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H. S. Eglund

Schriftsteller • Writer • Publizist

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© H.S. Eglund
  • Trutzburg des Glaubens: das Ulmer Münster. © H.S. Eglund
  • Das hohe Portal macht die Besucher klein. © H.S. Eglund
  • Pompöser Bau, Kathedrale des rechten Glaubens. © H.S. Eglund
  • Architektonisch durchaus interessant. © H.S. Eglund
  • © H.S. Eglund
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Freitag, 28. Oktober 2022

Stippvisite nach Ulm: Bischof, ich kann fliegen!

Die Stadt und ihr modernistischer Zwilling Neu-Ulm sind schwer von der Donau gezeichnet. Nix wie durch und weg, der Fluss weiß, warum er flieht. Ein Report über und für Durchreisende.

Ulm hat ein gotisches Münster und ohne Münster wäre es nichts. NICHTS. Der sprichwörtliche Reichtum der Stadt – im Mittelalter stand „Ulmer Geld“ für außergewöhnlichen Wohlstand schlechthin – hat das Zentrum verdorben.

Wie ein archaischer Fels ragt der 161,53 Meter hohe Kirchenbau aus der umgebenden Bebauung auf. Abgesehen von ein paar Überbleibseln aus der Geschichte: alles glatter Beton, glattes Glas und kalter Stahl – glatte, langweilige Fassaden.

Wie gefräßige Hyänen zerren die kahlen Bauten des Wirtschaftswunders an der stolzen Kathedrale, und es scheint, als wollte der hohe gotische Turm in den Himmel entfliehen.

Berblingers Traum, ein Vogel zu sein

Ein Vogel müsste man sein, über all dem Grau der Konsumtempel, sich aufschwingen zur Spitze des mittelalterlichen Zepters.

„Bischof, ich kann fliegen“,
Sagte der Schneider zum Bischof.
„Pass auf, wie ich’s mach‘!“
Und er stieg mit so ’nen Dingen,
Die aussahn wie Schwingen
Auf das große, große Kirchendach.

Früher gehörte Brechts Gedicht zum Schulkanon. So ein Bischof bot eine wunderbare Karikatur, Fleisch gewordene Arroganz der Katholiken. Tiefenpsychologisch gesehen, war es ein Fluchtversuch, den Brecht in Verse brachte:

Der Bischof ging weiter.
„Das sind so lauter Lügen,
Der Mensch ist kein Vogel,
Es wird nie ein Mensch fliegen“,
Sagte der Bischof vom Schneider.

Im Jahr 1811 wollte der Schneider Albrecht Berblinger tatsächlich mit selbstgebauten Flügeln vom Münster schweben. Das ist urkundlich gesichert. Dichterische Freiheit erlaubt, dass der Pionier des Flugwesens stirbt:

„Der Schneider ist verschieden“,
Sagten die Leute dem Bischof.
„Es war eine Hatz.
Seine Flügel sind zerspellet
Und er lag zerschellet
Auf dem harten, harten Kirchenplatz.“

Berblingers Versuch, das andere Ufer der Donau zu erreichen, schlug fehl. Das stimmt. Er stürzte in die Fluten, aber er überlebte und wurde zur Zielscheibe des Spottes – der Plebejer und der Katholiken. Lassen wir noch einmal Brechts Bischof zu Wort kommen:

„Die Glocken sollen läuten,
Es waren nichts als Lügen,
Der Mensch ist kein Vogel,
Es wird nie ein Mensch fliegen“,
Sagte der Bischof den Leuten.

Brecht stilisiert den Schneider zum Frontmann des Fortschritts, zum verkannen Genie. In Wahrheit wollte auch Berblinger nur – weg!

Die Flucht der Donauschwaben

Ulm als Ausgangspunkt der Flucht, Ulm als äußerster Vorposten im Osten von Württemberg. Neu-Ulm auf der anderen Seite der Donau liegt bereits in Bayern. Von Ulm zogen die Donauschwaben aus, um den Südosten Europas gegen die Türken zu verteidigen.

Als Wehrbauern ließen sie sich nieder – in Ungarn, Rumänien und Jugoslawien. Wer einen Grund sucht, warum sie sich Ende des 17. Jahrhunderts in ihren Karren auf den beschwerlichen Weg gen Süden machten, braucht nicht lange zu suchen. Denn Ulm hält niemanden, es ist ein Ort, den man verlässt.

Niemand bleibt auf Dauer

Albert Einstein wurde 1879 in Ulm geboren, ebenso Hildegard Knef (1925) und Siegfried Unseld (1924). Die Karrien dieser Leute sind jedoch mit anderen Städten verbunden. Einstein ging nach Bern, nach Berlin, nach Princeton – in Ulm blieb sein Genie unerkannt.

Die Knef reiste um die ganze Welt, von seltsamer Unrast getrieben. Unseld übernahm 1959 den Suhrkamp-Verlag in Berlin und Frankfurt/Main. Sogar für die piefige Bundesrepublik war Ulm als geistiges Zentrum ungeeignet. Die Boheme residierte und publizierte andernorts: Frankfurt, Hamburg, München.

Geistige Enge, in Stein gehauen

Und wie frustrierend müssen die Jugendjahre der Geschwister Scholl gewesen sein, die ab 1932 in Ulm aufwuchsen. Sophie und Hans Scholl schulten hier ihre Widerständigkeit, sahen hier den brauen Aufmarsch in den Köpfen der ach so christlichen Mitmenschen.

Sophie Scholl war siebzehn Jahre alt, als sie in Ulm die Reichskristallnacht erlebte. Als brave Katholikinnen und Katholiken ihren jüdischen Nachbarn die Scheiben einwarfen und die Synagoge in Brand setzten. Offenbar war bei den Ulmern Hopfen und Malz verloren, denn die Scholls gingen nach München, an die Universität.

Die Liste seltsamer Ehrenbürger

Dort hofften sie, Zeichen zu setzen, bis sie 1943 mit Flugblättern erwischt und hingerichtet wurden. Immerhin: Ihre Schwester Inge wurde später – nach dem Krieg – zur Ehrenbürgerin der Stadt ernannt. Sie hatte sich dem Vermächtnis der Weißen Rose verschrieben und die Volkshochschule von Ulm ins Leben gerufen – Bildung gegen die Leere und den Hass in den Hirnen.

Unter den Ehrenbürgern ist Inge Aicher-Scholl so etwas wie die Friedenstaube unter Falken. Reichskanzler Otto von Bismarck steht in der Liste der Geehrten ebenso wie Paul von Hindenburg, Kriegsherr und Reichspräsident, der Adolf Hitler in den Sattel hob.

Natürlich war auch Adolf Hitler einst Ehrenbürger von Ulm, wurde 1945 jedoch verschämt aus den Annalen gestrichen. Ludwig Erhard, Bundeskanzler nach Adenauer, war Bundestagsabgeordneter für den Wahlkreis Ulm und steht seither gleichfalls in der Liste. In der Inge Aicher-Scholl übrigens die einzige Frau ist.

Die Quelle der Fluchtgedanken

Warum taugt Ulm nur zur Durchreise, nur für ein kurzes Essay im Hotelzimmer? Vielleicht liegt es an der Donau, deren Wasser unablässig durch die Stadt rinnt, wie die Zeit. Alles in dieser Stadt atmet GESTERN.

Der Fluss erträgt die Tristesse. Unablässig teilt er Ulm von Neu-Ulm, Baden-Württemberg von Bayern, trennt die Schwäbische Alp von den niederen Ebenen gen Osten hin, gen Augsburg, und nach Süden, zum Allgäu. Augsburg hat wenigstens die Fugger und die Puppenkiste. Dort wurde Bertolt Brecht geboren. Naja, ist ja auch abgehauen. Die ganze Weltecke scheint dürftig.

Von Nordwesten treiben dicke, schwere Wolken heran, grau wie die Fassaden im Zentrum von Ulm. Sogar der Regen scheint zu fliehen, die schwangeren Bänke driften südwärts, zum Alpenrand. Es folgen drei feuchte Tage in München. In Ulm kein Tropfen.

Mit Bert Brecht: Wann, bitte, geht der nächste Zug nach Berlin?

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Roman zur Wende 1989: Die Glöckner von Utopia

© Gustave Doré
  • Schwere See, verheerender Sturm. © Gustave Doré
  • Der tote Sturmvogel wird der Mannschaft zum Verhängnis. © Gustave Doré
  • Bis ins Eis der Antarktis driftet das führerlose, das seelenlose Schiff. © Gustave Doré
  • Samuel Taylor Coleridge um 1820. © unbekannt
Mittwoch, 26. Oktober 2022

Coleridge: Aus Liebe zur Natur – aus Menschenliebe

Vor 250 Jahren wurde der englische Romantiker Samuel Taylor Coleridge geboren. Seine Balladen sind legendär, allen voran The Rime of the Ancient Mariner. Das Jubiläum erlaubt eine neue Sicht auf seine Lyrik, die zeitlos ist.

Ein Dreigestirn glänzt am Himmel der englischen Romantik: William Wordsworth, Samuel Taylor Coleridge und Robert Southey. Sie werden als Lake Poets bezeichnet, weil ihre Balladen und Gedichte maßgeblich von der düster-romantischen Stimmung des Seendistrikts (Lake District) im Nordwesten Englands beeinflusst wurden.

Unterhalb der schottischen Grenze fällt das bergige Terrain, das von zahllosen Seen besprenkelte Land, in die Irische See. Vor allem in den sonnenarmen Monaten wird es von gnadenlosen Stürmen heimgesucht.

Ein inspirierendes Poem

William Wordworth ist für die Engländer, was den Deutschen ihr Dichterfürst Goethe ist. Und Coleridge hält durchaus dem Vergleich zu Friedrich Schiller stand, wenn er auch älter werden durfte (1772-1834) und weniger als Dramatiker auffiel. Mit seinem Poem Kubla Khan inspirierte er Generationen von Jugendlichen und Dichtern, es erinnert an seltsam harmonische Traumbilder.

Es gilt als eines der besten Gedichte englischer Zunge überhaupt, wurde von unzähligen Kritikern und Lyrikexperten filettiert, gedeutet und interpretiert. Der Autor dieses Blogs nutzte eine Sequenz des Gedichts, stellte sie dem zweiten Teil Axum seines Romans Die Nomaden von Laetoli voran:

A damsel with a dulcimer
In a vision once I saw:
It was an Abyssinian maid
And on her dulcimer she play’d,
Singing of Mount Abora.

Ein junges Weib mit Laute
in der Vision ich einst erschaute:
Ein Mädchen aus Abessinia,
das sang vom Berge Abora.

Hier finden Sie Leseproben des Romans Nomaden von Laetoli.

Von den Toten zurückgekehrt

Das wichtigste Werk von Coleridge ist jedoch zweifellos The Rime of the Ancient Mariner, eine lange Ballade. In einzigartigen Bildern lässt sie einen gestrandeten Seemann auferstehen, der von den Toten zurückgekehrt scheint.

In maßloser Arroganz schießt er einen wunderschönen Albatros vom Himmel. Fortan wird sein Schiff für den Frevel bestraft. Die Besatzung stirbt an Hunger, Skorbut und schlaffen Segeln. Der untote Seemann wird von ewiger Ruhelosigkeit und Selbstzweifeln gepeinigt.

Ein Vorbild für Moby Dick

Ein bisschen Fliegender Holländer, ein bisschen Moby Dick klingen an. Man kann davon ausgehen, dass Coleridges Mariner sowohl für Richard Wagner als auch für Herman Melville als Vorbild diente, ebenso für Theodor Fontanes John Maynard. Denn der englische Romantiker war bis zum Beginn des Zwanzigsten Jahrhunderts jedem vertraut, der sich in Lyrik vertiefte.

Die Romantik als Stilrichtung wird in Deutschland meist spöttisch abgetan. Das hat zum Einen damit zu tun, dass die naturnahe Dichtung von den Nazis missbraucht wurde. Zum anderen steckt in der Romantik, in der bekennenden Liebe zur Natur zugleich Menschenliebe.

Deutsche Übersetzung von Freiligrath

Das eine ist ohne das andere undenkbar, das wird bei Coleridge spürbar. Wohl deshalb hat sich kein Geringerer als Ferdinand Freiligrath des Mariners angenommen und den Text ins Deutsche übertragen. Heute wirkt die Ballade vom alten Seemann sprachlich etwas angestaubt, gibt die atemberaubende Dramatik des Originals nur unzureichend wieder.

Dramatisch sind und bleiben die unvergesslichen Illustrationen des französischen Grafikers Gustave Doré. Sie fassen die düstere, beklemmende Sage auf einzigartige Weise in Bilder, die maßgeblich zur Popularität des Mariner beitrugen.

Neue Übersetzung im Verlag Dörlemann

Anlässlich der 250. Geburtstages hat Urs Aerni einen interessanten Artikel über die neuen Übersetzungen der Gedichte Coleridges durch Florian Bissig veröffentlicht. Sie sind soeben bei Dörlemann erschienen. Bissig hat zudem eine Biografie des Romantikers vorgelegt.

Vielleicht gelingt es auf diese Weise, den großen Dichter der Vergessenheit zu entreißen. Denn in den deutschsprachigen Regionen fiel er beinahe ins Dunkel der Zeit, ist Coleridge eigentlich nur noch Liebhabern ein Begriff.

Urs Heinz Aerni über die Neuerscheinungen bei Dörlemann

Tigerlillies nehmen sich der Sache an

Das Jubiläum haben die bekannten Tigerlillies zum Anlass genommen, den Mariner musikalisch in ihrem bizarr-morbiden Stil zu interpretieren. Herausgekommen ist eine gewagte und gelungene Version des uralten Stoffes, den die Band zudem mit einem eigenwilligen Bühnenbild präsentierte:

Tigerlillies: Rime of the Ancient Mariner

Das Musikvideo bei Vimeo

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© Werner Klemke
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Samstag, 22. Oktober 2022

Harriet Beecher Stowe: Großer Kampf einer kleinen Frau

Vor 170 Jahren erschien ein Roman, der polarisierte und niemanden kalt ließ. Für die Gegner der Sklaverei war er ein Fanal, für ihre Befürworter ein Angriff auf gottgegebene Privilegien: Onkel Toms Hütte.

Harriet Beecher war eine Tochter aus gutem Hause, wie man seinerzeit sagte. Am 14. Juni 1812 als siebentes Kind der Familie eines Geistlichen in Connecticut geboren, übersiedelte sie mit 14 Jahren nach Boston.

Dort trat ihr Vater als Prediger auf, die Familie musste folgen. Ab 1832 leitete er ein Priesterseminar in Cincinnati, wo Harriet bis 1850 lebte.

Cincinnati, quirlige Stadt am Ohio

Cincinnati, quirlige Stadt am Ohio River: Damals sammelten sich in der aufstrebenden Metropole die Gegner der Sklaverei. Der Ohio markierte die Grenze zwischen den Sklavenstaaten im Süden und dem freien Norden, viele aus Kentucky geflüchtete Schwarze ahielten sich in der Stadt auf.

Ihre Jugend und das frühe Erwachsenenalter verlebte Beecher in gesicherten Verhältnissen, der Vater hatte ein gutes Auskommen, machte Karriere in der Kirche. 1936 heiratete Harriet den Professor Calvon Stowe, einen Experten für biblische Literatur.

Sofort ein Welterfolg

1850 begann sie, den Roman Uncle Tom‘s Cabin zu schreiben, Untertitel: Leben unter den Niedrigsten. Als das Buch 1852 erschien, wurde es sofort zum Welterfolg.

Hundert Jahre später erschien im Verlag Neues Leben in Berlin eine Jubiläumsausgabe. Ihr nachgestellt ist ein erhellender Essay von Wieland Herzfelde, Professor an der Humboldt-Universität und Bruder von John Heartfield. Illustriert wurde die Ausgabe vom bekannten Grafiker Werner Klemke, der unzählige Bücher mit seinem unverkennbaren Stil bereicherte.

Herzfelde hatte in der Weimarer Republik den Malik-Verlag gegründet und war mit Machtantritt der Nazis in die USA geflohen. In seinem Nachwort bringt er interessante Details über die Autorin und ihr berühmtes Buch. Er schreibt:

1839 nimmt Harriet Stowe eine frühere Sklavin aus Kentucky in ihren Dienst. Die junge Magd lebt bereits mehrere Monate in der Familie, als Professor Stowe die Nachricht erhält, ihr früherer Besitzer sei in der Stadt, um sie zu suchen und in die Sklaverei zurückzuschleppen.
Professor Stowe fasst den Entschluss, die farbige Dienerin in Sicherheit zu bringen, um sie vor den Nachstellungen zu schützen. Gemeinsam mit seinem Schwager, Henry Ward, der, wie er, Waffen trägt, fährt er die Verfolgte bei Nacht in einem geschlossenen Wagen auf abgelegenen Pfaden zwölf Meilen landeinwärts, um eine Zuflucht für sie zu suchen.

Mächtiger Aufschwung in den Nordstaaten

Ein Blick zurück, auf die Jahre vor dem Buch: Nach 1840 erlebten die Vereinigten Staaten einen mächtigen Aufschwung: Vor allem im Norden entwickelten sich Eisenbahnen und Industrie. Herzfelde analysiert:

Der Süden konnte seiner arbeitenden Klasse, den Negersklaven, keine Maschinen anvertrauen. Dazu waren sie viel zu ungeschult und aufsässig.

Lohnarbeiter versus Sklaven

Die Farmer im Nordwesten beschäftigten Lohnarbeiter. Sie setzten viel mehr Maschinen ein und erreichten eine sehr hohe Produktivität. 1834 wurde die Dreschmaschine erfunden, 1846 die erste Sämaschine.

Wellen von Einwanderern aus England, Irland und Deutschland siedelten sich in erster Linie in den westlichen Gebieten an, in früherem Indianerland westlich der Appalachen.

Vier Millionen schwarze Leibeigene

Dagegen setzten die Pflanzer in den Südstaaten auf schwarze Sklaven, die aus Afrika geraubt und nach Amerika verschifft wurden wie Vieh. 1790 gab es in den Vereinigten Staaten rund 697.000 Sklaven, bis 1861 waren es vier Millionen. Faktisch waren sie die wichtigste Arbeitskraft des vorindustriellen Zeitalters.

Der Kampf gegen die Sklaverei war so alt wie die Vereinigten Staaten selbst. Im 1939 in New York erschienenen Buch Negersklavenrevolten in den Vereinigten Staaten 1526-1866 von Herbert Aptheker geht hervor: Mehr als 200 Aufstände und Verschwörungen gegen die Sklaverei durchzogen die Jahrhunderte, nicht gezählt die Revolten auf Sklavenschiffen.

Der erste Aufstand war erfolgreich

Der erste Aufstand im Gebiet des späteren Staates Südkarolina war erfolgreich. Unterstützt von Indianern besiegten hunderte Sklaven im Jahr 1526 ein Kontingent von 500 Spaniern und kehrten nach Haiti zurück, von wo man sie verschleppt hatte.

Gesetzlich anerkannt wurde die Sklaverei erst im Jahre 1660. Schon kurze Zeit später, 1688, erhoben deutsche Bürger der Siedlung Germantown im Staat Pennsylvania öffentlichen Protest gegen den Menschenhandel.

Zu Beginn des 18. Jahrhunderts nahm dieser Handel infolge des Anbaus von Reis, Indigo und Tabak größere Ausmaße an. Hundert Jahre vor dem Erscheinen von Onkel Toms Hütte machten Sklaven bereits 40 Prozent der Bevölkerung der Südstaaten aus.

Der Konflikt spitzte sich zu

Der Konflikt um die Sklaverei spitzte sich zu, weil sklavenfreie Staaten oft das Gesetz einführten, geflüchtete Sklaven an ihre Besitzer auszuliefern. Denn das Recht, die Sklaverei zu erlauben oder zu dulden, war das Recht der einzelnen Bundesstaaten.

Die neuen, ökonomisch sehr mächtigen Staaten im Westen, standen auf der Kippe. Gegner der Sklaverei machten mobil, forderten ein Bundesverbot. In England oder Frankreich war die Sklaverei längst abgeschafft worden. Harriet Beecher Stowe schrieb später:

Jede Nation, die großes Unrecht duldet, erzeugt in sich Elemente des Umsturzes.

Die ökonomischen Zusammenhänge waren ihr verschleiert, sie handelte aus christlich-ethischen Motiven. In einem Brief, den sie fünfundzwanzig Jahre später an einen ihrer Söhne schrieb, erzählte sie:

Ich erinnere mich noch sehr wohl des Winters, als Du ein Jahr alt warst und ich Onkel Toms Hütte schrieb. Mir brach fast das Herz vor Jammer über die Grausamkeit und das Unrecht, welche von unserem Volk an den Sklaven begangen wurden. … Manche Nacht, während Du an meiner Seite schliefst, vergoss ich heiße Tränen, wenn ich an die armen Sklavenmütter dachte, denen ihre Kleinen entrissen wurden.

Im Jahr des Erscheinens wurden in den Vereinigten Staaten rund 300.000 Exemplare verkauft, in England sogar 1,5 Millionen Exemplare. Ähnlich erfolgreich war das Buch in Frankreich und in deutschen Landen. Der Papst belegte es mit einem Bann, was dem Erfolg in katholischen Ländern jedoch keinen Abbruch tat.

Die intelligenteste Würdigung des Romans stammt von Winston Churchill, britischer Premierminister während der Kriegsjahre 1940 bis 1945. In seinem Werk A History of the English Speaking Peoples schreibt er im vierten Band The Great Democracies:

Harriet Beecher Stowes Werk war propagandistisch, sie nutzte jede Waffe. In den Seiten des Romans werden die theoretischen und religiösen Argumente hin und her gewälzt, aber in ihrer Methode überragte sie alle anderen Gegner des Bösen. Sie präsentierte ihren Lesern eine Abfolge der einfachen und verstörenden Begebenheiten, die unlösbar mit der Sklaverei verbunden waren:
Die Zerstörung der schwarzen Familien, die gewaltsame Trennung von Eheleuten, den Verkauf des Babys, von der Brust seiner Mutter weg, die unmenschliche Versteigerung der Sklaven nach dem Tod eines wohlgesonnenen Eigentümers, Verbrechen und Folter, der perfide Menschenhandel und das Grauen entlegener Plantagen, die Auspeitschungen, zu denen junge weiße Damen ihre Dienerinnen schickten, für kleinste Vergehen, und die beinahe weißen Sklavinnen, die als Lustobjekte verkauft wurden. All das wurde den Leserinnen und Lesern schonungslos und ungeschönt vor Augen geführt, mit ihrem schlichten und zugleich fesselnden Stil.

Churchill, selbst über seine Mutter ein halber Amerikaner, hat sich als exzellenter Kenner der Geschichte der Vereinigten Staaten erwiesen, sowohl der wirtschaftlichen als auch der kulturellen Zusammenhänge:

Bis zum Ende des Jahres 1852 waren hunderttausende Exemplare des Buches in den USA verkauft. Im September, so wird berichtet, wurden jeden Tag zehntausend Exemplare durch einen einzigen englischen Buchhändler abgesetzt. Bis Ende 1852 wurden mehr als eine Million Exemplare in England verkauft. Nur die Bibel und das offizielle Gebetsbuch wurden in der Geschichte Englands häufiger verkauft.

Churchill war kein Buchhändler, ihn interessierte die politische Wirkung des Romans. Sein Urteil überrascht kaum:

Uncle Tom‘s Cabin rollte um die Welt und wurde in jedem Land mit Leidenschaft und Erregung gelesen. Es war der Vorbote des nahenden Sturms.

Vorbote des nahenden Sturms

Denn an der Sklaverei entzündete sich die Frage, ob die einzelnen Bundesstaaten das Recht haben, die unmenschliche Praxis gesetzlich zu sanktionieren. Der Verfassungsstreit schwelte viele Jahre, erhitzte Gegner wie Befürworter gleichermaßen.

Vor allem die reichen, aristokratischen Pflanzer im Süden sahen ihre Privilegien bedroht. Zudem war ihre Vormacht in Washington gefährdet, weil sich das wirtschaftliche Schwergewicht nach Norden verlagert hatte.

Größter Sklaveneigner von Virginia

George Washington, General im Unabhängigkeitskrieg und erster Präsident der USA, war der größte Sklaveneigner in Virginia gewesen. Mittlerweile beanspruchten die Industriemagnaten und die Banker von New York, Philadelphia und Chicago ihren Anteil am politischen Geschehen, unterstützt von Auswanderern aus England, Irland, Skandinavien und deutschen Kleinstaaten.

1861 wurde der Republikaner Abraham Lincoln zum Präsidenten gewählt. In Kentucky geboren, hatte er sich als Anwalt und politischer Redner in Illinois einen Namen gemacht.

Lincoln erkannte den Kern des Konflikts

Als die Südstaaten ihren Austritt aus der Union erklärten, führte Lincoln den Norden in den Sezessionskrieg. Bis dahin war er kein erklärter Gegner der Sklaverei.

Ihm ging es in erster Linie um den Zusammenhalt der Union als politische, wirtschaftliche und juristische Einheit. Freilich wurde ihm schnell bewusst, dass die Sklaverei zum harten Prüfstein wurde – für das amerikanische Modell der Demokratie.

Denn letztlich standen die feudalen Autokraten des Südens den potenten Kapitalisten des Nordens und den freien Farmern des Westens gegenüber. Als Harriet Beecher Stowe ihn mitten im Krieg besuchte, war seine Begrüßung sicherlich nicht nur scherzhaft gemeint:

Sie sind die kleine Frau, deren Buch einen so großen Krieg hervorgerufen hat?

1861, als der erbarmungslose Bürgerkrieg begann, schrieb die Autorin:

Der unrechtmäßig erworbene Reichtum, mit grausamer Strenge und Ungerechtigkeit erpresst, wird durch die Kriegssteuer zurückgezahlt. Zur Sühne für das Blut der armen Sklaven fließt das Blut der besten Söhne aus allen Freistaaten.

Der amerikanische Bürgerkrieg kostete rund 200.000 Tote auf den Schlachtfeldern, dazu rund 400.000 Opfer von Krankheiten. Fast eine halbe Million Mann wurden verwundet.

Dagegen stehen nur rund 30.000 Gefangene, die jede Seite machte. Es war ein Kampf ohne Pardon, mit bis dahin kaum bekannter Brutalität.

Manche Militärhistoriker bezeichnen ihn als ersten Krieg der Moderne, denn es wurden erstmals Schiffe aus Stahl, Beobachtungsballons und schnell schießende Artillerie eingesetzt. Das Repetiergewehr, der Vorläufer des Maschinengewehrs, erwies sich als besonders wirkungsvoll.

Politik der Duldung

Harriet Beecher Stowes Familie stand auf Seiten des freien Nordens im Kampf, ihr Bruder kehrte schwer verwundet zurück. Sie pflegte ihn und blieb Zeit ihres Lebens eine Streiterin für die Befreiung der Sklaven.

Denn Lincolns Ermordung im Jahr 1865 läutete eine Politik des Stillschweigens und der Duldung ein, mit der nachfolgende Präsidenten die geschlagenen Südstaaten zu versöhnen suchten. Zwar wurde die Sklaverei formal abgeschafft. Doch Chaos drohte: Die großen Pflanzungen des Südens lagen brach und verwahrlosten.

Deshalb wurden die ehemaligen Sklaven erneut unter Zwang gestellt, als billige Arbeitskräfte. Nur wenigen gelang es, sich in den Norden durchzuschlagen und sozial aufzusteigen, ihre Lebensverhältnisse den weißen Facharbeitern anzugleichen.

Wachsendes Selbstbewusstsein

Am Ende des Ersten Weltkriegs, als Regimenter schwarzer US-Soldaten aus Flandern und Nordfrankreich nach Hause zurückkehrten, kam es in einigen Südstaaten zu Unruhen. Denn die Doughboys wollten ihre Waffen nicht abliefern, beanspruchten die gleichen Rechte wie Weiße. Außerdem brachten sie neues Selbstbewusstsein mit. Schließlich waren sie es, die Uncle Sam zum Sieg in Europa verholfen hatten.

Den Hass konserviert

Das brachte weiße Rassisten in Rage. So blieb der Hass erhalten, nicht nur in den Südstaaten. Er durchzieht die folgenden Jahrzehnte bis heute.

Harriet Beecher Stowe starb am 1. Juli 1896 in Hartford im US-Bundesstaat Connecticut. Es ist keine Übertreibung zu sagen, dass kein Buch vergleichbare politische Wirkung ausgeübt hat, wie Uncle Tom‘s Cabin – bis heute.

Die unbewältigten Folgen der Sklaverei sind eine offene Wunde, die Amerikas Politik bis heute bestimmt. Auch nach dem Zweiten Weltkrieg kehrten schwarze GIs zurück, schwappte eine neue Welle von sozialen Forderungen durch die Südstaaten.

Der Ku-Klux-Klan erstarkte

Der Ku-Klux-Klan erstarkte, in den 1960er und 1970er Jahren führte das FBI einen regelrechten Krieg gegen die mörderischen Rassisten. Überall in Georgia, Kentucky, Mississippi und Südkarolina brannten Holzkreuze, wurden Schwarze und ihre Sympathisanten gejagt und gelyncht.

Die Bürgerrechtsbewegung und die Befreiung der Frauen sind in den USA untrennbar mit dem Kampf gegen das rassistische Erbe verknüpft. Malcolm X und Martin Luther King stehen für das Aufbegehren gegen die Herrschaft weißer Familien, weißer Vorurteile und weißer Schlüsselstellungen in Wirtschaft, Militär und Politik.

Alex Haleys Familiensaga

1976 erschien in den USA ein Buch, das Beecher Stowes Roman in gewisser Weise fortschrieb, mächtig unterstützt durch das Fernsehen. Roots (Wurzeln) erzählt die Saga des Kunta Kinte aus Westafrika, der als Jugendlicher von Sklavenjägern gefangen, verschleppt und nach Übersee verfrachtet wurde.

Ausgehend von ihm, dem ersten Schwarzen, dem unzähmbaren Wilden, schlägt Alex Haley einen atemberaubenden Bogen durch die amerikanische Geschichte. Mit neuem Selbstverständnis zeigt er die Schwarzen als Amerikaner, als gleichberechtigte Einwanderer wie die Weißen auch, meldet ihre Ansprüche auf Teilhabe an.

Die packende TV-Serie fegte in Amerika die Straßen leer. In Westdeutschland und anderen Ländern erregte sie enormes Aufsehen. Haley, der später in Afrika nach seinen Vorfahren suchte – und sie tatsächlich fand –, gab dem Kampf um Gleichberechtigung neuen Auftrieb.

Zähes Ringen hält an

Wie schwer die Bürden sind, die Amerika durch seine Geschichte schleppt, beweisen Revolten und das zähe Ringen bis auf den heutigen Tag – bis zu Black Lives Matter. Letztlich ist die Befreiung aus der Sklaverei eine soziale Frage. Denn nach wie vor spuken weißer Dünkel und rassistische Vorurteile durch viele Hirne, nicht nur in den USA.

Zu empfehlen ist eine Dokumentation, die das ZDF kürzlich als Vierteiler präsentierte. Darin begibt sich der bekannte US-Schauspieler Samuel L. Jackson auf die Reise in seine Vergangenheit, in die Vergangenheit seiner Familie. Auch er ist Nachfahre von Sklaven, die im Gebiet des heutigen Ghana siedelten.

Enslaved: Auf den Spuren des Sklavenhandels

Ein Nachtrag für Berliner

Die Siedlung Onkel Toms Hütte in Zehlendorf liegt am Rand des Grunewalds. Ihren Namen erhielt sie 1885 durch ein Ausflugslokal. Dessen Besitzer Thomas benannte es in Anlehnung an Beecher Stowes Roman. Die Siedlung wurde zwischen 1926 und 1931 erbaut.

Die Illustrationen zu diesem Artikel stammen von Werner Klemke, entnommen der Ausgabe von Onkel Toms Hütte, 1952 erschienen im Verlag Neues Leben Berlin.

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© Verlag Solare Zukunft
Freitag, 7. Oktober 2022

Neuer Epilog für Sachbuch von Michael E. Mann erschienen

Propagandaschlacht ums Klima: Das bekannte Buch von Michael E. Mann ist in den USA als Paperback erschienen. Diese Ausgabe enthält einen neuen Text, der zwischenzeitlich übersetzt wurde und als ergänzendes Heft bestellbar ist.

Das 32 Seiten starke Büchlein kann in die deutsche Ausgabe von The New Climate War (Titel: Propagandaschlacht ums Klima) eingelegt werden. Es kann einzeln oder als Bundle erworben werden. Mit dem neuen Epilog hat der Autor sein Buch aktualisiert und an jüngste Ereignisse angepasst. Somit hat das Buch nochmals an Bedeutung gewonnen.

Eines der meistgelesenen Werke der Umweltbewegung

Das Buch The New Climate War gehört in den englischsprachigen Ländern zu den meistgelesenen Werken der Umweltbewegung. Vor anderthalb Jahren erschien es auf Deutsch: Unter dem Titel Propagandaschlacht ums Klima wurde es von der DGS Franken herausgegeben und im Verlag Solare Zukunft veröffentlicht.

Das Team um Matthias Hüttmann, Tatiana Abarzúa und Herbert Eppel wagte sich mutig an die Aufgabe, das anspruchsvolle Original für deutschsprachige Leser zu übersetzen. Sie haben auch den neuen Epilog übertragen und als Ergänzung für das deutsche Werk publiziert. (HS)

Hier können Sie den neuen Epilog bestellen.

Michael E. Mann: Propagandaschlacht ums Klima
(Buchvorstellung und Rezension vom 22. April 2021)

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60 Jahre Raumfahrt: Dicker Daumen und blauer Planet

Erinnerungen von Adolf Goetzberger erschienen

Tipp: Neues Sachbuch enttarnt Lobby gegen den Klimaschutz

Der Roman „Zen Solar“ von H.S. Eglund

© H.S. Eglund
  • Die Baracken für die Wacheinheiten sind verschwunden. Der gesamte unterirdische Komplex blieb erhalten. © H.S. Eglund
  • Die Anlage erstreckt sich über mehrer Hektar und liegt in einem Waldstück. © H.S. Eglund
  • Luftauslässe und Töpfe für die Zufuhr von Frischluft, unmittelbar am Raketenschacht. © H.S. Eglund
  • Zugang zum Atomkeller. Hier taten hunderte Sowjetsoldaten jahrelang Dienst. © H.S. Eglund
  • Erläuterung der ausgedehnten Bunkeranlage anhand von Grafiken und Luftbildern. © H.S. Eglund
  • Das Museum in Saltojo beleuchtet den Kalten Krieg im globalen Maßstab. © H.S. Eglund
  • Ehemaliger Technikraum für die Elektrik, heute um Exponate des Museums ergänzt. © H.S. Eglund
  • Warntafel mit Hinweisen für das Verhalten bei nuklearen Explosionen. © H.S. Eglund
  • Wie in der DDR wurde auch in Litauen in den 1970er Jahren ein Schulfach zur vormilitärischen Ausbildung eingeführt. © H.S. Eglund
  • Ende der 1970er Jahre wurde die Bevölkerung des Baltikums regelmäßig für den Ernstfall geschult. © H.S. Eglund
  • Dieser Dieselgenerator versorgte den Bunker rund um die Uhr mit elektrischem Strom. © H.S. Eglund
  • Generator für die Stromerzeugung untertage. © H.S. Eglund
  • Hier befand sich der Tank mit dem Treibstoff der Raketen. © H.S. Eglund
  • Verteilleitungen für Treibstoff und Diesel im unteren Teil der Bunkerkonstruktion. © H.S. Eglund
  • Hinweistafel zum Treibstoff für die Raketen. © H.S. Eglund
  • Die Versorgung der Raketen mit Treibstoff war nur unter Vollschutz möglich. © H.S. Eglund
  • Ein Lehrfilm zeigt die Entladung des giftigen Treibstoffs aus dem Tankwagen. © H.S. Eglund
  • Detail der Raketenbetankung. © H.S. Eglund
  • Sowjetischer Wachsoldat in gefechtsmäßiger Ausrüstung untertage. © H.S. Eglund
  • Blick in den Startschacht einer SS-4-Rakete. © H.S. Eglund
  • Ein Lehrfilm der Sowjetarmee zeigt die automatische Öffnung eines Raketensilos vor dem Abschuss. © H.S. Eglund
  • Schwere Stahlkalotte zum Verschluss des Raketensilos von unten. © H.S. Eglund
  • Inspektionsgang am oberen Ende des Raketensilos, unterhalb der Abdeckung. © H.S. Eglund
  • Lagezentrum für die baltischen Atombunker, aus einem Film der Sowjetarmee. © H.S. Eglund
  • Warten auf den Knopfdruck: Vorstufe zum gefechtsmäßigen Einsatz der Atomwaffen. © H.S. Eglund
  • Hinweistafel auf dem Rundgang durch den Bunker. © H.S. Eglund
  • Dienstbesatzung im Nachrichtenzentrum des Raketenbunkers. © H.S. Eglund
  • Dienstraum des Funkers. © H.S. Eglund
  • Wachposten für den diensthabenden Offizier, Schild der ruhmreichen Sowjetarmee. © H.S. Eglund
  • Dienstzimmer des wachhabenden Offiziers - eine karge Kammer. © H.S. Eglund
  • Im Museum wird die Technik der Atomraketen ausführlich erläutert. © H.S. Eglund
  • Sowjetische Propaganda: Kein einziges Versprechen der Revolution wurde eingelöst. © H.S. Eglund
  • Typische Szene im Bunkeralltag, im Befehlsraum. © H.S. Eglund
  • Blick zum Ausgang: Endlich diese Gruft verlassen! © H.S. Eglund
  • Im Baltikum sind zahlreiche Zeugnisse der Sowjetära erhalten. © H.S. Eglund
Montag, 3. Oktober 2022

Saltojo: Die Geister aus der Unterwelt

Im litauischen Zemaitija Nationalpark stehen die Überreste einer früheren Startbasis für sowjetische Atomraketen. Was die Sowjets hinterließen, führt vor Augen: Putins Idee eines großrussischen Reichs ist Schnee von gestern.

Es ist Spätsommer, ein regnerischer Tag an der Ostsee, wo sich Wolkenhaufen türmen und die Wellen sanfte Strahlen auf den Strand schicken, Strahlen aus flüssigem Metall. Doch die Idylle ist getrübt. Seit Monaten herrscht Krieg in der Ukraine.

Nur wenige Kilometer südlich stößt die litauische Küste an die Grenze nach Kaliningrad. Wo sich normalerweise lange Schlangen von Tagestouristen reihen, gähnt Leere. Der Schlagbaum bleibt unten. Russland hat dicht gemacht.

Putin laufen die Leute weg

Muss es tun, sonst laufen ihm die Leute davon. Die Bilder flüchtender Russen erinnern an die TV-Bilder aus dem Sommer 1989, aus den westdeutschen Botschaften in Budapest und Prag. Ein Regime, dem die Menschen ihre Rücken kehren, kämpft auf verlorenem Posten. Da muss man nicht lange diskutieren, das ist historisch erledigt.

Der massenhafte Auszug der Russen begann nicht erst mit dem Überfall auf die Ukraine, nicht erst am 24. Februar 2022. Zwischen 2019 und 2021 haben rund zwei Millionen vor allem junge, akademisch ausgebildete Russinnen und Russen ihr Land verlassen, sind ins Exil gegangen.

Während die russischen Straflager unter Präsident Putin aus allen Nähten platzen, schwillt der Exodus weiter an. Rund 25.000 politische Gefangene sitzen derzeit in Russlands Knästen, viel mehr als unter Breschnew.

Schweres Erbe aus Beton

Wie schwer das Erbe wiegt, und wie wenig Putin und seine Oligarchen in unsere Zeit gehören, wird bei einem Besuch in Saltojo offenkundig. Der Ort liegt im Zemaitija Nationalpark, eine Autostunde von der Küste bei Klaipeda ins Landesinnere hinein. Dort befindet sich das Museum des Kalten Krieges, auf dem Gelände einer ehemaligen Abschussbasis für Raketen des Typs SS-4.

Insgesamt vier solcher Basen gab es auf dem Gebiet der litauischen Sowjetrepublik, weitere in Lettland und Estland. Ihre Ziele lagen in Westdeutschland. Weil der Ort, seine Bestimmung und seine Zeit außerordentlich gut dokumentiert wurden, gerät der Besuch in Saltojo zur Zeitreise, zurück in die 1970er und 1980er Jahre.

Im Keller des Gulag

In Saltojo befanden sich vier Schächte für SS-4, die im Ernstfall ihre nuklearen Sprengköpfe gen Westen getragen hätten. Die Bunkerbauten sind keine Monumente russischer Größe, sondern Mahnmale von Angst und Furcht. Grober Betonguss und klobige Eisenstäbe, mehr hätte die sowjetischen Bauleute überfordert.

Die Einrichtung ist dürftiger als dürftig, gleicht eher einem Gefängnis als einem Camp für militärische Spezialisten. Der Roten Armee waren Menschen offenbar nichts wert, nicht einmal ihre Offiziere. Man hat den Eindruck: Wer hier dienen musste, hatte sich etwas zuschulden kommen lassen. Landete im Keller des Gulag.

Druschba, Freundschaft? Na danke!

Dabei wurden die Raketentruppen als Schild des Kommunismus verherrlicht, als Speerspitze der ruhmreichen Sowjetarmee. Ernüchternd, wie unrühmlich es zur Sache ging. Wie erbärmlich das alles war.

Man fühlt sich an die spärlich gekleideten, wie Häftlinge gehaltenen Muschkoten der Roten Armee erinnert, die bis 1994 gelegentlich im Osten Deutschlands auftauchten, und denen jeder Kontakt zur einheimischen Bevölkerung untersagt war. Ein Bild des Jammers, nur Mitleid erregend. Druschba, Freundschaft? Na danke!

Wie Ratten untertage

Die Mannschaften zur Bedienung der Raketen lebten wie Ratten untertage, waren eingepfercht und eingesperrt. Den Abschuss der Raketen hätten sie in jedem Fall mit dem Leben bezahlt, auch ohne Gegenschlag des Westens.

Denn die extreme Hitze aus den Strahlrohren und die giftigen Abgase der Raketen hätten die Besatzung des Bunkers innerhalb weniger Minuten gegrillt und verseucht. Flucht ins Freie war unmöglich, nach den Raketenstarts war der oberirdische Teil des Areals gleichfalls kontaminiert.

Vier Schächte gruppierten sich um die zentrale Versorgung mit Treibstoff, einer extrem giftigen Mischung aus Stickoxiden und Salpetersäure. Dieses Zeug war so heftig, dass die Soldaten die Tankwagen nur unter Vollschutz entladen durften. Unfälle mit schweren Vergiftungen oder Tod waren die Folge, genaue Zahlen gaben die Sowjets nie preis.

Russen versprachen Sicherheit

Als die russischen Truppen 1994 das Land verließen, das unabhängige Baltikum räumten, nahmen sie ihre Atomraketen mit. Der Beton blieb, metertief ins Erdreich vergraben. In weitem Umkreis waren die Böden verseucht, vom Treibstoff der Raketen und dem Diesel für die unterirdischen Generatoren.

Gleiches geschah in der Ukraine, wo der damalige Präsident Jelzin den Ukrainern im Gegenzug militärischen Schutz versprach. Nur unter dieser Prämisse waren die Ukrainer bereit, ihre Atomwaffen abzugeben, sich ein Stück weit ihrem östlichen Nachbarn auszuliefern.

Niemand will „heim ins Reich“

Rückblickend, in den Bunkern von Saltojo wandelnd, kann man verstehen, warum keine der früheren Sowjetrepubliken „heim ins Reich“ möchte. Denn längst verstehen sich die Balten als Europäer, ihr Lebensstandard liegt deutlich höher als in Russland.

Das gilt auch für die russischen Familien, die in Litauen, Lettland und Estland leben. Und junge Ukrainerinnen und Ukrainer haben einfach keine Lust, sich von Moskau bevormunden zu lassen. Nicht mit Phrasen von gestern, nicht mit Schlagstöcken gegen Demonstranten, nicht mit Befehlen fürs Militär.

Putin hat nichts zu bieten

Je mehr Putin auf seine untreuen Satelliten einhämmert, desto mehr treibt er sie weg – und die eigene Leute aus dem Land. Desto lächerlicher macht er Russland vor der Welt, desto schwerer drückt der Krieg auf seine eigene Bevölkerung.

Nichts hat Putin zu bieten, außer Bevormundung, Zwang und Ödnis. Nur seine Oligarchen dürfen auf Kosten Russlands und seiner Menschen in zaristischem Prunk leben, in mondänen Palästen und teuren Yachten.

Immer weniger Menschen wollen für diese feiste Kaste ihre Knochen hinhalten. Die Frage ist, wie lange sich die Russinnen und Russen noch täuschen lassen. Als gelehriger Offizier des KGB hat Putin seine frühesten Lektionen artig gelernt. Und hört nicht auf, sie aus der Mottenkiste zu holen: Der Westen ist schuld, der Westen will Russland zerstören!

Putin: der Mann des Untergangs

Für seinen Untergang braucht Russland den Westen nicht, es hat Putin. Gegenwärtig hat er denselben Erfolg, der seinen Vorgängern beschieden war: Stalin, Chrustschow, Breschnew und auch Gorbatschow.

Sie alle haben es nicht vermocht, den Lebensstandard in der Sowjetunion merklich zu heben oder mit der sozialen Entwicklung im Westen mitzuhalten. Betonklötze wie in Saltojo waren keine Meilensteine auf dem Weg zum Kommunismus. Es sind Denkmäler des schleichenden Niedergangs.

Schrottplätze statt leuchtender Vision

Nichts, aber auch gar nichts hat der Sowjetkommunismus verwirklicht. Nichts, das es wert wäre, bewahrt zu bleiben. Hohle Phrasen zerplatzten wie Seifenblasen. Gleiches wird Putins markigen Sprüchen beschieden sein.

Statt der Visionen einer besseren, leuchtenden Zukunft strahlen die Atomruinen von Tschernobyl, von Semipalatinsk, die Schrottplätze der Atom-U-Boote in Murmansk, auf der Halbinsel Kola und in Wladiwostok. Irgendwann werden auch die Menschen Russlands begreifen, dass man Uran, Panzer und Raketen nicht essen kann.

Exodus junger Menschen

Es denkt in Russland. Das beweist der Exodus wehrfähiger junger Männer, seit die Teilmobilisierung verkündet wurde. Rund 100.000 flohen bereits in den Westen, über die Grenzen ins Baltikum und nach Finnland.

Nach Süden, in die ehemaligen Sowjetrepubliken Mittelasiens sind bislang rund eine Viertelmillion Menschen geflohen. Die Staus an den Grenzen reißen nicht ab.

Es bleibt zu hoffen, dass Europa jetzt nicht kneift und der Empfehlung von Präsident Selenskij folgt: Deserteure müssen in Russland mit Strafverfolgung rechnen. Also ist ihnen Asyl zu gewähren.

Ein riesiges Straflager

Unter denen, die Russland verlassen, sind Akademiker in der Überzahl. Der wirtschaftliche Aderlass für Russland ist kaum abschätzbar. Was Putin nicht versteht, als Offizier des Geheimdienstes nicht verstehen kann: Die Wiederbelebung des russischen Imperialismus führt unweigerlich in den Gulag, in ein Land, das als riesiges Gefängnis organisiert und verwaltet wird.

Das geschieht bereits, deshalb schwellen die Flüchtlingstrecks weiter an. Offenbar ist die Hoffnung gering, dass sich in Russland etwas ändert. Ähnliche Agonie herrschte im Sommer 1989 in der DDR, als die Menschen über Ungarn und westdeutsche Botschaften flohen.

Atomkomplex: Pfeiler und Sargnagel der Despotie

Nichts hat Putin in der Hand, um den Westen zu beeindrucken und seine Leute an der Flucht zu hindern. Nur die atomare Keule, die Drohung mit der Bombe. Womit wir wieder in Saltojo wären.

Die alte Bunkeranlage bezeugt, beweist den Irrglauben, Fortschritt mit Waffen aufhalten zu können. Die atomare Hochrüstung zwischen Mitte der 1950er bis Ende der 1980er laugte die ohnehin schwache sowjetische Wirtschaft aus.

Schwer lastete der militärisch-nukleare Komplex auf der Gesellschaft, ein Staat im Staate, der wertvolle Ressourcen fraß. Er hinterließ radioaktive Ruinen, von denen Tschernobyl die bekannteste ist.

Ein gigantischer Kostenblock

Das Atomdesaster von Tschernobyl kostete die Sowjetunion mehr als 300 Milliarden US-Dollar. In Russland ist die Atomwirtschaft – wie in anderen Staaten auch – eine staatlich gestützte Industrie, eng mit Politik und Verwaltungen verflochten.

Der Grund: Tödliches Uran und Plutonium (das aus Uran hergestellt wird) sind unter den normalen Risiken eines wirtschaftlichen Geschäftsbetriebs nicht finanzierbar. Außer der Armee hat dafür niemand Verwendung. Uran ist das einzige Metall, das keine nützlichen Werte schafft, nicht schaffen kann. Es kann nur töten und zerstören.

Die staatliche Rosatom erwirtschaftet keinen Wohlstand, den der russische Staat zur Erfüllung seiner sozialen Aufgaben nutzen könnte. Im Gegenteil: Alle Atommächte der Welt kämpfen mit Milliardenlöchern, die der Uranbergbau, die Urananreicherung, atomare Anlagen des Militärs oder alte Atomkraftwerke in ihre Staatsbudgets reißen.

Der mit Abstand größte Kostenblock ist der Rückbau kontaminierter Schächte, Fabriken, Kraftwerke und Häfen. Und die finale Lagerung der Rückstände.

Acht Milliarden Euro für die Wismut

Allein der Rückbau der ehemaligen Uranbergwerke der Wismut AG in Sachsen und Thüringen hat seit der Wende rund acht Milliarden Euro verschlungen. Dabei hatte die DDR nicht einmal eine eigene Atomindustrie, lediglich einen Forschungsreaktor in Rossendorf (bei Dresden) und zwei kleinere AKW in Rheinsberg und Greifswald.

Schon damals erwiesen sich hochfliegende Pläne als unfinanzierbar, bis in die 1970er Jahre rund zwanzig AKW in der DDR zu errichten. Keines dieser Projekte ging jemals ans Stromnetz, der DDR ging ökonomisch die Puste aus.

Die Atomindustrie ist pleite

Ähnliches sehen wir derzeit in den USA, in Frankreich, in Großbritannien, in China – und vor allem in Russland. Die Atomindustrie ist pleite. Nachdem die Laufzeit der AKW aus den 1960ern und 1970ern abgelaufen ist, müsste man diese Anlagen mit hohem Aufwand sanieren.

Das kann niemand bezahlen, vor allem die Betreiber nicht. Die Entsorgung des Atommülls gehört nicht zu ihrem Geschäftsmodell. Das wird dem Staat überlassen, der angesichts der brennenden sozialen Probleme andere Sorgen hat.

Nur schwach entwickelt

Russland ist – gemessen an seiner Größe und an seinen Bodenschätzen – eigentlich ein reiches Land. Dennoch hatte es vor dem Beginn des Krieges gegen die Ukraine eine Wirtschaftskraft, die nur einem Drittel Deutschlands entsprach.

Nimmt man grob an, dass die Bevölkerung Russlands doppelt so groß ist wie Deutschlands, erarbeitet jede Russin und jeder Russe nur ein Sechstel der Werte, die in Deutschland pro Kopf erwirtschaftet werden. Das bedeutet: Russland ist wirtschaftlich vergleichsweise schwach entwickelt.

Ausverkauf der Bodenschätze

Zumal die russische Bilanz vor allem auf dem Verkauf von Erdöl und Erdgas basiert. Man kann es Ausverkauf nennen, denn die Veredelung der Bodenschätze, ihre Weiterverarbeitung, findet kaum statt.

Mit dem Einmarsch in die Ukraine ist fast das gesamte ausländische Kapital aus Russland geflohen. Der einzige Ausweg für Putin war, die ungeheuren Gasmengen seines Landes nach Asien zu verkaufen, deutlich unter dem Preis, den er in Europa erzielt hatte.

Eine Supermacht wird verramscht

Soll heißen: Präsident Putin hat es geschafft, seine selbst ernannte Supermacht zu verramschen. Chinesen und Inder klatschen in die Hände, weil Putin ihnen einen Preisnachlass von zehn Prozent gewähren musste, um sein Erdgas loszuwerden.

Zugleich ist er auf Getreu und Verderb auf diese beiden Abnehmer angewiesen. Denn auch ein schneller Frieden in der Ukraine dürfte den Westen kaum bewegen, jemals wieder russisches Gas zu kaufen – von russischer Atomtechnik ganz zu schweigen.

Abstimmung mit den Füßen

Hunderttausende streben danach, Russland zu verlassen. Viele Tausend defilierten am Sarg von Michail Gorbatschow. Es denkt in Russland, trotz der Repressalien, der Verhaftungen und neuen Gefängnissen.

Diese Abstimmung mit den Füßen macht Mut und lässt hoffen, obgleich der brutale Krieg in der Ukraine weiter geht. Es wird viel Hoffnung und Mut brauchen, ihn zu beenden. Und noch mehr, um Russland eine Zukunft zu öffnen – ohne sich selbst zu zerfleischen.

Website des Zemaitija National Parks

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© H.S. Eglund
Samstag, 1. Oktober 2022

Video: Mutter Afrika – leuchtender Traum der Wiedergeburt

Addis Abeba: Der graue Betonklotz der OAU enmpfängt Besucher auf überraschende Weise. Denn die großzügige Lobby, die Africa Hall, wird von einem wandhohen Glasgemälde überstrahlt. Mother Africa nannte der Künstler Afewerk Tekle sein Werk, farbenfroher Traum von der Wiedergeburt geschundener Völker.

Wenn man von den Entotobergen hinab nach Addis Abeba fährt, reihen sich stumme Zeugen der Geschichte: Der große Maskat-Platz mit seinen Jubeltribünen oder die Bibliothek, von den Amerikanern errichtet. Der alte Kaiserpalast gehört heute zur Universität, ebenso wie der imposante Botanische Garten.

Unweit befindet sich der graue Betonbau der OAU, der Organisation der Afrikanischen Einheit. Hier rief Kaiser Haile Selassie Anfang der 1960er Jahre die jungen Regierungen der ehemaligen Kolonien zusammen. Hier schlägt das politische Herz des dunklen Kontinents.

Hier sehen Sie das Video. (Dauer: 0:57 Min.)
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  • Der aktuelle Podcast steht auf der Website von Tea, Toast & Trivia. © TTT
Donnerstag, 15. September 2022

Energie von der Sonne: Energie für das Leben

Tea, Toast & Trivia: Clanmother Rebecca Budd aus Vancouver sprach mit Eglund über die Sonne und ihre Energie. Nicht Kilowatt, Quadratmeter oder Euro standen im Vordergrund, sondern die Spenderin des Lebens, der zentrale Himmelskörper und Fixstern für Mythen, Märchen, Religionen. Jeder Mensch ist ein Kind der Sonne, trägt sie auf vielfältige Weise in sich. Und jeder kann mittun, diese Energie zu nutzen.

Ohne Sonne gäbe es keine Evolution, keine Zivilisation und keine Zukunft. In allen Religionen gilt die Sonne als Trägerin des Lichts, steht der neue Tag für Aufbruch, für Hoffnung und Neubeginn.

Am Anfang war das Licht, und es war das Licht der Sonne, das die Erde bewohnbar machte, sie bevölkerte: Zunächst mit einfachen biologischen Strukturen, später mit Bakterien und Einzellern, mit Pflanzen und Tieren, im Meer und auf dem Land.

Technik schreckt viele Menschen ab

Zu oft wird die Solarenergie auf den rein technischen Aspekt reduziert. Das schreckt viele Menschen ab. Dabei ist es sehr einfach, ihre Möglichkeiten und Chancen zu verstehen.

Die Sonne zu nutzen, ist in tief in unserer Biologie und Psyche verankert. Ihre Energie kennt jedes Kind. Millionen Menschen fahren jedes Jahr an die Strände der Meere, um Sonne zu tanken, um ein Sonnenbad zu nehmen.

Sonnentanz in der Prärie

Denn die Sonne zieht uns an, sie steht für Leben, Gesundheit und Wohlergehen. Nacht und Finsternis hingegen sind mit Ängsten verbunden, mit Furcht, Leiden und Tod. Fast alle Mythen in den Kulturräumen rund um den Globus sehen die Sonne – und ihr Spiegelbild, den Mond – als Träger der Hoffnung.

Naturvölker wie die First Nations in der nordamerikanischen Prärie kennen den Sonnentanz als Höhepunkt ihrer jährlichen Feste. Während des Sonnentanzes ruhen alle Streitigkeiten. Die Sonnenwende – im Sommer und im tiefen Winter – bestimmt weltweit die mythologischen und religiösen Kalender, Festtage und Riten.

Amun-Ra in seiner Himmelsbarke

Angefangen bei den alten Ägyptern, als der Sonnengott Amun Ra mit seiner Barke über den Himmel fuhr, lässt sich der Lauf der Sonne durch die Religionen verfolgen. Sie wurde im antiken Griechenland verehrt, ebenso in Rom.

Im Christentum spielt sie eine zentrale Rolle als Anfangsmythos. Asch-Schams ist eine Sure des frühen Koran, in dem die Sonne mit Erleuchtung und Inspiration gleichgesetzt wird.

Die Sonne auf der Flagge

In der Shinto-Religion Japans steht Amaterasu als höchste Göttin an der Spitze aller Gottheiten (Kami). Sie ist die Erhabene, die den Himmel erleuchtet und gilt als Stammmutter der japanischen Kaiser.

In Japan ist dieser Mythos so tief verankert, dass es die aufgehende Sonne bis auf die Nationalflagge schaffte. Man spricht vom Land der Aufgehenden Sonne, wenn man die Inselkette meint.

Der Jubel der Vögel und Paviane

Die Sonne hält nicht nur unser Planetensystem zusammen. Denn ihre enorme Gravitationskraft zwingt die umkreisenden Himmelskörper auf ihre Umlaufbahnen. Die Sonne war zugleich Geburtshelfer des irdischen Lebens, ist es jeden Tag aufs Neue.

Weil sie nach kalter, dunkler Nacht neue Wärme und Licht schickt, jubilieren die Vögel am Morgen, grüßen den Aufgang der Sonne. In Ostafrika strecken die Paviane ihre Arme zum Himmel, wenn die Sonne in der Früh ihre ersten Strahlen über die Vulkankegel im Osten schickt. Der Psychiater Carl Gustav Jung hat darin eine Urform des Gebets erkannt, die sich in allen Religionen findet.

Die Erde mit grünen Zellen belebt

Die Natur hat eigene Solarzellen entwickelt, um die Energie der Sonne für die Evolution und die Spirale des irdischen Lebens zu nutzen. Im Blattgrün der Pflanzen läuft die Photosynthese ab, die Umwandlung von Licht in chemische Energie, oder einfacher: in das Wachstum der Pflanzen und neue Pflanzen.

Die Photosynthese ist – im Vergleich zu technischen Solarzellen aus Silizium – ziemlich ineffektiv. Nur ein Prozent des Sonnenlichts wird letztlich genutzt.

Biomasse ist eine Form des Sonnenlichts

Doch für die Evolution ist dieser Wirkungsgrad offenbar optimal, denn knapp 1.900 Milliarden Tonnen Biomasse bevölkern unsere Erde. Davon machen die Pflanzen rund 99 Prozent aus, nur ein Prozent sind Tiere.

Etwa 100 Millionen Tonnen bringen alle Menschen zusammen auf die Waage. Soll heißen: Auch wir sind Biomasse in spezieller Form, energetische Inseln, die auf der Oberfläche der Erde wandeln, sich entwickeln und interagieren. Und manchmal zum Himmel fliegen, oder gar in den Weltraum.

An der Wiege der Wissenschaft

Am Ende des Mittelalters gab es einen großen Kampf um das heliozentrische Weltbild, das Kopernikus und Galilei gegen überkommene Dogmen setzten. Kopernikus war ein deutscher Priester und treuer Diener des Königs von Polen, noch heute kann man sein Laboratorium im Allensteiner Dom besuchen.

Galileo Galilei hat die Sonnenflecken entdeckt. Dafür und für andere wissenschaftliche Theorien wurde er von der katholischen Kirche als Ketzer verurteilt. Vor der Verbrennung rettete er sich durch Widerruf. Es dauerte bis 1922, das ihn ein Papst rehabilitierte.

Die magische Kraft der Bilder

Kaum ein Bild hat solch magische Kraft entfaltet, wie das Foto des Sonnenaufgangs, wenn ein Raumschiff den Erdschatten verlässt und ins grelle Licht rückt. Seit die ersten Bilder von der Nasa zur Erde gefunkt wurden, stehen der blaue Planet und die Sonne für Umweltschutz und die Energiewende, die ohne Kohle und Öl, ohne Gas und Uran auskommt. Bekannt ist der Sticker der lächelnden Sonne, mit dem Aufdruck: Atomkraft, nein danke!

Ein Fusionsreaktor in sicherer Entfernung

Dank der Erkenntnisse der Physiker und Astronomen wissen wir, dass die Sonne eine riesige, brennende Gaskugel ist, mit einem Fusionsreaktor in ihrer Mitte. Er zündet Moleküle von Wasserstoff und verschmilzt sie zu Helium. Dieser Prozess setzt eine Hitze von Millionen Grad Celsius frei, die wir in der sicheren Entfernung von 150 Millionen Kilometern empfangen, geschützt durch die Atmosphäre der Erde.

Saubere Energie ohne Rechnung

So schickt die Sonne tagtäglich ausreichend Energie – Licht, Wärme und Strahlung – um den Bedarf der Menschen tausendfach zu decken. Nichts hindert uns, ihre Kraft zu nutzen.

Denn die Sonne hat einen weiteren, unschlagbaren Vorteil, der nicht unerwähnt bleiben soll: Für ihre Energie schickt sie uns keine Rechnung.

Lust auf mehr? Dann hören Sie rein (in englischer Sprache):
Podcast: H.S. Eglund on the Sun and Solar Energy (23:42 Min.)

Website von Tea, Toast & Trivia

Mehr von Tea, Toast & Trivia auf Eglunds Blog:
Podcast: Emily Carr & James Bay Inn – A Reflection
Podcast: Zeitreise in den Dunkelwald – mit H.S. Eglund
Podcast: Kommunikation ist keine Kunst – oder doch? (mit Eglund)
Podcast: Hässlichkeit weitet Horizonte (mit Klausbernd Vollmar)
Podcast: Über Schönheit in Natur und Kunst (mit Klausbernd Vollmar)
Podcast: Die Robben von Blakeney Point (mit Hanne Siebers)

© ZEAG Energie AG
Samstag, 10. September 2022

Chaostage am Energiemarkt – das Erbe von CDU/CSU

Die Ampelkoalition tagt, beschließt, verwirft und beschließt erneut: Offenbar sind die Spekulationen in den Energiemärkten nur schwer in den Griff zu bekommen. Kein Wunder, denn ohne die Verhinderer aus der abgewählten Koalition aus Unionsparteien und Sozialdemokraten gäbe es diese Blase nicht. Jahrzehntelange Versäumnisse lassen sich nicht innerhalb weniger Monate reparieren – oder doch?

Streckbetrieb der AKW und Übergewinnsteuer für Erträge aus erneuerbaren Energien: Diese beiden Schlagworte markieren die Aufreger, die gegenwärtig durch Hirne und Medien spuken.

Immer wieder geraten Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (B90/Grüne) und Finanzminister Christian Lindner (Freie Demokraten) ins Visier, ernten Zuspruch und Widerspruch, obwohl eigentlich (noch) nichts wirklich klar ist.

Das Erbe der alten Groko

Zunächst einmal: Die Verwerfungen an den Energiemärkten sind das Erbe der alten Koalition aus Unionspartei und Sozis. Sie hat uns die nahezu totale Abhängigkeit von Putins Gasfeldern beschert.

Ebenso wurde die weltweite Atomindustrie von Rossatom abhängig, denn selbst an deutschen AKW und an der Versorgung mit nuklearen Brennstäben sind die Russen ordentlich beteiligt. Was für Gas gilt, gilt faktisch ebenso für Uran.

Erneuerbare Energien blockiert

Zudem hat die alte Koalition den Ausbau der erneuerbaren Energien blockiert, und zwar ohne Hemmungen. Hätten sich Philipp Rösler (FDP), Sigmar Gabriel (SPD) oder Peter Altmaier (CDU) mit ihren Novellen des EEG nicht in verantwortungsloser Weise quergestellt, hätten wir heute schon 80 Prozent Ökostrom in den deutschen Netzen, nicht nur 50 Prozent.

Das muss dargestellt werden, um zu verstehen, was eigentlich geschieht. Dass Putin den Krieg gegen die Ukraine entfesselt hat und der deutschen Industrie den Gashahn abdreht, hat das Problem kurzfristig verschärft. Angelegt war es bereits: Es musste kommen, wie es geschah.

Die Putinfreunde aus der Union

Es überrascht auch nicht, dass Putinfreunde wie Friedrich Merz (CDU) und Markus Söder (CSU) die alte Politik fortsetzen wollen. Sie reden der Atomkraft das Wort, fordern verlängerte Laufzeiten. Was anderes ist das, als eine handfeste Unterstützung des militärisch-nuklearen Komplexes, der hinter Putin steht und seine Politik überhaupt erst ermöglicht?

Gefahren in Saporischschja

Angesichts der Gefahren eines Super-Gaus im AKW von Saporischschja alte Meiler am Netz halten zu wollen, ist – gelinde gesagt – eine Verantwortungslosigkeit, die im Strafrecht mit Vorsatz gleichzusetzen ist. Niemand kann sich mehr auf Fahrlässigkeit berufen, oder gar auf Unwissenheit – jetzt, da die Risiken und Gefahren offen sichtbar sind.

CDU/CSU mauern bei der Windkraft

Und weiterhin sträuben sich CDU/CSU beispielsweise gegen den Ausbau der Windkraft: in Bayern, in Sachsen, in Thüringen. Statt dessen wird mit den Existenzängsten der (kleinen) Leute Stimmung gemacht, werden Unternehmer vorgeschickt, die sich weigern, die Zeichen der Zeit zu erkennen.

Wenn energieintensive Firmen jetzt nach dem Staat und seiner Hilfe rufen, beweisen sie nur, dass sie wichtige Jahre verschlafen haben. Dass solarer Eigenstrom oder sauberer Netzstrom aus Windkraft oder Solarfeldern die Energiekosten der Unternehmen entlastet, ist ja keine neue Erkenntnis. (gekürzt)

Den vollständigen Artikel lesen Sie auf der Website von Energiezukunft.eu

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© Dmitrij Belanowskij
Donnerstag, 1. September 2022

Franz Alt: Friedensstifter Michail Gorbatschow ist tot

Am 2. März wurde der russische Friedensfreund Michail Gorbatschow 91 Jahre alt. Es war der siebte Tag des Putin-Krieges in der Ukraine.

Gorbatschow ist Sohn eines russischen Vaters und einer ukrainischen Mutter. Auch seine Frau Raissa war Ukrainerin. Er nannte sie oft liebevoll „meine Ukrainerin“.

Solche Familienbande zwischen Russen und Ukrainern sind zahlreich in beiden Nachbarländern. Auch das macht den aktuellen Krieg unbegreiflich und absolut sinnlos wie jeden Krieg.

Kommt endlich zur Vernunft!

2017 schrieb ich zusammen mit Michail Gorbatschow das Buch „Nie wieder Krieg – Kommt endlich zur Vernunft“. Damals haben wir beide uns nicht vorstellen können, wie dramatisch aktuell dieser Buchtitel fünf Jahre später sein wird. Nie wieder Krieg?

Gorbatschow sagte damals: „Wir sind eine Menschheit auf einer Erde unter einer Sonne.“ Wirklicher Frieden könne „nur erreicht werden unter der Bedingung einer demilitarisierten Politik und demilitarisierter internationaler Beziehungen.

Politiker, die meinen, Probleme und Streitigkeiten könnten durch Anwendung militärischer Gewalt gelöst werden – sei es auch als letztes Mittel – sollten von der Gesellschaft abgelehnt werden, sie sollten die politische Bühne räumen“. Kein Wunder, dass Gorbatschow und Putin nie Freunde werden konnten.

Atomwaffen abschaffen, Armut bekämpfen, Klima retten

Erst vor wenigen Monaten schickte mir Michail Gorbatschow einen Artikel für die Zeitung „Russia Global Affairs“, in dem er schreibt: „Keine Herausforderung oder Bedrohung, der die Menschheit im 21. Jahrhundert gegenübersteht, kann militärisch gelöst werden. Kein großes Problem kann von einem Land oder einer Gruppe von Ländern im Alleingang gelöst werden.“

Als die dringendsten Probleme unserer Zeit nennt er in diesem Artikel, einer Art Vermächtnis: die Abschaffung der Atomwaffen und die Überwindung der Massenarmut in den Entwicklungsländern sowie die Rettung des Weltklimas.

Als ich Gorbatschow 2018 in Moskau einen Friedenspreis überreichen und die Laudatio auf ihn halten durfte, nannte er als die drei Hauptaufgaben unserer Zeit: „Abrüsten, abrüsten, abrüsten“. Er meinte Russland und die Nato. „Nur dann wird Frieden möglich.“

80 Prozent aller Atomwaffen verschrottet

Auf meine Frage nach der Gefahr eines Atomkriegs sagte er: „Ein Atomkrieg wäre der letzte Krieg der Menschheit, weil es danach keine Menschen mehr gäbe, die noch einen Krieg führen könnten.“ Diese Mahnung ist sein eigentliches Vermächtnis. Durch seine Abrüstungsbemühungen wurden in den 1990er Jahren 80 Prozent aller Atomwaffen weltweit verschrottet.

Als siebter und letzter sowjetischer Staatschef war Michail Gorbatschow von 1985 bis 1991 auch Generalsekretär der Kommunistischen Partei. Heute ist niemand mehr prädestiniert, für eine atomwaffenfreie und friedliche Welt zu werben als der Friedensnobelpreisträger aus Moskau.

Ich habe ihn während eines Fernsehinterviews mal gefragt, woher er die Kraft für seine visionäre Politik nehme. Er deutete auf seine Frau Raissa, die hinter der Kamera stand, und sagte: „Hier steht meine Kraft.“

Sie lachte und winkte zurück. Die Gorbatschows waren für mich das größte politische Liebespaar unserer Zeit. Diesem Paar verdanken wir das Ende des Kalten Krieges, die friedliche deutsche Einheit und vielleicht sogar unser Überleben.

Größter Abrüster aller Zeiten

Gorbatschow war der größte Abrüster aller Zeiten. Daraus ergibt sich für heute: Putinland ist nicht Russland! Gerade wir Deutsche sollten das nicht vergessen.

Der völkerrechtswidrige Krieg gegen die Ukraine ist kein Krieg des russischen Volkes. Gorbatschow in unserem Buch: „Gewaltfreiheit in den internationalen Beziehungen und friedliche Konfliktlösung müssen im Regelwerk des Völkerrechts zu Kernpunkten werden.“

Ich wage mir kaum vorzustellen, wie es Michail Gorbatschow in den letzten Monaten im Krankenhaus in Moskau ging. Er war der Überzeugung: Sieger ist nicht, wer Schlachten in einem Krieg gewinnt, sondern wer Frieden stiftet.

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Franz Alt (Herausgeber), Michail Gorbatschow (Autor):
Kommt endlich zur Vernunft – Nie wieder Krieg!:
Ein Appell von Michail Gorbatschow an die Welt

Mehr Informationen finden Sie auf der
Sonnenseite von Franz Alt.

Zur Wende 1989 lesen Sie den Roman
Die Glöckner von Utopia von Eglund.

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  • Die Figurengruppe wird erleuchtet, sobald der Besucher näher tritt. © H.S. Eglund
  • Katana (Schwert) und Lanze für berittene Samurai. © H.S. Eglund
  • Fußkrieger mit Schwert (Katana). © H.S. Eglund
  • Komplette Rüstung mit kunstvollen Masken für die Pferde. © H.S. Eglund
  • Die Vielzahl und Vielfalt der ausgestellten Helme sind beachtlich. © H.S. Eglund
  • Volle Montur eines Samurai aus der Edo-Zeit. © H.S. Eglund
  • Rüstung und martialische Maske zugleich. © H.S. Eglund
  • Gruppe von Rüstungen, deren Kunstfertigkeit beeindruckt. © H.S. Eglund
  • Diese Rüstung vermittelt einen besonders martialischen Eindruck. © H.S. Eglund
  • Die Rüstung war nicht nur Schutz, sondern zugleich Statussymbol für seinen Träger. © H.S. Eglund
  • Gegossener Helm eines Samurai. © H.S. Eglund
  • Sogar Fächer wurden zur Verteidigung eingesetzt. © H.S. Eglund
  • Zum Trinkgefäß umgearbeitete Muschel. © H.S. Eglund
  • Die Tsuba markiert den Griffschutz am Übergang vom Heft zur Klinge des Schwertes. Sie bildet eine eigene Gattung von Kunstgegenständen. © H.S. Eglund
  • Geschmiedete Tsubas für Schwerter, aus einer Phase, die stark von China beeinflusst war. © H.S. Eglund
  • Didaktisch spannend wird erklärt, welch hohe Kunst sich hinter dem Schmieden und Schleifen der Schwerter verbirgt. © H.S. Eglund
  • Erstaunlich, wie lebensecht diese No-Maske wirkt. © H.S. Eglund
  • Ausdrucksvolle Maske eines No-Schauspielers. © H.S. Eglund
  • Modell eines Teehauses. © H.S. Eglund
  • Solche Malereien stellen mitunter wichtige Szenen der japanischen Geschichte dar. © H.S. Eglund
  • Zeitgenössische Illustrationen rund um den Mythos des Ronin Miyamoto Musashi. © H.S. Eglund
  • Blick in den großen Ausstellungsraum von der Empore. © H.S. Eglund
Dienstag, 12. Juli 2022

Konichiwa – Samurai mitten in Berlin

Verstörend fremd, spannend und lehrreich: Die Samurai-Sammlung von Peter Janssen vereint exotisches Handwerk, tiefe Einblicke in die Kriegerkaste Japans und in die Philosophie des Budo. Ein magischer Fluchtpunkt im heißen Sommer, ohne die Stadt verlassen zu müssen.

Peter Janssen hat sein Geld mit Baufirmen gemacht. Nebenbei hat der heute 71-Jährige einen schwarzen Gürtel in Karate erworben und dreißig Jahre lang historische Artefakte über die Samurai und das mittelalterliche Japan gesammelt.

Wer Karate, Judo oder Aikido betreibt, weiß: Das wirst du nie mehr los, dieses Interesse an der schillernden Kultur des Reichs der aufgehenden Sonne.

Janssen hat die Zeugnisse der Samurai systematisch gesammelt, mit großer Sachkunde, und sicher auch mit dem nötigen Kleingeld. Seine Sammlung hat einen herausragenden Ruf, und das Museum präsentiert sie auf sehr spannende, unterhaltsame und zugleich lehrreiche Weise.

Neuer Nachbar für Clärchens Ballhaus

Nun hat die einzigartige Kollektion ein eigenes Museum bekommen, in der Auguststraße in Mitte, schräg gegenüber von Clärchens Ballhaus. Seit dem Frühjahr dieses Jahres werden dort rund tausend Exponate präsentiert, darunter vierzig vollständige Rüstungen, 200 Helme, 150 Masken, 160 Schwerter und unzählige, teilweise erstaunliche Stücke über die gefürchtete Kriegerkaste.

Die Elite des Kaiserreichs

Seit dem frühen Mittelalter bis zur Meiji-Restauration im Jahr 1868 stellten die Samurai die Elite des Kaiserreichs, das bis dahin weitgehend isoliert blieb. Die Samurai traten zunächst als Diener ihrer Herren in die Geschichte ein, in deren Verlauf sie zu Kriegern aufstiegen, die Adel und Thron stützten.

Nur den Samurai war es erlaubt, Schwerter zu tragen. In Japan werden sie als Bushi bezeichnet. Herrenlose Samurai nennt man Ronin.

Wichtigste Privilegien verloren

Erst in der Mitte des 19. Jahrhundert begannen die zögerliche Öffnung und der steile Aufstieg Japans zur ersten Industriemacht Asiens. Die Modernisierung wurde nur gegen den Widerstand der Samurai möglich, die ihre wichtigsten Privilegien verloren. Deshalb verschwanden sie aus der japanischen Gesellschaft, wie Ritter und Raubritter aus Europa verschwanden.

Sehr alte Artefakte

Die ältesten Artefakte in Janssens Sammlung gehen auf die Kofun-Zeit zurück, ins früheste Mittelalter, etwa zwischen den Jahren 300 und 538 nach Christus datiert. Das Gros der Sammlung vereint Objekte aus dem späteren Mittelalter und der frühen Neuzeit zwischen dem 15. und dem 18. Jahrhundert.

Drei Rüstungen aus der Edo-Zeit

Als besonders Kleinodien bezeichnet das Museum drei Rüstungen aus der Edo-Zeit (1603 bis 1868), als in Japan die Shogune regierten. Nach der Schlacht von Sekigahara übernahmen die Fürsten des Tokugawa-Clans die Macht, die sie bis zur Regentschaft des Kaisers Meiji nicht mehr aus der Hand gaben.

Bekannt ist diese historische Zeit durch den Roman Shogun von James Clavell, durch das Buch Gorin no sho (Buch der Fünf Ringe) des Ronin Miyamoto Musashi und die Filme des japanischen Regisseurs Akira Kurosawa. Bezug auf diesen Abschnitt der japanischen Geschichte nimmt der Film Ghost Dog – Der Weg des Samurai von Jim Jarmusch, in dem der Samurai-Kodex Hagakure eine wesentliche Rolle spielt.

Gute Einblicke geben zahllose Kinostreifen, wobei die Filme über den blinden Samurai Zatoichi von und mit Shintaro Katsu oder Takeshi Kitano besonders sehenswert sind. Ein cineastisches Bonbon ist zweifellos Die blinde, schwertschwingende Frau von Regisseur Sadatsugu Matsuda. Szenen aus einigen Filmen werden im Museum gezeigt.

Besonderes Augenmerk liegt auf Klingen

Besonderes Augenmerk der Sammlung liegt auf der mittelalterlichen Schmiedekunst, auf den Klingen von Meistern aus dem elften bis 14. Jahrhundert. Daneben werden Skulpturen, Malereien, ein echtes No-Theater und ein Teehaus vorgestellt, mit Utensilien der Teezeremonie.

Sehr eindrucksvoll ist der Anblick der Masken, wie sie von den Schauspielern in No-Stücken verwendet werden. Neben der Dauerausstellung über die Samurai sind wechselnde Präsentationen zu verschiedenen Themen der japanischen Kultur geplant.

Spannende Kulturgeschichte

Der Besuch war eine echte Entdeckung. Man muss kein Liebhaber der japanischen Kultur sein, um sich auf diese modern gestaltete Ausstellung einzulassen.

Ein bisschen Zeit, ein bisschen Fantasie – und der Besucher reist Jahrhunderte zurück, um den halben Erdball nach Osten, taucht in eine reizvolle, exotische Welt. So spannend kann Kulturgeschichte sein. Arigato, gosaimas!

Website des Samurai Museum Berlin

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