• Blog
  • Autor & Kontakt
  • Romane
  • Media
  • Bestellung
  • Links

H. S. Eglund

Schriftsteller • Writer • Publizist

  • Facebook
  • Instagram
  • YouTube
© HS/Sonneninitiative/Velka Boticka
Freitag, 12. Juli 2024

Solartechnik im Stadtbild: Chance oder Fluch für die Architektur?

Der nächste Treffpunkt Sonnenbürger in Leipzig bringt Akteure der Energiewende mit Bürgerinnen und Bürgern zusammen. Am 18. September 2024 geht es um solare Architektur. Sind Solarplatten an der Fassade hässlich? Oder öffnen sie Architektinnen und Architekten neue Möglichkeiten zur modernen Gestaltung?

Gastgeber ist Heiko Schwarzburger, Chefredakteur des Fachmagazins photovoltaik. Im soziokulturellen Zentrum Budde-Haus in Leipzig-Gohlis führt er kurz in das Thema ein und präsentiert einige Beispiele.

Anschließend diskutiert er mit Cornelia von Domaros und Sebastian Graf vom Leipziger Architekturbüro Von Domaros. Das Architektenteam hat in Schkeuditz ein futuristisches Solarprojekt entworfen und realisiert.

Solarfassade: Ästhetische Wellenfront für Parkhaus in Leipzig

Neben gestalterischen Aspekten geht es um die Wirtschaftlichkeit der Gebäude, die sich selbst mit sauberem Strom versorgen. Und wie lassen sich Denkmalschutz und Solartechnik unter einen Hut bringen?

Ratgeber 2024: 222 Tipps für solaren Eigenstrom

Die Veranstaltung im Überblick

Solartechnik im Stadtbild: Chance oder Fluch für die Architektur?
Solare Energiewende – Mehr Demokratie wagen!
Gespräch und Diskussion am 18.9.2024 ab 19 Uhr
Saal des Budde-Hauses – Soziokulturelles Zentrum Leipzig-Gohlis
Lützowstraße 19, 04157 Leipzig

Hier finden Sie alle Veranstaltungen der Budde-Villa in Leipzig-Gohlis.

Die Veranstaltungsreihe soll Bürgerinnen und Bürger Leipzigs ermuntern, die Energiewende in die eigenen Hände zu nehmen. Sie bringt Menschen und ihre Projekte zusammen, um nützliche Informationen auszutauschen und vorhandene Kompetenzen und Erfahrungen zu nutzen.

Solaranlage mit 16 Kilowatt für das Parthebad in Taucha errichtet

Auch konträre Argumente kommen zur Diskussion. Veranstalter sind das Budde-Haus und das Fachmedium photovoltaik, vertreten durch Chefredakteur Heiko Schwarzburger.

Lesen Sie auch:
Treffpunkt Sonnenbürger in Leipzig: Mehr Sonnenstrom für Mieterinnen und Mieter!
Erster Treffpunkt Sonnenbürger in Leipzig wurde voller Erfolg

© H.S. Eglund/Skript Verlag
Freitag, 12. Juli 2024

Unser Tipp: Mauro geht von Beat Knoll

Dieser ungewöhnliche Roman spielt in Italien, Deutschland und Algerien, anno 1960. Chaos wirft den Protagonisten aus seiner Bahn, aber auch die Unfähigkeit seiner Familie, ihm zu helfen, ihn zu halten. Moralische Heuchelei führt in die Katastrophe, zur Fremdenlegion, zu Krieg und Leid.

Wegen eines dummen Jungenstreichs wird der siebzehnjährige, eher schüchterne Mauro von seinem Vater kurz vor dem Abitur aus der Schule genommen und zu seinem Onkel nach Deutschland verbannt. Ein Sohn, der Autos klaut: Undenkbar für das Oberhaupt einer sittsamen Familie.

Völlig aus der Bahn geworfen

Nach anfänglichen Schwierigkeiten findet er sich in der fremden Kultur zurecht, bis ein weiteres dramatisches Ereignis ihn erneut aus der Bahn wirft. Er flieht und landet in der Fremdenlegion, degradiert und degeneriert zum Landsknecht, zum Söldner der französischen Kolonialherren.

Die Bestie, die in ihm steckt

De Gaulle schickt ihn wie tausende junger Männer nach Algerien, wo der Unabhängigkeitskrieg tobt. Gnadenloser Drill, brutale Kämpfe und Intrigen verwandeln den Jungen in eine Bestie. Niemals hätte er selbst geglaubt, dass sie in ihm steckt.

Gespannt auf die Fortsetzung

Der Roman endet seltsam: ohne Ende. Im Gespräch mit dem Schweizer Autor Beat Knoll kam heraus: Zwei weitere Teile sind geplant. Der Spannungsbogen funktioniert, hoffen wir auf Fortsetzung.

Beat Knoll hat sein Berufsleben als Mediziner verbracht. Das schulte seinen Blick für Menschen und ihr Innenleben. Zudem hat er die Gabe, zu erzählen.

Lebendige Literatur

Denn dieser Roman hebt sich auf wohltuende Weise von den öden Selbstreflexionen gelangweilter Bürgerkinder ab, die sich auf den Büchertischen pandemisch ausbreiten. Das ist lebendige Literatur, hier agieren echte Figuren, auch wenn die Handlung vor sechs Jahrzehnten spielt.

Der Roman erschien im Skript Verlag (auch als E-Book).

Lesen Sie auch:
Martin Andersen Nexö: „Alle lebendigen Menschen sind auch Dichter“
Stefan Heym – ein später Nachruf
Durch die Wüste mit Joseph und seinen Brüdern
Stippvisite nach Ulm: Bischof, ich kann fliegen!
Hemingway: Alter Mann ohne Meer

© H.S Eglund
  • Das Zwickauer Denkmal wurde 1983 durch den Bildhauer Jürgen Raue geschaffen. © H.S. Eglund
  • Am Frauentor in Mühlhausen findet sich diese verwitterte Skulptur des Bauernpredigers. © H.S Eglund
Sonntag, 30. Juni 2024

Thomas Müntzer – Ein Volk von Priestern sollt Ihr sein!

Vor 500 Jahren hielt er den Fürsten eine Predigt, die sich gewaschen hatte. Der Mensch ist göttlich, weder Knecht noch Tier. Seinem Ruf folgten Bauern und Knappen. Dafür landete er auf dem Schafott – und wurde zur Legende. Wurde zur Hoffnung im Dunkel der Jahrhunderte, zum Rebell in Christo.

Nur dran, dran, dran! Es ist Zeit. Lasset euch nit erbarmen. Dran, dran, dran, dieweil das Feuer haiß ist. Lasset euer Schwert nit kalt werden! Schmidet Pinkepanke auf den Ambossen Nimrots! Werfet ihnen den Turm zu Boden! Man kan euch von Gotte nit sagen, dieweil sie über euch regiren. Dran, dran, weil ihr Tag habt. Gott gehet euch vor, volget, volget! (Thomas Müntzer, 1525)

Diese Worte waren Funke und Zunder zugleich, die den Aufruhr entfachten. Unter dem Prediger Thomas Müntzer (auch: Münzer) und der Fahne des Bundschuhs zogen Haufen der Bauern und Bergarbeiter durch Thüringen, um gegen Knechtschaft und Enteignung durch die Landesherren zu protestieren. Als Adam grub und Eva spann, wo war denn da der Edelmann?

Martin Luther bezeichnete den glühenden Prediger als „Mordsgeist, der die Seelen der Untertanen verderbt und die Reformation entstellt“. Der „aufrührerische Geist von Allstedt“ sei eine Gefahr für die göttliche Ordnung, die oben und unten klar teilt. Wer dagegen rebelliert, ausgebeutet und Untertan zu sein, rebelliere gegen Gottes Wille.

Gläubige brauchen keine Pfaffen

Ganz anders Müntzer: Gott existierte für ihn in der persönlichen Fühlung des Gläubigen, der weder Kirche noch Pfaffen brauchte, um zu Gott zu finden, um Gott in sich selber zu entdecken. Von der Kanzel donnerte er: „Ein Volk von Priestern sollt Ihr mir sein!“

Während Luther die göttliche Schrift als ordnenden Leitfaden in den Himmel hob, predigte Müntzer den zornigen Gott des Alten Testaments. Er schickt das Kreuz, dass der Mensch in Armut und Bitterkeit ertragen muss, bis er in der Furcht erzittert und reif ist für den Empfang des Heiligen Geistes.

Unmittelbaren Geist gepredigt

Dieser Geist, so Müntzer, ergießt sich unmittelbar in die Seele der Menschen, ohne Unterschied zwischen Laien, Priestern und Gelehrten. Damit brachte er Tausende auf die Straße, aufs Schlachtfeld und letztlich in den Tod.

Der Bauernkrieg von 1524 bis 1526 war die letzte große Erhebung auf deutschem Boden, der letzte Versucht einer Revolution bis 1848. War Ausbruch der Hoffnung, bevor sich dreihundert Jahre lang das Leichentuch von Defätismus, Hörigkeit und protestantischer Ergebenheit senkte.

Erster Ketzer des Protestantismus

Müntzer war der erste Ketzer der Reformation. Wenig ist von ihm bekannt, nur kurze Zeit ragt seine Lichtgestalt aus der Geschichte.

Um 1490 als Sohn eines Handwerker in Stollberg im Harz geboren, wuchs er in Quedlinburg auf. Das Jahr 1506 sieht ihn als Student in Leipzig, 1512 in Frankfurt an der Oder. Er sprach Latein, Griechisch und Hebräisch und schloss seine Studien als Magister ab, als Lehrer.

Lehren hieß predigen

Anschließend lehrt er in Halle, Aschersleben, Braunschweig, Halberstadt und Jüterbog. Lehren bedeutete damals vor allem Predigt, von der Kanzler herab in die Köpfe der Gemeinde. Luther selbst empfahl den jungen Heißsporn 1520 auf die Pfarrstelle nach Zwickau.

Das Tor zum Erzgebirge galt als Hauptstadt des blühenden sächsischen Silberbergbaus. In Zwickau geriet Müntzer an den Propheten Nikolaus Storch und dessen Freunde.

Mystik des Tausendjährigen Reiches

Sie pflegten spätmittelalterliche Mystik und hielten das Tausendjährige Reich für nahe. Das Reich war damals der stärkste Mythos, den das Christentum aufzubieten hatte, noch unverdorben durch spätere Vereinnahmung durch die Nazis.

Das Reich bedeutete Himmelreich auf Erden, Ende des irdischen Jammertals, Gelobtes Land schlechthin. Der Antichrist werde kommen und alle Gottlosen von den Auserwählten Christi erschlagen.

Manifest von Prag

Müntzers aufmüpfige Rede passt den Stadtoberen nicht. Er muss fliehen, wendet sich nach Böhmen. Sein Prager Manifest ruft die Böhmischen Brüder, die Nachfolger des Ketzers Jan Hus, zu Hilfe. Damit kündigt Müntzer bereits die Auseinandersetzungen an, die hundert Jahre später zum Prager Fenstersturz und zum Dreißigjährigen Krieg führen.

Doch auch Böhmen kann den ruhelosen Prediger nicht halten. 1523 erscheint er in Allstedt im Thüringischen, an der Grenze zum Mansfelder Land. Er heiratet eine entlaufene Nonne, hier wird sein Sohn geboren.

Bund der Auserwählten

Im Frühsommer 1524 gründet er einen „getreulichen Bund göttlichen Willens“, dem sich viele Allstedter und Mansfelder Bergknappen anschlossen. Das soll er sein, der Bund der Auserwählten, der Bund der Vollstrecker für den Jüngsten Tag.

Müntzer fühlt sich berufen, von Gott erkannt, das Reich auf Erden zu errichten. Er predigt gegen die Papisten und gegen Luthers dröge Lehre von der heiligen Schrift – sie vernebeln die Hirne der Armen und Entrechteten, verstellen den direkten Zugang zu Gott. Faktisch wendet sich Müntzer gegen jede kirchliche Hierarchie, sei sie katholisch oder protestantisch eingefärbt.

Gottesdienste auf Deutsch

In der Literatur wird der wilde Prediger als klein gewachsen, mit schwarzen Haaren und „funkelndem Blick“ beschrieben. In Allstedt wirkt er revolutionär: Er schafft das Kirchenlatein ab, hält Gottesdienste auf Deutsch.

So zwingt er Luther, nachzuziehen. Müntzer verdeutscht katholische Messbücher, die bis ins 19. Jahrhundert von der Kirche benutzt werden. Und im Juli 1524 tritt er vor Herzog Johann von Sachsen, um ihm die Leviten zu lesen. Vor versammelter Entourage auf dem Allstedter Schloss fordert er den Fürsten auf, die Gottlosen mit dem Schwert zu vertilgen:

Lasset die Übeltäter nicht länger leben, die uns von Gott abwenden. Denn ein Gottloser hat kein Recht, zu leben, so er die Frommen hindert.

Nur Achselzucken übrig

Der Fürst hat dafür nur Achselzucken übrig. Mitte des 16. Jahrhunderts ist der Machtkampf zwischen dem Papst und den weltlichen Herrschern in vollem Gange. Luthers Protestantismus gibt ihm die Gelegenheit, sich der katholischen Konkurrenz zu entledigen.

Starke Könige in England und Frankreich setzen sich gegen den Papst durch, doch Deutschland ist zersplittert. Hier gibt es keine starke Hand, nur viele große und kleine Fürstentümer. Einige schlagen sich auf die Seite Luthers, andere halten es weiterhin mit Rom.

Biblischer Text oder Popanz?

Bei Luther steht die gedruckte Bibel höher als katholischer Popanz, Echo überkommener Strukturen aus dem Alten Rom. Luther gibt den Landesfürsten die Handhabe, katholische Ländereien zu enteignen und zu vereinnahmen, mitsamt der freien Bauern, die zu Knechten und Leibeigenen herabsinken. So geschehen in Hessen, in Sachsen, in Thüringen oder 1525 in Brandenburg, wo der Deutsche Orden säkularisiert und aufgelöst wird.

Der Machtkampf erfasst ebenso den Bergbau in Böhmen, Sachsen, Schlesien und Thüringen. Dort stehen althergebrachte katholische Privilegien neben den Schürfrechten adeliger Herren. Letztlich gerät die Reformation zur ökonomischen Revolution, denn sie setzt den Schlusspunkt hinter die Dominanz der katholischen Bischöfe und Äbte in weltlichen Dingen.

Kein fürstliches Schwert rührt sich

Kein fürstliches Schwert rührt sich, kein Landsknecht wird in Marsch gesetzt, um Gottes Reich auf Erden zu errichten. Enttäuscht wendet sich Thomas Müntzer gegen die Obrigkeit, gegen die „großen, dicken, feisten Pausbacken“, die ihr Leben „mit tierischem Fressen und Saufen“ hinbringen.

Ohne Ausnahme gehören sie zu den Gottlosen, die die Armen zu ihren Hackklötzen gemacht haben. Um den Tyrannen den Hals zu füllen, müssten sich die Armen so sehr abmühen, dass sie keine Zeit mehr fänden, die Schrift zu lesen und zum Glauben zu kommen.

In den Wirren des Bauernkriegs

Wieder muss er fliehen, gejagt vom Herzog, verteufelt von Luther. Anfang August 1524 kommt er nach Mühlhausen, wo es gärt und wabert. Müntzer gerät in die Wirren des Bauernkrieges, der sich von Schwaben ausbreitet.

Wieder wird er Pfarrer, als die Unruhen von Franken nach Thüringen überschwappen. Schlösser und Klöster werden geplündert und verwüstet. Mit scharfer Zunge ruft Müntzer die Bergknappen des Mansfelds auf, den Bauernhaufen beizustehen.

Die Zeit der Fürsten mit ihren Ränken ist vorbei. Da hat ihr Gewalt ein Ende, sie wird in kurzer Zeit dem gemeinen Volk gegeben. Meinst du, dass Gott nicht mehr an seinem Volke denn auch euch Tyrannen gelegen? (Müntzer an Albrecht von Mansfeld)

Predigten geraten zur Manie

Die Predigten geraten zur Manie, je mehr sich der Himmel über deutschen Landen verdunkelt. Aufgeschreckt von den Anfangserfolgen der bäuerlichen Scharen schließen sich die Fürsten zusammen, setzen ihre Heere in Gang. Nicht für Gott, sondern gegen rebellische Untertanen.

Mitte Mai 1525 kommt es bei Frankenhausen zur Entscheidung. Landgraf Philipp von Hessen und Herzog Georg von Sachsen nehmen die Aufständischen in die Zange. Als ein Regenbogen übern Himmel spannt, fallen Bauern und Knappen auf die Knie. Freudig beten und singen sie, bis die ersten Salven aus fürstlichen Kanonen einschlagen.

Auf dem Schafott vor Mühlhausen

Wilde Flucht beginnt, Landsknechte erschlagen die Fliehenden. Thomas Müntzer wird erkannt und gefangen, wird gefoltert und am 27. Mai 1525 auf dem Feld vor Mühlhausen enthauptet. Zur Abschreckung wird sein Kopf auf einen Spieß gesteckt.

Luther frohlockt, zu Recht habe der Unhold einen elenden Tod erlitten: „Wer den Müntzer gesehen hat, der mag sagen, er habe den Teufel leibhaftig gesehen in seinem höchsten Grimm.“ Dieses Urteil hielt sich lange. Jahrhundertelang galt Müntzer bei Katholiken und Protestanten gleichermaßen als dämonische Gestalt.

Bejubelter Untergang

Theologen und Historiker bejubelten seinen Untergang. „Die Einstellung kann den Vertretern des offiziellen Protestantismus nicht allzu übel genommen werden, ist doch ihre Existenz von Müntzers revolutionärem Brand bedroht“, schrieb Walter Nigg in seinem Buch der Ketzer. „Sein Chiliasmus hätte für ihre Welt eine allzu heftige Explosion bedeutet.“

In der Geschichte überlebt nur, was Substanz bietet. Was einmal gesagt ist, bleibt in der Welt. Doch es wandelt sich und lässt manches in neuem Licht erscheinen. Im Zwanzigsten Jahrhundert änderte sich auch die Bewertung des streitbaren Pfarrers der Bauern und Knappen.

Engels holt ihn aus dem Schatten

Zunächst holte ihn Friedrich Engels mit seiner Schrift Der deutsche Bauernkrieg aus dem Schatten. Er spann den Bogen von 1525 bis 1848. Heinrich Heine urteilte: „Luther hatte unrecht und Müntzer hatte recht.“ Der marxistische Philosoph Ernst Bloch veröffentlichte 1921 das Buch Thomas Münzer – Theologe der Revolution, er prägte das Etikett „Rebell in Christo“.

Versuche der politischen Vereinnahmung

Die Nazis versuchten, Müntzer als Bauernführer für sich in Anspruch zu nehmen und antiklerikale Ressentiments zu schüren. Danach machte ihn die offizielle Geschichtskunde der SED zum frühen Kommunisten, stilisierte den Bauernkrieg zum „Wetterleuchten einer neuen Gesellschaft“.

Ein Film der Defa aus dem Jahre 1956 bietet interessantes Zeugnis dieser späten Interpretation. Zugleich wird die prophetische Kraft Müntzers spürbar und historisch genau dargestellt. Dem Zeitgeist entsprechend werden Reformation und Bauernkrieg zur frühbürgerlichen Revolution verdichtet, die zwar scheiterte, aber letztlich im Sozialismus der DDR ihre Erfüllung fand.

Botenläufer Gottes, Rebell in Christo

Botenläufer Gottes, Rebell in Christo, der neue Johannes, der das Reich Gottes auf Erden errichten wollte. Er ist gescheitert, wirkt dennoch nach – bis heute. Denn das Unerledigte drängt:

Niemals hat die Menschlichkeit Tieferes gewollt und erfahren als in den Intentionen dieses Täufertums, hin zur mystischen Demokratie. Was sich gestern träumte und intendierte, muss morgen sein, gegen die Sehnsucht wenigstens weder Gewalt noch Finsternis gewachsen, hinter der Wüste wartet Kanaan in unerforschter Pracht, und der Gott im Münzerischen ist immer wieder bei Tag Wolke, in der trübsten Nacht Feuersäule. (Ernst Bloch)

Walter Nigg urteilte vorsichtiger: „Müntzer nun auf den Thron zu heben und Luther aufs Schafott zu schicken, verkennt wiederum die religiöse Kraft des Reformators aus Wittenberg. Es gilt, jede Gestalt auf ihre Art bestehen zu lassen.“

Denn Luthers Kompromisse mit der Obrigkeit schuf dem Protestantismus ein starkes Heerlager und sicherte sein Überleben gegen die Jesuiten und ihre Heilige Inquisition. Nach Niggs kluger Einschätzung führte Müntzer „den protestantischen Protest auch auf sozialem Gebiet durch“, viel weiter als Armenvorsorge und Almosen der Kirchen. Er bezeichnete Müntzers Predigten als „soziale Ketzerei, die zu großer Bewunderung zwingt.“

Metaphysisches Ereignis

Nach Auffassung des Philosophen Johann Gottlieb Fichte ist „das Evangelium ist kein historisches, sondern ein metaphysisches Ereignis.“ So gesehen, steht Müntzer in einer Reihe mit dem Metaphysiker Eckhart oder mit Joachim di Fiore, der das Reich des Menschen predigte, das Himmelreich auf Erden – als klare soziale Aufgabe des Christentums. Ernst Bloch stellt Müntzer in diese Ahnenreihe, als er schrieb:

Denn Münzers Arbeit an der Welt ist immerhin Verzicht auf alle bequemere, duldsame Ruhe und auch härtester Verzicht darauf, dass irgendwie, irgendwo nur eigene, individuelle Erlösung geschehe, bevor der Mensch nicht schwebt, bevor nicht allen Menschen wenigstens der äußere Weg zum rechten Leben offensteht. Solange noch die Ungezählten, Namenlosen im Elend verschollen gehen, sind die wahllose Güte, das wahllose Leiden und Gelassenheit, ja selbst die frühe christliche Weltindifferenz gerade aus Christlichkeit verboten.

Starke Substanz für die Geschichte

Befreit man die Predigten Müntzers vom religiösen Zwist, der die Kämpfe des 16. Jahrhunderts markierte, bleibt in der Tat starke Substanz stehen. Seine Predigten ordnen sich ein in die Geschichte der Hoffnung, Hoffnung auf bessere Zeiten – hier und jetzt, oder nach dem Tod irgendwo dort oben, irgendwo unten.

Ernst Bloch hat die Hoffnung zum wichtigen Treiber der Geschichte erkoren (Prinzip Hoffnung). Deshalb vermochte der streitbare Marxist durchaus christliche Wurzeln zu erschließen – ohne ideologische Scheuklappen. In seinem Buch über Thomas Münzer zitierte er den Rebell in Christo:

Es kann vor dem Wucher und vorm Schoß und Zinsen niemand zum Glauben kommen, der Schade der Welt wird je länger, je breiter, dass dem menschlichen Glauben der Weg verschlossen ist.

Wer sich dazu frei macht, vermag das Rechte auch durchaus zu träumen und zu hören. Jeder ist dessen fähig, nach der ernsten Bereitung, wozu er den freien Willen hat.

Weiterführende Quellen:

Thomas Müntzer: Die Fürstenpredigt, Philipp Reclam Jun., Stuttgart 1979
Ernst Bloch: Thomas Münzer als Theologe der Revolution, Aufbau Verlag, Berlin 1960
Walter Nigg: Das Buch der Ketzer, Artemis Verlag, Zürich und Stuttgart, 1962
Friedrich Engels: Der deutsche Bauernkrieg, Neue Rheinische Zeitung, 1850
Defa-Studio für Spielfilme: Thomas Müntzer (1956) (Datenbank der Defa-Stiftung)

Lesen Sie auch:
Martin Andersen Nexö: „Alle lebendigen Menschen sind auch Dichter“
Stefan Heym – ein später Nachruf
Scharfenberg: Schatzsuche unter der Erde
Durch die Wüste mit Joseph und seinen Brüdern

 

© H.S. Eglund
  • Katzensprung von Berlin, nix wie hin! © H.S. Eglund
  • Das erste Brutpaar der Basstölpel kam 1991 von Schottland nach Helgoland - um der Vogelgrippe zu entfliehen- © H.S. Eglund
  • Die westliche Küste ist von steilen Klippen geprägt - ideal für Brutvögel. © H.S. Eglund
  • Der Buntsandstein gibt der Insel die typische, rötliche Farbe. © H.S. Eglund
  • Birgt noch etliche Geheimnisse: Beim Big Bang 1947 wurden Katakomben aus der Nazizeit zerstört und verschüttet. © H.S. Eglund
  • Seit einigen Jahren sind restaurierte Bunker zugänglich und bergen ein aufschlussreiches Museum. © H.S. Eglund
  • Modell des U-Boot-Bunkers auf Helgoland, von den Nazis erbaut. © H.S. Eglund
  • Die Tunnel geben eine Ahnung, dass der Fels tatsächlich durchlöchert war wie "Schweizer Käse". © H.S. Eglund
  • Selbst die Sprengung 1947 vermochte es nicht, die Betonmolen der Nazis komplett zu zerstören. © H.S. Eglund
  • Blick auf das wellige Mittelland, das zum Unterland abfällt. © H.S. Eglund
  • Wartungsschiffe im Auftrag von RWE: Der Konzern betreibt riesige Windparks in der Nordsee. © H.S. Eglund
  • Diese Tafel informiert über die Stromleitung vom Festland. © H.S. Eglund
  • H.S. Eglund Großes Solardach auf einer Halle des Versorgers im Unterland.
  • Solaranlage auf einer Laube an der Felsenkante des Oberlands. © H.S. Eglund
  • Immer mehr Gebäude im Unterland bekommen Solaranlagen, um sauberen Strom für die Feriensaison zu erzeugen. © H.S. Eglund
  • Im Garten: Mancher fängt klein an. © H.S. Eglund
  • Oder sehr klein: Maritimes Solarmodul im Kleingarten. © H.S. Eglund
  • Es geht noch kleiner: Schnappschuss von den Hummerbuden am Hafen von Helgoland. © H.S. Eglund
Samstag, 15. Juni 2024

Helgoland – Sonnenwende überm Fuselfelsen

Die Insel in der Deutschen Bucht war vieles: Schmugglernest, Zankapfel der Großmächte, waffenstarrende Festung, ödes Eiland und zollfreier Supermarkt. Mittlerweile werden die Butterfahrer durch Ökotouristen abgelöst. Denn Heligoland, wie es die Engländer nennen, lebt von der See – und von Sonne und Wind.

Mitte Juni geht die Sonne im Nordwesten unter, über nahezu stillem, glatten Meeresspiegel. Lange braucht der glühende Punkt, um zum Horizont zu sinken, ihn zu berühren und schließlich über den Saum der Erde ins Nichts zu fallen.

Begleitet wird das Spektakel vom ohrenbetäubenden Gekreisch der Basstölpel, Trottellummen und Möwen, gelegentlich zieht sogar ein Albatros seine Kreise. Für Vogelbeobachter, neudeutsch: Bird Watcher, ist Helgoland ein Paradies. Nirgends in Mitteleuropa gibt es so viele verschiedene Arten, auf so engem Raum.

Kaum mehr als eine Felsenklippe

Sprichwörtlich, denn Helgoland ist kaum mehr als eine Felsenklippe in der Nordsee. Brutvögel und durchziehende Wandervögel haben seinen Ruf nachhaltig verändert.

Jahrhundertelang galt die Insel als Nest für friesische Austernfischer, Piraten und Schmuggler. In der Neuzeit kam der rötliche Fels zunächst unter dänische Hoheit, bevor ihn 1807 die Engländer besetzten.

Napoleons Kontinentalsperre geknackt

Von Helgoland aus knackten englische Schmuggler die Kontinentalsperre, die Napoleon gegen London verhängt hatte. Zeitweise wurde mehr Ware umgeschlagen, als im Hafen an der Themse. Deshalb gewährten die Engländer ihren Untertanen den besonderen Status der Zollfreiheit – denn Helgoland lag weit außerhalb des britischen Staatsgebiets.

Gegen Ende des 19. Jahrhunderts war Napoleon Geschichte, und England das Herz eines globalen Imperiums. Queen Victoria trat Helgoland im Tausch gegen Sansibar an den deutschen Kaiser ab.

Lukrativer Tausch

Ein spannendes Geschäft, denn Sansibar gehörte seinerzeit nicht zu den deutschen Kolonien in Ostafrika (Tanganjika, heute Tansania). Der Kaiser duldete lediglich die britische Flottenpräsenz. Die Engländer wollten eine Basis im Indischen Ozean aufbauen, mit Blick auf die Zufahrt zum Roten Meer und zum Suezkanal – und vor allem nach Indien.

Im Gegenzug fiel Helgoland ans Deutsche Reich. Die Insel hatte strategische Bedeutung, denn sie beherrscht nicht nur die Häfen von Bremerhaven und Hamburg. Auch der westliche Ausgang des Nord-Ostee-Kanals wird von ihr kontrolliert.

Kaiser Wilhelm begann sofort, die Insel zur Festung auszubauen. Das war eine schlechte Nachricht. Die gute lautet: Er ließ 1910 die berühmte Vogelwarte errichten, Vorläufer der biologischen Forschungsanstalt, die heute zum Alfred-Wegener-Institut gehört.

Illusion der Überlegenheit

Im Ersten Weltkrieg spielte die Insel kaum eine Rolle, wie auch die deutsche Marine kaum etwas gegen die britische Blockade ausrichten konnte. Aber „Helgoland in deutscher Hand“ nährte die Illusion von Herrschaft über die Nordsee – und war damit Zunder für die Kriegstreiber und Befürworter der Aufrüstung. Mit Kriegsbeginn wurden die Helgoländer expatriiert, erst nach dem Ende der Feindseligkeiten kehrten sie zurück.

Der deutschtümelnden Euphorie unter den Insulanern tat das keinen Abbruch. Fünfzehn Jahre später lag die Zustimmung zu NDSAP auf der Insel bei deutlich über fünfzig Prozent, mehr als Sozialdemokraten und Kommunisten zusammen.

Hitler träumte noch gigantischere Pläne als der Kaiser: Helgoland sollte die gesamte deutsche Flotte aufnehmen. Umfangreiche Bauarbeiten kamen in Gang: Der Buntsandstein wurde untertunnelt und mit Geschützstellungen versehen. Weite Areale des flachen Meeres wurden mit Beton eingedeicht, um einen riesigen Hafen zu gewinnen.

Unbarmherzige Faust der Alliierten

Doch schon 1941 wurden die Arbeiten eingestellt. Das Projekt uferte aus, wurde zu kostspielig. Im Zeitalter des Luftkriegs war klar geworden, dass Flotten kaum noch eine Rolle spielten.

Der Luftkrieg ereilte Helgoland mit unbarmherziger Härte: Zwei Wochen vor Kriegsende 1945 flogen rund tausend alliierte Bomber ein und luden ihre Todesfracht auf das schmale Eiland ab.

Unbewohnbar für Generationen

Danach waren alle Geschütze verstummt, ihre (blutjungen) Besatzungen tot und die meisten Bewohner der Insel schwer traumatisiert. Nur knapp hatten sie in Bunkern und Katakomben überlebt. Helgoland war eine Trümmerwüste – unbewohnbar für Generationen, wie es schien.

Erneut wurde die Bevölkerung zum Festland evakuiert, wo sie das Chaos der letzten Kriegstage erwartete. Helgoland wurde Niemandsland, mit einer kleinen englischen Garnison als symbolischer Besatzung.

Fels hielt der Sprengung stand

Im Jahr 1947 schließlich beschlossen die Briten, die unheilvolle Felsenklippen ein für alle Mal aus der See zu tilgen. Mehr als 9.000 Tonnen Sprengstoff wurde herangeschifft, faktisch der gesamte Vorrat, den der Krieg hinterlassen hatte.

Nur die Explosionen von Hiroshima und Nagasaki waren verheerender. Trotz der gewaltigen Eruption („Big Band“), die noch in Cuxhaven spürbar war, blieb ein großer Teil der Felseninsel unversehrt – das heutige Oberland.

Ein anderer Teil, durch Hitlers Ingenieure und versklavte Zwangsarbeiter durchlöchert „wie Schweizer Käse“, sackte ab. Er markiert das heutige Mittelland, das in grasigen Wellen zum Hafen und zum Strand abfällt (Unterland).

Rückkehr und Neubeginn

Erst 1952 durften die Helgoländer auf ihre Heimatinsel zurückkehren. Die Briten zeigten Goodwill mit den Krauts in Westdeutschland, die sogleich den Wiederaufbau in Angriff nahmen. Um der Insel eine Zukunft zu ermöglichen, wurde das alte Zollprivileg erneut in Kraft gesetzt.

Denn formal liegt Helgoland auch außerhalb des deutschen Staatsgebiets. In den 1960er Jahren kam der rote Felsen zu neuem Ruhm: Man unternahm „Butterfahrten“, sparte sich die Mehrwertsteuer. Helgoland wurde als „Fuselfelsen“ tituliert, war Vorläufer des Ballermann auf Mallorca.

Tand, den kein Mensch braucht

Noch heute sind die Geschäfte voll von Tand, den kein Mensch wirklich braucht: edle Geschmeide, Whiskys in tausend Sorten, optische Geräte wie Feldstecher oder wuchtige Objektive für die Kameras der Bird Watcher.

Schnäppchen sind das längst nicht mehr, denn die zollfreie Einfuhr zum deutschen Festland ist stark eingeschränkt. Die Überfahrt von Hamburg oder Cuxhaven gibt es auch nicht zum Billigtarif. Fuselfelsen adé, Butterfahrten adé. Das Wirtschaftswunder ist vorbei, auch auf Helgoland.

Kette von Atommeilern

Die Geschichte wäre zu Ende erzählt, wenn die rote Felseninsel nicht eindrucksvoll ein neues Kapitel ihre Historie aufgeschlagen hätte. Wer von den Landungsbrücken in St. Pauli mit dem Katamaran nach Helgoland aufbricht, fährt zwei Stunden die lange Elbmündung nach Norden.

Drei Atommeiler – wie Perlen auf einer Kette – ziehen am Ufer vorbei: Die Reaktoren von Stade, Brokdorf und Brunsbüttel. Jahrzehntelange Proteste, unzählige Havarien und Defekte machten die Kraftwerke berühmt – und berüchtigt. Nun stehen sie alle auf Rückbau und Abriss.

Energiewende als zweites Wirtschaftswunder

Bei Cuxhaven weitet sich die Elbe, öffnet sich zur Nordsee hin. Bis Helgoland dauert die Fahrt weitere anderthalb Stunden.

Weit im Norden rücken die Pfeiler eines gigantischen Windparks aus dem Dunst, rund dreißig Kilometer von Helgoland entfernt. Fast fünfzig Windturbinen liefern sauberen Strom, um mehr als 300.000 Haushalte zu versorgen.

Wartungsstützpunkt für Windparks auf See

Helgoland selbst wird weitgehend mit Windstrom versorgt, der seit 2009 über ein Unterwasserkabel vom Festland zur Insel gebracht wird. Zwar verfügt die Insel über große Ölspeicher und ein klassisches Kraftwerk. Doch der fossile Generator wird nur noch für den Fall vorgehalten, dass es mit dem Kabel hapert.

Seit 2015 ist Helgoland offizieller Wartungsstützpunkt für die Windparks in der deutschen Nordsee. Das spült Gewerbesteuern in die Kassen der Gemeinde, die zum Landkreis Pinneberg in Schleswig-Holstein gehört.

Solaranlagen für die Touristen

Zunehmend werden Solaranlagen sichtbar. Denn die Touristen kommen vornehmlich im Sommer, wenn das Wetter über der Insel sehr sonnenreich ist. Dann wird Strom gebraucht. Was liegt näher, als die Energiekosten durch Solardächer zu senken?

Im Winter sind viele Quartiere der Ferieninsel nicht belegt, oft fahren keine Fähren. Zwischen Oktober und März zeigt sich die Nordsee von ihrer grimmigen Seite. Dann pfeifen arktische Stürme von Grönland, von Island oder Norwegen durch die Bucht und treiben haushohe Wellen durch die See.

Klare, saubere, salzige Luft

Als 2006 der Bau des neuen Unterseekabels begann, wurde ein wesentliches Argument bemüht: Die einzige Konstante, die sich durch Helgolands wechselhafte Geschichte zieht, und die immer wieder Gäste auf die Insel gelockt hat, war die wunderbare, klare Luft der See.

Hierher kam im August 1841 beispielsweise Heinrich Hoffmann von Fallersleben, um die Hymne der Deutschen (Deutschlandlied) zu dichten. Sagt zumindest die Legende, die den Barden auf einer Klippe sitzend skizziert – teutonische Romantik.

Erleuchtung für Werner Heisenberg

Auf die Klippen stieg auch Werner Heisenberg, im Jahr 1925. Den jungen Wissenschaftler aus Göttingen hatte das Heufieber auf die Insel gebracht. Hier konnte er durchatmen und in Ruhe seine Überlegungen zur Quantentheorie vollenden.

Nichts lenkte ihn ab, außer immer gleiche Spaziergänge auf steinigen Pfaden und die immer gleiche, glatte See. Später schrieb er in seinen Memoiren (Der Teil und das Ganze):

In Helgoland war ein Augenblick, indem es mir wie eine Erleuchtung kam, als ich sah, dass die Energie zeitlich konstant war. Es war ziemlich spät in der Nacht. Ich rechnete es mühsam aus, und es stimmte. Da bin ich auf einen Felsen gestiegen und habe den Sonnenaufgang gesehen und war glücklich.

Für seine Begründung der Quantenmechanik erhielt er 1932 den Nobelpreis. Dass er den Nazis nach ihrem Machtantritt die Treue hielt und für Hitler an der Uranmaschine arbeitete, zeigt die persönlichen Grenzen dieses genialen Forschers.

Politische und militärische Rivalitäten um die Insel, der Kaiser, Hitler und das Atomzeitalter – sie sind allesamt Geschichte. Aber Helgoland ragt weiterhin aus dem Meer, zieht jedes Jahr tausende Gäste an.

Sie kommen nicht wegen der Marine, wegen des Fusels oder der Butter. Sie kommen wegen der See und wegen dem Wind und der herrlich sauberen Luft, wegen der Vögel auf den Klippen und den Wolken – die nirgends schneller am Himmel ziehen als hier.

Lesen Sie auch:
Martin Andersen Nexö: Alle lebendigen Menschen sind auch Dichter
Revelstoke Dam: Schaufenster der Energiewende in British Columbia
Kanada: Feuersturm im Felsengebirge
Juri Gagarin: Dicker Daumen und blauer Planet
Scharfenberg: Schatzsuche unter der Erde

© H.S. Eglund
Dienstag, 11. Juni 2024

Ukraine-Konferenz in Berlin: Wiederaufbau mit Solartechnik gefordert

Greenpeace und die Biohaus-Stiftung haben in Berlin gefordert, die Ukraine zu solarisieren. Die dezentrale Versorgung mit Energie macht das Land resilient gegen den Krieg, den Putin unter anderem gegen die Infrastruktur führt.

Nasskaltes Wetter, dennoch ging die Sonne auf: Eine Solarblume haben Greenpeace und die Biohaus-Stiftung vor dem Messegelände in Berlin entfaltet. Dort findet heute und morgen die Ukraine Recovery Conference statt.

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) empfing den ukrainischen Presidenten Wolodymyr Selenskyj. Die Konferenz soll den Wiederaufbau der Ukraine unterstützen.

Aufruf der Biohaus-Stiftung: Spendet Solarmodule für die Ukraine!

Marshallplan zur Solarisierung vorgelegt

Greenpeace hatte am vergangenen Wochenende einen Marshallplan zur Solarisierung der Ukraine vorgestellt. Die Bedingungen sind hervorragend: Es stehen ausreichend Flächen zur Verfügung, die Sonneneinstrahlung liegt deutlich höher als beispielsweise in Deutschland.

Zudem hat die russische Aggression erwiesen, dass Atomanlagen wie in Zaporizhzhia sehr anfällig sind. Russlands Präsident Wladimir Putin hat sie okkupiert und setzt sie als Druckmittel ein, um die Ukraine und ihre internationalen Verbündeten zu erpressen.

Energy Act for Ukraine und Menlo Electric spenden Solaranlagen für Schulen und Krankenhäuser

Solarstrom für eine Klinik in Trostjanetz

Die Solarblume besteht aus Solarmodulen, die nach der Aktion direkt in die Ukraine transportiert und dort auf einem Krankenhaus in der Stadt Trostjanetz montiert. „Dazu werden auch Module genutzt, die Greenpeace in Hamburg lagert“, berichtet Willi Ernst von der Biohaus-Stiftung. „Von uns kommen weitere 50 Kilowatt mit Wechselrichtern und Unterkonstruktion, die derzeit in Paderborn lagern.“

Vizekanzler weiht Solaranlage für ukrainische Schule ein

Mehr Solarmodule gesucht

Insgesamt 440 Solarpaneele wird die Biohaus-Stiftung an die Klinik in Trostjanez übergeben. „Das ist ein kleiner Beitrag zur Unterstützung einer Stadt, die den Mut hat, beispielhaft voranzugehen“, sagt Willi Ernst. „Wir suchen weiterhin Solaranlagen, die wir als Energie-Nothilfe in die Ukraine senden können.“

Strukturen des Zivilschutzes genutzt

Die Transporte in die Ukraine laufen über Strukturen des Zivilschutzes des Europäischen Union und Polens. „Wir haben einen Mitarbeiter in Kiyv“, erläutert Adam Balogh, Chef einer Task Force zur Unterstützung der Ukraine. „Er achtet genau darauf, dass die Solartechnik ihren Bestimmungsort erreicht.“

Solar Supports Ukraine: Helfen Sie mit!

Die Energiekrise bewältigen

Die Energieversorgung der Ukraine spielt eine entscheidende Rolle im Widerstand gegen Putins Armeen. Deshalb sind sie bevorzugtes Ziel russischer Luftangriffe. Die zentralisierte, durch Großkraftwerke gestützte Stromversorgung erweist sich als besonders anfällig. „Die Ukraine Recovery Conference sollte sich dringend mit der Bewältigung der Energiekrise beschäftigen.“, fordert Martin Kaiser, geschäftsführender Vorstand von Greenpeace Deutschland. „Solarenergie ist ein Schlüssel beim Wiederaufbau der ukrainischen Energieversorgung, weil sie einfach, günstig und schnell ausgebaut werden kann.“

Green Planet Energy spendet Solarmodule und Batteriespeicher für die Ukraine

Den Zubau ankurbeln

Wie ein solcher Plan aussehen kann, haben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler von Berlin Economics skizziert: Es wäre machbar und ökonomisch vorteilhaft, den Ausbau der Solarenergie bis 2027 um 3,6 Gigawatt neu installierter Leistung zu erhöhen, also fünfmal mehr als der Ukraine-Plan vorsieht  (0,7 Gigawatt).

Solar hilft: Gespendete Solaranlage bringt Licht in ukrainische Schule

Anreize für Investoren setzen

Bis 2030 könnte die installierte Leistung bei der Solarenergie auf insgesamt 14 Gigawatt gegenüber heute (5,6 Gigawatt) anwachsen. Notwendig wären Maßnahmen, um Investoren zu ermuntern. Auch geht es darum, das schwache Stromnetz in der Ukraine zu stabilisieren und mehr Fachkräfte für die Energiewende auszubilden. (HS)

Marshallplan zur Solarisierung der Ukraine (Greenpeace)

Bilder von zerstörten Solaranlagen in der Ukraine:

Putins Krieg: Zerstörtes Solardach auf einer Industriehalle

Putins Krieg: Wucht der Detonation rasiert Modultische

Putins Krieg: Durchschossenes Solardach

Putins Krieg: Von Raketen zerstörter Solarpark

© H.S. Eglund
Dienstag, 16. April 2024

Video: Lalibela – Felsenkirchen der Eremiten

Im Hochland von Äthiopien, im nördlichen Teil der amharischen Gebiete, liegt das Dorf Lalibela, auf 2.500 Metern Höhe. Früher als Neu-Jerusalem oder Roha bezeichnet, ist es der wichtigste Wallfahrtsort für orthodoxe Christen. Elf Kirchen haben Eremiten seit dem späten Mittelalter aus dem rostbraunen Tuff geschlagen.

Seit der Herrschaft des legendären Königs Lalibela im zwölften Jahrhundert schälen sich die beeindruckenden Bauwerke aus dem Gestein, gilt der Ort als heiliger Boden. Imposant, wie geräumig diese Kirchen sind, fast wie Grotten oder Kathedralen. Nur wenig Licht dringt herein. Ein wahrhaft gottesfürchtiger Ort für Pilger, Eremiten und Flöhe, die sich gierig in die Socken krallen.

Hier sehen Sie das Video. (Dauer: 0:57 Min.)
Zum Roman: Nomaden von Laetoli
Bestellungen beim ViCON-Verlag

Weitere Videos:
Video: Tanasee – geheimnisvolle Inseln der Mönche (0:51 Min.)
Video: Mutter Afrika – leuchtender Traum der Wiedergeburt (0:57 Min.)
Video: Addis Abeba – Neue Blume zwischen Aposteln und Mercato (0:53 Min.)
Video: Karges Hochland am Rand der Kalahari (0:49 Min.)
Video: Zum Kap der Guten Hoffnung (0:59 Min.)
Video: Das Erbe der Diamanten (0:58 Min.)
Video: Sossusvlei – Dünen aus rotem Sand (0:59 Min.)
Video: Das Meer in der Wüste (0:58 Min.)
Video: Sonnenaufgang überm Ngorongoro (1:00 Min.)
Video: Marabus – Buchhalter der Wildnis (0:56 Min.)
Video: Brandberg – Im Louvre der Felsmalerei (0:58 Min.)
Video: Gondar – Stadt der Könige (0:59 Min.)
Video: Im Osten der Indische Ozean (1:00 Min.)
Video: Die kurze Blüte der Serengeti (1:00 Min.)
Video: Die Löwen von Seronera (0:58 Min.)

Leseprobe im Video: Das frühe Ende einer Safari (4:57 Min.)
Leseprobe im Video: Die Attacke aus dem Norden (9:46 Min.)
Leseprobe im Video: Am Strand von Jambiani (6:12 Min.)

© Priwatt/Anne Fischer
  • Kay Theuer von der Firma Priwatt hatte ein Balkonmodul zur Veranstaltung mitgebracht. © Jürgen Schrödl
  • Zum Auftakt demonstrierten Kay Theuer und Heiko Schwarzburger, wie Balkonkraftwerke funktionieren. © Jürgen Schrödl
  • Es entspann sich eine angeregte Diskussion darüber, welche Möglichkeiten die Solartechnik im städtischen Millieu bietet. © Jürgen Schrödl
Freitag, 5. April 2024

Treffpunkt Sonnenbürger in Leipzig: Mehr Sonnenstrom für Mieterinnen und Mieter!

Sitzen beim sogenannten Mieterstrom die Mieter und Vermieter wirklich in einem Boot? Ob Balkonkraftwerke oder gemeinschaftliche Anlagen auf dem Dach von Mehrfamilienhäusern: Eigentümer und Mieter haben nicht immer die selben Interessen. Oder doch?

Beim zweiten Treffpunkt Sonnenbürger am 3. April 2024 im Kulturzentrum Budde-Haus im Leipziger Stadtteil Gohlis wurde kräftig diskutiert. Erneut fanden sich zahlreiche Interessenten ein, um ein heißes Thema der Energiewende zu erörtern.

Es ging nicht nur darum, wie Mieterinnen und Mieter von der solaren Energiewende profitieren. Sondern vor allem darum, wie es gelingt, die Vermieter und Eigentümer der Gebäude ins Boot zu holen.

Ratgeber 2024: 222 Tipps für solaren Eigenstrom

Die Veranstaltung zeigte: Sich an der solaren Energiewende zu beteiligen, ist oft einfacher, als zunächst vermutet. Mit dem anstehenden Solarpaket, das bis zum Sommer durch den Bundestag gehen soll, wird die Sache noch einfacher. Dann fallen wesentliche Hürden für gemeinschaftliche Solaranlagen auf Mehrfamilienhäusern.

Podcast: Darum brauchen wir eine starke Solarindustrie

Gastgeber war Heiko Schwarzburger, Chefredakteur des Fachmagazins photovoltaik. Im soziokulturellen Zentrum Budde-Haus in Leipzig-Gohlis diskutierte er mit Kay Theuer von der Leipziger Firma Priwatt.

Priwatt ist Pionier bei Balkonkraftwerken, die übrigens nicht nur an Balkonen errichtet werden können. Kay Theuer berichtete über Erfahrungen mit Mieterinnen und Mietern, die sich für kleine Kraftwerke interessieren, über die Hürden bei Vermietern und Verwaltern und den Selbstbau von Anlagen.

Webseite der Firma Priwatt

Der große Saal des Budde-Hauses war gut gefüllt. Schnell entspann sich ein Ideenaustausch mit dem Publikum, das Fachleute und Laien vereinte. Nun richten sich die Blicke nach vorn, auf den nächsten Termin im Herbst:

Urbane Solartechnik: Chance oder Fluch für die Architektur?
Solare Energiewende – Mehr Demokratie wagen!
Gespräch und Diskussion am 18.9.2024 ab 19 Uhr
Saal des Budde-Hauses – Soziokulturelles Zentrum Leipzig-Gohlis
Lützowstraße 19, 04157 Leipzig

Hier finden Sie alle Veranstaltungen der Budde-Villa in Leipzig-Gohlis.

Die Veranstaltungsreihe Treffpunkt Sonnenbürger soll Bürgerinnen und Bürger Leipzigs ermuntern, die Energiewende in die eigenen Hände zu nehmen. Sie bringt Menschen und ihre Projekte zusammen, um nützliche Informationen auszutauschen und vorhandene Kompetenzen und Erfahrungen zu nutzen.

Auch konträre Argumente kommen zur Diskussion. Veranstalter sind das Budde-Haus und das Fachmedium photovoltaik, vertreten durch Chefredakteur Heiko Schwarzburger.

Erster Treffpunkt Sonnenbürger in Leipzig wurde voller Erfolg

Lesen Sie auch:
Kay Theuer von Priwatt: „Wir erhöhen den Eigenleistungsanteil für die Installation”
Solaranlage mit 16 Kilowatt für das Parthebad in Taucha errichtet

© H.S. Eglund
  • Nach dem Krieg war die dänische Verfilmung weltweit ein großer Erfolg. © H.S. Eglund
  • Martin Andersen Nexö kurz vor seinem Tod in Dresden. © Archiv
Sonntag, 31. März 2024

Martin Andersen Nexö: „Alle lebendigen Menschen sind auch Dichter“

In seinem Roman Ditte Menschenkind erzählte der Däne die harte Lebensgeschichte einer jungen Frau, die in Armut aufwuchs und in Armut starb. Bildung blieb ihr verwehrt, aber ihre Menschlichkeit war kaum zu übertreffen. Die soziale Aufgabe harrt weiterhin ihrer Lösung.

Mit Dänemark teilen wir eine Grenze, doch ist es den meisten Deutschen weiter entfernt als böhmische Dörfer. Vielleicht kennt man die kleine Meerjungfrau von Hans-Christian Andersen, dem Märchendichter aus Odense.

Oder die Olsenbande, besonders im Osten populär bis zum Überdruss. Oder Prince Hamlet of Denmark, dem freilich der englische Dichter Shakespeare zu Weltruhm verhalf.

Ein weißer Fleck?

Literarisch scheint Dänemark ein weißer Fleck, zumindest für Leserinnen und Leser südlich seiner Grenze. Ausreichend Anlass, einen herausragenden Schriftsteller neu zur Hand zu nehmen: Martin Andersen, der als Kind mit seiner Familie von Kopenhagen nach Nexö übersiedelte, auf der Insel Bornholm gelegen.

Der vor siebzig Jahren in Dresden starb, weil ihm die dänische Heimat verleidet war. Zu stark waren die restaurativen Tendenzen nach dem Krieg, zu stark die Hoffnung auf eine bessere Welt, in der Armut und Knechtschaft der Vergangenheit angehören.

Im offiziösen Kanon der DDR

In der DDR gehörte Nexö zum offiziösen Kanon, wurde verehrt wie Maxim Gorki – oder beinahe. Seine Romane Pelle der Eroberer oder Morten der Rote wurden als proletarische Meisterwerke gefeiert. Als Ausdruck des sozialistischen Siegeszugs in Skandinavien, das für die meisten Leser unerreichbar fern jenseits der Mauer lag.

Dass der Dichter nach dem Krieg in die DDR übersiedelte, spielte der Propaganda in die Hände. Es war der sächsische Ministerpräsident Max Seydewitz, der den Dänen im Jahr 1951 einlud.

Seydewitz hatte die Nazi-Herrschaft im schwedischen Exil verbracht, lernte dort Nexös Werke zu schätzen. Hochbetagt mit 84 Jahren starb Nexö schließlich in seiner Wahlheimat an der Elbe.

Das Proletariat hat versagt

Die proletarischen Romane Nexös werden heute leicht als verstaubt, vergilbt, vergessen abgetan. Wer will noch alte Geschichten über den Kampf (der Klassen) gegen Armut, für Gerechtigkeit lesen? Heute, da wir wissen, dass die ach so klassenbewussten Arbeiter fürchterlich versagt haben.

Denn sie brachten Stalin an die Macht, Hitler und Mao. Tatsächlich gleiten diese Romane immer dann in politische Klischees ab, wenn es um Klassenfragen geht, um politische Statements.

Man ist an Gorkis Mutter erinnert. Früher Pflichtlektüre in den Schulen Ostdeutschlands, ist dieses Buch mittlerweile in der Versenkung verschwunden. Zumal sich Gorki als Freund Stalins profilierte, als linientreuer Agitator, der Gulag und roten Terror ausdrücklich begrüßte.

Zeitlose literarische Substanz

Ganz anders dieses Buch: Ditte Menschenkind. Es erschien 1920, Nexö schrieb vier Jahre daran. Es zeichnet die dramatische Lage der untersten Schichten in Dänemark zur Jahrhundertwende, erzählt vom Rand einer reichen Gesellschaft, die erst in späteren Jahrzehnten soziale Programme auflegte und beispielhaft umsetzte. Dieses Buch hat eine zeitlose literarische Substanz, die keiner ideologischen Erosion unterliegt.

Ditte wird als uneheliches Kind geboren, schon per Taufschein zur Außenseiterin degradiert. Sie wächst in einer Familie von Lumpensammlern auf. Allein damit sperrt sich der Roman gegen die Vereinnahmung durch die Apologeten der sogenannten proletarischen Literatur.

Der Bodensatz der Gesellschaft

Lumpensammler, bei Karl Marx als Pauper abgestempelt, standen weit unterhalb der Fabrikarbeiter. Sie waren der Bodensatz der Gesellschaft, sind es bis heute – als Obdachlose, Empfänger von Hartz IV oder Bürgergeld, Menschen auf der Flucht, auf der Suche nach Schutz, Asyl. Die Frauen dieser Schichten waren – und sind – besonders gefährdet.

Zu Elend und Armut kommen sexuelle Ausbeutung und Mutterschaft, ob ungewollt oder gewollt, das spielte keine Rolle. Spielt es bis heute nicht, wie die Debatten männlicher Herrschaftssysteme über Verhütung, Abtreibung oder sexualisierte Gewalt beweisen.

Das schwierigste Thema überhaupt

Martin Andersen Nexö wagte sich an das schwierigste Thema überhaupt: Mutterschaft, an die Rolle der Mütter in der Gesellschaft schlechthin. Das ist kein politisches Thema, sondern humanistisch angelegt. Dittes Lebensweg vom kosmischen Funken ihrer Geburt bis zu ihrem frühen Tod ist eine großartige Erzählung, dass Armut menschengemacht ist, unglaubliche Verschwendung von Menschen, Lebenszeit und Liebe.

Ditte wird als Komet eingeführt, als neuer Stern am Firmament der Menschheit, und ihr Leben zieht seine Bahn über den Himmel, bis der Komet verlischt, viel zu früh, gescheitert an den Umständen. Als Ditte mit Mitte zwanzig stirbt, teilt sie das tragische Los vieler Frauen ihrer Zeit.

Unterernährt, am Ende ihrer Kräfte

Unterernährt, über ihre Kräfte beansprucht und dennoch hilfsbereit bis zur Selbstaufgabe kämpft sie gegen Egoismus, Gier und fehlendes Mitgefühl – um am Ende alles zu verlieren. Es ist ein großartiges Buch, ein sozialer Roman, der die Schwierigkeiten von alleinerziehenden Müttern auf die Tagesordnung hob.

Obendrein ist Dittes Geschichte meisterhaft erzählt. Das Herz ist der stärkste Sprengstoff, heißt es im Roman. Tatsächlich nimmt uns der Autor an die Hand, führt uns an die raue, unwirtliche Küste Dänemarks – in eine Zeit, die Gott sei Dank nicht mehr existiert, soziale Vergangenheit markiert.

Der Aufstieg sozialistischer Ideen

Gott zu danken, führt am Kern vorbei, denn Nexös Roman spielte beim Aufstieg sozialistischer Ideen in Skandinavien eine wichtige Rolle. Das dänische, schwedische oder norwegische Modell von Gemeinschaft und sozialer Verantwortung löst sicher nicht alle Probleme. Aber es hat sich als beispielhaft erwiesen – ist es bis heute.

Die soziale Emanzipation der Frauen hat gedauert, und sie dauert noch an. Keine Veränderung der Gesellschaft wirkt so durchgreifend und mächtig, wie das Ende der toxischen Männlichkeit, die noch immer Politik und Wirtschaft bestimmt.

Mehr als hundert Jahre nach dem Erscheinen hat Ditte Menschenkind nichts von seiner Brisanz eingebüßt. Der Staub, der auf der alten Schwarte lagert, ist der Staub, unter dem sich ein Schatz verbirgt.

Nexö-Haus auf Bornholm

Ditte Menneskebarn: Dänischer Spielfilm von 1946 (Trailer)

Lesen Sie auch:
Ein Hauch von Ewigkeit: Thomas Mann in Nida
Harriet Beecher Stowe: Großer Kampf einer kleinen Frau
Stefan Heym – ein später Nachruf
Heinrich Böll: Wir kommen von weither
Hemingway: Alter Mann ohne Meer

© Conny Vischer
  • Nach der Lesung entspann sich eine angeregte Diskussion. © Conny Vischer
  • Stöbern und Schmökern: Das graue Regenwetter blieb draußen. © H.S. Eglund
  • Knapp fünf Hallen waren mit der Messe belegt. © H.S. Eglund
  • Die Lesefreude des Publikums scheint ungebrochen. © H.S. Eglund
  • Lesen, Hören, Schauen: Die Messe hatte viele Gesichter. © H.S. Eglund
  • Überall stießen Besucherinnen und Besucher auf spannende Publikationen. © H.S. Eglund
  • Auftritt von Autorinnen und Autoren am Stand der Schweizer Buchbranche. © H.S. Eglund
Freitag, 29. März 2024

Leipziger Buchmesse: Publikum nach Ostafrika entführt

Bei seiner Lesung im Budde-Haus fesselte Eglund das Auditorium. Hat Professor Miller die Frühmenschen wirklich gesehen? Nach Textproben entspann sich eine angeregte Diskussion – mit vielen Fragen. Manche wurde beantwortet, manches blieb offen.

Der mondäne Saal im Budde-Haus war gut gefüllt, das Publikum aufgeschlossen. Eine Stunde lang las H.S. Eglund aus seinem Roman Die Nomaden von Laetoli. Anschließend entwickelte sich ein inspirierender Gedankenaustausch.

Beim Signieren von Büchern setzte sich die Diskussion fort. Fazit: Ein gelungener Abend, an dem sich das Publikum bereitwillig entführen ließ – nach Laetoli, Aksum und Jambiani.

Leseproben aus dem Roman Nomaden von Laetoli

Messe vom Vorjahr übertroffen

Die Lesung im Budde-Haus am Samstagabend (23. März 2024) setzte den Eindruck fort, der sich bereits in den Messehallen geboten hatte. Vom Start der Buchmesse am Donnerstag (21. März) erlebten die Hallen einen Ansturm, der die Veranstaltung im Vorjahr übertraf. Im Frühjahr 2023 hatte die Messe erstmals nach Corona stattgefunden.

Nomaden von Laetoli: Hören Sie rein!

Bei der Veranstaltung 2024 empfingen mehr als 2.085 Aussteller aus 40 Ländern insgesamt mehr als 283.000 Leserinnen und Leser. Mit 2.800 Veranstaltungen an 300 Orten in der Stadt war das Lesefest Leipzig liest wieder eine der größten Literaturfestivals weltweit.

Buchverkauf belebt die Messe

Seit vergangenem Jahr dürfen die Verlage an ihren Messeständen Bücher verkaufen. Das war vorher nicht erlaubt, wurde aber eingeführt, um die Messe nach der Coronalücke neu zu beleben. Der Buchverkauf hat sich nunmehr fest etabliert, überall bildeten sich lange Schlangen. Auch wenn die Standflächen der (großen) Publikumsverlage deutlich kleiner ausfallen als vor der Zwangspause aufgrund der Pandemie, war der Andrang ungebrochen.

Nomaden von Laetoli im Überblick

Lesen Sie auch:
Nomaden von Laetoli: Lesung & Diskussion am 23. März 2024 in Leipzig
Spannende Abende beim Lesefest in Zürich
Buch Berlin – Müder Auftakt in den Bücherherbst

© Sybac Solar/HS/Schindler CES
Samstag, 24. Februar 2024

Mieterstrom – Sitzen Mieter und Vermieter wirklich im selben Boot?

Der zweite Treffpunkt Sonnenbürger in Leipzig bringt Akteure der Energiewende mit Bürgerinnen und Bürgern zusammen. Am 3. April 2024 geht es um diese Fragen: Wann kommt solarer Mieterstrom in den Städten an? Warum legen sich viele Vermieter noch immer quer?

Gastgeber ist Heiko Schwarzburger, Chefredakteur des Fachmagazins photovoltaik. Im soziokulturellen Zentrum Budde-Haus in Leipzig-Gohlis diskutiert er mit Kay Theuer von der Leipziger Firma Priwatt. Das junge Unternehmen ist Pionier bei Balkonsolarsystemen und Anlagen zum Selbstbau.

Kay Theuer von Priwatt: „Wir erhöhen den Eigenleistungsanteil für die Installation”

Neben der sozialen Frage geht es um die Chancen, die sich für Bürgerinnen und Bürger in einer Mieterstadt wie Leipzig ergeben. Auch die Möglichkeiten des Selbstbaus von Photovoltaikanlagen oder die Installation mit Eigenbeteiligung werden debattiert.

Ratgeber 2024: 222 Tipps für solaren Eigenstrom

Die Veranstaltung im Überblick

Mieterstrom – Sitzen Mieter und Vermieter wirklich im selben Boot?
Treffpunkt Sonnenbürger – Mehr Demokratie wagen!
Gespräch und Diskussion am 3.4.2024 ab 19 Uhr
Saal des Budde-Hauses – Soziokulturelles Zentrum Leipzig-Gohlis
Lützowstraße 19, 04157 Leipzig

Hier finden Sie alle Veranstaltungen der Budde-Villa in Leipzig-Gohlis.

Die Veranstaltungsreihe soll Bürgerinnen und Bürger Leipzigs ermuntern, die Energiewende in die eigenen Hände zu nehmen. Sie bringt Menschen und ihre Projekte zusammen, um nützliche Informationen auszutauschen und vorhandene Kompetenzen und Erfahrungen zu nutzen.

Solaranlage mit 16 Kilowatt für das Parthebad in Taucha errichtet

Auch konträre Argumente kommen zur Diskussion. Veranstalter sind das Budde-Haus und das Fachmedium photovoltaik, vertreten durch Chefredakteur Heiko Schwarzburger.

Erster Treffpunkt Sonnenbürger in Leipzig wurde voller Erfolg

〈123456789〉Archiv 〉〉

Leseproben

Hörproben

  • Termine & Lesungen
  • Datenschutz & Impressum