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H. S. Eglund

Schriftsteller • Writer • Publizist

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© Constantin
  • Cover des Romans von Felix Lobrecht. © Ullstein
Mittwoch, 10. Mai 2023

Sonne und Beton: Beat Street am Rand von Neukölln

Jugend im Gropiuskiez: Ein packender Streifen über falsche Klischees und echte Menschen, die haarscharf an ihren Chancen vorbei schrammen. Ist das noch Berlin oder schon Brandenburg? Nominiert für den Deutschen Filmpreis in vier Kategorien.

Ghetto im Süden von Berlin: Die Gropiusstadt ist das Mahnmal eines gewaltigen Irrtums, betonierte Randzone, wo die Abgedrängten stranden. Rund 18.500 Wohnungen in glatten, tristen Blocks markieren das Marzahn von Westberlin. Mit noch weniger Grün als die bleichen Satellitenviertel am Ostrand der Stadt. Dort leben knapp 40.000 Menschen.

Sozialer Wohnungsbau: Käfige für Menschen

Beton, Beton und manchmal gnadenlose Sonne: Im Herbst und im Winter drückt das Grau der Fassaden auf die Seele. Im Sommer treibt barbarische Hitze den Schweiß aus allen Poren. Schatten ist rar. Nachts glimmt das Häusermeer wie die Menschenkäfige, die asiatischen Megastädten vorgelagert sind, in Hongkong, Shanghai oder Singapur.

Sozialer Wohnraum sollte entstehen, als im November 1962 der Grundstein gelegt wurde. Bauhaus-Gründer Walter Gropius wurde berufen, das neue Wohngebiet auf den Äckern vor Neukölln zu planen und aus dem Boden zu stampfen.

Euphemismus für Armut, Elend und Gewalt

Sechs Jahrzehnte später offenbart sich der brutale Irrtum, der hinter der Idee vom industriell gefertigten Wohnraum steckt: Das Ghetto gilt als sozialer Brennpunkt – ein Euphemismus für Armut, Elend und Gewalt.

Sonne und Beton lautet der Titel eines launischen Jugendbuchs, das in Gropiusstadt angelegt ist und die erbärmlichen Verhältnisse ziemlich unverblümt schildert. Kinder vom Bahnhof Zoo nach Neukölln verlegt. Oder Belafontes Beat Street, oder Deprisa, deprisa von Carlos Saura – mitten im Problemkiez unserer Tage, unserer Stadt.

Computer klauen, um Kasse zu machen

Sonne und Beton heißt auch die Verfilmung, die in diesem Jahr auf der Berlinale gezeigt wurde und seitdem in ausgewählten Kinos läuft. Der Plot, im Film wie im Buch: Vier Halbstarke klauen die nagelneuen Computer aus ihrer Schule, um endlich zu Kohle zu kommen.

Die Handlung spielt vor zwanzig Jahren, könnte aber ebenso gut heute angesiedelt sein. Die Computer wären ein bisschen moderner, alle Leute hätten Smartphones, ansonsten das gleiche Lied.

Schiffbrüchige, am Stadtrand gestrandet

Denn darum geht es: Um das gleiche, alte Lied von Menschen, die sprichwörtlich an den Rand dieser Stadt gespült wurden. In Gropiusstadt wohnt niemand freiwillig, dort stranden Schiffbrüchige. Dort ist Endstation, und das wissen sie. Dennoch ist es Heimat, geliebt und gehasst zugleich.

Berlin dünkt sich gern kreativ, politisch, queer und sonst was. Raue Realitäten wie in der Gropiusstadt stören diese Selbstgerechtigkeit. In Gropiusstadt (wie in Marzahn) trifft die gehobene Mittelklasse auf den gehobenen Mittelfinger einer Schicht, die sich durch gnadenlosen Alltag kämpft: in den Familien, im Wohnblock, in der Schule, in einem oder mehreren Jobs, im Park, im Supermarkt, in der Kneipe oder der Klinik.

Jenseits der unsichtbaren Mauer

Gropiusstadt liegt jenseits des sozialen Rings, der die wohlhabende Mitte unsichtbar von den äußeren Bezirken trennt. Aus den Augen, aus dem Sinn: Die Juppies von Mitte, Kreuzberg, Friedrichshain und Pankow vergessen gern, dass ein erheblicher Teil der Bevölkerung in dieser ach so angesagten Stadt genauso lebt, leben muss. Für die betuchten Rentner von Charlottenburg oder die Villenbesitzer in Wannsee leben in Gropiusstadt ohnehin nur Kriminelle.

Es ist der Verdienst des Buches und des Films, diese unangenehme Tatsache ungeschminkt vor Augen zu führen. Das ist brutal und ernüchternd zugleich, vor allem aber: echt. So echt, wie Kino nur sein kann.

Kein Wunder, dass der Streifen gleich viermal für den Deutschen Filmpreis 2023 nominiert wurde: für den besten Spielfilm, das beste Drehbuch, den besten Schnitt und die beste Tongestaltung. Nur zwei Filme wurden in mehr Kategorien nominiert: Oscar-Gewinner Im Westen nichts Neues und Das Lehrerzimmer.

Immer ist es mörderisch heiß

Manchmal ist es rührend, komisch und von herzzerreißender Naivität. Manchmal tobt nackte Gewalt über die Leinwand, frappierend bis unter den Skalp. In manchen Szenen springt Hilflosigkeit aus den Gesichtern.

Und immer ist es heiß, mörderisch heiß, sogar nachts. Alle schwitzen, keuchen und kämpfen. Für gesunde Distanz ist kein Raum. Alles drängt sich in der betonierten, überhitzten Wüste, zwischen hellhörigen Wänden, zwischen glühenden Schluchten aus Glas und Stein.

Endlich mal richtige Menschen

Endlich mal richtige Menschen auf der Leinwand: Das war mein Fazit, als ich den Kinosaal der Tilsiter Lichtspiele verließ. Regisseur David Wnendt hatte für die Besetzung der vier wichtigsten Rollen Tausende Jugendliche gecastet. Er brachte Laien vor die Kamera, die frisch und unverstellt agierten.

Gestandene Schauspielerinnen und Schauspieler traten als Eltern oder Lehrer oder andere hilflose Akteure in Erscheinung. Jörg Hartmann als Vater von Lukas oder Franziska Wulf als Mutter von Sanchez boten berührende Gegenpole zwischen Überforderung, Realitätsverweigerung und grenzenloser Liebe.

Eine eindrucksvolle Ohrfeige

Eindrucksvoll die schwungvolle Ohrfeige, die Gaby ihrem Sanchez zwischen die Löffel knallt. Um ihn sogleich in ihre Arme zu schließen. Kleine Szenen, großes Kino: Viel Mut, viel Gewalt und viel Verzweiflung. Und viel Liebe – zwischen Bildern, Zeilen, Augen.

Kein gutes Ende, kein böses Ende, am Schluss bleibt alles in der Schwebe. Ein offenes Fazit, nicht ohne Hoffnung, nicht ohne Schmunzeln. Vier Freunde, die verschiedener nicht sein könnten, werden erwachsen.

Einen Sommer lang waren wir ihnen nah, sehr nah, waren mit ihnen unterwegs, im Guten wie im Schlechten. Was bleibt? Ein neuer Film über Berlin? Nee Koile, nee Atze, ein Film über seine Problemzone im Süden. So weit entfernt, dass ich in dreißig Jahren noch nicht dort gewesen bin. Außer einmal: neulich im Kino.

Offizieller Trailer auf Youtube

Der Roman bei Ullstein.

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© Conny Vischer
  • Conny Vischer vom ViCON-Verlag präsentierte die Neuheiten. © H.S. Eglund
  • Die Lesung fand m Rahmen des Lesefestes Leipzig liest statt. © H.S. Eglund
  • Einerseits war der Ansturm erfreulich. Andererseits gab es kaum Möglichkeiten zum Gespräch. © H.S. Eglund
  • Das Gedränge an den Messeständen war enorm. © H.S. Eglund
  • Die Bücherberge schrumpften schnell. © H.S. Eglund
  • Man darf gespannt sein, wie sich die Verlage im kommenden Jahr in Leipzig präsentieren. © H.S. Eglund
Montag, 1. Mai 2023

Nomaden von Laetoli: Eglund las in der Budde-Villa aus seinem Roman

Die Leipziger Buchmesse hat eine positive Bilanz gezogen. Die Messe und das umfangreiche Programm Leipzig liest erfreuten sich regen Besuchs. Auch die Lesung von H.S. Eglund in der Budde-Villa in Gohlis wurde ein rundum gelungener Abend.

Ursprünglich sollte der Roman Nomaden von Laetoli bereits 2021 zur Leipziger Buchmesse vorgestellt werden, doch Corona machte der Premiere einen Strich durch die Rechnung. Auch 2022 fiel die Messe wegen der Pandemie aus.

Die verspätete Premiere wurde von Conny Vischer moderiert. Die Verlegerin des ViCON-Verlages war aus der Schweiz angereist, um Autor und Werk mit einfühlsamen Worten vorzustellen. Der mondäne Saal in der Budde-Villa am Gohliser Bahnhof war fast bis auf den letzten Platz gefüllt.

Verspätete Premiere in Leipzig

Nun also die Leipziger Premiere, Ende April 2023: Zwei Stunden lang entführten Conny Vischer und H.S. Eglund die Besucherinnen und Besucher nach Ostafrika. Denn Nomaden von Laetoli spielt im Osten Tansanias, in Äthiopien und auf Sansibar.

Im Roman wird die wissenschaftliche Neugier des jungen Forschers Martin Anderson auf eine harte Probe gestellt. Er folgt dem Ruf des alten Professors Aaron Miller, der steif und fest behauptet, dass er den ersten Frühmenschen von Laetoli – einer Frau, einem Mann und einem Kind – leibhaftig begegnet sei. Als der greise Kauz stirbt, macht sich Anderson auf eigene Faust auf den Weg, um das Geheimnis unserer Vorfahren zu ergründen.

Buchmesse 2023: Leipziger Publikum stürmt die Hallen

Bis zum Ufer des Indischen Ozeans

Von Laetoli nach Axum und Jambiani: Andersons Suche führt ihn bis an die Ufer des Indischen Ozeans. Und dorthin führte auch Eglunds Lesung. Am Ende der stimmungsvollen Veranstaltung fanden sich Gäste und Autor im angeregten Gespräch.

So zeigte die Lesung im kleinen, was für die Buchmesse insgesamt galt: Sie brachte interessierte Menschen zusammen – Leserinnen und Leser mit Autorinnen und Autoren, mit Verlegerinnen und Verlegern.

Immerhin rund 274.000 Besucherinnen und Besucher kamen in die Messehallen im Leipziger Norden oder nahmen am Lesefest Leipzig liest teil. Diese Zahlen nannte die Messegesellschaft nach Schließung der Tore am Sonntagabend.

Erstmals Buchverkauf an den Ständen

Rund 2.000 Aussteller aus 40 Ländern hatten sich vier Tage lang in den luftigen Glaskuppeln der Leipziger Messe präsentiert. In diesem Jahr war die Buchmesse kleiner als die Veranstaltungen vor Corona. So waren die Halle 1 und die Halle 5 nur zur Hälfte belegt. Größere Verlage wie Aufbau, Kiepenheuer & Witsch oder Dumont waren nur mit relativ kleinen Ständen präsent – vermutlich aus Vorsicht und Skepsis, ob das Publikum zurückkehrt.

Positiv wirkte sich aus, dass in diesem Jahr die Verlage an ihren Ständen von Beginn an Bücher verkaufen durften. Das war bislang nur der Messebuchhandlung vorbehalten. So bildeten sich lange Schlangen an den Kassen. Einige Verlage waren vom Ansturm überrascht, ihnen drohten die Bücher auszugehen.

Andererseits waren die meisten Messestände eigentlich nicht für den Verkauf und lange Warteschlangen konzipiert. Wer sich nur über Neuheiten informieren, schmökern oder mit Standpersonal ins Gespräch kommen wollte, hatte kaum eine Chance. Es bleibt zu hoffen, dass die Verlage im nächsten Jahr ihre Präsentationen großzügiger planen, um Gedränge zu vermeiden.

Nähere Informationen zur Budde-Villa:
Budde-Haus Soziokulturelles Zentrum Leipzig-Gohlis

Der Roman im ViCON-Verlag

© H.S. Eglund
  • Kurz nach zehn Uhr bilden sich vorm Eingang dicke Trauben. © H.S. Eglund
  • Dirigent an der Straßenbahn: Die Leipziger Verkehrsbetriebe schicken ihre Trams alle fünf Minuten zum Messegelände. © H.S. Eglund
  • Völlig überfüllte S-Bahn am Freitagmorgen. © H.S. Eglund
Freitag, 28. April 2023

Buchmesse: Leipziger Publikum stürmt die Hallen

Nach drei Jahren Pandemiepause hat die Buchmesse in Leipzig wieder ihre Pforten geöffnet. Der Ansturm könnte kaum größer sein. Dabei sind der Donnerstag und der Freitag traditionell eher schwächer besuchte Tage.

Großartiger Auftakt zur Buchmesse in Leipzig: Das bücherdürstende Publikum hat die Messe vom Beginn am Donnerstagmorgen regelrecht gestürmt. Die S-Bahnen und Straßenbahnen zum Hallengelände im Leipziger Norden waren überfüllt, ebenso die Parkplätze. Rund 2.000 Aussteller erwarten die Gäste. Im Rahmen der Messe und des Lesefestes Leipzig liest finden rund 3.000 Veranstaltungen statt.

Neben der Buchmesse findet die Manga Convention statt, die zwei bunte Hallen füllt. Dort treffen sich vor allem fantasievoll verkleidete junge Leute. Die Cosplayer ahmen ihre Heldinnen und Helden aus Comics und Fantasy nach – mitunter eine Augenweide.

Strom der Besucher reißt nicht ab

Traditionell sind der Donnerstag und der Freitag eher schwächer besuchte Tage, in erster Linie kommt Fachpublikum. Erst ab Freitagnachmittag kommen normalerweise die Leserinnen und Leser zur Messe. In diesem Jahr war es anders: Von der Öffnung der Messetore am Morgen des Donnerstags riss der Strom der Besucher nicht ab.

Offenbar hat das Leipziger Publikum gehungert, denn die letzte Messe fand 2019 statt. Danach war Zwangspause aufgrund von Corona. Im vergangenen Jahr wurde nur eine sehr kleine Bücherschau veranstaltet. Nun geht es also wieder voll los, sicher eine gute Nachricht für die Buchbranche.

Das Publikum ist treu

Das Publikum ist treu, auch wenn die Branche von erheblichen Veränderungen gebeutelt wird. Der Buchverkauf ist bundesweit im Jahr 2022 um drei Prozent eingebrochen. Aufgrund der brutalen Gewerbemieten sterben überall die Buchhandlungen. In den Innenstädten dominieren eine Handvoll Ketten, die eigentlich nur noch Bestseller über die Ladentische reichen.

Zudem kämpft die Branche mit enorm steigenden Druckkosten, die sich allein 2022 ungefähr verdoppelt haben. Die Produktion von Papier und die Druckereien brauchen viel Energie, sodass die steigenden Energiepreise durchschlagen. Obendrein spielen digitale Formate eine wachsende Rolle, das gedruckte Buch verliert weiter an Boden.

Egal, es wird gelesen, auf welche Weise auch immer. In Leipzig ist die Hölle los, die Buchmesse kehrt glanzvoll zurück. So oder so, das sind gute Nachrichten.

Lesung von Eglund im Programm Leipzig liest

Am Sonnabend (29. April 2023) um 19 Uhr liest Eglund im Budde-Haus in Leipzig-Gohlis aus seinem Roman Nomaden von Laetoli.

Nähere Informationen zum Veranstaltungsort:
Budde-Haus Soziokulturelles Zentrum Leipzig-Gohlis

Flyer zum Merken und Versenden an Freunde und Bekannte

Der Roman im ViCON-Verlag

© Preussen Elektra/Mildred Klaus
Freitag, 14. April 2023

AKW: Das Aus ist erst der Anfang

Die Abschaltung der drei verbliebenen Atommeiler wird von Umweltverbänden bejubelt. Zu Recht, denn es ist ein wichtiger Tag für die Energiewende. Allerdings: Das Großreinemachen hat noch nicht einmal begonnen. Denn die Nuklide machen sich nicht einfach aus dem Staub.

Am Sonnabend, dem 15. April 2023, gehen die restlichen Atomkraftwerke in Deutschland vom Netz. In den Reaktoren in Isar 2 (Bayern), in Neckar-Westheim (Baden-Württemberg) und Emsland (Niedersachsen) fahren die Moderatorstäbe voll in die Bündel der Brennstäbe ein und bringen die Kettenreaktion zum Erliegen. Nach 60 Jahren ist Schluss mit der deutschen Atomkraft, die Apologeten gern als Kernkraft verharmlosen.

Mit der Abschaltung gehen rund 4,5 Gigawatt elektrische Leistung aus dem Netz. Man muss kein Prophet sein: Nirgends wird auch nur ein Lämpchen flackern. Denn die Bilanzen des Winters zeigen: Auch ohne Atomstrom wäre Deutschland gut durch die Energiekrise gekommen.

Fukushima – zwölf Jahre später

Ein erstaunliches Geschrei

Umso mehr erstaunt das Geschrei, das kurz vor Ultimo bei den Liberalen und der Union ertönt. „Die Abschaltung der weltweit modernsten und sichersten Atomkraftwerke in Deutschland ist ein dramatischer Irrtum, der für uns noch schmerzhafte ökonomische und ökologische Konsequenzen haben wird“, hetzt beispielsweise Wolfgang Kubicki (FDP) in der Presse.

Wir fragen: Welche dramatischer Irrtum treibt den Vizechef der Liberalen um, solchen Blödsinn zu erzählen? Zur Erinnerung: Der Atomausstieg wurde 2011 nach dem Reaktor-Gau von Fukushima beschlossen, von einer schwarz-gelben Koalition.

Fukushima im Roman Zen Solar von H.S. Eglund

Die teuerste Energieform überhaupt

Heute ist Atomstrom die teuerste Energieform überhaupt. Weltweit werden deshalb nur rund fünf Prozent des Strombedarfs aus Atomreaktoren gedeckt. Trotz blumiger Behauptungen von Politikern wie W.K. ist der Zubau neuer AKW eingebrochen und fast zum Stillstand gekommen.

Das hat Gründe, die Herr Kubicki in seiner selbstherrlichen Nonchalance nicht nennen will. Denn er gehört zu jenen Zynikern aus dem schwarz-gelben Lager, die ihr Ego pflegen, statt sich der Gesellschaft verpflichtet zu fühlen.

Budgets und Zeitpläne gesprengt

Allein der Blick auf Preise und Kosten müsste jeden halbgebildeten Laien überzeugen, dass es für die Atomkraft keine Zukunft gibt. Alle im vergangenen Jahrzehnt abgeschlossenen Bauvorhaben für neue Reaktoren haben das ursprünglich geplante Budget um das Drei- bis Vierfache gesprengt.

Die Verzögerungen beliefen sich auf zehn Jahre und mehr. Während dessen haben Windkraftwerke und Photovoltaik das Preisrennen gewonnen, und zwar mit deutlichem Abstand.

Noch schlimmer sieht es bei der Reparatur der alten Atommeiler aus. In Frankreich sind derzeit 26 AKW der ersten Generation abgeschaltet, weil sie mehr oder weniger Schrott sind.

Das ist ein sehr unangenehmes Thema für den neoliberalen Präsidenten im Elysee-Palast. In Belgien, in UK, in den USA, in China und erst recht in Russland sieht es ganz ähnlich aus.

Ausstieg zeugt von wirtschaftlichem Weitblick

Dass eine große Industrienation wie Deutschland aus der Atomkraft aussteigt, zeugt von ökonomischem Sachverstand. Es muss Schluss sein mit dieser riskanten und überteuerten Großtechnologie, die mit der Abschaltung längst nicht ausgestanden ist.

Kohlekraftwerke erzeugen kein Kohlendioxid mehr, wenn man sie abschaltet. Atomkraftwerke hingegen hinterlassen radioaktiven Schrott und verseuchte Flächen, deren Sanierung Unsummen verschluckt.

Man kann davon ausgehen, dass der Rückbau eines einzigen Atomreaktors mindestens eine Milliarde Euro frisst. Er dauert mindestens zehn, wenn nicht gar 20 Jahre. Darin ist die Endlagerung der strahlenden Überreste noch nicht eingerechnet.

Der Brennstoff strahlt und strahlt

Denn die Nuklide verschwinden nicht. Was einmal als Uranerz aus dem Berg geholt und zu Brennstäben (oder Atomsprengköpfen) angereichert wurde, strahlt tausende Jahre (Plutonium) oder Milliarden Jahre (Uran). Das Zeug verschwindet nicht einfach, wenn man die nuklearen Brennkammern abschaltet.

Nach Einschätzung des russischen Physikers Andrej Sacharow bedeutet jeder einzelne nukleare Zerfall eine potenzielle Mutation im Erbgut. Jahrzehntelang haben Mediziner die Alarmglocken geläutet, weil die Fälle von Krebs und Leukämie (Blutkrebs) im unmittelbaren Zusammenhang mit AKW oder militärischen Atomanlagen nach oben schnellen.

Besonders schmutziger Bergbau

Besonders schmutzig war und ist der Uranbergbau. Freilich, in Europa gibt es keine Minen mehr. Die Sanierung der ostdeutschen Wismut AG in Ostthüringen und im sächsischen Erzgebirge hat bislang zehn Milliarden Euro verschlungen. Die Wismut AG war nach dem Krieg bis 1990 einer der größten Uranlieferanten der Welt. Die radioaktiven Erze wurden ausschließlich in die UdSSR verschickt.

Die Sanierung hat das reiche Westdeutschland bezahlt. Die ehemaligen Urangruben in Tschechien (Böhmen) hingegen sind nur notdürftig gesichert. Herr Kubicki, gehen Sie rüber, schauen Sie sich den Mist an! Damit Sie wissen, wovon Sie sprechen!

Verseuchung riesiger Areale verschwiegen

Weltweit drücken die Hinterlassenschaften des Atomzeitalters auf die öffentlichen Budgets. Denn die Mär vom sauberen und preiswerten Atomstrom lässt sich nur aufrechterhalten, wenn man die Verseuchung riesiger Areale in Kanada, den USA, Australien, Kasachstan oder Afrika verschweigt.

In Nordamerika kämpfen vor allem indigene Stämme darum, für die Krebsopfer und den Verlust ihrer Lebensräume entschädigt zu werden. Das Land am Großen Bärensee (Port Radium) und am Lake Athabasca (Uranium City) in Kanada ist mittlerweile unbewohnbar, obwohl die Gruben seit Jahrzehnten aufgegeben sind.

Verstrahlte Flächen überall

In White Sands im US-Bundesstaat Neumexiko, wo die ersten Atombomben getestet und ihr Abwurf von Flugzeugen geübt wurde, warten tausende Krebskranke auf Anerkennung und finanziellen Ausgleich. Als Kinder hatten sie die Atompilze bewundert, waren für die Spektakel auf die Hügel der Nachbarschaft geklettert, um die Explosionen zu bestaunen.

Die erste Plutoniumfabrik der Welt in Hanford im US-Staat Washington wurde zwar notdürftig beräumt, ist seit ihrer Stilllegung jedoch weiträumig abgeriegelt. Die Russen mussten ihr früheres Atomtestgelände in Semipalatinsk aufgeben, weil die radioaktive Belastung selbst den Militärs zu gruselig wurde.

Ein neues Tschernobyl

Die größte russische Uranmine in Krasnokamensk (Rotstein) in Transbaikalien ist derart verstrahlt, dass die benachbarte Stadt der Bergarbeiter umgesiedelt werden muss. So etwas gab es vorher nur einmal: in Tschernobyl.

Eine der größten Uranminen der Welt liegt im kongolesischen Katanga, in Shinkolobwe. Dort wurde das Uranerz gefördert, aus dem die Bomben für Hiroshima und Nagasaki gefertigt wurden. 1960 wurde der Abbau eingestellt.

Danach zogen sich die Belgier aus dem Kongo zurück, gaben ihre Blutkolonie auf. Seitdem liegen die Gruben ungeschützt und offen, nicht einmal adäquat eingezäunt. Nebenan wird Kupfer gefördert, inmitten der radioaktiven Stäube.

Aus den Augen, aus dem Sinn

Die Atommächte haben ihre Propaganda darauf gestützt, dass die Uranminen in der Regel in fern abseits gelegenen Gebieten ausgebeutet wurden. Aus den Augen, aus dem Sinn. Nur im Erzgebirge war das anders.

Dort unterlag der Abbau strengster Geheimhaltung, wurde mit dem unverfänglichen Element Wismut getarnt. Genützt hat es nichts: Die Subventionen, die in den ruinösen Uranbergbau flossen, haben die Wirtschaft der DDR über Jahrzehnte ausgehöhlt und untergraben.

Zehn Milliarden für den strahlenden Dreck

Immerhin: Zehn Milliarden Euro hat das vereinigte Deutschland berappt, um den strahlenden Dreck zumindest so zu versiegeln, dass sich weiterer Schaden in Grenzen hält. Der weltweit einzigartige Sanierungsfall hat deutschen Unternehmen hohe Kompetenzen und Erfahrungen im Rückbaugeschäft beschert.

Anstatt auf alte Atommeiler zu pochen, sollte Herr Kubicki lieber fordern, diesen deutschen Spezialunternehmen für nuklearen Rückbau bei der Internationalisierung ihres Geschäfts zu helfen. Das wäre ökonomisch weitblickend, ein echter Gewinn aus der Wiedervereinigung.

Irgendwer muss die Rechnung zahlen

Denn irgendwer muss die Rechnung bezahlen, überall auf der Welt. Je länger die Staaten damit warten, desto mehr spaltbares Material, desto mehr Atomschrott fällt an, desto höher steigt die Verseuchung von Flächen und Gewässern.

Der Rückbau der nuklearen Altlasten wird über kurz oder lang ein riesiges Geschäft, vermutlich ebenso groß wie der Bau der AKW und die einstige Erschließung der Urangruben. Das ist eine Chance für deutsche Unternehmen, die technologisch und logistisch die Nase vorn haben.

Ein großer Tag für die Wirtschaftsnation

Fürwahr: Die Abschaltung der letzten drei Atommeiler in Deutschland ist ein großer Tag für die Umweltbewegung. Es ist auch ein großer Tag für die Wirtschaftsnation Deutschland, die einmal mehr ihre Innovationskraft unter Beweis stellt und sich neue Felder erschließt.

Der Kampf gegen die selbstmörderische Technologie ist damit jedoch nicht vorbei, auch in Deutschland nicht. Ein Beispiel: Die französische Firma ANF (Framatome) und Russlands Staatskonzern Rosatom wollen im Emsland neue Brennstäbe für alte Atomkraftwerke russischer Bauart produzieren.

Darf Rosatom in Lingen neue Brennstäbe bauen?

Tatsächlich ging ein entsprechender Antrag beim niedersächsischen Umweltministerium ein. Ungeachtet der Schweinereien im Krieg gegen die Ukraine, ungeachtet des Schachers um Tschernobyl oder das AKW in Saporoshija sollen in Lingen sechseckige Brennelemente entstehen, die in alten russischen Meilern in Osteuropa verstrahlt werden.

Eine unsägliche Frechheit, denn russische Atomfirmen stehen auf der Sanktionsliste der EU und der Vereinigten Staaten. Noch wurde der Deal nicht genehmigt. Dem Vernehmen nach sei aber ein russisches Schiff nach Rotterdam unterwegs, um Uranpellets anzulanden.

Deshalb demonstrieren in Lingen am ehemaligen AKW und vor der Brennelementefabrik die Gegner des Vorhabens. Die Abschaltung der letzten drei Atomreaktoren in Deutschland ist ein Meilenstein. Das Ende der Atomkraft ist es noch nicht, noch lange nicht.

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Der Roman Zen Solar von H.S. Eglund

© US Navy
Samstag, 11. März 2023

Fukushima – zwölf Jahre später

Im März 2011 schmolzen im Atomkraftwerk Daiichi zwei Reaktoren. Zwölf Jahre später wird deutlich, wie zäh die Atomlobby die riskante Technologie verteidigt. Trotz Krieg in der Ukraine und enormer Kosten für den Rückbau wird an einer Renaissance gewerkelt. Denn noch immer sind Atomkonzerne und Politik aufs Engste verwoben.

Tokio in lähmender Dunkelheit: Als ich zwei Wochen nach der Reaktorschmelze auf dem riesigen Flugfeld von Haneda landete, thronte der schneebedeckte Kegel des Fuji-San über einer düsteren Wüste aus Stein und Beton. Strom wurde rationiert. Um Elektrizität zu sparen, versank die 30-Millionen-Metropole nach der Dämmerung in Finsternis.

Kein guter Ort für einen längeren Aufenthalt. Denn die Nuklide aus den Reaktoren von Fukushima bildeten eine Wolke, die bis nach Tokio schwebte. Ich nahm den nächsten Flug nach Süden, nach Miyazaki. Dort besuchte ich eine moderne Modulfabrik von Solar Frontier. Auch auf dem Rückflug vermied ich es, mich länger als notwendig in Tokio aufzuhalten.

Fukushima im Roman Zen Solar von H.S. Eglund

An der Sicherheit gespart

Der Tsunami war schuld, das Seebeben die Ursache? Nach und nach stellte sich heraus, dass die Katastrophe von Daiichi auf menschliches Verschulden zurückzuführen war. Es hatte Warnungen gegeben, ein Atomkraftwerk so nah an der Küste zu bauen. Es hatte Abstriche gegeben bei den Sicherheitspumpen und den Schutzwällen gegen das Meer. Um das Budget des gigantischen Kraftwerks irgendwie im Rahmen zu halten, wurde an der Sicherheit gespart.

An einer Küste, die seit Menschengedenken bebt und von Tsunamis heimgesucht wird. Nicht das Meer war schuld, als der Tsunami am 11. März 2011 die Flutmauern überrollte und die Pumpen für die Notkühlung der Reaktoren unter Wasser setzte. Das Management des Kraftwerksbetreibers Tepco musste sich diesen Hut aufsetzen, ebenso die Genehmigungsbehörden. Alle hatten fahrlässig gehandelt. Wird schon gutgehen, lautete die Devise – sie wurde abgestraft.

Die Atomlobby formiert sich neu

Auch ein Dutzend Jahre später ist überhaupt nichts gut. Okay, Deutschland hat den Atomausstieg beschlossen. Doch wider besseren Wissens laufen Reaktoren, die hierzulande kein Mensch mehr braucht. FDP und Unionsparteien hören nicht auf, im Hintergrund an einer Renaissance der Atommeiler zu basteln. Deshalb ist das endgültige Aus der verbliebenen Reaktoren in diesem Frühjahr das Gebot der Stunde.

Denn die Atomlobby formiert sich neu, dieses Mal unter dem Deckmantel der Klimakrise. Europas wichtigste Atommächte sind Russland und Frankreich. In beiden Staaten ist die Nuklearwirtschaft aufs Engste mit der Politik verflochten.

Ruinen und halbe Wracks

Frankreich nutzt seinen Einfluss in Brüssel, um Investitionen in Atomkraft mit möglichst billigen Krediten abzusichern. Wohl wissend, dass es aus wirtschaftlichen Gründen keine Rückkehr zur atomaren Stromversorgung geben wird. Die Hälfte der französischen Meiler sind Ruinen, die andere Hälfte halbe Wracks.

Erst kürzlich wurden erhebliche Risse am dritten Reaktor des Atommeilers in Cattenom in Lothringen entdeckt. Die Rohre waren verbraucht. Der zweite Reaktor ist bereits abgeschaltet, vorsorglich sollen dort alle Rohre ersetzt werden.

Bislang größter Korrosionsschaden

Im nordfranzösischen Atomkraftwerk Pleny wurde ein ungewöhnlich langer und tiefer Riss in einem Leitungsrohr entdeckt. Es ist der bislang größte Korrosionsschaden in einem französischen Atomreaktor. Damit setzt sich die Pannenserie fort. Der Atompark der Grande Nation altert und schwächelt, die Stromproduktion sinkt.

Dieser Trend hat Konsequenzen: Der staatliche Energiekonzern EDF steht vor der Pleite, der Elysee-Palast muss den angeschlagenen Konzern stützen. Das wiederum bringt die Staatsfinanzen in Schieflage. Der Versuch, die Kosten auf die Gesellschaft abzuwälzen, trifft auf den Widerstand der Straße.

Die sozialen Folgen des Verfalls

Dass die französische Regierung das Rentenalter heraufsetzen will, reißt die Franzosen auf unliebsame Weise aus einer langen Selbsttäuschung. Solange die Atomindustrie spurte und keine Probleme bereitete, warf die EDF enorme Gewinne ab. Damit finanzierte der Elysee-Palast zum Beispiel die großzügigen Staatsrenten für seine Bediensteten.

Damit ist es nun vorbei. Irgendwann liegt die Rechnung auf dem Tisch. Dieser Zeitpunkt ist gekommen. Nach dem Jubel des atomaren Wunderglaubens der 1960er und 1970er Jahre folgt nun der Katzenjammer. Eine zweite Generation von Atomreaktoren in Frankreich wird es nicht geben. Es sei denn, auf Kosten der Sicherheit – wie in Tschernobyl, wie in Fukushima.

Leseprobe aus Zen Solar:
Der Tsunami erreicht Japans Küste (pdf)

Sechs neue Reaktoren für Pleny

So versprach Frankreichs Präsident Macron, noch während seiner Amtszeit den Grundstein für sechs neue Reaktoren in Pleny zu legen. Wenn sie jemals gebaut werden, sind sie bestenfalls ein Feigenblatt. Denn 26 der 56 französischen Atomkraftwerke sind derzeit für Wartungen und Reparaturen abgeschaltet.

Jeder Ingenieur weiß: Schäden durch Korrosion vergrößern sich, je länger ein Kraftwerk läuft. Um wenigstens das Notwendigste zu reparieren, ließ die EDF unlängst hundert Schweißer aus Amerika einfliegen, um die Risse zu flicken. Das kostet Milliarden, und Frankreich muss derzeit 15 Prozent seines Strombedarfs durch Importe decken – unter anderem mit Strom aus deutschen Kohlekraftwerken und Windparks.

Eine Sackgasse ohne Ausweg

Die Atomkraft ist in eine Sackgasse geraten, aus der sie nicht mehr entkommt. Denn längst werden die Strompreise von Windkraft und Solarenergie dominiert, stehen preiswerte Alternativen bereit. Umso schlimmer, dass Frankreichs Präsident Macron nichts unversucht lässt, der Renaissance der Atomkraft das Wort zu reden.

Mehr noch: Innerhalb der Europäischen Union versucht er, eine nukleare Allianz zu schmieden. Elf europäische Länder mit Frankreich an der Spitze haben Ende Februar eine Koalition zur Förderung der Atomenergie verabredet. Sie soll der desolaten französischen Atomwirtschaft neue Aufträge verschaffen.

Das strahlende Erbe der Wismut AG

Was Macron – und alle Apologeten der Atommeiler – gern verschweigt, sind die Folgekosten. Anders als Deutschland schert sich Frankreich keinen Deut um die enormen Verseuchungen, die der Uranabbau in Mali oder Namibia verursacht. Von Rückbau ist überhaupt nicht die Rede.

Dagegen Deutschland: Im Zuge der Wiedervereinigung übernahm die Bundesrepublik das strahlende Erbe der Wismut AG, die von 1945 bis 1990 in Sachsen und Thüringen nach Uranerz buddelte. Sie war einer der größten Produzenten von Erz, aus dem sich der nukleare Sprengstoff für Reaktoren und Bomben anreichern lässt – Uran und Plutonium. Geliefert wurde in die Sowjetunion.

Hörprobe aus Zen Solar:
Der Tsunami erreicht Japan (gelesen von Felix Würgler)

Zehn Milliarden Euro für den Rückbau der Gruben

Mittlerweile ist die Hinterlassenschaft weitgehend versiegelt und bereinigt. Knapp zehn Milliarden Euro hat Deutschland bislang ausgegeben, um die früheren Uranreviere in Ostdeutschland notdürftig zu sichern.

Der atomare Müll wurde in tiefe Schächte verklappt oder einfach abgedeckt und begrünt. Drei Jahrzehnte hat diese Mammutaufgabe gedauert. Das Monitoring ist zunächst bis 2050 gesichert und finanziert.

Eine Warnung an die Freunde der Atomkraft

Dieser einzigartige Sanierungsfall sollte den Freunden der Atomkraft eine Warnung sein. Denn in diesen Kosten ist der Rückbau der ostdeutschen Atomreaktoren russischer Bauart oder der westdeutschen Meiler nicht eingepreist.

Das kommt obenauf. Auch nicht eingepreist sind die wirtschaftlichen Verluste, die von der Wismut während des aktiven Bergbaus verursacht wurden. Denn die Sowjets nahmen das Erz zu Spottpreisen ab. Anders hätten sie ihr atomares Arsenal und die Meiler zwischen Saporoshija und Wladiwostok niemals finanzieren können.

Jedes Jahr hat die Wismut rund eine Dreiviertelmilliarde Ostmark Verlust gemacht, den Ostberlin ausgleichen musste. Sie war der wirtschaftliche Sargnagel für die kleine DDR. Heute wächst sich die Atomkraft zum Sargnagel der Staatsfinanzen in Frankreich, Russland, China oder den USA aus.

Purer Kolonialismus im Uranbergbau

Franzosen und Belgier beziehen den atomaren Brennstoff vornehmlich aus Gruben in Mali und Namibia. Dort leben und arbeiten die Menschen unter unwürdigen Bedingungen. Silikose und Krebs grassieren, die Kumpel sterben früh und die Folgekosten werden auf ohnehin arme Länder abgewälzt. Das ist purer Kolonialismus und eine der Ursachen für den anhaltenden Bürgerkrieg in Mali.

Das Gleiche gilt für die Urangruben in Kasachstan, aus denen sich die russische Atomwirtschaft bedient. Wie in Frankreich steht sie vor einem Scherbenhaufen. Die Wracks atomarer U-Boote verrotten in abgelegenen Fjorden am Eismeer und in Fernost. Das bekannte Atomtestgelände von Semipalatinsk musste geschlossen werden, weil sich sogar die Militärs vor der enormen radioaktiven Strahlung gruselten.

Der Mantel des Schweigens

Über die Krebsraten und radioaktive Lecks im Umfeld russischer Atomreaktoren legt sich ein Mantel des Schweigens. Von Rückbau oder Sanierung ist keine Rede, das würde die Staatsfinanzen des Kremls endgültig überfordern. Die kasachische Wüste wurde lediglich eingezäunt.

Am Friedhof der Atom-U-Boote warnen verwitterte Holzschilder vor der Gefahr von Verstrahlung. Wer protestiert, wandert ins Arbeitslager. Deshalb hat Putin den Gulag wiederbelebt, deshalb eifert er seinem Vorbild Stalin nach: Um Kritiker mundtot zu machen. Mehr als 25.000 Oppositionelle sind in den Gefängnissen Russlands verschwunden.

Alle Atommächte haben das gleiche Problem

Frankreich hat ein ähnliches Problem wie Russland – wie alle Atommächte. Die Atomwirtschaft ist ökonomisch am Ende. Irgendwann wird irgendwer den Franzosen reinen Wein einschenken, das ist in einer freien Gesellschaft unvermeidlich.

Autokratische Herrschaftssysteme wie in Russland oder China pflegen die Friedhofsruhe, um ihre enormen Probleme zu vertuschen. Gelöst sind sie damit nicht. Auch für Moskau und Peking gilt: Irgendwann kommt die Rechnung auf den Tisch, wird Zahltag anberaumt.

Das Wasser bis zum Hals

Dass der russischen Atomwirtschaft das Wasser bis zum Hals steht, ist kaum zu übersehen. Anders ist nicht zu erklären, warum sich die Russen eines der modernsten AKW in der Ukraine unter den Nagel gerissen und ans russische Stromnetz angeschlossen haben. Die sechs Reaktoren von Saporoschija wurden zum Kriegsziel erklärt – Beute für Putins ausgehöhlten Atommoloch.

In der Zukunft ist damit kein Staat zu machen. Dass die Atomkraft von der Bildfläche verschwindet und ihr nuklear verseuchter Atem erlischt, ist jedoch kein Selbstläufer. Noch halten ihre Apologeten die Mär vom sauberen Atomstrom aufrecht. Und genügend Enthirnte plappern diesen Unsinn gedankenlos nach.

Die Energiewende muss gelingen!

Nur wenn es Deutschland gelingt, seine Energieversorgung hundertprozentig erneuerbar zu gestalten, wird der Ruf nach neuen AKW verstummen. Wegen des Krieges in der Ukraine wurden bundesweit 14 ausrangierte Kohlekraftwerke neu angefahren. Schmutziges Erdgas aus Ölschiefer in den USA und flüssiges Gas der Scheichs wurden als kurzfristiger Ersatz beschafft.

Sie müssen möglichst schnell durch Windstrom, Solarstrom, Wasserkraft, Strom aus Biogas und Wasserstoff ersetzt werden. Dann, nur dann, werden sich wirklich saubere Alternativen weltweit durchsetzen.

Die Chance des Vorreiters

Es ist Deutschlands Chance, Vorreiter zu sein. Neue Industrien zu entwickeln, die zukunftsfähig sind. Konzepte, um unsere starke Wirtschaft im globalen Vergleich wettbewerbsfähig zu machen. Und damit als Volkswirtschaft handlungsfähig zu bleiben, um den Wohlstand für kommende Generationen zu sichern.

Three Mile Island (1979), Tschernobyl (1986), Fukushima (2011): Wollen wir hoffen, dass der Menschheit ein weiterer Reaktor-GAU erspart bleibt. Grüne Kraftwerkstechnologien sind vorhanden und wirtschaftlich machbar. Das ist ein echter Lichtblick: So sehr hat sich die Welt in den zurückliegenden zwölf Jahren verändert.

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Der Roman Zen Solar von H.S. Eglund

© H.S. Eglund
  • Die ehemalige Industriellenvilla wird heute als soziokulturelles Zentrum genutzt. © H.S. Eglund
  • Im Rahmen der Buchmesse wird Eglund aus seinem neuen Roman lesen. © H.S. Eglund
  • Der neue Roman von H.S. Eglund: Nomaden von Laetoli. © ViCON
Sonntag, 26. Februar 2023

Nomaden von Laetoli: Premiere am 29. April 2023 in Leipzig

Drei Jahre lang fiel die Buchmesse aus. Endlich findet sie wieder statt. Eglund stellt seinen neuen Roman Nomaden von Laetoli am 29. April 2023 im Budde-Haus in Gohlis vor. Ein verspätete Premiere mit Lesung und Diskussion. Die Veranstaltung ist kostenfrei.

Die Leipziger Premiere des neuen Romans Nomaden von Laetoli von H.S. Eglund findet am 29. April 2023 um 19 Uhr im Saal des Budde-Hauses statt. Die Kulturvilla befindet sich am Gohliser Bahnhof in der Lützowstraße 19 in 04157 Leipzig. Für Getränke ist gesorgt. Zur Anfahrt werden öffentliche Verkehrsmittel empfohlen. Der S-Bahnhof Gohlis befindet sich fünf Minuten zu Fuß entfernt.

Nähere Informationen zum Veranstaltungsort:
Budde-Haus Soziokulturelles Zentrum Leipzig-Gohlis

Flyer zum Merken und Versenden an Freunde und Bekannte

Der Roman im ViCON-Verlag

Blog & Website des Autors H.S. Eglund

© H.S. Eglund
Samstag, 4. Februar 2023

Ratgeber zum solaren Eigenstrom in dritter Auflage

Der bekannte Ratgeber aus dem VDE Verlag für private und Gewerbekunden erscheint vor Weihnachten in der dritten und aktualisierten Auflage. Das neue EEG wurde ebenso berücksichtigt, wie technische Trends und neue Geschäftsmodelle zur Versorgung mit solarem Eigenstrom.

Das Sachbuch Energie im Wohngebäude des VDE Verlags ermöglicht Leserinnen und Lesern den ganzheitlichen Zugang zum Wohngebäude und seiner Versorgung mit Strom, Wärme und Wasser. Sämtliche Prozesse, die energetisch im Wohnhaus eine Rolle spielen, werden auf ihre Notwendigkeit, Potenziale und Einsparmöglichkeiten untersucht.

Dazu analysiert und beschreibt Autor Heiko Schwarzburger ausführlich die Ressourcen von Gebäude und Umfeld – und wie sie sich für eine weitgehend autarke Versorgung nutzen lassen.

Verbrauch und Kosten senken

Im Blickpunkt stehen die Senkung des Energieverbrauchs und der Kosten, die Erzeugung und Bereitstellung von Energie aus erneuerbaren Quellen, die Energiespeicherung sowie der Abschied von Erdgas und Heizöl – betrachtet im Neubau und in der Modernisierung. Auch die Versorgung mit Wasser wird behandelt, sofern sie energetische Fragen berührt.

Der Autor weist auf Normen und Vorschriften hin und gibt praktische Hinweise für Planung und Installation, ergänzt durch eine Fülle an Bildmaterial. Das neue EEG 2023 ist in dieser aktualisierten und erweiterten Auflage berücksichtigt.

Auch als E-Book erhältlich

Das Werk wendet sich gezielt an Fachleute, die vor der Aufgabe stehen, ein Gebäude zu planen, zu modernisieren oder zu errichten, das eine zukunftsfähige, effiziente und kostensparende Versorgung mit Strom und Wärme realisiert. Das Buch ist auch als E-Book erhältlich.

Es ist beim Verlag unter der auf angegebenen Website oder mit der ISBN-Nummer in allen gut sortierten Buchhandlungen bestellbar. Fachbücher lassen sich als Fachliteratur steuerlich absetzen.

Schwarzburger, Heiko:
Energie im Wohngebäude: Strom • Wärme • E-Mobilität
3. erw. und überarb. Auflage, VDE Verlag 2022
Buch: ISBN 978-3-8007-5913-2
E-Book: ISBN 978-3-8007-5914-9
Preis: 42 Euro

Leseproben und Bestellungen

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© UKAEA
Sonntag, 29. Januar 2023

Atomkraft: Merz und Lindner spielen Hängepartie

Raus oder rein, oder Stand-by? Wenn es um die Zukunft der Atomkraft geht, verstecken sich die Unionsparteien und die FDP hinter nebulösen Floskeln. Bedenkenlos spielen sie mit nuklearen Risiken – zumindest gedanklich. Derweil fließen in Fukushima rund eine Million Tonnen radioaktives Abwasser ins Meer.

Der Rückbau des havarierten Reaktors in Fukushima wird Japan noch Jahrzehnte beschäftigen. Nun hat der Betreiber des Kraftwerks angekündigt, rund eine Million Tonnen radioaktiv verseuchter Abwässer ins Meer zu leiten.

Nachbargemeinden schlagen Alarm

Denn jeden Tag fallen etwa hundert Kubikmeter an, aus der Notkühlung des Unglücksmeilers. Ein Dutzend Jahre nach der Katastrophe reichen die Tanks in Fukushima nicht mehr aus, um das kontaminierte Wasser zu lagern.

Fischer und Nachbargemeinden schlagen Alarm, die Internationale Atomenergiebehörde (IAEO) in Wien wiegelt ab. Das Wasser sei durch Filter weitgehend von radioaktiven Nukliden befreit. Lediglich der Wert für Tritium liege über den erlaubten Grenzwerten.

Betreiber Tepco und IAEO wiegeln ab

Dass Betreiber Tepco und die IAEO abwiegeln, ist überhaupt nicht neu. Tepco hat unmittelbar nach dem verheerenden Tsunami und der schweren Explosion im März 2011 die Situation als unkritisch bezeichnet.

Nur langsam kam das Ausmaß der Schäden ans Licht. Und die IAEO ist bislang stets den Ereignissen hinterher gelaufen, ob in Three Mile Island (USA, 1979), in Tschernobyl (Sowjetukraine, 1986) oder Fukushima (Japan, 2011).

Seltsame Töne aus der Klausur

Auch CDU/CSU und FDP scheinen den Ereignissen hinterher zu hinken. CDU-Chef Friedrich Merz tönt auf der Klausurtagung seiner Partei, dass man zwar den Atomausstieg nicht in Frage stelle. Aber man wolle die Erforschung von „Kernenergie 2.0“ vorantreiben.

Aus der Chefetage der FDP wurde beim Dreikönigstreffen verlautbart, dass man den endgültigen Ausstieg aus der Atomkraft einer „Expertengruppe“ übertragen solle. Sie solle entscheiden, ob Deutschland wirklich aus der Verstromung von Uranbrennstäben aussteigt.

Die Sache ist längst entschieden

Wohlgemerkt: Es geht um die Abschaltung der letzten drei Reaktoren in Deutschland, die bereits entschieden ist. Ausnahmsweise dürfen sie bis ins Frühjahr weiterlaufen, um französische Versorgungslücken zu decken.

Denn die Hälfte der französischen Atommeiler wurde abgeschaltet, weil sie Schrotthaufen sind. Die andere Hälfte ist gleichfalls Schrott, darf oder muss aber weiterlaufen.

Weil der Elysee-Palast den Volksaufstand fürchtet, wenn man den Franzosen reinen Wein einschenkt. Wenn sich die Mär vom billigen Atomstrom als Milliardengrab für die Staatsfinanzen offenbart.

Der doppelzüngige Herr Merz

Die merkwürdige Ansage von Friedrich Merz zeigt, dass er weder die ökonomische Dimension des Atomausstiegs versteht, noch die soziale. Einerseits führt er den Ausstieg im Mund, zugleich ruft er nach der Erforschung neuer Atomtechnik.

Früher, also vor vielen Jahrzehnten, galt die CDU als Partei der Wirtschaft, als kompetent in ökonomischen Fragen. Friedrich Merz beweist, wie weit sich die Union davon entfernt hat. Es macht überhaupt keinen Sinn, neue Atomtechnik zu erforschen, wenn der Ausstieg beschlossen ist.

Es macht auch keinen Sinn, weiterhin an Motoren zu forschen, die Benzin oder Diesel verbrennen. Wenn feststeht, dass die Erzeugung von Kohlendioxid beendet wird, braucht dafür niemand mehr ein Budget. Mit der Atomkraft ist es genauso.

Atomforschung verschlingt den Löwenanteil

Noch macht die Atomforschung im Energieprogramm der Europäischen Union den Löwenanteil aus. Zur Kernspaltung laufen die Forschungen weiter. Auch der unsägliche Fusionsreaktor Iter wird weiter gebaut und erprobt.

Gelegentlich geistert das Thema durch die Medien, als Untote der Nuklearphysik. Unlängst jubelten amerikanische Forscher, dass bei der laserinduzierten Kernfusion ein Durchbruch geschafft sei.

Das war weder neu, noch hat es die Aussichten auf wirtschaftlich funktionierende Fusionskraftwerke verbessert. Einmal mehr wurde die Lüge verbreitet, dass solche Reaktoren keine Radioaktivität erzeugen, und so weiter.

Plumper Stimmenfang der Union

Die Fusionsforscher und Fritze Merz eint: Sie wollen mit dem Reizthema Energie punkten. Die einen brauchen (noch) größere Maschinen, Laboratorien und Forschungsbudgets. Die Union geht damit auf Stimmenfang.

Das ist so durchsichtig wie peinlich. Denn es offenbart, das wirtschaftliche und soziale Kompetenz der CDU und CSU – und der FDP – abhanden gekommen sind. Denn dass Deutschland aus der Atomkraft aussteigt, hat zuallererst wirtschaftliche Gründe. Daran ändern auch die steigenden Energiepreise durch den Krieg in der Ukraine nichts.

Rückbau verdoppelt die Kosten

Das Problem sind der Rückbau der kerntechnischen Anlagen und die Endlagerung des Atommülls, siehe Fukushima. Eine Million Tonnen radioaktive Abwässer ins Meer zu verklappen, ist für Tepco der einzige und billigste Weg, das strahlende Zeug loszuwerden.

Nur wenigen ist bekannt, wie teuer der Rückbau von Atomanlagen ist. Die Sanierung des Uranbergbaus in Sachsen und Thüringen hat in den vergangenen drei Jahrzehnten rund neun Milliarden Euro verschlungen. Umgerechnet auf die Tonne Uran, die aus dem Erzgebirge geholt wurde, verdoppeln sich die Kosten.

Endlagerung macht es noch teurer

Was für den Bergbau gilt, gilt auch für Kraftwerke. Soll heißen: Um den Rückbau zu finanzieren, müssten die Betreiber für jede Kilowattstunde Atomstrom den Kundenpreis als Rücklage bilden. Sofort fällt ins Auge, dass auf diese Weise überhaupt kein Gewinn zu machen ist.

Dabei ist die Endlagerung des Atommülls noch nicht eingepreist. Lediglich für den Rückbau der bestehenden Anlagen und Lager für abgebrannte Brennstäbe oder radioaktiv kontaminierten Schutt oder Schrott gibt es belastbare Erfahrungswerte.

In Sachsen und Thüringen wurden die radioaktiven Halden in die Gruben verfüllt, strahlender Schrott in aufgelassene Schächte gekippt: Deckel drauf und aus der Traum! Doch wohin mit den Brennstäben? Mit den strahlenden Materialien aus dem Reaktor? Tepco bleibt die Antwort schuldig, was mit den strahlenden Rückständen aus den Filtern geschieht.

Ein regelrechter Cocktail

Einmal aus dem Berg geholt, strahlen die Nuklide so lange, wie es die Halbwertszeit bestimmt. Das Isotop Uran-235 braucht 700 Millionen Jahre, U-238 gar viereinhalb Milliarden Jahre, bis die Hälfte der strahlenden Masse zerfallen ist.

Plutonium, das aus Uran-238 gewonnen wird, hat eine Halbwertszeit von 24.000 Jahren. Daneben fallen Strontium, Zäsium, Jod oder radioaktives Kalium an. Die Atomkraft hinterlässt einen regelrechten Cocktail, der sich nicht einfach beerdigen lässt. Erst recht nicht wegreden.

Folgekosten fressen alle Gewinne auf

Es wird deutlich: Die Folgekosten fressen mehr als die Gewinne auf, die jemals mit Atomstrom erzielt wurden. Ist eine feine Sache, denn die Gewinne flossen in die Taschen der Energiekonzerne und ihrer Aktionäre.

Auf den Folgekosten bleibt die Gesellschaft sitzen. Das berappen die Steuerzahler. In Frankreich würde es tatsächlich zum Aufstand kommen, wenn einigermaßen realistische Summen bekannt würden, die zum Rückbau von 56 Atomkraftwerken benötigt werden.

Je mehr Atomreaktoren, desto näher rückt die Pleite

Man kann durchaus sagen: Je mehr Atomreaktoren ein Land betreibt, desto näher gerät es an die Staatspleite. Und es wird verwundbarer, das hat die russische Invasion in der Ukraine gezeigt.

Deshalb steigt Deutschland aus der Atomkraft aus, das ist des Pudels Kern. Nur der Umstieg auf erneuerbare Quellen wie Sonne und Wind stellt dauerhaft erschwingliche Energiepreise in Aussicht, macht die Wirtschaft unabhängig von fossilen oder nuklearen Importen.

Hängen an alten Zöpfen

Union und FDP zeigen, dass sie sich schwer tun, die alten Zöpfe abzuschneiden. Dass Deutschland mit dem Ausstieg im internationalen Vergleich keinen Sonderweg geht, belegen jüngste Zahlen der IAEO.

Ende 2022 liefen weltweit noch 422 Atomreaktoren. Ende 2002 waren es 444 gewesen. Im Vergleich zu 2006 stagniert ihre Stromproduktion bei rund 2.650 Terawattstunden. 2022 gingen etliche Schrottreaktoren in Frankreich temporär vom Netz, also dürfte die Stromerzeugung weiter sinken.

Nur sechs neue AKW in 2022 – weltweit

Im vergangenen Jahr wurden weltweit sechs AKW in Betrieb genommen, fünf offiziell abgeschaltet. Fünfzehn stillgelegte Meiler in Japan wurden klammheimlich aus der Statistik bereinigt. Der Bau von sieben neuen AKW wurde begonnen. Allein 1970 wurden weltweit 37 neue Atommeiler in Angriff genommen.

Die Atomtechnik ist in die Jahre gekommen, das steht fest. Offensichtlich ist es wirtschaftlich kaum möglich, eine zweite Generation von Reaktoren zu bauen und im Strommarkt zu etablieren.

Die Kosten für Rückbau und Endlagerung, sowie die Preiskonkurrenz der erneuerbaren Energien beenden dieses schmutzige Geschäft. Nicht einmal die Reparatur von bestehenden Anlagen lohnt sich – siehe Frankreich. Dort ruft EDF nach staatlichen Subventionen, die der Elysee-Palast schlichtweg nicht aufbieten kann.

Die Ritter von der traurigen Gestalt

Wer ist Friedrich Merz? Der Ritter von der traurigen Gestalt, der auf seinem Klepper Rosinante gegen Windmühlen anrennt. Wie Markus Söder von der CSU übrigens auch.

Und Christian Lindner ist der treue Schildknappe Sancho Pansa. Im bekannten Roman erkennt Don Quichotte am Ende seinen Irrtum und stirbt. Ideen von Gestern ist das gleiche Schicksal beschieden.

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Der Roman „Zen Solar“ von H.S. Eglund

© Dieter Hartwich
  • Cover der Werksschau: Aus dem Stück Personne (2021). © Laurent Goldring
  • Harvest, eine Arbeit aus dem Jahr 2021. © Dieter Hartwig
  • Aus der Arbeit: Solo for Lea (2016) © Isabelle Schad
  • Detail aus Solo for Lea (2016) © Isabelle Schad
  • Solo for Claudia and Josephine (2022) © Dieter Hartwig
  • Isabelle Schad präsentiert das druckfrische Exemplar ihrer Werksschau WITH. © Dieter Hartwig
Samstag, 28. Januar 2023

Isabelle Schad WITH: Tanz drucken, Tanz beschreiben

Neuerdings passt die Tanzbrigade der Berliner Choreografin zwischen zwei Buchdeckel. Kurz vor Jahresende erschien eine Werksschau, die zehn Jahre überblickt. Die zahlreichen Projekte füllen viel mehr als nur Seiten aus Papier. Eine Empfehlung.

Sie arbeitet mit Solistinnen und Solisten, choreografiert Gruppen oder steht selbst auf der Bühne: Mittlerweile ist Isabelle Schad ein feststehender Begriff der Berliner Tanzszene.

Weit über die Grenzen der Stadt hinaus hat sie sich einen Namen gemacht und zahlreiche Preise eingeheimst. Ihre fein ausgearbeiteten Projekte bieten eigene Ästhetik, aus Körpersprache und Bewegung.

Der Kontrast von hell und dunkel

Kontraste spielen eine große Rolle: Helle Leiber vor dunklem Hintergrund, entblößt von störender Bekleidung, vom bewegten Einzelakt zum wimmelnden Gruppenbild, eigenem Rhythmus folgend, verblüffende Mechanik von Armen, Beinen, Händen, Füßen, Köpfen und Haar.

Nun erschien eine gedruckte Werksschau, die einen schönen Überblick über die vielfältigen Arbeiten ihrer Künstler und Gruppen bietet. Schön, weil die Bildsprache der großformatigen Fotos die typische Ästhetik von Schads Bühnenarbeiten aufnimmt und komprimiert.

Eine Idee aus kargen Zeiten

Tanz zu drucken, ist so schwer, wie über Tanz zu schreiben. Hier geht es lediglich um den Katalog, nicht um die Arbeiten auf der Bühne. Die Idee zur Monografie entstand in kargen Zeiten, als Corona die Tanztheater schloss. Dass der Katalog schließlich vollendet wurde, zeugt vom Durchhaltewillen der Künstlerin, ihrer Mitstreiterinnen und Mitstreiter.

Das Buch ist ein Gewinn. Es ergänzt die Präsenz auf der Bühne durch eine spannendes Schau ihrer Choreografien aus dem vergangenen Jahrzehnt. Entstanden ist eine gelungene Mischung aus Fotos und Texten. Nicht nur das Auge wird gefüttert, auch das Hirn.

Wer die Arbeiten Isabelle Schads nicht kennt, wird durch das Buch inspiriert. Daran besteht kein Zweifel. Und für alle, denen ihre Stücke bereits vertraut sind, dürften Bilder und Beschreibungen die bestehenden Eindrücke vertiefen.

Kollektive Kreativität als roter Faden

Besonders auffällig ist der Gedanke von kollektiver Kreativität. Einem roten Faden gleich durchzieht er das Buch und die darin vorgestellten Projekte. Der Titel Isabelle Schad WITH umreißt den Anspruch der Choreografin, die sich stets als Teamplayer begreift. Früher hätte man Volkskunstkollektiv gesagt oder eben Tanzbrigade. Das ICH tritt hinterm WIR zurück, in aller Bescheidenheit.

So gerät die Werksschau ein Stück weit zum Brigadetagebuch, wird lebendig, denn es stellt den Schaffensprozess in den Mittelpunkt. Vordergründig geht es nicht um die schlussendliche Präsentation auf der Bühne, sondern um die fortwährende Ausgestaltung der Choreografien in der Gruppe. Manchmal besteht das Team nur aus ihr selbst und/oder einer Solistin. Manchmal schweben zwanzig Künstlerinnen und Künstler durch den Saal.

Die Liste der Mitwirkenden ist lang, sehr lang. Dennoch erscheint der Katalog aus einem Guss. Wohltuend: Alle Texte liegen auf Deutsch und Englisch vor. Freilich, die erstklassigen Fotos brauchen keine Übersetzung.

Denn Schads choreografischer Stil wird weltweit verstanden, auch ohne Worte. Kurzes Fazit: Tanz drucken, Tanz beschreiben – dieses schwierige Unterfangen ist mehr als gelungen.

Isabelle Schad WITH
Sprache: Englisch und Deutsch
280 Seiten, Preis: 28 Euro
ISBN 978-3-00-073919-4

Mehr Infos und Bestellungen finden Sie hier.

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© H.S. Eglund
  • Blick aufs Haff von der Terrasse. © H.S. Eglund
  • Schautafel am Weg zum Sommerhaus. © H.S. Eglund
  • Ochsenblut und Niddener Blau. © H.S. Eglund
  • Pegasus überm First. © H.S. Eglund
  • In der Ausstellung wird die Familie Mann thematisiert. © H.S. Eglund
  • Die Räume sind didaktisch klug gegliedert. © H.S. Eglund
  • Fotos und digitale Elemente wechseln sich ab. © H.S. Eglund
  • Die Familie Mann brachte einige bekannte Namen hervor. © H.S. Eglund
  • Holt längst vergangene Zeiten herauf: Ausstellung im Innern des Domizils. © H.S. Eglund
  • Vom Haus führt eine Terrasse zum Park, der das Haff überblickt. © H.S. Eglund
  • Hier kann man die Welt vergessen, durchaus. © H.S. Eglund
  • Der spröde Charme des Baltikums. © H.S. Eglund
Mittwoch, 11. Januar 2023

Ein Hauch von Ewigkeit: Thomas Mann in Nida

Das frühere Ferienhaus des Schriftstellers befindet sich auf der Kurischen Nehrung. Den Nazis diente es als Jagdhütte und Lazarett. Die Besetzung durch die Sowjets überstand es knapp. Heute birgt es ein feines Kulturzentrum – und wird erstaunlich gut besucht.

Magische Landschaft: Im Jahr 1929 Jahre war Thomas Mann nach Königsberg gereist, denn der arrivierte Autor suchte Abstand. Abstand zu den krisengeschüttelten Metropolen seines Heimatlandes.

Hinter ihm lagen der Erste Weltkrieg und ein düsteres Jahrzehnt von Revolution, Putsch und Weltwirtschaftskrise. Deutschland war in Aufruhr, nirgends kam er zur Ruhe.

Spröde, karge Landschaft

Von Königsberg reiste Mann mit seiner Familie nach Rauschen weiter, einem mondänen Badeort an der Ostsee. Die spröde, karge Landschaft des Baltikums faszinierte ihn. Bei einem Ausflug auf die Kurische Nehrung schien der Ort gefunden, der Stille und Abgeschiedenheit versprach: Nidden, damals zu Litauen gehörig.

Am Ende der Welt

In Nidden, heute Nida, ließ Thomas Mann ein Sommerhaus errichten, am bewaldeten Hang einer hohen Düne. Von dort hatte er einen wunderbaren Ausblick auf das Kurische Haff: Vor sich das Haff, hinter sich die Ostsee. Die Nehrung ist recht schmal, an manchen Stellen nur einige hundert Meter breit. Sie macht das brackige Haff zum Binnenmeer.

Wer heute auf die Nehrung fahren will, muss in Kleipeda die Fähre benutzen. Seit die Hafeneinfahrt ausgebaggert und verbreitert wurde, ist die Nehrung faktisch eine langgezogene Insel.

Ihr südliches Ende ist versperrt, denn dieser Teil der sandigen Dünenbank gehört zur russischen Exklave von Kaliningrad, früher Königsberg. Normalerweise rege von Tagestouristen frequentiert, ist der Grenzübergang seit Februar 2022 verwaist. Russland hat den Grenzverkehr dichtgemacht, hier ist die Welt zu Ende.

Nötiges Kleingeld durch den Nobelpreis

Das Grundstück erlaubt den nahezu unbegrenzten Blick auf das Kurische Haff, das die Nehrung vom Festland trennt. Es liegt still, irgendwie verschlafen, man möchte sagen: zeitlos. Das nötige Kleingeld für den Bau der geräumigen Sommerkate floss im Dezember 1929: Für seinen Roman Buddenbrooks erhielt Thomas Mann den Nobelpreis für Literatur.

Joseph und seine Brüder

Von 1930 bis zur Emigration im Jahr 1933 verbrachte die Manns in Nidden ihre Sommerferien. Während der Aufenthalte entstanden Artikel und Briefe, schrieb der Meister an Joseph und seine Brüder, seinem Opus Magnus.

Zwischen 1933 und 1943 erschienen insgesamt vier Bände. Zwei wurden im Ausland geschrieben, ebenso im Ausland publiziert. Denn Thomas Mann stand – wie Klaus Mann und Heinrich Mann – auf der Schwarzen Liste der Nazis. Als die Braunhemden an die Macht kommen, flieht er mit seiner Frau Katja und den Kindern in die Schweiz, kurzzeitig nach Frankreich, später in die USA.

Onkel Toms Hütte an der Ostsee

Die Einheimischen bezeichneten das Anwesen des bekannten Dichters als Onkel Toms Hütte, in Anspielung auf den Roman von Harriet Beecher Stowe. Das Seebad Nidden bekam durch die Anwesenheit der Familie Mann eine kostenlose Werbung, wurde zum Mekka der Literaturszene.

Die Nazis erreichen Nidden

Im Sommer 1932 war die Idylle zu Ende. Die Nazis bedrohten Thomas Mann, schickten ihm ein angekohltes Exemplar der Buddenbrooks ins Feriendomizil. Weder der Schriftsteller, noch seine Familie kehrten später nach Nida zurück.

Im Jahr 1939 wurde das einstige Memelland, das nach dem Ersten Weltkrieg an Litauen gefallen war, von der Wehrmacht besetzt. Hermann Göring beschlagnahmte das Haus und nutzte es als Jagdhaus Elchwald.

Unterkunft für deutsche und sowjetische Soldaten

Im Zweiten Weltkrieg wurden verwundete Offiziere der Luftwaffe einquartiert, zur Rekonvaleszenz. Als die Rote Armee vorrückte, platzte eine Granate auf dem Grundstück, das hölzerne Gebäude blieb als Ruine zurück.

In den ersten Jahren nach dem Krieg diente das stark beschädigte Haus als Unterkunft für sowjetische Soldaten. Türen und Fenster wurden zu Brennholz gemacht, die Einrichtung der Räume gleichfalls verbrannt. 1954 stellten es die Sowjets als Kriegsruine auf Abriss.

Renovierung im Todesjahr

Allerdings wurde im Jahr darauf bekannt, wer der frühere Hausherr gewesen war. Im August 1955 war Thomas Mann in der Schweiz verstorben. Es folgte eine erste Renovierung, um das Haus zum Wohnheim für russische Fachkräfte umzubauen.

Kurz vor Manns Tod war ihm der litauische Schriftsteller Antanas Venclova in Weimar begegnet. Venclova regte 1967 an, im Haus eine Zweigstelle der Stadtbibliothek von Klaipeda unterzubringen. Zugleich entstand eine Gedenkstätte für Thomas Mann, der in den Republiken der früheren Sowjetunion eine breite Leserschaft hatte.

Eine Spende aus Ostberlin

1975, anlässlich des hundertsten Geburtstags, spendete die Regierung in Ostberlin einige interessante Stücke für die Ausstellung. Ab 1987 wurde das Haus für westdeutsche Besucher geöffnet.

Nach dem Zerfall der Sowjetunion Ende 1992 gingen Grundstück und Gebäude an den litauischen Staat über. Das Anwesen wurde aufwändig restauriert, wofür erhebliche Mittel aus Deutschland flossen.

40.000 Besucher im Jahr

Es entstand das heutige Kulturzentrum Thomas Mann (Tomo Manno). Darin wurden das Wohnzimmer, die Terrasse und der Arbeitsraum des Schrifstellers weitgehend wiederhergestellt.

Ein moderne und sehr ansprechende Ausstellung mit Tafeln, Fotos und digitalen Effekten rundet den Besuch ab. Immerhin: Jedes Jahr pilgern rund 40.000 Besucher auf die hohe Düne, streifen durch die Räume und den kleinen Park. Es ist eines der bestbesuchten Museen in Litauen.

Pegasus und Ochsenblut

Architektonisch lehnt sich das Haus an den Stil der kurischen Fischer an: Das Dach ist mit Reet eingedeckt. Den First krönen zwei sich kreuzende Pferdeköpfe, Symbol für Pegasus, das Ross der Dichter.

Der Anstrich trägt Ochsenblut als Farbe, typisch für das Baltikum und Skandinavien. Mit der rotbraunen Holzverkleidung kontrastieren blaue Fensterläden, Dachprofile und Balken am Giebel.

Das Blau des Haffs, das Blau der Fischer

Für Thomas Mann hatte das Niddener Blau eine spezielle Bedeutung. Bei einem Vortrag im Dezember 1931 in München erläuterte er:

Im Fischerdorf findet man an den Häusern vielfach ein besonders leuchtendes Blau, das für Zäune und Zierate benützt wird. Alle Häuser, auch das unsere, sind mit Stroh- und Schilfdächern gedeckt und haben am Giebel die heidnischen gekreuzten Pferdeköpfe.

Auf den Spuren des Großvaters

Enkel Frido Mann hat vor zehn Jahren ein interessantes Büchlein veröffentlicht: Mein Nidden. Auf der Kurischen Nehrung (erschienen im Mareverlag). Darin folgt er den Spuren seines Großvaters und erzählt die Geschichte der Kurischen Nehrung vom Deutschen Reich über die Sowjetherrschaft bis zum unabhängigen Litauen.

Unter anderem kommen Mitglieder der Familie zu Wort. Thomas Mann hatte seine Tagebücher aus der Zeit vor 1933 im Exil in Pacific Palisades (Kalifornien) größtenteils verbrannt.

Webseite des Vereins zur Förderung des Thomas-Mann-Hauses

Durch die Wüste mit Joseph und seinen Brüdern
(neu gelesen von H.S. Eglund)

Außerdem sehenswert in Litauen:
Saltojo: Die Geister aus der Unterwelt

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