Eine Burg in der Pampa
Die Gefilde südöstlich von Berlin sind schwer vom Kohleabbau und ehemaligen Schießplätzen gezeichnet. Bis zum Spreewald bei Lübben – und weiter darüber hinaus – ist das Land öde, flach und irgendwie grau. Doch manchmal glitzert ein Juwel im Sand, den die Eiszeit hinterließ. Ein Kleinod wie die Slawenburg von Raddusch.
Wenn man die Autobahn gen Dresden und danach bei Lübbenau Richtung Cottbus fährt, summt man unwillkürlich einen lokalen Ohrwurm, verfasst von Rainald Grebe:
Es gibt Länder, wo was los is.
Es gibt Länder, wo richtig was los ist, und es gibt
Brandenburg, Brandenburg.
Das Land ist endlos, flach und irgendwo an seinem Ende stoßen die Wolken gegen trockenes Gras. Der Boden ist karg und sandig, und überall sind die Spuren von intensiver Landwirtschaft und alten Tagebauen für die Braunkohle zu sehen. Der Barde singt:
In Brandenburg, in Brandenburg
ist wieder jemand gegen einen Baum gegurkt.
In Berlin bin ich einer von 3 Millionen.
In Brandenburg kann ich bald alleine wohnen,
Brandenburg.
Bis zum Spreewald gibt es kaum Erhebungen, an denen sich das Auge festhaken kann. Alles glatt wie ein Spiegel, und vor mehr als 12.000 Jahren war hier tatsächlich alles vereist. Mit dem Rückzug der Gletscher kamen die ersten Rentierjäger ins Gebiet; die ersten Brandenburger würde man heute sagen.
Brandenburg ist ja irgendwie in der Steinzeit hängen geblieben, munkeln die Berliner. In Raddusch, von der Hauptstadt ausgesehen hinterm Spreewald, findet das Auge plötzlich einen Haken: Eine alte Slawenburg wächst wie eine Schüssel aus dem Sand, in Sichtweite der Autobahn. Soso, is‘ ja interessant. Blinker gesetzt und rausgefahren.
Echt abgefahren, eine Überraschung in der Ödnis
Und wirklich: Die Burg ist abgefahren, eine echte Überraschung in der Ödnis unseres Nachbarlandes, also des Bundeslandes, das Berlin in alle Richtungen umschließt. Denn die sehr aufwändig und liebevoll hergerichtete Burg beherbergt ein spannendes Museum. Natürlich kommt auch diese Ausstellung nicht umhin, ein Loblied auf den Kohlebergbau zu singen. Schwamm drüber, is‘ halt Brandenburg. Die Leute dort scheinen Kohlendreck unter ihren Nägeln irgendwie zu lieben.
Doch das gehört zu Brandenburg, der Berliner ist tolerant. Davon abgesehen sind die Exponate richtig interessant. Als die Rentierjäger das einstmals vereiste Terrain eroberten, gab es noch keine Slawen und keine Germanen. Es gab Menschen, die das Beste aus den natürlichen Bedingungen machten. Mit erstaunlichem Erfindungsreichtum.
Nachbildung eines Refugiums
Die Slawenburg Raddusch ist die weitgehend originalgetreue Nachbildung einer Fluchtburg, wie sie am Ende des ersten Jahrtausends nach der Zeitenwende in der Niederlausitz häufig errichtet wurden. Rund 40 solcher Zufluchtsstätten sind in der Region bekannt. Damals war das Gebiet hart umkämpft, bildete es doch die Grenze zu den Sachsen, die nach Norden in slawische Gebiete drängten.
Die Burganlage besteht aus einem starken Wall, der etwa auf das Jahr 880 datiert wird. Er ist rund zehn Meter breit. Das Gerüst der gewaltigen Wehrmauern besteht aus dicken Eichenbalken, die in wechselnder Ausrichtung aufeinander liegen. Die Zwischenräume wurden mit Erde und Steinen verfüllt. Dem Wall vorgelagert ist ein Graben, über den zwei Brücken ins Innere des massiven Rondells führten.
Innen bietet der annähernd runde Wall eine Fläche mit 35 bis 36 Metern Durchmesser, auf der Hütten standen. Um 930 wurde die Burg erneuert, der Wall verbreitert und erhöht. Ein Jahr zuvor hatten sich die Ostfranken ins Slawenland vorgepirscht. Im Jahr 929 gründete Heinrich I. die Burg Meißen, drei Jahre später machte er die slawische Bevölkerung in der Lausitz tributpflichtig.
Unzählige Artefakte ausgegraben
Um 950 wurde die Wehr erneut ausgebessert. Nun hatte der Wall eine Breite von 20 Metern. Das ging auf Kosten der inneren Fläche, ihr Durchmesser schrumpfte auf 28 Meter. Entscheidend für die Durchhaltefähigkeit der Bewohner im Kriegsfall waren vier Brunnen, später wuchs ihre Zahl auf sechs. Diese wurden mit Holzstämmen in Kastenbauweise ausgekleidet und reichten rund zwölf Meter tief.
Bei Ausgrabungen kamen aus der Tiefe dieser Brunnen viele Artefakte zum Vorschein: Keramikscherben, Messer, Lanzenspitzen, Wetzsteine, Schlittschuhe aus Knochen, hölzerne Schlägel und Spaten und eine wertvolle Schale aus Messing.
Im Jahr 963 siegten die Sachsen endgültig über die Lausitzer Slawen, damit war das Ende der Burg gekommen. Die Anlage verfiel und geriet nahezu in Vergessenheit.
Ackerland für die Kolchose
Im 20. Jahrhundert war sie noch als baumbestandener Ring sichtbar, der sich leicht über das Flachland erhob. Bis 1984 fuhren die Traktoren und Mähdrescher der naheliegenden Kolchose (DDR-deutsch: LPG) darüber hinweg, denn das Terrain wurde beackert. Mitte der 1980er Jahre blieb lediglich ein sanfter Hügel von drei Metern Höhe und 85 Metern Durchmesser erhalten.
In dieser Zeit wurde der neue Tagebau Seese Ost geplant. Bevor sich die Riesenbagger durch die Landschaft fraßen, nahmen sich Archäologen der Sache an. Sie retteten, was zu retten war. Zunächst stellten sie fest, dass die Slawen nicht die ersten Siedler am Ort waren. Unter dem Wall fanden sich germanische Überreste aus der Zeit der Völkerwanderung im fünften und sechsten Jahrhundert.
Die frühesten Funde stammen gar aus der späten Bronzezeit und frühen Eisenzeit. Sie deuten auf eine Siedlung hin, die rund 700 vor Christus errichtet worden war.
Bagger stoppten kurz vorm Wall
Mit der Wende und der deutschen Wiedervereinigung kam das Aus für die Kohlemeiler in Lübbenau und Vetschau. Die Bagger stoppten nur wenige Hundert Meter vor dem Bodendenkmal. Mit Geld aus der Bergbausanierung wurde die heutige Slawenburg errichtet und mit dem kleinen, aber feinen Museum ausgestattet.
Die Ausstellung ist im Inneren des Walls versteckt. In diesem Segment besteht der moderne Wall aus einem verblendeten Betonhohlkörper, der erstaunlich geräumig ist und vielen Exponaten eine Heimat bietet. So gerät der Besucher auf eine Zeitreise von der Eiszeit bis zum Mittelalter. Der Burghof zeigt restaurierte Hütten und den Nachbau eines Brunnens, sowie Szenen aus dem Alltag der slawischen Bewohner.
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