
Das Bauhaus ist übers ganze Jahr sehr gut besucht. © H.S. Eglund Diese Brücke verbindet die akademischen Räume und die Bühne (rechts) mit den Werkstätten (linker Flügel). © H.S. Eglund Die berühmte Bauhaus-Bühne von Oskar Schlemmer. Hier wird zur Jubiläumsfeier im September politische Prominenz erwartet. © H.S. Eglund Einige Meisterhäuser stehen Besucherinnen und Besuchern offen. © H.S. Eglund Die schlichte, klare Linienführung ist ein Bruch mit dem Pomp des wilhelminischen Zeitalters. © H.S. Eglund Meisterhaus, in dem die Lehrer der Kunstschule wohnten und arbeiteten. © H.S. Eglund Die Meisterhäuser stehen fast in der Flucht und bilden eine offene Siedlung. © H.S. Eglund Treppenhaus im Meisterhaus. © H.S. Eglund Große transparente Flächen sind ein Zeichen des modernen Baustils. © H.S. Eglund Interessantes Detail: Feingerippte Heizkörper aus Stahl und originales Fensterbrett. © H.S. Eglund Atelier im Haus des Grafikers Georg Muche. © H.S. Eglund Dieses Badezimmer im Meisterhaus Muche ist von beiden Seiten aus Schlafräumen erreichbar. © H.S. Eglund Auch im Innern wirken die Räume schlicht, fast karg. © H.S. Eglund Der Regen konnte die Besucherinnen und Besucher nicht abhalten. © H.S. Eglund
Hundert Jahre Bauhaus – mehr als blanke Fassaden
In diesem Jahr feiert die Attraktion von Dessau ihr Jubiläum. Nur wenige fruchtbare Jahre waren den Künstlern beschieden, bevor die Nazis dem kreativen Treiben ein Ende setzten. Zum Glück haben Bauten und Ideen die Zeit überdauert.
Dessau ist eigentlich ein Zwilling, an der Elbe gelegen: Mit Roßlau am anderen Ufer bildet die Stadt eine Einheit, verwaltungstechnisch. Bahntechnisch hat Dessau den Vorteil, dass es an den R7 von Berlin angebunden ist. Zwei Stunden vom Alexanderplatz, und man ist am Bauhaus. Guckst Du, was?
Avantgarde und Legende
Das Vierteil der früheren Kunstschule erstreckt sich unmittelbar hinter dem Dessauer Bahnhof, gut zu Fuß erreichbar. Dort waren bekannte Künstler wie Walter Gropius, Oskar Schlemmer, Lyonel Feininger, Paul Klee oder Wladimir Kandinsky gehören heute zur Avantgarde der klassischen Moderne. Das Bauhaus ist ihre Legende.
Das kann man nachlesen, im Internet, in Bibliotheken, manchmal pfeifen es die Spatzen von den Dächern. Uns interessiert der lebendige Ort, konservierte Geschichte in der real existierenden Moderne. Am Tag des Besuchs regnet es. Beste Voraussetzungen, sich auf die Socken zu machen.
Besonders grau und öde
Denn im Regen wirken die gläsernen Fassaden der Bauten besonders grau und öde. Die weiß getünchten Mauern und Wände sehen aus wie schmutziger Schnee, also hellgrau und öde. Im Innern sind die Gebäude in kleine Räume unterteilt; viele kleine Räume mit vielen Türen und Treppchen.
Eigentlich ist man immer damit befasst, eine Tür zu öffnen, um eine andere zu schließen. Die Meisterhäuser hinter dem Ensemble der Kunstschule wirken eng und kalt. Weil die Verglasung im Original erhalten wurde, sind moderne Zweischeiben- oder Dreischeibenfenster unbekannt. Ausheizen kann man die Räume nicht, so dringt das nasskalte Gefühl von draußen durch alle Ritzen.
Wohnkomfort und Energieverbrauch sind von gestern
Zum Glück wohnt niemand mehr regelmäßig in den Meisterhäusern, lediglich zeitweise halten sich dort Künstlerinnen und Künstler zur Residenz auf. So gesehen, sind es eher Sommerhäuser, nach modernen Maßstäben – was Raumkomfort und Energieverbrauch betrifft – überholt.
Doch das ist kein Problem, denn die Gebäude sind ein Museum, ein lebendiges Museum mit Freigelände, das die Meisterhäuser einschließt. Sogar die Trinkhalle von Martin Gropius steht noch, dort gibt es wunderbaren Kaffee und herrlichen Kuchen – und Schutz gegen Regengüsse.
Museum der Kreativität
Die Schilderung der Eindrücke soll klären: Die Gebäude an sich sind leere Hüllen, architektonisch eher langweilig. Aber sie stehen für ein kreatives Konzept, das weit mehr bedeutete als Entwurf und Architektur. Zahlreiche Werkstätten brachten Bauwerk und Handwerk zusammen, brachten eine völlig neue Formsprache in die Welt.
Wenn man diesen Aspekt nicht außer Acht lässt, wird der Besuch im Bauhaus eine besondere Zeitreise. Es wird klar, warum der dumpfe Dogmatismus der Nazis am kosmopolitischen Treiben der Künstlergemeinde und ihrer Studentenschaft scheiterte, scheitern musste.
Erstes Bauhaus in Weimar
Walter Gropius hatte die Kunstschule schon 1919 in Weimar gegründet, unmittelbar nach und unter dem Eindruck der revolutionären Ereignisse, die damals ganz Deutschland erbeben ließen. Bis 1925 durfte das erste Bauhaus in Thüringen seine Konzepte erproben.
Dann wurde der politische Druck zu groß, denn die Nazis erhielten schon Mitte der Zwanziger Jahre in Thüringen die Oberhand. Wem sich Parallelen zur AfD heute aufdrängen, liegt nicht ganz falsch.
Asyl in Dessau
Gropius und die Künstlerkolonie wurden vertrieben, fanden aber Asyl in Dessau, das sich der Kunstschule als neue Heimat anbot. Dort entstanden die prägenden Bauten, die man heute mit Bauhaus assoziiert. Doch 1932 hatten sich die Nazis auch in Dessau breit gemacht.
Noch ein Jahr lang versuchte Gropius den Neuanfang in Berlin, bis die braune Flut die Künstlerinnen und Künstler ins Exil vertrieben. Zum Glück konnten die Nazis ihre Pläne, das Bauhaus dem Erdboden gleichzumachen, nicht verwirklichen.
Bewahrung in der DDR
Und zum Glück hat die DDR trotz der schmalen wirtschaftlichen Mittel das Ensemble bewahrt. Zwar wurden Kompromisse in Kauf genommen. So wurde zum Beispiel die berühmte Fassade des Bauhauses mit Fensterglas und Aluminiumrahmen instandgesetzt. Das Original bestand aus teurem Kristallglas und Stahlstrukturen.
Nach der Wende wurde das Bauhaus ins Weltkulturerbe der Unesco aufgenommen. Das half, um dem historischen Ensemble – und seinen Ideen – zu neuem Glanz aufzupolieren. Denn Geschichte bleibt nur lebendig, wenn sich Menschen dafür interessieren.
Besucherstrom reißt nicht ab
Trotz des Regens riss der Besucherstrom nicht ab. Kolonnen von Neugierigen stolperten zwischen den Meisterhäusern umher, unter bunten Plastikschirmen wie wandelnde Pilze. Beim Gespräch im Foyer der Kunstschule stellt sich heraus, dass die Besucherinnen und Besucher meist sehr gut informiert sind.
Denn das Bauhaus – vor 100 Jahren in Dessau ansässig geworden – hat trotz Vertreibung und Exil, oder deshalb? – weltweit ausgestrahlt. Die Architektur hat sich daran orientiert, von den Wolkenkratzern New Yorks bis zur Gropius-Stadt in Berlin.
Aufbruch und Brennpunkt
Die Verbindung von Bauwerk und Handwerk hatte hingegen wenig Bestand, musste der Industrialisierung weichen. So wirkte der Aufbruch, bis seine schöpferische Energie aufgebraucht war. Die Massensiedlung in Neukölln, faktisch das letzte große Werk von Walter Gropius ist heute ein sozialer Brennpunkt.
Dort lebt eigentlich nur, wer es nicht schafft, anderweitig unterzukommen. Die Neubauten der DDR, als Platte treffend beschrieben, gehören gleichfalls zum Erbe vom Bauhaus. Doch der Gegensatz fällt ins Auge, wenn man durch die Siedlung in Dessau streift: Die Meisterhäuser wirken leicht und luftig. Licht spielt eine wesentliche Rolle, das erkennt man im Innern und an den geometrischen Linien.
Kreativität tanken
Das Bauhaus war ein Experiment, ein Versuch, Kunst und Handwerk neu zu denken und zu leben. Nicht wilhelminischer Pomp, sondern schlichte Einfachheit, nicht Paläste für reiche Eliten sondern Häuser für Jedermann – Bauhaus war revolutionär, ein Kind der Revolution.
Deshalb fällt die Wahl sehr leicht: Entweder Stadtschloss in Berlin oder Bauhaus in Dessau. Ganz klar: Bauhaus. Auch wenn sich manche Hoffnung nicht erfüllte, in der Rückschau von 100 Jahren.
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