
John Heartfield: Mit Schere und Spott gegen Hitler
Sein Sommerhaus in Waldsieversdorf wurde erhalten – trotz Rechtsstreit und anderen Widrigkeiten. Rund tausend Besucherinnen und Besucher schauen jedes Jahr vorbei. Denn kaum einer hat die Bildsprache der Moderne geprägt wie er – in dunkelster Zeit.
Die Landschaft östlich von Berlin ist von der Eiszeit geformt. Wer als Schüler in Geografie die glaziale Serie pauken musste, weiß: Nach der Grundmoräne der nach Süden vorstoßenden Gletscherzungen folgte die Endmoräne, die in die Sanderebene übergeht. Dorthin floss Schmelzwasser ab, ins Urstromtal.
Östlich von Berlin findet sich welliges Terrain, von zahlreichen Senken durchzogen, heute malerische Seen. Der sandige Boden ist von ausgedehnten Wäldern bedeckt, die bis zur polnischen Grenze reichen, zur Oder und ihrer Niederung. Von der Uckermark bis zur Lausitz entfaltet sich typisches Relief aus der Eiszeit.
Gute Stunde von Pankow
Waldsieversdorf liegt inmitten von Seen, Wäldern und hügeligen Äckern, von Pankow eine gute Stunde entfernt. Bis nach Buckow sind es nur drei Kilometer. Dort hatten Helene Weigel und Bert Brecht in den 1950er Jahren ihr Sommerdomizil. Brecht war es auch, der seinen Freund John Heartfield überredete, sich in der Nähe eine Datsche zu suchen.
Datsche kommt von Datscha, dem russischen Wort für Gartenhaus oder Sommerhaus. Seit 1953 kam Heartfield regelmäßig in die Märkische Schweiz, um sich auszukurieren und zu erholen. Den Krieg hatte er im englischen Exil überstanden, war bei der Rückkehr allerdings gesundheitlich schwer angeschlagen.
Jagd durch Exil
Denn die Nazis hatten ihn seit 1933 gejagt. Erst von Berlin nach Prag, dann nach Frankreich, dann nach London. Nur knapp gelang ihm die Flucht, entging er den Häschern. Eigentlich wollte er (wie Brecht oder George Grosz) in die USA gehen, blieb aber in England hängen.
Auf den Suchlisten der Gestapo stand John Heartfield – bürgerlich: Helmut Herzfeld – bis zum Zusammenbruch des Naziregimes ganz oben. Kein Wunder, war er doch unter allen Gegnern Hitlers der bekannteste und erfolgreichste Künstler. Denn Heartfield, der Erfinder der Fotomontage, stellte seine Kunst kompromisslos in den Kampf gegen den Faschismus.
Beißende Satire gegen Hitler
Mit beißender Satire demaskierte er den Diktator und seine Hintermänner. Eine Fotomontage von Heartfield sagte mehr als tausend kluge Worte, traf Leserinnen und Leser ins Hirn und ins Herz. Die Wucht seiner Bilder ist heute kaum vorstellbar.
Heartfield fotografierte, montierte und publizierte in einer Zeit, als die Bilderflut noch am Anfang stand. Der Rollendruck (Offset) war gerade erfunden worden, Zeitungen erzielten Millionenauflage. Die Reproduktion von Bildern – Fotografien oder Illustrationen – wurde technisch möglich. Farbdruck gewann an Glanz und Bedeutung. Kintopp machte sich auf den Weg, wenn auch Schwarz/Weiß und stumm.
Die Restauration des Militarismus
Unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg gründete John Heartfield gemeinsam mit George Grosz und seinem Bruder Wieland Herzfeld den Dadaismus. Diese Kunstrichtung wollte eigentlich das Ende aller Stile, Richtungen und Schubladen sein. Anti-Kunst schlechthin.
Denn alles, was bis zum Krieg als schön, künstlerisch oder intellektuell galt, wurde über den Haufen geworfen. Nicht durch die Dadaisten, sondern durch die Ereignisse an den Fronten. Tatsächlich vollzogen Grosz und Heartfield nur, was der Krieg bereits offengelegt hatte. Denn nach dem unvorstellbaren Grauen der Schlachtfelder war die bürgerliche Kunst de facto erledigt.
Dada stemmte sich gegen die Restaurierung des Militarismus. Mit den politischen Kämpfen seiner Zeit rückte Heartfield immer mehr nach links. Wie sein Bruder gehörte er zu den ersten Mitgliedern der Kommunistischen Partei in Deutschland. Der Pazifist wurde zum entschiedenen Gegner der Nazis – ihr Hass war ihm gewiss.
Versteckt am Däbersee
Das kleine Sommerhaus liegt ein bisschen versteckt am Waldrand, einen Steinwurf entfernt vom Däbersee. An den Wochenende werden Besucherinnen und Besucher durch den Förderverein (Freundeskreis John Heartfield) betreut. Man kann es besichtigen – und beim Besuch stellen sich interessante Parallelen ein.
Heartfield wollte sich nicht auf die private Attitüde vieler bürgerlicher Künstler zurückziehen, deshalb wurde er Kommunist, Agitator im besten Sinne des Wortes. Er gestaltete Buchcover für den Malik-Verlag, den er gemeinsam mit Wieland Herzfeld gegründet hatte.
Auf den Punkt gebracht
Für die Arbeiter Illustrierte Zeitung (AIZ) von Willi Münzenberg und das Parteiblatt der KPD (Die Rote Fahne) lieferte er berühmte Fotomontagen. Keiner hat die Verlogenheit und Brutalität Hitlers und seiner Schergen auf den Punkt gebracht wie er.
Seine Bildsprache wurde und wird überall auf der Welt verstanden, in jeder Kultur. Der Besuch in Waldsieversdorf holt Heartfield aus der verstaubten Schublade der Geschichte, zeigt, wie aktuell sein Werk bis heute ist. Denn Faschismus, Rassismus und Menschenverachtung sind längst nicht bewältigt. Im Gegenteil.
Eine Ikone der DDR
In der DDR wurde Heartfield zur Ikone erhoben. Seine Montagen fanden sich in den Büchern für den Geschichtsunterricht. Jedes Kind kannte zum Beispiel die grinsende Hyäne auf dem Schlachtfeld: Krieg und Leichen, die letzte Hoffnung der Reichen!
Legendär auch seine Deutung des Hitlergrußes: Millionen stehen hinter mir! Ein riesenhafter Kapitalist legt Geldscheine in die erhobene Hand Hitlers, der als Zwerg dargestellt ist. Damit wurde Heartfield gleichermaßen stilisiert wie verkürzt.
Im Dunstkreis von Willi Münzenberg
Dass er im Exil weiter gegen Hitler kämpfte und 1950 in die DDR zurückkehrte, wurde nicht erwähnt. Er gehörte zum Kreis um Bert Brecht, der am Deutschen Theater und am Berliner Ensemble inszenierte. Heartfield schuf seinerzeit viel beachtete Theaterplakate.
Auf die große politische Bühne kehrte er mit seinen Arbeiten nicht zurück. Zum einen wurde der Künstler zum Dunstkreis von Willi Münzenberg gerechnet. Der Medienmodul der KPD hatte sich nach den Schauprozessen in Moskau gegen Stalin gestellt.
Zweites Janusgesicht des Faschismus
Münzenberg erkannte, dass der rote Zar im Kreml nichts anderes war, als das zweite Janusgesicht des Faschismus, Bruder im Geiste Hitlers. Dafür zahlte Münzenberg mit seinem Leben, der sowjetische Geheimdienst hängte ihn auf.
Heartfield galt als Freund des neuen Russlands, viele seiner Arbeiten zeugen davon. Er verehrte Lenin, aber nirgends findet sich ein Lobgesang auf Stalin. Der eiserne Herrscher des sozialistischen Lagers kommt bei Heartfield überhaupt nicht vor.
Unter Beobachtung seiner Genossen
Das machte ihn verdächtig, deshalb war er Partei und Staat in Ostberlin suspekt. Unmittelbar nach seiner Einreise unterzogen sie ihn peinlichen Verhören, um Verbindungen zu Münzenberg oder Trotzki aufzuspüren. Wurde Heartfield in England als Enemy Alien zeitweise interveniert und überwacht, stand er nun unter Beobachtung durch eigene Genossen.
Erst nach langem Hin und Her und durch Unterstützung von Brecht und Stefan Heym wurde er in die Akademie der Künste aufgenommen. 1957 konnte er das Grundstück in Waldsieversdorf pachten, mit Blick durch die Bäume auf den glitzernden See. Zu dieser Zeit war Bert Brecht schon tot, das Berliner Ensemble wurde von Helene Weigel allein weiter geführt.
Jahrelanger Rechtsstreit
Regelmäßig kam Helmut Herzfeld auf das malerische Grundstück, fernab der lärmenden, stickigen Metropole. Seine Frau Gertrud (Tutti) legte einen Waldgarten an, ein einfaches Holzhaus wurde errichtet. Während der sommerlichen Theaterpause zog sich das Paar nach Waldsieversdorf zurück.
John Heartfield starb im April 1968. Sein Grab befindet sich auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof in Berlin, unweit der Grabstelle von Brecht und Weigel. Tutti überlebte ihn bis Dezember 1983.
Danach ging die Immobilie mit dem Erbe an die Akademie über, deren Mitarbeiter hier die Sommerferien verbrachten. Nach der Wende dauerte es etliche Jahre, bis Besitzansprüche geklärt und das Grundstück der Gemeinde übertragen wurde.
Kleinod in der Märkischen Schweiz
Es ist der Beharrlichkeit der Gemeinde und eines kleinen Freundeskreises zu verdanken, dass Heartfields Sommerhaus weitgehend im Original erhalten wurde und heute zugänglich ist. Wie das Brecht-Weigel-Haus in Buckow oder das Robert-Havemann-Haus in Grünheide gehört Heartfields Sommerhaus zu den versteckten Kostbarkeiten Brandenburgs – immer einen Besuch wert.
Hier treffen Kunstgeschichte und Zeitgeschichte zusammen, werden lebendig, bleiben lebendig. Heartfields Kunst, seine Weltsicht und Weitsicht sind zeitlos gültig. Denn erneut greifen Hass und Ausgrenzung um sich. Der Kampf, dem er sich verschrieb, ist längst nicht zu Ende.
Website des Freundeskreises John Heartfield in Waldsieversdorf.
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