Ars Electronica Center – das Ende aller Horizonte
Noch ein Museum? Wissenschaft zum Anfassen? Mitnichten. In Linz gehen Kunst und Forschung eine kreative Symbiose ein – und eröffnen völlig neue Wege, grenzenlos.
Linz ist die Hauptstadt von Oberösterreich, und als solche sehr ehrwürdig. Die Altstadt ist eine hübsche Puppenstube, auf dem Hauptplatz paradieren Blaskapellen in historischen Uniformen: Landsknechte aus dem späten Mittelalter, feldgraue Soldaten der k.u.k. Monarchie, exotische Gebirgsjäger, wie den Filmen von Luis Trenker entsprungen.
Fesche Jungs, gell?!
Fesch sehen sie aus, diese Jungs, gell?! Und unglaublich blöde. Am Pult steht ein katholischer Greis in Soutane, schwadroniert über Glauben und Pflichten, über Wehrdienst in bedrohlichen Zeiten. Alle schwitzen, es ist der erste warme Tag des Frühlings.
Das war Linz, früher, als es noch den Kaiser in Wien gab. Zum Glück ist das längst vorbei, nur manchmal zeigt sich noch die katholische Verstaubtheit. Warum auch nicht, nirgends ist der Mensch frei von seiner Vergangenheit. Niemand bleibt stehen, nicht mal die Touristen. Zu absurd ist die Zeremonie.
Jenseits vom Mummenschanz
Vom Hauptplatz sind es nur wenige Schritte zur Donau, wo der Wind die Hitze vertreibt. Hier lässt sich freier atmen, der Mummenschanz liegt hinter uns. Vor uns, auf der anderen Seite, thront der Glaspalast des Ars Electronica Centers.
Schon am Vorabend war er aufgefallen, als seine Fassade in den Farben der Ukraine erstrahlte, glitzernd reflektiert vom dunklen Fluss. Dieser Würfel markiert das andere Linz: Eine moderne, kreative Stadt, die viel mehr zu bieten hat als Historientheater.
Ars Electronica beschäftigt sich seit 1979 mit der Frage, wie Technik auf die Menschen, die Welt und ihre Zukunft wirkt. 1996 wurde das Museum der Zukunft eröffnet. 2009 wurde der zweigeschossige Bau aufgestockt und erweitert. 2019 wurden die Ausstellungen thematisch neu geordnet. Nun lautet die Leitidee: Compass – Navigating the Future.
Jedem Tierchen sein Pläsierchen
Jedem Tierchen sein Pläsierchen, Linz bietet beides: monarchistische Parade und moderne Kunst. Aber nicht Kunst im Sinne von Galerie oder Museum, wo ambitionierte Schinken hängen, wie bunte Perlen auf einer Kette. Wo sich die Besucher artig und mit gebührendem Abstand halten, leise tuschelnd.
Das Ars Electronica Center liefert künstlerische Perspektiven zum Zeitalter der Wissenschaft. Keine Kunst über Wissenschaft, über wissenschaftliche Themen, sondern eine Symbiose des kreativen und des logischen Denkens. Logik und Emotion – Logos und Eros – Ansprache aller Sinne – kommen auf ihre Kosten, daraus entsteht wirklich Neues.
Die Ausstellungen und Exponate fordern auf: Zum Anfassen, zur Teilnahme, zur eigenen Kreation von etwas, was zwischen Science und The Arts liegt. Die Grenzen des Denkens und der Sinne scheinen sich aufzulösen, bekannte Horizonte verschwinden – in den unendlichen Weiten des Weltalls, im Nichts, in der bizarren Vielfalt unterm Mikroskop.
Ins Weltall und ins Innere von uns selbst
Künstlicher Intelligenz beim Denken zuschauen, selbstfahrende Autos trainieren, Roboter programmieren und vermenschlichen. Bisher unmögliche Strukturen dreidimensional drucken oder die eigene DNS mit der Genschere bearbeiten. Das sind Beispiele, wie das Center moderne Themen aufbereitet, anbietet und zum Mitmachen inspiriert.
Interaktive Stationen, Kunstwerke, Forschungsprojekte, Großprojektionen und Labore: Das Ars Electronica Center erlaubt vielfältige Ausflüge in die Künstliche Intelligenz und Neurowissenschaften, Robotik und autonome Mobilität, in Genetik und Biotechnologie, ins Universum und ins Innere von uns selbst. Da geht man nicht einfach durch, das braucht Zeit, ausreichend Zeit. Ein Tag ist zu wenig, bestimmt.
So gibt es beispielsweise die Ars Electronica Labs, in denen die Besucherinnen und Besucher selbst experimentieren können: mit 3D-Druck, mit künstlicher Intelligenz, mit Gensequenzen oder Licht. Ein spezieller Abschnitt befasst sich mit Musik und der Brücke, die sie zur künstlichen Intelligenz schlagen kann – und schlägt. Für Kinder und Jugendliche wurden Labore eingerichtet, wo Wissenschaft zum Spielfeld wird, wo analoge und digitale Entdeckungen lauern.
Vom Keller bis unters Dach
Dass draußen die Sonne lockt, ist schnell vergessen. Denn die Ideen und Exponate regen intensiv dazu an, das weitläufige Gebäude von den unteren Etagen bis unters Dach zu erkunden.
Den Abschluss bildet eine Präsentation über Zeit und Raum, über Galaxien und schwarze Löcher. Sie findet im Deep Space statt, dem Kinosaal für dreidimensionale Dokumentationen. Keine Sitzreihen. Alle hocken auf dem Boden, mit dunklen Brillen für die räumlichen Effekte, mittenmang kreischende Kinder.
Erfrischung in der Altstadt
So spannend kann Linz sein. Die wohlverdiente Erfrischung nach stundenlangen Entdeckungen im Ars Electronica Center gibt es hinterher – natürlich in der Altstadt. Der Pope und die Kasper sind verschwunden, Gott sei Dank!
Erst jetzt kann man ungestört bewundern, wie schön diese alte Stadt eigentlich ist. Und wie kühl der Drink im Café Traxlmayer.
Website des Ars Electronica Center in Linz
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