unabhängigkeitsbewegung wurde zerteilt und mit Batteriesäure aufgelöst, die eine belgische Minengesellschaft besorgt hatte. Die letzten Überreste wurden verbrannt.
Bekannt wurde zwischenzeitlich auch, dass die CIA auf Befehl aus dem Weißen Haus seit 1960 versucht hatte, Lumumba zu vergiften. Diese Pläne waren gescheitert.
Ein Mann wird zu ganz Afrika
Gefoltert, erschossen, zerstückelt, verätzt und verbrannt: Dennoch ist Patrice Lumumba bis auf den heutigen Tag eine Symbolfigur geblieben – wie neben ihm nur Nelson Mandela aus Südafrika. Jean-Paul Sartre hat prophezeit:
„Mort, Lumumba cesse d’être une personne pour devenir l’Afrique toute entière“ – „Seit Lumumba tot ist, hört er auf, eine Person zu sein. Er wird zu ganz Afrika.“
Er hat Recht behalten.
Der Tod des Dag Hammarskjöld
Mit Lumumbas Ermordung waren Terror und Chaos nicht vorbei. In der Nacht zum 18. September 1961 stürzte das Flugzeug des damaligen UN-Generalsekretärs Dag Hammerskjöld ab, an der Grenze zwischen der Demokratischen Republik Kongo und Nordrhodesien (heute Sambia). Die 16 Passagiere und Mitglieder der Crew starben, darunter Hammerskjöld und sein Berater für Afrika, der deutsche Ethnologe Heinrich Wieschhoff.
Hammerskjöld wollte in Katanga vermitteln, um das Blutvergießen der rivalisierenden Gruppen zu beenden. Kurz nach seinem Tod kam das Gerücht auf, die Maschine sei abgeschossen worden.
Ein belgisch-britischer Legionär
Im Oktober 2017 veröffentlichte eine Untersuchungsgruppe der Vereinten Nationen eine Studie, nach der ein Angriff auf das Flugzeug als plausibel bezeichnet wurde. Vermutlich waren Rebellen aus Katanga dafür verantwortlich. Eine Dokumentation aus dem Jahr 2019 nannte dagegen einen belgisch-britischen Piloten, der das Flugzeug der UN abgeschossen habe. Diese Version wurde von Zeugen aus dem Freundeskreis des mittlerweile verstorbenen Legionärs bestätigt, er hatte damit geprahlt.
Dass belgische Piloten die UN-Truppen attakierten, war damals bekannt. Deshalb hatte Hammarskjöld bei den USA und Großbritannien um Luftunterstützung gebeten, die ihm jedoch verweigert wurde.
Demokratisierung scheitert an den Demokratien
So bietet der Kongo – bis heute ein zerrissenes und von fremden Mächten kontrolliertes Land – ein Musterbeispiel, wie die Demokratisierung Afrikas durch die sogenannten Demokratien des Westens hintertrieben wurde und wird.
Die Hoffnungen auf echte Unabhängigkeit zerstoben unter dem ökonomischen Druck der Minengesellschaften und dem politischen Druck des Kalten Krieges. Bis heute ist die Demokratische Republik Kongo das „Herz der Finsternis“ im Zentrum des Schwarzen Kontinents, um Joseph Conrad zu bemühen.
Für Globetrotter ist das Riesenland mit seinen zerklüfteten Bergen, seinen reißenden Flüssen, den üppigen Regenwäldern und ausgedehnten Savannen ein „no go areal“. Selbst hartgesottene Reisende machen einen großen Bogen, meiden die gefährlichen Regionen westlich des langgestreckten Tanganjika-Sees und des Rift Valleys.
Die Bevölkerung eines der reichsten Länder der Welt geht am Bettelstab. Regionale Warlords liefern sich endlose, blutige Fehden – und kein Ende des Chaos in Sicht. Die Profite aus dem Bergbau hingegen sind gigantisch, sie fließen nach Brüssel, London und New York.
So steht Patrice Lumumba für einen Aufbruch, der nach wie vor im Anfang steckt. Doch was einmal gesagt wurde, bleibt in der Welt, und jeder Mensch hinterlässt eine bleibende Spur. Wie Nelson Mandela wurde Lumumba zum Mythos, der weiterlebt und weiterwirkt – weil die Aufgabe unerfüllt ist. Weil sich die Demokratisierung Afrikas auf Dauer nicht verhindern lässt – nur verzögern.
Lesen Sie auch: