
Podcast: Hässlichkeit weitet Horizonte
Clanmother Rebecca Budd aus Vancouver hatte sich für die neue Folge von Tea, Toast & Trivia ein besonders spannendes Thema ausgesucht: Hässlichkeit, neudeutsch Ugliness. Kundiger Gesprächspartner war Klausbernd Vollmar aus Cley-next-the-Sea in Norfolk. Mit ihm hatte sie bereits über Farben und Schönheit gesprochen. Der Podcast beweist: Hässlichkeit ist viel interessanter, denn sie berührt die Dämonen in uns selbst.
Der neue Podcast von Clanmother Rebecca Budd mit dem Psychologen Klausbernd Vollmar wagt sich an ein heißes Eisen: Über Schönheit reden alle gern, sie ist en vogue. Das Hässliche, die Hässlichkeit hingegen sind beinahe tabou. „Darüber wird selten gesprochen“, führt Klausbernd Vollmar ein.
Denn Hässlichkeit berührt unangenehme Dinge: Exkremente, Krankheiten oder Enstellungen. Narben sind hässlich, oder Zeichen von Alterung: Falten, Flecken, schlaffe Haut und Fett. Ein spezieller Zweig der Chirurgie lebt davon, die Zeichen der zunehmenden Hässlichkeit in zeitlose Schönheit umzumünzen. Schönheit vergeht, Hässlichkeit nicht – allen Skalpellen und Lasern zum Trotz.
Ein Wort der Furcht, der Angst
Ugliness, wie es im Englischen heißt, stammt vom Wikingerwort für Furcht, ist skandinavischen Ursprungs, wie Klausbernd Vollmar erläutert. Hässlichkeit im Deutschen geht auf Hass zurück, ebenso ein Ausdruck von Furcht und Angst.
Hass verursacht entstellte Fratzen, unkontrollierte emotionale Ausbrüche, die die Angst kaschieren sollen. Die Angst vor dem Unbekannten – das uns bei näherem Hinsehen nicht selten sehr vertraut ist. „Jemand, den man als hässlich bezeichnet, empfindet man als eklig oder unattraktiv“, sagt Klausbernd Vollmar. „Andererseits erzeugt Hässlichkeit eine starke Anziehungskraft. Sie zwingt uns, zweimal hinzuschauen.“
Ausbruch aus der Norm des Kollektivs
Wenn Schönheit die kollektive Norm des Wünschenswerten, des Erstrebten umfasst, beschreibt Hässlichkeit die Abweichung von dieser Norm, die Antithese. „Niemand möchte sich mit Häßlichkeit identifizieren“, meint Vollmar.
Und doch steht Hässliches, Monströses offenbar hoch im Kurs: Seit Hieronymus Bosch und Vincent van Gogh gehören hässliche Motive zu den anerkannten Elementen der Kunst. Obwohl Hexen und Juden (und andere Feindbilder) über Jahrhunderte als hässlich galten, um sie auszugrenzen, sind betont hässliche Charaktere in Film und Fernsehen von magischem Wert: Gollum oder Sauron aus Herr der Ringe, die Sith in Star Wars, das Biest in Beauty and the beast, Mary Shelleys Frankenstein, der Glöckner von Notre Dame von Victor Hugo oder Salvatore in Der Name der Rose, so herrlich verkörpert von Ron Perlman.
Das Monströse kultivieren
Seit dem Einzug der Computertricks wird die Filmindustrie, werden die Computer Games überflutet von nie zuvor erschauten Monstern. Sie kultivieren das Abstoßende, das rebellische Element, das sich der Schönheit verweigert – und garantieren Aufmerksamkeit. „Zweimal hinschauen“, wie Klausbernd Vollmar sagt, bevor er aus Shakespeares Macbeth zitiert: „Foul is fair and fair is foul.“ Schönheit vergeht, das Hässliche bleibt.
Denn die Welt ist nicht schön, sie ist mitunter hässlich, sehr sehr hässlich. Um das zu verstehen, muss man genauer hinschauen, sich das Hässliche erschließen. Man muss die Angst überwinden, die sie impliziert.
Zu verschiedenen Zeiten in verschiedenen Kulturen wurde Hässlichkeit verschieden genormt und interpretiert. Heute bietet sich durch die Omnipotenz von Hässlichkeit in den Medien die Chance, die Ängste und Vorbehalte zu überwinden.
Eine Übung in Toleranz
Diente Hässlichkeit früher vor allem dazu, auszugrenzen und Feindbilder zu pflegen, tragen die modernen Medienmonster nicht selten menschliche Züge. Sie spiegeln die Dämonen, die in jedem von uns stecken. So wird „zweimal hinschauen“ zur Toleranzübung.
Für die Cineasten unter uns: Paradebeispiele sind die Genese der Monster in Alien, der kleinen Felldinger in Gremlins, der Schaben in Men in Black oder der außerirdischen Grünlinge in Mars Attacks. Ganz großes Kino …
Verwirrende Distanz
Schönheit verspricht Schutz und Sicherheit, Hässlichkeit verwirrt und zwingt, die emotionale Distanz durch offenes Herz und freien Geist zu überwinden. Sie kann sogar Spaß machen, wie die sehr erfolgreiche Rocky Horror Picture Show beweist. Und bei Beauty and the Beast steckt hinter der Fratze des Monsters ein Prinz, wie beim Froschkönig.
Dieses Nugget hinter der hässlichen Fassade zu entdecken, ist Goldgräbertum, oft mühselig und fruchtlos, aber manchmal, mit viel Glück …
Ganzheitlichkeit akzeptieren
Der Podcast ist verhältnismäßig lang, mehr als eine halbe Stunde. Der feinen Gesprächsführung von Clanmother Rebecca ist zu verdanken, dass er nie langweilig oder zum einseitigen Monolog gerät. Die Suche nach Verständnis für das Hässliche, sagt sie sinngemäß, ist die Chance, die es für den Betrachter birgt. „Hässlichkeit zu akzeptieren, bedeutet, die Ganzheitlichkeit zu akzeptieren“, bringt sie es auf den Punkt. „Denn sie gehört zum Leben.“
Die Welt – in uns und um uns – ist nicht nur in Schönheit und Licht und wunderbaren Farben gemalt. Sie ist real und somit durchaus hässlich. Die Angst davor zu überwinden – bis zur Angst vorm hässlichen Tod – öffnet neue Horizonte.
Urängste befragen und bewältigen
So gesehen sind betont abstoßende Subkulturen wie Punk oder Gothic keine bloße Absage an den Mainstream und die Hochglanzgesellschaft. Sie markieren die Suche nach einem Lebensweg, der tiefe Urängste befragt und zu bewältigen sucht.
Denn das Konzept der Schönen und Reichen allein reicht nicht aus, um mit der realen, der echten und wirklichen Welt klar zu kommen.
Im Podcast benutzt Klausbernd Vollmar den interessanten Begriff des Zeitgeists, der auch im Englischen Zeitgeist heißt. Längst wissen wir doch, dass eine schöne und glatte Fassade oft nur den hässlichen Kern verbirgt.
Der Hohepriester der reichen Schönen mit dem verdorbenen Selbst ist Raymond Chandler, Autor klassischer Krimis um Privatdetektiv Philip Marlowe. Er hat die emotionale Distanz der Hässlichkeit vermessen wie kaum ein anderer. Hier ein Beispiel, aus Der lange Abschied:
Ein Bursche in Shantung-Jacke und offenem Hemd tauchte hinter ihr auf und grinste mir über ihren Kopf weg zu. Er hatte kurzes rotes Haar und ein Gesicht wie eine kollabierte Lunge. Er war der hässlichste Kerl, den ich je zu Gesicht bekommen hatte.
Lesen Sie das zweimal, mindestens. Eine kollabierte Lunge … Denken Sie darüber nach, öffnen Sie Geist und Herz. Dann werden Sie mühelos erkennen, wie viel Schönheit sich in dieser Passage versteckt.
Podcast: Ugliness (36:10 min.) – Unbedingt reinhören!
Website von Tea, Toast & Trivia
Hier geht es zu Klausbernd Vollmars Blog The World according to Dina.
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