• Blog
  • Autor & Kontakt
  • Romane
  • Media
  • Bestellung
  • Links

H. S. Eglund

Schriftsteller • Writer • Publizist

  • Facebook
  • Instagram
  • YouTube
© TTT
Sonntag, 12. Juni 2022

Emily Carr: Dasein im Schoß der Wildnis

Tea, Toast & Trivia: Clanmother Rebecca Budd war in Victoria unterwegs, an der Südspitze von Vancouver Island. Im Beacon Hill Park wandelte sie auf den Spuren der kanadischen Malerin und Schriftstellerin Emily Carr. Lange bevor kulturelle Vielfalt und Ökologie en vogue wurden, ließ sich Carr von indianischer Kunst und dem Respekt vor der Natur inspirieren. Eine echte Entdeckung – typisch Kanada.

Rebecca Budd aus Vancouver hat eine neue Entdeckung präsentiert. Dieses Mal nicht als Podcast, sondern als wunderschön gemachtes Video. Sie besuchte den Beacon Hill Park in Victoria, der das südliche Ende von Vancouver Island markiert.

Dort weilte sie im James Bay Inn von Emily Carr, die in Beacon Hill ein kleines Gasthaus betrieb. In Deutschland ist Carr weitgehend unbekannt, in Kanada hingegen gehört sie zum Allgemeingut.

Ein Sprung zur anderen Seite der Erde

Das Video setzt das historische Gebäude, den wundervollen Park und eindrucksvolle Passagen aus Emilly Carrs Autobiografie stimmungsvoll ins Szene, unterlegt mit traumhafter Musik. So gelingt ein aufregender Sprung über den Großen Teich, zur anderen Seite der riesigen amerikanischen Landmasse, an die Küste des Pazifik.

Und eine literarische Entdeckung für jeden, der sich gern auf die Socken macht. Emily Carr wurde 1871 in Victoria geboren, der Hauptstadt der westlichsten Provinz Kanadas, von British Columbia. Sie starb im März 1945, gleichfalls in Victoria.

So umreißt ihre Lebenszeit die Spanne von der Gründung des Deutschen Reiches in Versailles bis zum Untergang Hitlers – vor völlig anderem historischen und kulturellen Hintergrund.

Galerie in der Scheune ihres Elternhauses

1890 begann sie, in San Francisco Kunst zu studieren. Drei Jahre danach kam sie nach Victoria zurück, baute in der Scheune ihres Elternhauses eine kleine Galerie auf und unterrichtete Kinder.

1899 zog sie nach London, um an der Westminster School of Art ihr Talent zu schulen. Auch in Cornwall, in Bushey und in Hertfordshire widmete sie sich der Malerei. Im Jahr 1905 kehrte sie nach Westkanada zurück, um bei Indianern Alaskas und der kanadischen Pazifikküste zu leben.

Vom Impressionismus beeinflusst

Fortan dokumentierte sie deren Leben in ihren Bildern. Sie zeichnet die Totempfähle der Indianer an der Nordwestküste, beispielsweise der Haida, der Kwakiutl, der Nootka und der Stämme der sogenannten First Nations.

1910 reiste sie nach Paris, um sich mit neuen Strömungen der europäischen Malerei vertraut zu machen. Dazu gehörten die Techniken und Gemälde von Henri Matisse und Pablo Picasso. Beeinflusst von den Impressionisten, änderte sie ihren Stil, malte in Kanada jedoch weiterhin indianische Motive.

Einsatz für die Indianer der Nordwestküste

Ihre Arbeiten erregten zunehmend Aufmerksamkeit, sie wurde zu Ausstellungen eingeladen. Außerdem setzte sich Emily Carr dafür ein, die Ureinwohner Kanadas als vollwertige Bürger und Teil der kulturellen Identität des Landes anzuerkennen.

Damals waren die Indianer nicht einmal wahlberechtigt, viele ihrer Rituale offiziell verboten. Indianische Kinder wurden in kirchlich geführten Heimen gedemütigt und missbraucht.

Tiefes Verständnis für die Natur

Emily Carr wurde als Künstlerin immer bekannter, blieb allerdings in ihrer Heimat Victoria bis zu ihrem Lebensende unverstanden – vor allem, was ihr Engagement für die indianische Bevölkerung betraf. Als Gastgeberin führte sie das James Bay Inn und zog sich aus dem öffentlichen Leben weitgehend zurück.

Ihre Malerei und ihre Schriften sind von tiefem Verständnis für die Natur und naturnahe Lebensweise durchdrungen. Ihr Grabstein trägt die Aufschrift: Artist and Author – Lover of Nature.

Zur Schullektüre erkoren

Heute gilt Emily Carr als herausragende Künstlerin Kanadas. Ihr Erzählband Klee Wyck über ihre Erfahrungen mit den Indianern wurde zur Schullektüre erkoren. Die frühere Vancouver School of Art firmiert heute als Emily Carr University of Art and Design.

Lust auf mehr? Dann hören Sie rein (in englischer Sprache):
Emily Carr & James Bay Inn – A Reflection (9:30 Min.)

Website von Tea, Toast & Trivia

Mehr von Tea, Toast & Trivia auf Eglunds Blog:
Podcast: Zeitreise in den Dunkelwald – mit H.S. Eglund
Podcast: Kommunikation ist keine Kunst – oder doch? (mit Eglund)
Podcast: Hässlichkeit weitet Horizonte (mit Klausbernd Vollmar)
Podcast: Über Schönheit in Natur und Kunst (mit Klausbernd Vollmar)
Podcast: Die Robben von Blakeney Point (mit Hanne Siebers)

© H.S. Eglund
Montag, 6. Juni 2022

Video: Addis Abeba – Neue Blume zwischen Aposteln und Mercato

Seltsam, diese ehrwürdige und quirrlige Stadt zu Füßen der Entotoberge: Addis Abeba, erst Ende des 19. Jahrhunderts als „Neue Blume“ durch Kaiser Menelik II. gegründet. Binnen kurzer Zeit stieg sie zu einer der wichtigsten Metropolen Afrikas auf.

Hier treffen aufeinander: die gewaltige Marienkathedrale der Orthodoxie, gelb gewandete Priester, Aposteln gleich aus dem Alten Testament, und Mercato, das Handelsviertel, eine undurchdringliche Kasbah für Waren und Geld.

In Mercato, so das Gerücht, kann man alles kaufen: Bananen, Mangos, Tee, Kaffee, Küchengeräte, Kleider und Stoffe aus allen Weltwinkeln, Autos, Häuser, Kalaschnikows und Helikopter, sogar Beamte und Regierungen.

Hier sehen Sie das Video. (Dauer: 0:53 Min.)
Zum Roman: Nomaden von Laetoli
Bestellungen beim ViCON-Verlag

Weitere Videos:
Video: Karges Hochland am Rand der Kalahari (0:49 Min.)
Video: Zum Kap der Guten Hoffnung (0:59 Min.)
Video: Das Erbe der Diamanten (0:58 Min.)
Video: Sossusvlei – Dünen aus rotem Sand (0:59 Min.)
Video: Das Meer in der Wüste (0:58 Min.)
Video: Sonnenaufgang überm Ngorongoro (1:00 Min.)
Video: Marabus – Buchhalter der Wildnis (0:56 Min.)
Video: Brandberg – Im Louvre der Felsmalerei (0:58 Min.)
Video: Gondar – Stadt der Könige (0:59 Min.)
Video: Im Osten der Indische Ozean (1:00 Min.)
Video: Die kurze Blüte der Serengeti (1:00 Min.)
Video: Die Löwen von Seronera (0:58 Min.)

Leseprobe im Video: Das frühe Ende einer Safari (4:57 Min.)
Leseprobe im Video: Die Attacke aus dem Norden (9:46 Min.)
Leseprobe im Video: Am Strand von Jambiani (6:12 Min.)

© H.S. Eglund
  • Der Autor vorm Eingang des Ars Electronica Centers in Linz. © M.O. Kohum
  • Das Gebäude ist luftig angelegt und bietet viel Freiraum für Entdeckungen. © H.S. Eglund
  • Augen auf und hinab in die Räume im Souterrain. Dort lauern spannende Entdeckungen. © H.S. Eglund
  • Langeweile kommt im Ars Electronica Center nirgends auf. © H.S. Eglund
  • Blick in den Saal, der sich mit schwindenden Ressourcen befasst. © H.S. Eglund
  • Sich einlassen: Die Besucher bleiben in Bewegung, haben Auslauf - physisch und mental. © H.S. Eglund
  • Selber Hand anlegen, selber erfahren: Dieses Konzept geht in Linz voll auf. © H.S. Eglund
  • Durch künstliche Intelligenz erzeugte Formenvielfalt. Sie führt zurück auf den Reichtum der Natur. © H.S. Eglund
  • Bizarre Klanginstallation, die der Besucher durchläuft. © H.S. Eglund
  • Hier werden Auge und Ohr in Anspruch genommen. © H.S. Eglund
  • Im Bio Lab können die Besucher eigene Experimente durchführen, unterstützt durch Infotrainerinnen und Infotrainer. © H.S. Eglund
  • Archaische Form eines Fossils, mit mathematischen Algorithmen erzeugt. © H.S. Eglund
  • Mit künstlicher Intelligenz erzeugtes Gewebe - federleicht und schwebend. © H.S. Eglund
  • Interessante Exponate wechseln sich mit Experimenten ab, bei denen die Besucher selbst aktiv werden. © H.S. Eglund
  • Eine solche Struktur lässt sich mit 3D-Druck erzeugen, mit konventionellen Verfahren nicht. © H.S. Eglund
  • Leicht angerostet: Vorläufer der Vinylplatte. © H.S. Eglund
  • Schau- und Lauschtafeln im Salon für Technik in der Musik. © H.S. Eglund
  • Kanäle oder Synapsen, frei verschaltbar. © H.S. Eglund
  • Klangwerk mit mechanischem Tonträger. © H.S. Eglund
  • Exponat aus der Ausstellung zu den Grenzen der Ressourcen. © H.S. Eglund
  • Der Abbau von Ölsanden in Kanada frisst gigantische Flächen. © H.S. Eglund
  • Essbare Erden als alternative Nahrungsmittel. © H.S. Eglund
  • Puppen und Roboter, steuerbar durch die Besucher. © H.S. Eglund
Samstag, 30. April 2022

Ars Electronica Center – das Ende aller Horizonte

Noch ein Museum? Wissenschaft zum Anfassen? Mitnichten. In Linz gehen Kunst und Forschung eine kreative Symbiose ein – und eröffnen völlig neue Wege, grenzenlos.

Linz ist die Hauptstadt von Oberösterreich, und als solche sehr ehrwürdig. Die Altstadt ist eine hübsche Puppenstube, auf dem Hauptplatz paradieren Blaskapellen in historischen Uniformen: Landsknechte aus dem späten Mittelalter, feldgraue Soldaten der k.u.k. Monarchie, exotische Gebirgsjäger, wie den Filmen von Luis Trenker entsprungen.

Fesche Jungs, gell?!

Fesch sehen sie aus, diese Jungs, gell?! Und unglaublich blöde. Am Pult steht ein katholischer Greis in Soutane, schwadroniert über Glauben und Pflichten, über Wehrdienst in bedrohlichen Zeiten. Alle schwitzen, es ist der erste warme Tag des Frühlings.

Das war Linz, früher, als es noch den Kaiser in Wien gab. Zum Glück ist das längst vorbei, nur manchmal zeigt sich noch die katholische Verstaubtheit. Warum auch nicht, nirgends ist der Mensch frei von seiner Vergangenheit. Niemand bleibt stehen, nicht mal die Touristen. Zu absurd ist die Zeremonie.

Jenseits vom Mummenschanz

Vom Hauptplatz sind es nur wenige Schritte zur Donau, wo der Wind die Hitze vertreibt. Hier lässt sich freier atmen, der Mummenschanz liegt hinter uns. Vor uns, auf der anderen Seite, thront der Glaspalast des Ars Electronica Centers.

Schon am Vorabend war er aufgefallen, als seine Fassade in den Farben der Ukraine erstrahlte, glitzernd reflektiert vom dunklen Fluss. Dieser Würfel markiert das andere Linz: Eine moderne, kreative Stadt, die viel mehr zu bieten hat als Historientheater.

Ars Electronica beschäftigt sich seit 1979 mit der Frage, wie Technik auf die Menschen, die Welt und ihre Zukunft wirkt. 1996 wurde das Museum der Zukunft eröffnet. 2009 wurde der zweigeschossige Bau aufgestockt und erweitert. 2019 wurden die Ausstellungen thematisch neu geordnet. Nun lautet die Leitidee: Compass – Navigating the Future.

Jedem Tierchen sein Pläsierchen

Jedem Tierchen sein Pläsierchen, Linz bietet beides: monarchistische Parade und moderne Kunst. Aber nicht Kunst im Sinne von Galerie oder Museum, wo ambitionierte Schinken hängen, wie bunte Perlen auf einer Kette. Wo sich die Besucher artig und mit gebührendem Abstand halten, leise tuschelnd.

Das Ars Electronica Center liefert künstlerische Perspektiven zum Zeitalter der Wissenschaft. Keine Kunst über Wissenschaft, über wissenschaftliche Themen, sondern eine Symbiose des kreativen und des logischen Denkens. Logik und Emotion – Logos und Eros – Ansprache aller Sinne – kommen auf ihre Kosten, daraus entsteht wirklich Neues.

Die Ausstellungen und Exponate fordern auf: Zum Anfassen, zur Teilnahme, zur eigenen Kreation von etwas, was zwischen Science und The Arts liegt. Die Grenzen des Denkens und der Sinne scheinen sich aufzulösen, bekannte Horizonte verschwinden – in den unendlichen Weiten des Weltalls, im Nichts, in der bizarren Vielfalt unterm Mikroskop.

Ins Weltall und ins Innere von uns selbst

Künstlicher Intelligenz beim Denken zuschauen, selbstfahrende Autos trainieren, Roboter programmieren und vermenschlichen. Bisher unmögliche Strukturen dreidimensional drucken oder die eigene DNS mit der Genschere bearbeiten. Das sind Beispiele, wie das Center moderne Themen aufbereitet, anbietet und zum Mitmachen inspiriert.

Interaktive Stationen, Kunstwerke, Forschungsprojekte, Großprojektionen und Labore: Das Ars Electronica Center erlaubt vielfältige Ausflüge in die Künstliche Intelligenz und Neurowissenschaften, Robotik und autonome Mobilität, in Genetik und Biotechnologie, ins Universum und ins Innere von uns selbst. Da geht man nicht einfach durch, das braucht Zeit, ausreichend Zeit. Ein Tag ist zu wenig, bestimmt.

So gibt es beispielsweise die Ars Electronica Labs, in denen die Besucherinnen und Besucher selbst experimentieren können: mit 3D-Druck, mit künstlicher Intelligenz, mit Gensequenzen oder Licht. Ein spezieller Abschnitt befasst sich mit Musik und der Brücke, die sie zur künstlichen Intelligenz schlagen kann – und schlägt. Für Kinder und Jugendliche wurden Labore eingerichtet, wo Wissenschaft zum Spielfeld wird, wo analoge und digitale Entdeckungen lauern.

Vom Keller bis unters Dach

Dass draußen die Sonne lockt, ist schnell vergessen. Denn die Ideen und Exponate regen intensiv dazu an, das weitläufige Gebäude von den unteren Etagen bis unters Dach zu erkunden.

Den Abschluss bildet eine Präsentation über Zeit und Raum, über Galaxien und schwarze Löcher. Sie findet im Deep Space statt, dem Kinosaal für dreidimensionale Dokumentationen. Keine Sitzreihen. Alle hocken auf dem Boden, mit dunklen Brillen für die räumlichen Effekte, mittenmang kreischende Kinder.

Erfrischung in der Altstadt

So spannend kann Linz sein. Die wohlverdiente Erfrischung nach stundenlangen Entdeckungen im Ars Electronica Center gibt es hinterher – natürlich in der Altstadt. Der Pope und die Kasper sind verschwunden, Gott sei Dank!

Erst jetzt kann man ungestört bewundern, wie schön diese alte Stadt eigentlich ist. Und wie kühl der Drink im Café Traxlmayer.

Website des Ars Electronica Center in Linz

Lesen Sie auch:
Alpinarium: Mit Hemingway nach Galtür
Hardy Krügers Momella: Eine Farm in Afrika
Raddusch: Slawenburg in der Pampa
Meeresmuseum in Monaco: Die Fülle der Ozeane

© HSE
  • Bücher Blog von Stephanie Hermann. © HSE
  • Buchblog von Nicole Plath. © HSE
Sonntag, 24. April 2022

Nomaden von Laetoli – im Urteil des Publikums

Der neue Roman von H.S. Eglund findet bei Leserinnen und Lesern unterschiedliche Resonanz. Das ist der Sinn von Literatur – denn jeder liest vor seinem geistigen Auge eine andere Geschichte. Die meisten Rezensenten finden das Buch lesenswert, auch wenn es manchmal die Erwartungen nicht erfüllt. Eigentlich ein schönes Kompliment, sonst wäre es ja langweilig.

Der Roman Nomaden von Laetoli hat in den Medien vielfaches Echo erzeugt. Neben Interviews und kurzen Rezensionen in der Presse haben sich vor allem Buchbloggerinnen und Buchblogger damit befasst. Zudem haben Verlag und Autor auf Lovelybooks eine Leserunde gestartet.

Fazit: Der Roman und seine Handlung lösen bei den Leserinnen und Lesern sehr unterschiedliche Reaktionen aus. Besonders geschätzt wird er, wenn sich die Leser ohne Erwartungen auf die Reise Martin Andersons durch Ostafrika einlassen.

Schwierigkeiten haben manche Leserinnen oder Leser, die einen Abenteuerroman nach Vorbild von Karl May erwarten. Oder eine archäologische Detektivstory, die am Ende die Frage klärt, ob Aaron Miller die frühzeitlichen Menschen wirklich gesehen hat.

Nicht einfach, den Überblick zu behalten

Streckenweise sei es auch nicht einfach, den Überblick in der Handlung des Romans zu behalten, der in drei Teilen aus Tansania, Äthiopien und Sansibar erzählt. Bei der Durchsicht der Rezensionen fällt auf, dass Frauen offenbar mit weniger Vorurteilen an die Lektüre gehen, sich mehr durch die Handlung tragen lassen.

Männliche Leser sind eher vom Erkenntnisinteresse getrieben. Sie erwarten Antworten und logische Erzählmuster. So setzt sich also jeder Archetyp auf eigene Weise mit Martin Andersons Reise zu sich selbst auseinander, mit dem Osten Afrikas, der sich Logik und Erwartungen weitgehend entzieht.

Nichts für Schnellleser

Offenbar ist der Roman nichts für Schnellleser oder für kurzweilige Unterhaltung mit exotischem Flair. Durchweg alle Rezensionen zeugen von Belesenheit und hohem Interesse an der Literatur und am Thema, das ist eine schöne Erfahrung.

Sogar diejenigen Rezensenten, die Mühe hatten, den vielfältigen Strängen und Fakten des Romans zu folgen, haben sich offenbar durchgekämpft. Hier einige Auszüge:

Nicole Plath aus Ensdorf schrieb auf ihrem Blog:

Eine spannende Geschichte nimmt den Leser mit nach Afrika. Autor H.S. Eglund beschreibt Landschaften und Gegebenheiten so, dass man als Leser das Gefühl hat, selbst dabei gewesen zu sein. Es passieren so viele interessante Ereignisse, dass eine Rezension ohne Spoilern schwer möglich ist.

Im Buch begleitet man Martin Anderson auf seinen Nachforschungen, und, soviel kann ich ohne zu spoilern verraten, er wird interessante Theorien und Entdeckungen zu den ersten Menschen erfahren. Durch einen guten Schreibstil ist das Buch schnell zu Ende gelesen. Die Geschichte hat bei mir ein gutes Kopfkino ausgelöst und auch zum Nachdenken angeregt.

Meike Jashrin notierte auf Nicht ohne Buch:

H.S. Eglund hat seinen Roman in drei Teile geteilt, die die Wegpunkte Andersons in Afrika markieren: Laetoli, Aksum, Jambiani. Sein erster Weg führt ihn nach Laetoli, wo er auf Miller trifft. Die Geschichte entwickelt sich langsam und der Ton bleibt durchweg sehr ruhig, trotz der teils dramatischen Ereignisse.

Ein Spannungsbogen wird für mich in keinem der drei Teile aufgebaut. Daher habe ich für meine Verhältnisse auch sehr lange für die Lektüre des Buches gebraucht. Es fiel mir nicht schwer, regelmäßig Pausen zu machen. Dennoch: Die Geschichte hat ihren ganz eigenen Reiz und so musste ich trotzdem immer weiterlesen.

Die Stärke des Buches liegt meiner Meinung nach ganz klar bei den Landschafts- und Reisebeschreibungen, die mir Afrika buchstäblich vor Augen geführt haben. Auch die teils philosophischen Fragen und Diskussionen waren interessant. An der ein oder anderen Stelle hätte ich mich allerdings Erklärungsansätze aus der aktuellen Forschung gewünscht. So wurden viele Fragen in den Raum geworfen, aber nur wenige mögliche Erklärungen geliefert.

„Warum wanderte der frühe Mensch aus Ostafrika aus? Wohin brach er auf?“ (S.34)

Ebenso hat mir das kritische Hinterfragen akademischer Lehransätze gefallen. Sind unsere Methoden wirklich optimal, um stets bestmögliche Ergebnisse zu erzielen?

„Wir sprechen von Wissenschaft, nicht von Religion.“ „Der Glaube an die Objektivität ist das Dogma der Wissenschaft, ist ihre verdammte Religion. […] Aus reiner Vernunft ist noch nie Vernünftiges entstanden, aus analytischem Verständnis noch nie die Verständigung zwischen Menschen.“ (S.71)

Insgesamt für mich ein Buch, auf das man sich einlassen muss, das kein spannendes Abenteuer im Sinne eines Abenteuerromans bietet, dafür aber mit spannenden und teils hochaktuellen Fragen punkten kann. Ein Buch, das Mitdenken erfordert und zumindest mich verleitet hat, den ein oder anderen Begriff oder Fakt zu googeln und genauer nachzulesen.

So war mir zum Beispiel der Zweig der Ethnobotanik bislang nie irgendwo begegnet. Wer also Lust auf eine Reise nach Afrika hat und der Philosophie nicht abgeneigt ist, der wird mit Nomaden von Laetoli sicher eine interessante Lektüre finden.

Stephanie Hermann aus Hamburg schätzte in ihrem Blog ein:

Das Buch klang sehr spannend und das war es dann anfangs auch, aber irgendwann habe ich irgendwie den Überblick verloren und es waren mir auch zu viele Details und die Handlung dann nicht mehr fesselnd genug. Es ist viel mehr eine Mischung aus Reisebeschreibung, philosophischen Diskussionen und wissenschaftlichen und kritischen Passagen.

Das Buch war somit ganz anders als erwartet und ich finde der Klappentext ist schon sehr irreführend. Trotzdem hat das Buch durchaus auch seine positiven Seiten, man muss nur einfach wissen was man nicht bekommt – nämlich einen spannenden Roman. Dieses Buch zwingt einen zum Nachdenken und man legt es immer wieder weg, wenn man sich aber darauf einlässt bekommt man Interessante Denkanstöße.

Weitere kritische Stimmen finden Sie in der Leserunde des Autors auf Lovelybooks.

Lesen Sie auch:
Lesungen in der Höhle: Vernissage in Berlin
Laetoli: Startpunkt einer langen Odyssee
Gut gelaufen: Vernissage und Lesungen in Zürich

© H.S. Eglund
Sonntag, 10. April 2022

Zum Tod von Abraham Lincoln: O Captain! My Captain!

Als Walt Whitman die Nachricht erhielt, dass Präsident Lincoln ermordet worden war, erklärte er den 14. April zu seinem persönlichen Gedenktag – eine Erinnerung, angeregt durch den Bücherbaum.

Bücherbäume sind eine spannende Erfindung. Man geht hin, eigentlich schleicht man sich an: Mal sehen, welches Gold Nugget heute im Körbchen liegt. Und siehe da, eine Monografie über Abraham Lincoln, erschienen in der DDR.

Atemlos lesen wir den Autor: Jürgen Kuczynski (1904-1997), der Altmeister der Wirtschaftsgeschichte im Osten Deutschlands. Kuczynskis weitsichtige Gedanken in Dialog mit meinem Urenkel bekamen beinahe prophetische Bedeutung für die politische Wende Ende der 1980er.

Nun also Kuczynski über Old Abe, und dazu muss man wissen, dass Kuczynski als junger Mann Mitte der 1920er Jahre in den USA studierte. Damals, vor fast hundert Jahren, lag der amerikanische Bürgerkrieg, lag das Ende der Sklaverei in den Südstaaten und in den loyalen Border States gerade sieben Jahrzehnte zurück.

Material von Sandburg, Marx und Engels

Kuczynski nutzte Material von Carl Sandburg (1878-1967), vor allem dessen einzigartige, mehrbändige Biografie über Lincoln (der übrigens der erste republikanische Präsident der US-Geschichte war). Er bediente sich im Briefwechsel von Karl Marx und Friedrich Engels, die Zeitzeugen jener dramatischen Jahre waren und große Hoffnungen in den amerikanischen Aufbruch setzten, in den enormen Fortschritt in der Demokratisierung, den die Abschaffung der Sklaverei bedeutete.

Er stützte sich auch auf Berichte der sächsischen Gesandtschaft in den Vereinigten Staaten, denn der Dresdener Hof, damals noch unabhängiges Königreich unter der Ägide des preußischen Kaisers, hatte eigene Diplomaten drüben – vor allem wegen der großen, deutschstämmigen Gemeinde in Übersee.

Wer Karl May gelesen hat, weiß Bescheid. Ich sage nur: Old Shatterhand und Gunstick Uncle, der Präriepoet. Diese Unterlagen fand Kuczynski in Archiven in Dresden.

Der Zusammenhalt der Union

Zurück zu Old Abe, der sich mit seiner ausgeglichenen und mit den Südstaaten zunächst auf Ausgleich bedachten Politik großes Ansehen erwarb. Immer wieder argumentierte Lincoln für den Zusammenhalt der Union, stellte die Frage der Sklaverei zunächst hintenan. Erst als die Südstaaten aus dem Verbund ausscherten, die Sezession erklärten und das Feuer auf Fort Sumter eröffneten, revidierte Lincoln seine Zurückhaltung.

Zunehmend erkannte er, dass die Union nur erhalten werden konnte, wenn die Sklaverei fällt – ohne Einschränkung. Obwohl ihn das politische Establishment ablehnte – als Anwalt aus dem Mittleren Westen war er den Börsianern, Bankern und Industriellen in New York und Pennsylvania suspekt –, errang er 1865 seinen zweiten Wahlsieg als Präsident.

Im Laufe des Bürgerkrieges, der seine gesamte erste Amtszeit ausgefüllt hatte, war er vom nahezu unbekannten Westler zum echten Volkspräsidenten aufgestiegen. Kaum hatte er seine zweite Amtszeit angetreten – die er großmütig dem Frieden mit den geschlagenen Südstaaten widmen wollte –, traf ihn am 14. April 1865 die heimtückische Kugel seines Mörders.

Ein Meisterwerk voller Einblicke

Kuczynskis Monografie ist ein Meisterwerk, weil es einen detaillierten Einblick in die Vereinigten Staaten zwischen 1830 und 1865 gibt: in die Ströme der Zuwanderer, in die neuen Staaten im Westen, in die Konflikte mit Mexiko und den Monarchien Europas, in seine wirtschaftliche Entwicklung und die Hemmnisse, die sich aus der Sklaverei ergaben.

Der erste Präsident der USA, George Washington (1732-1799), war in seiner Zeit einer der größten Besitzer von Plantagen in Virginia gewesen, der selbst viele Sklaven besaß. Sklaven waren in den ersten Jahrzehnten die einzig verfügbare Quelle für billige Arbeitskraft, vor allem in der Landwirtschaft.

Ab 1830 wurden die USA jedoch zunehmend durch die Arbeit freier Bauern (Farmer) im Westen sowie durch die rasch aufstrebende Industrie geprägt. Im Mittelwesten griffen kundige Farmer zu moderner Landtechnik, um die großen Schläge zu bewirtschaften. Im Süden hingegen wurde Handarbeit konserviert, weil die Sklaven als billig galten und ungebildet blieben.

Bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts verdrängten die USA die französische Industrie, nur übertroffen von der Warenproduktion in Großbritannien und Deutschland. Die Nordstaaten hatten die Südstaaten in der wirtschaftlichen Entwicklung klar überholt: der Kapitalismus und das Maschinenzeitalter drohten, den beschaulichen Süden zu überrollen. Der Anlass, an dem sich der Konflikt schließlich zum Krieg entzündete, war die Sklaverei – die in den nördlichen und westlichen Staaten abgeschafft worden war.

Man möchte seufzen

Kuczynskis Darstellung ist darüber hinaus eine hervorragende Quelle, um die inneren Befindlichkeiten der amerikanischen Politik in den Bundesstaaten und in Washington, D.C. zu verstehen. Er zeigt, wie Lincoln seine begrenzten Möglichkeiten geschickt nutzte, um die Union nicht nur zu retten – sondern zu stärken, indem er das Land modernisierte.

Angesichts von Leuten wie George W. Bush, Donald Trump oder auch der blutarme Joe Biden möchte man seufzen, wie wenig Esprit und Wille zur politischen Gestaltung im modernen Amerika geblieben zu sein scheint. Andererseits ist es ernüchternd zu lesen, dass schon Old Abe gegen Parteiapparate und Bürokraten ankämpfte, wie er Kompromisse schloss und seine Erfolge mit großer persönlicher Anstrengung regelrecht durchboxte.

Ein unerhört modernes Buch

So gesehen, ist es ein unerhört modernes Buch. Denn es beweist einmal mehr, dass nichts die politische Veränderung aufzuhalten vermag, wenn die Zeit dafür gekommen ist. In seinen Zielen wurde Lincoln seinerzeit ganz maßgeblich von deutschen Einwanderern unterstützt, die nach der Niederschlagung der 1848er Revolution durch preußische Soldaten über den Großen Teich geflüchtet waren. Sie siedelten sich in Illinois an, in Iowa, in Wisconsin und in anderen Staaten des Mittelwestens, wo sie großen Einfluss erlangten.

In diesen turbulenten Zeiten, die wir durchleben – nicht weniger turbulent als Lincolns Tage –, geprägt durch Coronakrise, Ukrainekrieg, Klimakrise und soziale Herausforderungen, war die Lektüre des Bändchen wie ein großer Schluck aus der Pulle für Mut.

Ein großer Schluck aus der Mutpulle

Lincoln steht für den Wandel, steht für die Menschen, die sich entscheiden und bereit sind, dafür etwas zu riskieren. Es war Amerikas beste Stunde, und zugleich seine schwierigste. Hölderlins prophetische Worte tauchen aus den Zeilen auf: Wo Gefahr ist, da wächst das Rettende auch.

Und Lincolns Tod war Amerikas größter Verlust, höchstens zu vergleichen mit dem frühen Tod von Franklin D. Roosevelt kurz vorm Ende des Zweiten Weltkriegs. So wollen wir es halten mit Walt Whitmann (1819-1892), der Old Abe sein berühmtestes Gedicht widmete:

O Captain! my Captain! our fearful trip is done,
The ship has weather’d every rack, the prize we sought is won,
The port is near, the bells I hear, the people all exulting,
While follow eyes the steady keel, the vessel grim and daring;
But O heart! heart! heart!
O the bleeding drops of red,
Where on the deck my Captain lies,
Fallen cold and dead.

O Captain! my Captain! rise up and hear the bells;
Rise up—for you the flag is flung—for you the bugle trills,
For you bouquets and ribbon’d wreaths—for you the shores a-crowding,
For you they call, the swaying mass, their eager faces turning;
Here Captain! dear father!
This arm beneath your head!
It is some dream that on the deck,
You’ve fallen cold and dead.

My Captain does not answer, his lips are pale and still,
My father does not feel my arm, he has no pulse nor will,
The ship is anchor’d safe and sound, its voyage closed and done,
From fearful trip the victor ship comes in with object won;
Exult O shores, and ring O bells!
But I with mournful tread,
Walk the deck my Captain lies,
Fallen cold and dead.

Lesen Sie auch:
Pearl Harbor: Ölkrieg im Pazifik
Hemingway: Alter Mann ohne Meer
James Dean: Rebel Without a Cause?
Stefan Heym – ein später Nachruf

© TTT
Donnerstag, 31. März 2022

Podcast: Zeitreise in den Dunkelwald – mit H.S. Eglund

Globetrotting trotz Corona: Clanmother Rebecca Budd aus Vancouver ließ sich – virtuell – entführen. In ihrem jüngsten Podcast von Tea, Toast & Trivia sprachen sie mit Eglund über das Erzgebirge. Denn das Bergland im sächsisch-böhmischen Grenzgebiet gehört mittlerweile zum Weltkulturerbe der Unesco.

Clanmother und Eglund gemeinsam unterwegs: Ausgangspunkt der Zeitreise ins Erzgebirge sind die Berichte des römischen Geschichtsschreibers Tacitus, der in seine Werk Germania vor 2.000 Jahren erstmals einen besonderen Landstrich erwähnt:

So haben das Land weiter östlich (vom Hercynischen Walde – H.S.E.) die Bojer innegehabt, ein gallischer Stamm. Noch ist der Name Boihämum erhalten als Erinnerung an die Geschichte des Landes, wenn auch dessen Bewohner gewechselt haben.

Boihämum – das heutige Böhmen – erhielt seinen Namen von den Bojern, die als lebenslustig und ein bisschen faul beschrieben wurden. Deshalb wird der Begriff Boheme für (Lebens)Künstler benutzt, für Menschen, die sich eher geistigen Freuden zugezogen fühlen als harter, schwerer Arbeit.

Undurchdringlicher Miriquidi

Boihämum war gegen die nördliche angrenzenden Berge – das heutige Erzgebirge – und die sächsischen Germanen durch den Dunkelwald, den legendären Miriquidi getrennt. Dieser Landstrich lag außerhalb der römischen Erfahrungswelt, denn vor zwei Jahrtausenden galt der Wald als undurchdringlich. Hier fanden die Kenntnisse des römischen Schreibers ihre Grenze.

Die bis zu 1.200 Meter aufsteigenden Berge waren unbewohnt, galten als sehr unwirtlich. Noch heute markiert das Erzgebirge im Winter und Frühjahr die kältesten Temperaturen zwischen Alpen und Ostsee. Auch sind heftige Stürme und Starkregen keine Seltenheit.

Fränkische Bauern rodeten den Dunkelwald

Die Besiedlung des Erzgebirges begann erst vor rund tausend Jahren, als der Markgraf von Meißen fränkische Bauern ins Land holte. Sie begannen, den Dschungel zu roden. Sie wuschen glitzernde Graupen (Metallkörner aus Zinn oder Silber) aus den Bächen und Flüssen, zunächst im sogenannten Seifenabbau.

Dabei arbeiteten sich die Seifner entgegen dem Flußlauf vor. Wo die Erzader aus dem Ufersand trat, stießen sie in die Böschung vor – mit der Spitzhacke. Diese Methode wurde später beim Goldrausch in Kalifornien und am Klondike angewendet. Auch hier dominierte die Goldwäsche, bis die Erzadern in die Berge mündeten. Untertage wurden Bergeisen und Schlägel zu den wichtigsten Werkzeugen der Bergleute.

Berggeschrey zog Tausende an

Den Gängen von Zinn, Blei, Kupfer und Silber folgend wurde das Erzgebirge – neben den Alpen und dem Harz – zur Wiege des Bergbaus in deutschen Landen. Im 12. Jahrhundert wurden bei Freiberg reiche Erzgänge mit Blei und Silber entdeckt. Teilweise reichten die Erzgänge bis zur Grasnarbe und waren außerordentlich reich.

Das erste Berggeschrey zog Tausende arme Bauern und Tagelöhner nach Sachsen, um als Bergarbeiter ihr Glück zu versuchen. Freiberg entstand mit seinem Bergamt, fortan Vorbild für alle freien Bergstädte wie Annaberg, Schneeberg oder Sankt Joachimsthal (heute Jachymov in Tschechien).

Als 1477 in Schneeberg gediegen Silber aus dem Berg geholt wurde, hub das zweite Berggeschrey an, das rund hundert Jahre dauerte. Zu dieser Zeit wurden die letzten Urwaldriesen des Miriquidi gerodet, um Holz für den Ausbau der Silbergruben und die Hütten der Bergleute zu bekommen. Bis zu 600 Meter teuften die Bergleute die Schächte im Schneeberger Revier ab. Auch in Böhmen wurden ergiebige Erzgänge entdeckt und aufgefahren.

Konkurrenz des Adels und der Pfaffen

Mit diesem Silber wurde der Meißner Dom erbaut. Dieses Silber floß nach Prag auf den Hradschin, sächsisches und böhmisches Silber steckt im Petersdom in Rom. Das kaiserliche Bergregal – die Vergabe von Bodenschätzen an die Landherren und den Klerus – führte zu wachsenden Spannungen. Denn Bischöfe und Markgrafen konkurrierten um die ergiebigsten Gruben, der Kaiser musste entscheiden.

Natürlich war auch der Kaiser in Prag (später Wien) an den Einnahmen aus dem Silberbergbau beteiligt. Weil es in Europa nur sehr wenige Goldminen gab, war der metallische Reichtum des Mittelalters und der Neuzeit vor allem auf Silber aus Sachsen, Tirol und von den Eidgenossen gegründet.

Silberbarone bejubeln Luther

So wundert es nicht, dass der sächsische Kurfürst Friedrich der Weise und etwa später die Grafen Schlick in Böhmen den Auftritt Luthers zum Anlass nahmen, um die uralte Fehde mit dem römisch-katholischen Klerus endgültig zu entscheiden. Im Zwickauer und Freiberger Revier war die Reformation besonders erfolgreich, denn dort litten die Bergleute besonders heftig unter den Zwangsabgaben an mehrere Herren: Landesherr, Adel, Bischof und Rom.

So begann der Dreißigjährige Krieg als Aufstand der evangelischen Silberbarone in Böhmen gegen den katholischen Kaiser in Prag. Verschärft wurde der Kampf durch die Schwemme von Gold und Silber aus den Minen Südamerikas, das durch die Karavellen der Spanier und Portugiesen nach Europa geschifft wurde – beides katholische Mächte und eng mit dem Kaiser des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation verbunden.

Wer Metall hatte, hatte Geld, hatte die Macht

Reformation und Gegenreformation – vor allem in Böhmen – sind eng mit dem Silberbergbau verbunden. Denn wer die Gruben regierte, bekam Geld in die Kassen. Silber und Silbermünzen lösten das älteste Kapital der Geschichte ab: Sie wurden wertvoller sogar als Ackerland und Weide. So stand der Bergbau an der Wiege des Kapitalismus und der industriellen Revolution.

Das böhmische Silber wurde berühmt. Die Münzen der Grafen Schlick aus Sankt Joachimsthal gaben dem Thaler – oder Taler – seinen Namen. Im 16. und 17. Jahrhundert wurde er in ganz Europe als harte Währung geschätzt – aufgrund seines hohen Silbergehalts.

Als sich die 13 Kolonien in Nordamerika von der englischen Besatzung freimachten, suchten sie eine eigene Währung, die sich vom Pfund, von der Mark oder dem Franken unterscheiden sollte. Sie übernahmen den Taler – umbenannt in Dollar – und machten ihn zur führenden Währung weltweit.

Das Ende des Silberbergbaus

Mit dem Dreißigjährigen Krieg und seinen Verwüstungen brach der Silberbergbau im Erzgebirge und Böhmen zusammen. Manche Dörfer versteckten sich vor der marodierende Soldateska Wallensteins in ehemalige Stollen, um der Brandschatzung, Vergewaltigung und Ermordung zu entkommen.

Als der Krieg vorbei war, herrschte im früheren Silberland die bitterste Armut. Viele Bergleute flohen deshalb im 18. Jahrhundert nach Übersee, nach Amerika, wo sie halfen, reiche Bergbaugebiete in den Appalachen aufzuspüren und zu entwickeln.

Andere Familien wandten sich gen Osten, folgten dem Ruf der russischen Zaren. Peter und Katharina, die beiden Großen im Kreml, warben säschische und böhmische Bergleute gezielt ab, um eigene Minen auszubeuten – im Donbass und im Ural.

1898 – das Jahr der Pechblende

Der Niedergang des Silbers wurde 1898 besiegelt, als das britische Pfund Sterling und der US-Dollar den Goldstandard einführten. Damit war das Silber als Münzmetall entwertet, die letzten Gruben im Erzgebirge schlossen ihre Schächte und Stollen.

1898 war aber auch das Jahr, in dem Henri Becquerel und Marie Curie in Paris an einem seltsamen Mineral forschten – an Pechblende aus Sankt Joachimsthal. Dieses pechschwarze, knollenartige Mineral hatten die Bergleute wagenweise aus den Silbergruben geholt – und auf Halde geworfen.

Für sie war es wertlos, weil es kein Metall enthielt, zumindest kein Edelmetall. Aber: Becquerel und Curie entdeckten daran die Radioaktivität. Später fand Marie Curie in der Pechblende neben dem Schwermetall Uran auch Spuren von Radium.

Uran war schon 1789 von dem Apotheker Martin Klaproth in Berlin aus Pechblende isoliert worden. Das Mineral stammte aus der Gegend von Johanngeorgenstadt, eine der jüngsten Bergstädte am Kamm des Erzgebirges – von böhmischen Bergleuten gegründet, die vor der Gegenreformation nach dem Dreißigjährigen Krieg ins protestantische Sachsen flohen. Klaproth versetzte das Erz mit Säure und erhitzte es. Das schwarze Pulver, das daraus entstand, nannte er Uranit.

Ein Erzräuber erfährt neue Ehren

Pechblende ist seitdem als Uranerz bekannt, und im Erzgebirge ist dieses Mineral besonders reichhaltig. Im Mittelalter zeigten seine schwarzglänzenden Knollen das Ende von Silbergängen an, weshalb es die Bergleute als Erzräuber verfluchten.

Mit der Entdeckung der Radioaktivität un der Zerfallsreihe des Urans – Marie Curie extrahierte ein Gramm Radium aus zwei Tonnen Joachimsthalter Pechblende – hob weltweit ein Radium Rush an, auch bekannt als drittes Berggeschrey. Radium und radioaktive Strahlen galten als neues Heilmittel in der Medizin, bis die Verstrahlung ihre ersten Todesopfer forderte – auch Marie Curie.

Nach den Gruben kamen die Bäder

In Schlema und in Sankt Joachimsthal entstanden weltbekannte Radonbäder, die zahlungskräftige Klientel anzogen. So wurde das Erzgebirge zum Zauberberg, die Gebäude der Sanatorien in Jachymov sind noch heute eindrucksvoll – trotz ihrer historischen Patina.

Das Edelgas Radon gehört ebenfalls zur Zerfallsreihe des Uran, das in der Pechblende – und anderen Uranmineralien – steckt. Wohl dosiert, erwies es sich als nützlich gegen Hautkrankheiten und andere Symptome, unter anderem nervöse Leiden. Im Erzgebirge kommt es gelöst in Bergquellen vor, die es aus der Pechblende aufnehmen.

Bis zum Zweiten Weltkrieg kamen die Kurgäste aus aller Welt. Karlsbad und Franzensbad auf der böhmischen Seite sind noch heute ein Begriff. Mittlerweile hat auch Schlema seinen Status als Bad und Heilquelle neu begründet.

Uran wird zum strategischen Sprengstoff

Mit dem Zweiten Weltkrieg wurde Uran zum strategischen Metall, weil es den Sprengstoff für die Atombombe gab. Unmittelbar nach Kriegsende kamen sowjetische Spezialisten ins Erzgebirge und nach Böhmen.

Dort begannen sie, die alten Erzhalden aus dem Mittelalter mit Geigerzählern abzusuchen. Sie fanden Pechblende mit mehr als zwanzig Prozent Urananteil. Damals verfügten die Sowjets kaum über eigene Ressourcen. Die Uranerze aus dem belgischen Kongo hatten sich die Amerikaner unter den Nagel gerissen, die obendrein in Colorado und in Kanada über große Urangruben verfügten.

Stalins einzige Chance

So war die Pechblende aus dem Erzgebirge Stalins einzige Chance, im Rennen um die atomare Aufrüstung mitzuhalten. Aus diesem Grunde wurde unmittelbar nach dem Krieg die Sowjetische Aktiengesellschaft SAG Wismut gegründet, um Uran für sowjetische Atommeiler und Atombomben aus der Erde zu holen, aufzubereiten und nach Osten zu karren. Auch auf der böhmischen Seite wurde Uran abgebaut.

Die Bedingungen im Uranbergbau ähnelten zunächst den Schilderungen aus dem Mittelalter. Mit Spitzhacke, Schlägel, Eisen und Karbidlampe gingen die Bergleute wie Maulwürfe untertage. Tödliche Unfälle, gefährliche Verletzungen und Verstrahlung mit Lungenkrebs oder Leukämie waren die Folge.

Berüchtigte Straflager in Jachymov

Auf der tschechischen Seite entstanden berüchtigte Straflager, in denen politische und andere Häftlinge nach dem Vorbild des sowjetischen Gulag-Systems ausgebeutet, ausgezehrt und umgebracht wurden. Auf der sächsischen Seite türmten viele der zwangsweise eingewiesenen Bergleute nach Bayern, oder kamen in anderen Erwerbszweigen unter. Erst gegen Ende der 1950er Jahre wurde der Uranbergbau bei der Wismut professionalisiert und modernisiert.

Bis zur Wiedervereinigung holte die Wismut rund 220.000 Tonnen Uran aus dem Erzgebirge und aus Tagebauen in Thüringen – als Reparation für die Sowjetunion. Erst 1990 ging dieses barbarische Kapitel der Nachkriegsgeschichte zu Ende.

Zu diesem Zeitpunkt war das Erzgebirge hochgradig verstrahlt, durch aggressive Säuren und Arsen verseucht und vielerorts eine Bergbauwüste. Unzählige Bergleute litten an Staublunge, Rheuma und Krebs, hervorgerufen durch die radioaktiven Stäube, Mineralien und Wässer in den Gruben.

Lesen wie aus einem alten Buch

Dreißig Jahre später weisen nur einige Museen oder Markierungen in der Landschaft auf den Uranbergbau hin. Die bewegte Geschichte des Erzgebirges – Kruzne Hory auf Tschechisch – lässt sich dennoch überall in dieser Region lesen wie aus einem alten Buch.

Heute sind die Schächte, Halden und Absetzbecken verschwunden. Die Hügel sind bewaldet und grün, mit herrlichen Schluchten und Gewässern. Die Grenze zwischen Sachsen und Böhmen ist offen, frei passierbar. Die Unesco hat beide Seiten des Erzgebirges – in Sachsen und Böhmen – als historische Montanregion zum Weltkulturerbe erhoben.

Lust auf mehr? Dann hören Sie rein (in englischer Sprache):
Podcast: Traveling To The Erzgebirge With Eglund (23:55 min.)

Website von Tea, Toast & Trivia

Lesen Sie auch:
Scharfenberg: Schatzsuche unter der Erde
Tacitus: Der erste Journalist der Zeitenwende
Patrice Lumumba: Opfer der Uranbarone

Hören Sie mehr:
Podcast: Kommunikation ist keine Kunst – oder doch?
Podcast: Hässlichkeit weitet Horizonte
Podcast: Über Schönheit in Natur und Kunst

© H.S. Eglund
  • Die Führung erfordert viel Sachverstand: Historie, Technik, Zeitgeschichte, Kultur und Kenntnisse der Mineralien. © H.S. Eglund
  • Die Führungen finden regelmäßig statt. Sie dauern etwa drei Stunden und sind gut zu Fuß zu bewältigen. © H.S. Eglund
  • Letzte Einweisung am Eingang zum Erbstollen. © H.S. Eglund
  • Der Bergführer führt durch eine gemauerte Kreuzung. © H.S. Eglund
  • Die eingeschlagene Jahreszahl verdeutlicht den Vortrieb des Erbstollns. Es wurde bis 1871 gegraben - das Jahr der Gründung des Kaiserreichs. © H.S. Eglund
  • Die Natur lässt am Stollenfirst Tropfsteine entstehen. © H.S. Eglund
  • Malerische Zeichnung im Gestein: Der Bergmann konnte die Erzgänge lesen wie ein Buch. © H.S. Eglund
  • Der rote Granit ist typisch für die Region. © H.S. Eglund
  • Hier haben sich im Laufe der Zeit kleine, schwarze Manganknollen ausgebildet. © H.S. Eglund
  • Man erkennt den Wasserstand im Erbstollen, der zur Entwässerung der Gruben diente. © H.S. Eglund
  • Galenit - Bleiglanz - und Zinklende waren die bevorzugten Mineralien, die im Schwarfenberger Revier abgebaut wurden. © H.S. Eglund
  • Dieser Markstein zeigt einen Besitzerwechsel an. Der neue Eigentümer setzte den Vortrieb fort. © H.S. Eglund
  • Untertage wirkt der Berg wie eine märchenhafte Gruft. © H.S. Eglund
  • Dieser Nebenstollen reicht tiefer in den Berg, dort steht das Wasser brusthoch. © H.S. Eglund
  • Erzhaltige Formation am Stollenfirst. © H.S. Eglund
  • Das nur noch schwach silberhaltige Erz lohnt den Abbau nicht mehr. © H.S. Eglund
  • Die Berge sind von einem Labyrinth durchzogen, das der Bergbau hinterließ. © H.S. Eglund
  • Blick aufwärts in den Hoffnungsschacht. Dort endet der Erbstollen. © H.S. Eglund
  • Sieben Zwerge auf historischer Grubentour. Zwerg Eglund macht Fotos und ist deshalb nicht im Bild. © H.S. Eglund
  • Aufstieg zum Tageslicht mit dem Zeichen der Bergleute: Bergeisen und Schlägel. © H.S. Eglund
  • Liebevoll restauriert: das ehemalige Huthaus der Silbergrube. Hier tritt der Hoffnungsschacht zutage. © H.S. Eglund
  • Gesteinsstufe mit dunkel erkennbarem Silbergang und Fundstücke aus dem Bergbau. © H.S. Eglund
  • Aus der Sammlung des kleinen, sehr empfehlenswerten Museums. © H.S. Eglund
  • Die Grubengeleuchte des Bergmanns brachten Lichts in die Finsternis der Stollen. Am Anfang eine kleine Talgflamme, später ein Karbidlicht und schließlich elektrische Beleuchtung. © H.S. Eglund
  • Das kleine Grubenmuseum zeigt eine Sammlung interessanter Mineralien. © H.S. Eglund
  • Die Bergbauregion im Erzgebirge und in Böhmen gehört mittlerweile zum Weltkulturerbe der Unesco. © H.S. Eglund
Samstag, 26. März 2022

Scharfenberg: Schatzsuche unter der Erde

Der Silberbergbau in Sachsen ist mindestens 800 Jahre alt. Erstmals werden die Gruben bei Scharfenberg im Meißner Land im März 1222 erwähnt, in kaiserlicher Depesche. Grund genug für Eglund, als gelber Zwerg selber in den Stollen einzufahren – zu einer faszinierenden Zeitreise.

Am 23. März 1222 entschied Friedrich II., Kaiser des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation einen merkwürdigen Streit: Der Bischof von Meißen und der Markgraf stritten um die Silbergruben bei Scharfenberg, einer kleinen Stadt im Bistum Meißen. Der Streit berührte eine grundsätzliche Frage des mittelalterlichen Bergbaus: Wem gehörten die Gruben? Dem Kirchenherr, also Rom? Oder dem Gutsherren, der weltlichen Macht?

Das Bergregal entmachtete die Grundherren

Damals verfügte der Kaiser, wer die Gruben ausbeuten durfte. Im sogenannten Bergregal entschied der Kaiser zugunsten des Bischofs, der mit dem Silber den Bau des Meißner Doms finanzierte, eines der gewaltigsten Bauwerke seiner Zeit. Wenig später, 1232, sprach der Kaiser dem Landesfürsten eigene Gruben zu, um die Interessen auszugleichen.

Das Bergregal sprach dem Kaiser das Privileg zu, über den Abbau kostbarer Erze zu verfügen, unabhängig vom Landeigentum der Territorialfürsten. Er konnte es an Bischöfe oder Könige abgeben, war nicht gebunden. Das Bergregal erlaubte zudem die Gründung freier Siedlungen wie Freiberg, Annaberg, Schneeberg oder Sankt Joachimsthal auf der böhmischen Seite.

Ein Regal für Silbermünzen

In ihren regierte das Bergrecht, nicht die Rechtsprechung des Herzogs. Der Vorteil: Mit dem Bergbau entwickelten sich das Handwerk und der Geldverkehr, denn neben dem Bergregal verlieh der Kaiser auch das Münzregal.

Bekannt sind die Zwickauer Silbermünze der Brüder Martin und Niklas Römer aus dem späten 14. Jahrhundert und die Münze der Grafen Schlick im böhmischen Joachimsthal Anfang des 15. Jahrhundert. Der Joachimsthaler ging als Silbermünze zunächst in Europa durch die Hände, wurde als harte Währung sehr geschätzt. So wurde er zum legendären Taler und später zum Dollar, der Währung der unabhängigen Kolonien in Neu-England.

Beginn im zehnten Jahrhundert

Es wird vermutet, dass der sächsische Bergbau einige hundert Jahre älter zurückreicht als die Urkunde von Kaiser Friedrich II. Vermutet werden die Anfänge im zehnten und elften Jahrhundert. Zunächst wurde Zinn aus den Bächen und Flussläufen der Berge an der Elbe und ihren Zuflüssen gewaschen, man spricht von Seifen. Wo die Erzgänge aus dem Ufer traten, gingen die Seifner in den Berg.

Seitdem weckten Zinn, Kupfer, Blei, Kobalt und vor allem Silber die Gier der Mächtigen. Als Kaiser Friedrich für den Bischof entschied, setzte er die Rechte des Markgrafs von Meißen zurück. Er war der eigentliche Grundherr der Ländereien an der Elbe, doch er musste sich dem Richtspruch beugen. Das Bergregal hebelte die weltliche Macht des Fürsten aus, und dieser Konflikt sollte für die kommenden 500 Jahre auf der deutschen Geschichte lasten wie ein Fluch.

Ein Streit für 500 Jahre

Denn dieser Widerspruch – die Teilung der Macht und damit doppelte Bürden für die Bauern, Bergleute und Kaufleute – führte zum Bauernkrieg und zur Reformation. Erst mit dem Dreißigjährigen Krieg wurde die Macht der Bischöfe und Klöster gebrochen, die Machtfrage in deutschen Landen zugunsten der Kurfürsten entschieden.

Da war die frühe Phase des Silberbergbaus bereits Geschichte. Denn eine Schwemme von Silber und Gold aus den spanischen und portugiesischen Kolonien in der Neuen Welt ließ die Preise in Europa einbrechen. Der Aufwand lohnte nicht mehr.

Neue Blüte nach den Napoleonischen Kriegen

Bis ins 19. Jahrhundert, als die Silbergruben im Erzgebirge eine neue Blüte erlebten. Nun stand das industrielle Zeitalter vor der Tür. Napoleon hatte die letzten Reste klerikaler Macht beseitigt und den modernen Staat geschaffen. Die neue Zeit mit ihren Dampfmaschinen und Erfindungen hungerte nach Metallen: Eisen und Stahl, Silber, Zinn und Zink, Blei und Kobalt, Mangan und Chrom.

Die Schächte und Stollen aus dieser Zeit sind noch gut erhalten. Manche werden von Traditionsvereinen und der Bergaufsicht wieder freigelegt. Ganz alte Gruben aus dem zwölften oder 13. Jahrhundert erkennt man meist nur an den Pingen (Bergbrüchen), die sie an den bewaldeten Hängen hinterließen. Die alten Stollen sind verschlammt, versandet, eingestürzt, längst ist das Holz der Türstöcke und zur Sicherung der Mundlöcher verrottet.

Ein Erbstollen aus dem Jahr 1817

In Scharfenberg wurde vor wenigen Jahren ein Erbstollen von 1817 freigeräumt, der zur Entwässerung der Grube Güte Gottes diente. Er wurde instandgesetzt und bergtechnisch gesichert, um die Entwässerung der alten Hohlräume aus dem Bergbau zu gewährleisten. Andernfalls besteht die Gefahr, dass sie unkontrolliert einsacken oder das Wasser neue Hohlräume in den Berg wäscht.

Start und Ende der Begehung des König-David-Erbstollens Mitte März 2022 war das ehemalige Huthaus, das Verwaltungsgebäude der Grube. Sie war bis 1898 in Betrieb – bis zum endgültigen Aus der Silberförderung in diesem Gebiet.

Das Huthaus mit dem Hoffnungsschacht

Der Scharfenberger Verein, der mit viel Engagement den Silberbergbau aufleben lässt, und die Eigentümer des Geländes haben das Huthaus zu einem kleinen Museum ausgebaut. Hier endet der Hoffnungsschacht, der zur Entlüftung und als Förderschacht für die Grube diente.

Zünftig mit Gummijacke, Gummistiefeln, Plastikhelm und Grubengeleucht ausgestattet, machte sich eine Gruppe Interessierter auf, wie gelbe Zwerge auf dem Weg unter die Erde. Geführt wurde sie von einem kundigen Mitglied des Vereins, der viel Wissenswertes über die silberne Vergangenheit von Scharfenberg erzählte.

Viele alte Häuser von damals

In Scharfenberg stehen noch viele alte Gebäude aus dem 16. und 17. Jahrhundert, die als Steigerhäuser, als Schmiede oder Bethaus zur Grube gehörten. Heute werden sie meistenteils als Wohnhäuser genutzt, wie auch das Huthaus der Grube, in dem der Hoffnungsschacht zur Oberfläche aufsteigt.

Das Mundloch des König-David-Erbstollns befindet sich etwas oberhalb der Elbe, fast unmittelbar am Ufer, nur getrennt durch die Bundesstraße, die hier dem Flusslauf hautnah folgt. Er wurde ab 1817 vorgetrieben, um die erzhaltigen Gruben zu entwässern und das Erz aus der Grube zu fördern – über spezielle Grubenwagen, Hunte genannt.

Dreck, Enge, Kälte – schwere Arbeit untertage

Unter der Erde bekommt man einen Eindruck, wie schwer die Arbeit der Bergleute war, und wie gefährlich: Dreck, Staub, Enge, Dunkelheit, Kälte und natürlich das drohende Deckgebirge machten die Arbeit untertage zur Schinderei. Hier wurde das Erz mit der Hand, mit Bergeisen und Schlägel gebrochen, und selten wurden die Bergleute älter als vierzig Jahre.

Zwar gab es im Scharfenberger Revier kein radioaktives Uranerz (Pechblende) wie in Annaberg, Schneeberg und Joachimsthal (Jachymov). Dennoch litten und siechten die Bergleute an Staublunge, am Rheuma, an Knochenbrüchen oder starben bei Unfällen: Bergsturz, Wassereinbruch, matte Wetter durch mangelnde Belüftung.

Aufwändige Aufbereitung und Verhüttung

Das Erz wurde von Huntsknechten mittels Hunten aus dem Berg gekarrt und von Scheidejungs an der Scheidebank begutachtet. Mit kundigem Blick trennten sie das Reicherz von taubem Gestein.

Anschließend wurde das Erz im Pochwerk unmittelbar am Elbufer durch gewaltige, mit Eisen beschlagene Eichenstempel zerkleinert, zu Mehl zerstoßen, mit Wasser verschlämmt und im Absetzbecken mit Holzschiebern abgezogen. Danach wurde der Silberstaub nach Freiberg gebracht, um ihn zu rösten und zu Barren zu schmelzen.

Bleihaltige Minerale lieferten Silber

Weil die Erze sehr bleihaltig waren, litten schon die Scheidejungen an Vergiftungen, wurden nicht alt. Vor allem das Mineral Bleiglanz (Galenit) wurde abgebaut, das recht hohe Anteile von Silber aufwies. Die Gesteine der Region sind durch Gneise gekennzeichnet. Zudem findet man Manganspat, Edelspat, rötlichen Granit (Feldspat), Pyrite (Mineralien mit Eisen und Schwefel), Quarz und Glimmer, ebenso Kaolin.

Die Berge sind reich, bis heute. Durch den jahrhundertelangen Bergbau sie sind zerlöchert wie Schweizer Käse. Die Begehung des Erbstollens erwies zahlreiche Nebengänge, Stummelstollen und verschüttete Strecken, in denen früher offenbar Silbererz abgebaut wurde. Noch sind einzelne Erzgänge im Granit sichtbar.

Aufwand für den Bergbau wuchs

Tektonisch gehört das Scharfenberger Revier zum Freiberger Gebirge und dem Erzgebirge. Zu Beginn der Erzabbaus wurden Zinn und Silber sogar gediegen gefunden, unmittelbar in den Ufersedimenten der Bergbäche, faktisch unter der Rasennarbe.

Mit zunehmendem Abbau wuchs der Aufwand, um an die begehrten Erze zu kommen. Immer tiefer wurden die Schächte abgeteuft, bis weit unter den Spiegel des Grundwassers. Damit mussten die Schächte und Stollen künstlich entwässert werden, durch Erbstollen oder durch Hebeanlagen mit Haspeln und Eimern.

Viele hundert Kilometer Stollen

Die zunehmende Länge der Erzstollen – im Erzgebirge summieren sie sich auf hunderte Kilometer – machte die künstliche Belüftung erforderlich. So fungierte der König-David-Erbstollen zugleich als Luftröhre, um die Abluft der Bergleute und die Sprenggase aus dem Berg zu führen und Frischluft einzusaugen.

Im Dreißigjährigen Krieg, als der Bergbau aufgrund des Krieges am Boden lag, dienten die alten Schächte den Einheimischen als letzte Zuflucht. Wenn marodierende Horden das Land durchzogen, plündern, brandschatzend und mordend, versteckten sich ganze Dörfer in den dunklen Stollen.

Die hohe Kunst der Bergleute

Als der König-David-Erbstollen angelegt wurde, dämmerte bereits das 19. Jahrhundert. Noch hatte der Bergbau nicht das industrielle Ausmaß angenommen, weil es zwar das spröde Eisen gab. Aber die Herstellung von Stahl – durch die Beigabe von Kohle – kam erst auf. Auch Dampfmaschinen und Pumpentechnik standen noch am Anfang.

So bekommt man auch einen Eindruck, wie ein solcher Stollen alle drei Kilometer durch senkrechte Lichtschächte angebohrt und dann horizontal von zwei Seiten aus dem Fels geschlagen wurde. Die Markscheider, die den Vortrieb mit Lot und Kompass berechneten, waren wahre Meister.

Denn die einzelnen Stollenabschnitte trafen millimetergenau aufeinander. Zudem hat der Erbstollen über etliche hundert Meter eine exakt eingestellte Neigung, damit das Wasser frei abfließen kann, ohne dass die Sohle mit der Zeit verschlammt.

Das ganze Leben im Stollen

Der Aufwand war beträchtlich: Legionen von Bergleuten brachten ihr gesamtes Berufsleben in ein und dem selben Stollen zu, denn das harte Gestein erlaubte den Vortrieb stellenweise nur millimeterweise. Zwar erleichterte Schwarzpulver und später Dynamit die Arbeit, ihr Einsatz war aber von neuen Gefahren begleitet.

Teilweise wurden die Stollen durch Türstöcke und Stempel aus Holz abgesichert oder mit Ziegeln vermauert. Das Holz, das im feuchten Berg schnell faulte, musste alle sieben Jahr erneuert werden.

Das Ende des Miriquidi

Das ist der Grund, warum die Berge in alten Darstellungen – etwa bei Agricola – nahezu kahl erscheinen. Längst war der alte Urwald, der legendäre Miriquidi, für den Bergbau und die Siedlungen der Bergarbeiter gerodet und verschwunden.

Die heutigen Wälder sind spätere Aufforstungen, weil der Mangel an Bauholz im 15. und 16. Jahrhundert die Wirtschaftlichkeit der Gruben gefährdete. Zudem bekam jeder Bergmann eine bestimmte Menge Bauholz für seine Hütte zugesprochen – quasi als Mitgift. Vor allem arme Bauern aus Franken waren es, die dem Berggeschrey des Herzogs von Meißen folgten und das sächsische Bergland besiedelten.

Das Aus für die Silbergruben

Im Scharfenberger Revier waren die Erzgänge anfangs sehr reich, bis zu drei Meter dick. Die Zeiten sind längst vorbei. Heute lohnt der Abbau nicht mehr, die letzte Grube machte 1898 dicht. Damals führten London und Washington den Goldstandard ein. Silber als Basis der Währungen verlor schlagartig an Bedeutung.

Dass Silberdraht in der Elektrotechnik aufgrund seiner exzellenten Leitfähigkeit eine herausragende Rolle spielte, stoppte den Preisverfall nicht. Kupfer und optimierte Legierungen aus Stahl boten wirtschaftliche Alternativen.

1898 – Geburtsjahr des Atomzeitalters

1898 war auch das Jahr, in dem das Uran seinen Zug durch die Geschichte begann. In Paris entdeckte Henri Becquerel die Radioaktivität. Marie und Pierre Curie gelang es, Radium zu isolieren – aus der Pechblende einer ehemaligen Silbergrube in Sankt Joachimsthal in Böhmen. Jahrhundertelang wurden die Uranerze als wertloses Taub auf Halde geworfen.

Als das Berggeschrey des Silbers im Erzgebirge und in Böhmen verklang, machte sich der Radium Rush auf – weltweit. Der Bergbau von Pechblende und Uran im Erzgebirge, die Atombombe und der nukleare Meiler – das ist eine andere Geschichte. Ihre Anfänge aber lagen in Scharfenberg un dim Erzgebirge, und sie liegen noch dort, tief unter der Erde.

Zur Industriegeschichte lesen Sie auch:
Video: Eglund am Solarfeld in Groß-Dölln
Video: Eglund am Solarfeld in Groß-Dölln (2)
Video: Mit Eglund am Kohlekraftwerk in Schwarze Pumpe
Video: Eglund am Tagebau Welzow-Süd in der Lausitz

Zen Solar – Roman der Energiewende

© H.S. Eglund
Montag, 21. März 2022

Energie für die Friedenswende

In einer eindrücklichen Botschaft hat sich US-Schauspieler Arnold Schwarzenegger an seine russischen Fans gerichtet, um den Krieg in der Ukraine zu beenden. Er spricht die Menschen direkt an, ihre Sehnsucht nach Frieden. Auch wir sind in der Pflicht.

Schwarzenegger erzählt in seinem Video, wie ihn die Leistungen russischer Gewichtheber zum Kraftsport brachten, wie er Freunde gewann, als er auf dem Roten Platz in Moskau einen Film drehen durfte – erstmals überhaupt, dass ein ausländischer Film im heiligen Gral der Sowjets gedreht werden durfte.

Und er richtet sich an Wladimir Putin, der zu den Bewunderern Schwarzeneggers gehört: „Sie haben diesen Krieg begonnen, Sie führen diesen Krieg und Sie haben es in der Hand, ihn zu beenden.“

Die Videobotschaft von Arnold Schwarzenegger auf Youtube.

Die Russen taugen nicht zum Feind

Wir wollen Schwarzeneggers Botschaft darauf prüfen, was sie für das Kommende bedeutet. Schwarzenegger vermeidet es ganz bewusst, das russische Volk zum Feind zu erklären. Im Gegenteil: Er verweist auf die Friedensliebe und die Leidensfähigkeit, die in der russischen Geschichte erkennbar sind, auf den Heroismus, der nun durch den Kreml missbraucht wird.

Aber: „Der Russe“ ist kein Feindbild mehr, wie es noch vor zwei Generationen in Deutschland üblich war. Das ist eine erstaunliche Erkenntnis aus dem Krieg in der Ukraine. Die Menschen verstehen, dass Im Kreml eine skrupellose Oberschicht agiert, ein Überstaat, den es auch bei uns gibt – wenn auch nicht mit imperialen Ansprüchen wie in Moskau.

Der Humanismus der Energiewende

Und: Schwarzenegger hat die Menschen in Russland angesprochen, die seine Filme ebenso lieben wie bei uns in Europa oder in Amerika. Man muss die Filme nicht mögen, aber Schwarzeneggers Video sendet eine zutiefst humanistischen Botschaft, wie übrigens sein Video vor Jahresfrist, als der Mob den Capitol Hill in Washington stürmte. Und dieser Humanismus ist es, der den Kreis zur Energiewende schließt.

Der Krieg um russisches Erdgas, denn das ist der Ukraine-Krieg in seinem Kern, zeigt deutlich, dass es mit fossilen oder nuklearen Brennstoffen keinen Frieden geben kann. Milliarden Euro und US-Dollar sind im Spiel, um Öl, Gas oder Uranbrennstäbe um den halben Globus zu schiffen. Also gibt es starke Mächte, dieses Geschäft geopolitisch abzusichern. Es ist zu verlockend, zu lukrativ, um es weniger hochgerüsteten Wettbewerbern (wie der Ukraine) zu überlassen.

Russland verliert seine Energiekunden

Dabei ist die Ukraine lediglich Transitland, verdient also nur am Wegezoll, an der Durchleitung des Gases. Sie ist aber auch Energiekunde von Russland und Weißrussland, hängt am Stromnetz der nordöstlichen Nachbarn und an den Lieferungen der nuklearen Brennstäbe für seine AKW.

Sie hing an diesen Netzen, muss man sagen, denn vergangene Woche ließ Präsident Selenskyi die Anschlüsse nach Norden und Osten kappen. Nunmehr hängt die Ukraine am Europäischen Verbundnetz, wird über Moldawien versorgt und sicher bald über weitere Anschlusspunkte in Polen.

Putin hat alles riskiert – und verloren

Eines Tages wird der Krieg in der Ukraine zu Ende sein. Verloren hat ihn Putin jetzt schon. Denn seine Erwartungen, dass ihm die Ukrainer zujubeln, wurden bitter enttäuscht. Er hat die Ukraine und den gesamten Westen als Partner und als Energiekunden verloren. Der globale Vertrauensverlust lässt sich nicht zurückdrehen.

Die Frage ist, wie viele Menschen noch sterben müssen, bevor Putin seine Kettenhunde zurückpfeift. Wir erinnern uns: Der Afghanistan-Krieg, der zehn Jahre (1979 bis 1989) dauerte, kostete die Sowjetunion mehr als 13.000 tote Soldaten und Offiziere. Schon jetzt, nach drei Wochen Krieg in der Ukraine, sind seriösen Schätzungen zufolge rund 5.000 bis 6.000 russische Soldaten gestorben.

Der Zusammenbruch großrussischer Träume

Michail Gorbatschow hat einst im Interview bekannt, dass drei Dinge den Zusammenbruch der Sowjetunion verursachten: der Alkoholismus, Afghanistan und Tschernobyl. Der Krieg in der Ukraine wird den Zusammenbruch des großrussischen Imperialismus zur Folge haben.

Der machtvolle Block der Militärs und des Geheimdienstes – Putins Hinterleute – wird in die Knie gehen, weil er die Modernisierung Russlands behindert. Seit 2019 sind mehr als zwei Millionen junge, gut ausgebildete Russen aus ihrer Heimat geflohen: nach Deutschland, ins Baltikum, nach Österreich, in die Slowakei, nach Tschechien, nach Frankreich. Jetzt sind die Grenzen gänzlich dicht, Putin musste sein eigenes Land in ein Gefängnis verwandeln, wie einst Walter Ulbricht durch den Bau der Berliner Mauer.

Keine Rückkehr ins Gefängnis

Aber die Rückkehr in ein gigantische Gefängnis – wie unter Stalin und Breshnew – wird es nicht geben. Weil Russland zu sehr mit der westlichen Wirtschaft verzahnt ist, weil seine Wirtschaft auf die jungen und fähigsten Köpfe angewiesen ist. Weil das historische Urteil über die Sowjetunion schon vor dreißig Jahren gesprochen wurde.

Putin mag sich noch so sehr den Anspruch verblichener Sowjetgröße geben, mag seinen Neo-Zarismus rot lackieren (wie Boris Jelzin es nannte), an den akuten Problemen der russischen Gesellschaft kommt er nicht vorbei. Es bedurfte nicht der Sanktionen des Westens, dass die russischen Städte verfallen, dass die Atommeiler und Atomraketen rosten, dass Millionen Menschen – vor allem die Rentnerinnen und Rentner – hart an der Armutsgrenze leben.

Wer etwas kann, haut ab

Die Zahl der aus politischen Gründen Inhaftierten ist während der Herrschaft Putins seit dem Jahreswechsel von 1999 zu 2000 auf rund 15.000 gestiegen (von Null unter Jelzin). Da sind die Verhaftungen unter den Demonstranten nicht eingerechnet, die seit drei Wochen gegen den Krieg in der Ukraine protestieren.

Nicht eingerechnet sind die Folgen, die der Protest von rund 7.000 Wissenschaftlern aus Russland bedeutet. Sie verstehen, dass sie durch Putins Krieg isoliert sind, spüren zugleich die Solidarität ihre Forscherkollegen im Ausland. Wer (etwas) kann, verlässt das Land auf dem schnellsten Wege.

Die Flucht der russischen Primaballerina Olga Smirnowa nach Amsterdam, der Aufruf der russischen Wissenschaftler oder der Frust der russischen Sportler beweisen, dass sich die gebildeten Russen von Putin und seiner Mischpoke abwenden. Sie sind Teil dieser Welt, die keine Grenzen mehr kennt, keine Ideologien und keinen Revanchismus – erst recht keinen Krieg.

Der Schlüssel zu Russland

Die Ukraine ist der Schlüssel zu Russland. Das hat sich im langen Verlauf der Geschichte von der Kiewer Rus bis heute immer neu erwiesen. Wenn dieser Krieg zu Ende geht, rückt ihr Wiederaufbau auf die Tagesordnung. Nicht die Waffenlieferungen der Nato werden den Frieden bringen, sondern die Energiewende auch in der Ukraine und der Aufbau nachhaltiger, regionaler Wirtschaftskreisläufe.

Für die deutsche Solarwirtschaft wird die Ukraine ein neuer Zielmarkt von herausragender Bedeutung. Vielleicht klingt es seltsam, dass ich inmitten der Bombardements, inmitten der TV-Bilder von toten Kindern und Frauen von Solarmärkten spreche. Aber ich meine, dass wir als Branche bereits weiter blicken müssen, über die Lieferung von Waffen und Hilfsgütern hinaus. Diese Hilfen sind wichtig, um Putin den militärischen Sieg zu verweigern. Aber den Frieden – echten und dauerhaften Frieden – bringen sie nicht.

Europa rückt nach Osten vor

Mit diesem Krieg ist die Ukraine unwiderruflich in den Kreis der europäischen Staaten eingetreten. Sie wird Mitglied der EU, egal, wie lange das noch dauert. Die Polen beweisen in beispielloser Weise ihre Verbundenheit mit dem östlichen Nachbarn, ebenso Moldawien, die Slowakei, Tschechien, Ungarn und Rumänien – allesamt Mitglieder der EU. Der Besuch von drei Ministerpräsidenten im umkämpften Kiew war nicht nur mutig. Es war eine Demonstration eines neuen Selbstbewusstseins: Wenn EU, dann richtig!

So rückt der Westen direkt an Russlands Grenze vor, ohne dass die Ukraine Mitglied der Nato werden muss. Denn die Nato selbst steht für eine überkommene Epoche, als sich Macht allein auf Atomraketen gründete. Für die Ausgestaltung des Friedens sind die europäische Zusammenarbeit und die globalen Kreisläufe der Wirtschaft viel wichtiger, als hochgerüstete Militärblöcke, die mit nuklearen Muskeln spielen.

Die Eliten reisen aus

Der Wiederaufbau von Charkiw, Mariupol und Kiew wird unzweifelhaft auf Russland ausstrahlen – wie das Wirtschaftswunder in Westdeutschland einst auf die sowjetische Besatzungszone ausstrahlte. Die Modernisierung der Energieversorgung in der Ukraine – ohne AKW, ohne Gasbrenner, nur mit Sonne, Wind und grünem, lokal erzeugtem Wasserstoff – wird eine unwiderstehliche Anziehungskraft entfalten.

Denn nur eine freie, demokratische Gesellschaft ist die Lage, sich zu modernisieren und die öko-sozialen Probleme ihrer Bevölkerung zu lösen. Junge Leute verstehen das schneller, als die Alten – naturgemäß, denn sie müssen die Suppe auslöffeln. Deshalb wandern sie in Scharen aus Russland aus, es ist eine Abstimmung mit den Füßen – wie 1989 in Ostdeutschland.

Putin ist zum Scheitern verurteilt

Erinnern wir uns: Es waren junge Eliten, die in den 1980er Jahren aus der DDR ausreisten – Ärzte, Ingenieure, Informatiker, Künstler. Dasselbe passiert nun in Russland. Was die SED in Ostberlin lernen musste, wird auch an Wladimir Putin nicht vorbeigehen. Eine Zeitlang kann er sein Land in einen Knast verwandeln, wie einst Walter Ulbricht, als er die Berliner Mauer baute.

Aber der Kremlchef und seine Hintermänner sind zum Scheitern verurteilt, so viel steht bereits fest. Revanchismus, Imperialismus, Drohgebärden und Kriege haben in unserer Welt keinen Platz mehr. Sorgen wir dafür, dass Putin in der Ukraine keinen Scheiterhaufen hinterlässt. Es wird bald darum gehen, die Wunden des Krieges möglichst schnell zu heilen.

Ein Prüfstein des Humanismus

So wird die Ukraine zum Prüfstein für den Humanismus der modernen, westlichen Gesellschaft überhaupt. Deutschland ist dafür ein historisches Vorbild: Es verdankt seine Einheit, seine moderne Entwicklung zur wirtschaftlichen Großmacht dem Wirtschaftswunder, das die Amerikaner finanzierten. Es verdankt seine Position in der Welt aber auch dem Russen Michail Gorbatschow, der die Wiedervereinigung erlaubte – in der Hoffnung, die bankrotte Sowjetunion ökonomisch zu sanieren.

Weil die Demokratisierung aufgrund fehlender historischer Erfahrungen nicht in Gang kam, wurde Russland nach 1992 vor allem als Handelspartner für Energie und Rohstoffe hofiert. Europäisches und amerikanisches Kapital züchtete eine Kaste gieriger Oligarchen, die Masse der russischen Bevölkerung blieb am Tropf postsowjetischer Subventionen: für Energie, Wohnungen und Arbeit. Das Militär und die Rüstungsindustrie sind die wichtigsten Arbeitgeber in Russland, ebenso der Urankomplex. Das war schon in der Sowjetunion so.

Die Hand nach Osten ausstrecken

Nun läuft die Zeit des militärisch-nuklearen Komplexes ab. Wenn der Krieg in der Ukraine eines Tages vorbei sein wird, muss der Westen deshalb seine Hand nach Osten ausstrecken. Nicht zu Putin und seinen Schergen, sie wurden lange genug hofiert, ausgehalten und gepäppelt. Sondern zu den Menschen vor Ort. Russland hat 140 Millionen Einwohner, rund elf Millionen haben direkte Verwandte in der Ukraine.

Deutschland muss und kann seine Wirtschaftskraft in die Waagschale werfen, um die Ukraine wieder aufzubauen. Es muss ein Wirtschaftswunder nach dem Vorbild Westdeutschlands nach 1945 geben. Dabei kommt der Energiewende eine zentrale Aufgabe zu.

Alles steht auf dem Spiel

Denn nur sie sichert Zukunft, fördert die regionale Wertschöpfung, macht die Ukraine – wie Deutschland auch – unabhängig von Brennstoffen aus Russland und dem Donbass, macht sie unabhängig von den Oligarchen und Spekulanten dieser Welt. Millionen Flüchtlingen wird ermöglicht, in ihre Heimat zurückzukehren. Weil es eine Zukunft gibt, Arbeit und Frieden.

Mit Kohle, Öl, Gas und Uran wird es diesen Frieden nicht geben, das offenbart der Krieg in der Ukraine einmal mehr. Wir sind in der Pflicht, über den Tellerrand von Rhein und Oder hinaus zu denken. So gesehen, bedeutet der Krieg in der Ukraine tatsächlich eine Zeitenwende. Alles, alles was den Westen ausmacht, steht dort gleichermaßen auf dem Spiel.

Lesen Sie auch:
Energiewende – jetzt erst recht!
Kalter Krieg ums Gas
2022 – Entfesselt den Sonnenbürger!
150 Praxistipps für Autarkie – kostenfreier Ratgeber für 2022 erschienen!

Video: Eglund am Solarfeld in Groß-Dölln
Video: Eglund am Solarfeld in Groß-Dölln (2)
Video: Mit Eglund am Kohlekraftwerk in Schwarze Pumpe
Video: Eglund am Tagebau Welzow-Süd in der Lausitz

© H.S. Eglund
  • Kein Vergleich zum Glaspalast der Leipziger Messe: Werk 2 am Connewitzer Kreuz. © H.S. Eglund
  • Innerhalb von sechs Wochen wurde die Veranstaltung organisiert. © H.S. Eglund
  • Flankiert wurde die Präsentation durch ein Leseprogramm in verschiedenen Kulturstätten Leipzigs. © H.S. Eglund
  • Auf Tuchfühlung mit dem Buch. © H.S. Eglund
  • Bücher ohne Ende trafen auf ein interessiertes Publikum. © H.S. Eglund
  • Welche Zukunft hat die Buchmesse? Viele kleine Popups? © H.S. Eglund
  • Leserinnen und Leser kamen ins Gespräch mit Verlegerinnen und Verlegern. © H.S. Eglund
  • Muss eine Buchmesse größer sein, oder geht der Trend zu regionalen, kleineren Veranstaltungen - wie in anderen Branchen auch? © H.S. Eglund
Samstag, 19. März 2022

Popup 2022: Großer Andrang im Werk 2 in Leipzig

Auch in diesem Jahr wurde die Buchmesse abgesagt. Doch 50 Verlage suchten einen eigenen Weg, um die Lesergemeinde in der Messestadt auf die Beine zu bringen. Das ist gelungen, wie unsere Impressionen zeigen.

Die kurzfristige Absage der Buchmesse in Leipzig hat viele Akteure vor den Kopf gestoßen. Nicht nur Verlage, auch Buchhändler und vor allem Leserinnen und Leser zeigten sich enttäuscht. Abgesehen von den Hoteliers, denn viele Gäste hatten bereits ihre Unterkünfte gebucht. Es sollte wieder losgehen.

Wandel in der Messebranche

Dass sich die Leitung des Glaspalastes an der Autobahn gegen die Messe entschied, hatte natürlich mit Corona zu tun. Einige große Aussteller hatten ihre Teilnahme storniert, weil sie die Risiken fürchteten: Ansteckung und Ausfall der Mitarbeiter.
Zudem ist dieser Großveranstaltung der wirtschaftliche Sinn abhanden gekommen.

Die Absagen waren nur teilweise Corona geschuldet. Aufgrund der Digitalisierung sind viele Verlagsgeschäfte mittlerweile problemlos ohne Präsenzmessen möglich. Und: Die Digitalisierung spielt den großen Verlagen in die Hände, die mächtige IT-Abteilungen unterhalten und viel Aufwand in Social Media stecken können.

Dass auch der Buchverkauf ohne Messen in Frankfurt und Leipzig auskommt, zeigen die Umsätze 2021: Der Absatz von Büchern im deutschen Markt stieg um drei Prozent. Die Frage steht im Raum, ob die großen – und teuren Messen – noch gebraucht werden. So war die Popup Buchmesse Mitte März in Leipzig ein Test, wie sich solche Veranstaltungen künftig ausrichten könnten. Ein höchst spannender Test.

Ein spannender Test im Werk 2

Zum einen hat sich gezeigt: Die Leute wollen nicht nur Bücher angucken, sie wollen sie kaufen. Bei der Ausstellung im Werk 2 zeigten sich nahezu alle Verlegerinnen und Verleger davon angetan, dass sie mit ihrem Publikum direkt ins Gespräch kommen und Bücher über den Tisch reichen durften.

Bei den etablierten Messen in Leipzig und Frankfurt ist der Verkauf nur über die Messebuchhandlung erlaubt, mit einer Provision von 55 Prozent vom Buchpreis. Auf diese Weise werden die Verlage genauso ausgebeutet wie von Amazon, das gleichfalls 55 Prozent Provision kassiert.

Erst ab Sonntag (Letzter Messetag) um 15 Uhr dürfen Bücher an den Messeständen verkauft werden. Das ist vor allem für kleine Verlage viel zu kurz, denn für sie lohnt sich ein Verkauf über die Messebuchhandlung erst recht nicht. Dort dominieren – wie bei Thalia oder im Bahnhofsbuchhandel – ohnehin die großen Verlage.

Die Leute wollen Bücher

Und: Leipzig hat – im Unterschied zu Frankfurt – offenbar ein sehr treues Lesepublikum. Denn obwohl die Popup-Messe relativ kurzfristig anberaumt wurde, waren die meisten Lesungen in kurzer Zeit ausverkauft. Die Ausstellung selbst war sehr gut besucht, vor allem am Sonnabend bildeten sich lange Schlangen.

Eine kleinere Veranstaltung wie im Werk 2 bringt die Verlage näher an ihre Leserschaft. Sie lässt sich mehrfach im Jahr wiederholen, möglicherweise thematisch akzentuiert. Und: Alle Verlage sollten die gleiche Standgröße bekommen, um möglichst vielen Buchanbietern die Teilnahme zu ermöglichen.

Es ist auch denkbar, solche Veranstaltungen regional zu vervielfältigen, als Popup in Leipzig, Dresden und Chemnitz, um einmal in Sachsen zu bleiben. Das schließt eine oder zwei große Messen nicht aus, bei denen die Branche ihr Business pflegt: Druckaufträge, Lizenzen, Übersetzungen und so weiter.

Versessen auf den Geruch von Papier

Aber die Leserinnen und Leser, sie suchen die Nähe der Verlage, das Gespräch mit Autorinnen und Autoren. Sie sind versessen auf den Geruch von Papier und auf dezentes Licht, das die Cover der Bücher so wunderbar zur Geltung bringt. Sie sind versessen auf die Ideen, Gedanken und Überraschungen, die zwischen den Buchdeckeln lauern. Das ist Schatzsuche, sie darf ruhig etwas versteckt stattfinden, an einem Ort mit angeschmuddeltem Charme.

Diese Leute brauchen keinen Glaspalast, keine überteuerten Tickets, keine gigantischen Messestände, für Unsummen hingeklotzt, um … – ja was denn, wofür eigentlich? Fürs Buch? Für die Leserinnen und Leser? Irgendwie war das Werk 2 am Connewitzer Kreuz in Leipzig ein besserer Ort. Und die Popup-Buchmesse richtig gelungen.

Lesen Sie auch:
C’est le vent, Betty
Stefan Heym – ein später Nachruf
Lesungen in der Höhle: Vernissage in Berlin
Buchmesse in Frankfurt: ohne Schwung, ohne Esprit
Zur Buchmesse: Eglund liest aus seinem Roman „Zen Solar“

© EnBW
Mittwoch, 2. März 2022

Energiewende – jetzt erst recht!

Die russische Aggression zeigt: Echter Frieden lässt sich nur mit erneuerbaren Energien gewinnen. Die dezentrale Versorgung mit Strom von Sonne, Wind und grünem Wasserstoff ist von höchster strategischer und sozialer Bedeutung.

Die schockierenden Bilder aus der Ukraine haben sogar Corona von den Mattscheiben verdrängt, den Dauerbrenner der vergangenen zweieinhalb Jahre. Putins Einmarsch – ausgelöst durch den Streit um marode Kohlebergwerke im Donbass – ist ein Rückfall ins Mittelalter. Ist ein Rückfall in eine Zeit, als Kohle, Gas und Uran den Takt des Kalten Krieges vorgaben.

Anderthalb Jahrzehnte vertan

Dass Deutschland in diesen Strudel gerät, ist eine Konsequenz der katastrophalen Energiepolitik aus 16 Jahren Herrschaft von CDU/CSU, mal mit der FDP, mal mit den Sozen als Koalitionspartner. Mehr als anderthalb Jahrzehnte wurden vertan, ohne die Abhängigkeit von ausländischen Energieträgern zu verringern: Weiterhin hängen Deutschland und Europa am Tropf des saudischen Öls und von russischem Gas.

Mehr noch: Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) sitzt heute dem Aufsichtsrat von Gazprom vor, wollte bis zuletzt die baltische Gastrasse Nord Stream 2 durchdrücken. Eigentlich gehört sein privates Vermögen nun ebenso eingefroren wie die Konten von Putin und Lavrov.

Der Donbass ist den Russen, was uns die Lausitz ist: Dort hocken die Bergarbeiter, traditionell eine extrem konservative Berufsgruppe, mächtig stolz auf den Dreck zwischen ihren Fingernägeln und auf ihre Staublungen, die sie früh in die Rente und aufs Totenbett schicken. Die Zeche zahlen andere, keine Sorge! Der Einmarsch Russlands, um vermeintliche russische Interessen in der Ukraine zu schützen, zeigt die Hilflosigkeit Putins und des militärisch-nuklearen Komplexes, der hinter ihm steht.

Ein mordsmäßiges Verlustgeschäft

Denn die Gruben im Donbass laufen teilweise mit Ausrüstungen aus der Nachkriegszeit. Das ist ein mordsmäßiges Verlustgeschäft, eigentlich müsste man sie schließen. Aber wohin mit den zänkischen Bergarbeitern? Diese Menschen leben dort, seit Generationen. Statt ihnen echte Alternativen anzubieten, wird die Illusion genährt, der Bergbau habe eine Zukunft – wenn Kiew klein beigibt.

Erstaunlich, wie sich die Worte gleichen: Dietmar Woidke, sozialdemokratischer Ministerpräsident des Landes Brandenburg, ruft am ersten Tag nach der russischen Invasion nach einer Verlängerung des Kohleausstiegs. Auch NRW-Wirtschaftsminister Andreas Pinkwart (FDP), der sachsen-anhaltinische Ministerpräsident Rainer Haseloff (CDU) und Sachsens Landeschef Michael Kretschmer (CDU) stoßen mittlerweile in das gleiche Horn.

Das ist die gleiche Denke wie im Donbass, nur dass Potsdam, Düsseldorf oder Dresden keine Truppen nach Berlin schickt, um die Grünen aus der Bundesregierung zu jagen. Woidke, Pinkwart, Haseloff und Kretschmer fällt in dieser düsteren Stunde nichts besseres ein, als das Elend des Kohlezeitalters zu verlängern.

Der Irrtum der Atomkraft

Schon werden Rufe laut, die Laufzeit der letzten Atomreaktoren in Deutschland zu verlängern. Drei sind noch am Netz, Ende 2022 sollen sie abgeschaltet werden. Dieses Argument benutzt auch der französische Präsident Emmanuel Macron.

Er hatte – freilich vor der Invasion – in Aussicht gestellt, die Laufzeit der französischen Atommeiler zu verlängern und neue Reaktoren zu bauen. Zuvor hatte er sich preiswertes Geld aus Brüssel gesichert, auch deutsche – und russische – Gaskonzerne wollten von den neuen Taxonomie-Regeln profitieren.

Abgesehen davon, dass die Atomtechnik gleichfalls erhebliche Menschen an Treibhausgasen emittiert, nährt auch Macron eine Illusion: Dass die Modernisierung der Atomreaktoren das Klimaproblem löst. Er setzt seine Behauptung in die Welt, wohl wissend, dass der französische Energiekonzern EDF – Eigner ist der Elysée-Palast – pleite ist.

Die erforderlichen Milliarden wird in Frankreich niemand aufbringen können. Statt den Menschen reinen Wein einzuschenken, reitet Macron dieselbe Schimäre wie Wladimir Putin im Kreml. Im Unterschied zu Putin ist Macron darauf angewiesen, wiedergewählt zu werden. Deshalb streut er den Leuten Isotope in die Augen.

Mehr LNG, um die Abhängigkeit zu verringern?

Geschockt von den Kriegsbildern will Deutschland die Abhängigkeit von russischem Erdgas verringern. So weit, so gut, endlich haben das auch die Sozen kapiert. Doch was geschieht? Geplant sind nun zwei Spezialterminals für Flüssiggas (LNG), in Brunsbüttel und Wilhelmshaven. Die Verträge zur Lieferung von US-amerikanischem Flüssiggas seien bereits unterschrieben, erklärte EU-Ratspräsidentin Von der Leyen.

Die Tinte war schon trocken, bevor Putin die Grenze zur Ukraine überschritt. Also tauschen wir russisches Gas gegen Gas aus amerikanischen Schiefersanden? US-Präsident Joe Biden hat im aktuellen Konflikt mit seiner Diplomatie ebenso versagt, wie Wladimir Putin.

Mehr noch: Die Bundeswehr soll 100 Milliarden Euro bekommen, um sich fit für die Konfrontation mit Russland zu machen. Als ob Krieg die Probleme lösen könnte! Das Militär ist weltweit der größte Konsument von Öl. Logik der Nato, Logik des Kreml: Es wird mit Öl gefüttert, um Ölreserven zu schützen.

Ohne Sprit könnte kein russischer Panzer über die ukrainische Grenze walzen, kein Bomber seine tödliche Fracht nach Kiew tragen. Wer nach mehr Bundeswehr ruft, will den Teufel mit dem Beelzebub austreiben.

Eine nützliche Krise

In seiner Regierungserklärung ist Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) kaum auf die erneuerbaren Energien eingegangen. Offenbar nutzen einflussreiche Kreise die aktuelle Krise, um so weiterzumachen, wie bisher. Um ihre Pfründe abzusichern und um Deutschland weiterhin in der Abhängigkeit der fossilen Energieträger zu halten.

Die einzige vernünftige – ökonomisch, sozial und strategisch vernünftige – Alternative sind 100 Prozent erneuerbare Energien. Es ist die Elektrifizierung aller Teile der Industrie, die durchgehende Sektorkopplung und die vollständige Versorgung mit erneuerbaren Energien.

Es geht darum, Erdgas und Kohle und Uran generell zu verbannen. Nur eine regionale, dezentrale Versorgung mit Sonnenkraft, mit Windkraft und mit grünem Wasserstoff aus einheimischer Produktion macht Konflikte wie in der Ukraine überflüssig.

100 Milliarden für die Energiewende!

Wir brauchen nicht 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr, sondern 100 Milliarden Euro für neue Windräder, für Solaranlagen und Elektrolyseure! Anders als bei der Bundeswehr geht es aber nicht um staatliche Mittel, sondern um Investitionen aus freien Märkten.

Die Technik ist vorhanden, sie ist preiswert und zuverlässig. Werden die bürokratischen Hürden abgebaut, können die Märkte den erforderlichen Zubau der erneuerbaren Energien entfachen.

Es wird kein Zurück zum Erdgas geben, erst recht nicht zur Kohle oder zum Uran. Langfristig sind freie Märkte stärker als jeder Despot, die Bremser der Energiewende werden vom Wandel in der globalen Wirtschaft hinweggeschwemmt. Angesichts der Krise im Osten Europas wird die Energiewende immer wichtiger, nicht nur aus Gründen des Klimaschutzes.

Endlich Nägel mit Köpfen machen!

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (B90/Grüne) hat ein ambitioniertes Osterpaket angekündigt. Nun muss er Nägel mit Köpfen machen, muss endlich liefern! Es geht nicht bloß darum, an Stellschrauben des alten EEG zu drehen.

Es geht darum, Spritfresser und Gasthermen generell aus Deutschland zu verbannen. Es geht darum, den Bürgerinnen und Bürgern jede erdenkliche Freiheit bei der Eigenversorgung mit sauberem Strom zu gewähren – als private Nutzer, als Unternehmer oder als kommunale Entscheider.

Diese Freiheit wird zur Basis unserer freiheitlichen Ordnung, wird sie in Zukunft sichern. Es geht um grüne Daseinsvorsorge für dieses Land, für diesen Kontinent. Wenn in Deutschland die Energiewende bis 2030 gelingt, dann wird sie überall gelingen. Vielleicht nicht ganz so schnell, aber nachhaltig. Sie wird auch – unter deutscher Beteiligung – in der Ukraine gelingen, ebenso in Russland, da bin ich mir sicher.

Wer dagegen weiterhin auf fossile oder nukleare Energien setzt, will das Zeitalter der Kriege, der Unterdrückung verlängern. Ohne Energiewende sind echte Freiheit, Frieden und Demokratie auf Dauer nicht möglich.

Lesen Sie auch:
Kalter Krieg ums Gas
2022 – Entfesselt den Sonnenbürger!
150 Praxistipps für Autarkie – kostenfreier Ratgeber für 2022 erschienen!

Video: Eglund am Solarfeld in Groß-Dölln
Video: Eglund am Solarfeld in Groß-Dölln (2)
Video: Mit Eglund am Kohlekraftwerk in Schwarze Pumpe
Video: Eglund am Tagebau Welzow-Süd in der Lausitz

〈123456789〉Archiv 〉〉

Leseproben

Hörproben

  • Termine & Lesungen
  • Datenschutz & Impressum