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H. S. Eglund

Schriftsteller • Writer • Publizist

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© Dmitrij Belanowskij
Donnerstag, 1. September 2022

Franz Alt: Friedensstifter Michail Gorbatschow ist tot

Am 2. März wurde der russische Friedensfreund Michail Gorbatschow 91 Jahre alt. Es war der siebte Tag des Putin-Krieges in der Ukraine.

Gorbatschow ist Sohn eines russischen Vaters und einer ukrainischen Mutter. Auch seine Frau Raissa war Ukrainerin. Er nannte sie oft liebevoll „meine Ukrainerin“.

Solche Familienbande zwischen Russen und Ukrainern sind zahlreich in beiden Nachbarländern. Auch das macht den aktuellen Krieg unbegreiflich und absolut sinnlos wie jeden Krieg.

Kommt endlich zur Vernunft!

2017 schrieb ich zusammen mit Michail Gorbatschow das Buch „Nie wieder Krieg – Kommt endlich zur Vernunft“. Damals haben wir beide uns nicht vorstellen können, wie dramatisch aktuell dieser Buchtitel fünf Jahre später sein wird. Nie wieder Krieg?

Gorbatschow sagte damals: „Wir sind eine Menschheit auf einer Erde unter einer Sonne.“ Wirklicher Frieden könne „nur erreicht werden unter der Bedingung einer demilitarisierten Politik und demilitarisierter internationaler Beziehungen.

Politiker, die meinen, Probleme und Streitigkeiten könnten durch Anwendung militärischer Gewalt gelöst werden – sei es auch als letztes Mittel – sollten von der Gesellschaft abgelehnt werden, sie sollten die politische Bühne räumen“. Kein Wunder, dass Gorbatschow und Putin nie Freunde werden konnten.

Atomwaffen abschaffen, Armut bekämpfen, Klima retten

Erst vor wenigen Monaten schickte mir Michail Gorbatschow einen Artikel für die Zeitung „Russia Global Affairs“, in dem er schreibt: „Keine Herausforderung oder Bedrohung, der die Menschheit im 21. Jahrhundert gegenübersteht, kann militärisch gelöst werden. Kein großes Problem kann von einem Land oder einer Gruppe von Ländern im Alleingang gelöst werden.“

Als die dringendsten Probleme unserer Zeit nennt er in diesem Artikel, einer Art Vermächtnis: die Abschaffung der Atomwaffen und die Überwindung der Massenarmut in den Entwicklungsländern sowie die Rettung des Weltklimas.

Als ich Gorbatschow 2018 in Moskau einen Friedenspreis überreichen und die Laudatio auf ihn halten durfte, nannte er als die drei Hauptaufgaben unserer Zeit: „Abrüsten, abrüsten, abrüsten“. Er meinte Russland und die Nato. „Nur dann wird Frieden möglich.“

80 Prozent aller Atomwaffen verschrottet

Auf meine Frage nach der Gefahr eines Atomkriegs sagte er: „Ein Atomkrieg wäre der letzte Krieg der Menschheit, weil es danach keine Menschen mehr gäbe, die noch einen Krieg führen könnten.“ Diese Mahnung ist sein eigentliches Vermächtnis. Durch seine Abrüstungsbemühungen wurden in den 1990er Jahren 80 Prozent aller Atomwaffen weltweit verschrottet.

Als siebter und letzter sowjetischer Staatschef war Michail Gorbatschow von 1985 bis 1991 auch Generalsekretär der Kommunistischen Partei. Heute ist niemand mehr prädestiniert, für eine atomwaffenfreie und friedliche Welt zu werben als der Friedensnobelpreisträger aus Moskau.

Ich habe ihn während eines Fernsehinterviews mal gefragt, woher er die Kraft für seine visionäre Politik nehme. Er deutete auf seine Frau Raissa, die hinter der Kamera stand, und sagte: „Hier steht meine Kraft.“

Sie lachte und winkte zurück. Die Gorbatschows waren für mich das größte politische Liebespaar unserer Zeit. Diesem Paar verdanken wir das Ende des Kalten Krieges, die friedliche deutsche Einheit und vielleicht sogar unser Überleben.

Größter Abrüster aller Zeiten

Gorbatschow war der größte Abrüster aller Zeiten. Daraus ergibt sich für heute: Putinland ist nicht Russland! Gerade wir Deutsche sollten das nicht vergessen.

Der völkerrechtswidrige Krieg gegen die Ukraine ist kein Krieg des russischen Volkes. Gorbatschow in unserem Buch: „Gewaltfreiheit in den internationalen Beziehungen und friedliche Konfliktlösung müssen im Regelwerk des Völkerrechts zu Kernpunkten werden.“

Ich wage mir kaum vorzustellen, wie es Michail Gorbatschow in den letzten Monaten im Krankenhaus in Moskau ging. Er war der Überzeugung: Sieger ist nicht, wer Schlachten in einem Krieg gewinnt, sondern wer Frieden stiftet.

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Franz Alt (Herausgeber), Michail Gorbatschow (Autor):
Kommt endlich zur Vernunft – Nie wieder Krieg!:
Ein Appell von Michail Gorbatschow an die Welt

Mehr Informationen finden Sie auf der
Sonnenseite von Franz Alt.

Zur Wende 1989 lesen Sie den Roman
Die Glöckner von Utopia von Eglund.

Lesen Sie auch:
Andrej Sacharow: Von der Bombe in den Widerstand
Dicker Daumen und blauer Planet
Stefan Heym – ein später Nachruf
Deutschland über alles: Staat, Volk, Heimat – zum Verzweifeln?

© H.S. Eglund
  • Die Figurengruppe wird erleuchtet, sobald der Besucher näher tritt. © H.S. Eglund
  • Katana (Schwert) und Lanze für berittene Samurai. © H.S. Eglund
  • Fußkrieger mit Schwert (Katana). © H.S. Eglund
  • Komplette Rüstung mit kunstvollen Masken für die Pferde. © H.S. Eglund
  • Die Vielzahl und Vielfalt der ausgestellten Helme sind beachtlich. © H.S. Eglund
  • Volle Montur eines Samurai aus der Edo-Zeit. © H.S. Eglund
  • Rüstung und martialische Maske zugleich. © H.S. Eglund
  • Gruppe von Rüstungen, deren Kunstfertigkeit beeindruckt. © H.S. Eglund
  • Diese Rüstung vermittelt einen besonders martialischen Eindruck. © H.S. Eglund
  • Die Rüstung war nicht nur Schutz, sondern zugleich Statussymbol für seinen Träger. © H.S. Eglund
  • Gegossener Helm eines Samurai. © H.S. Eglund
  • Sogar Fächer wurden zur Verteidigung eingesetzt. © H.S. Eglund
  • Zum Trinkgefäß umgearbeitete Muschel. © H.S. Eglund
  • Die Tsuba markiert den Griffschutz am Übergang vom Heft zur Klinge des Schwertes. Sie bildet eine eigene Gattung von Kunstgegenständen. © H.S. Eglund
  • Geschmiedete Tsubas für Schwerter, aus einer Phase, die stark von China beeinflusst war. © H.S. Eglund
  • Didaktisch spannend wird erklärt, welch hohe Kunst sich hinter dem Schmieden und Schleifen der Schwerter verbirgt. © H.S. Eglund
  • Erstaunlich, wie lebensecht diese No-Maske wirkt. © H.S. Eglund
  • Ausdrucksvolle Maske eines No-Schauspielers. © H.S. Eglund
  • Modell eines Teehauses. © H.S. Eglund
  • Solche Malereien stellen mitunter wichtige Szenen der japanischen Geschichte dar. © H.S. Eglund
  • Zeitgenössische Illustrationen rund um den Mythos des Ronin Miyamoto Musashi. © H.S. Eglund
  • Blick in den großen Ausstellungsraum von der Empore. © H.S. Eglund
Dienstag, 12. Juli 2022

Konichiwa – Samurai mitten in Berlin

Verstörend fremd, spannend und lehrreich: Die Samurai-Sammlung von Peter Janssen vereint exotisches Handwerk, tiefe Einblicke in die Kriegerkaste Japans und in die Philosophie des Budo. Ein magischer Fluchtpunkt im heißen Sommer, ohne die Stadt verlassen zu müssen.

Peter Janssen hat sein Geld mit Baufirmen gemacht. Nebenbei hat der heute 71-Jährige einen schwarzen Gürtel in Karate erworben und dreißig Jahre lang historische Artefakte über die Samurai und das mittelalterliche Japan gesammelt.

Wer Karate, Judo oder Aikido betreibt, weiß: Das wirst du nie mehr los, dieses Interesse an der schillernden Kultur des Reichs der aufgehenden Sonne.

Janssen hat die Zeugnisse der Samurai systematisch gesammelt, mit großer Sachkunde, und sicher auch mit dem nötigen Kleingeld. Seine Sammlung hat einen herausragenden Ruf, und das Museum präsentiert sie auf sehr spannende, unterhaltsame und zugleich lehrreiche Weise.

Neuer Nachbar für Clärchens Ballhaus

Nun hat die einzigartige Kollektion ein eigenes Museum bekommen, in der Auguststraße in Mitte, schräg gegenüber von Clärchens Ballhaus. Seit dem Frühjahr dieses Jahres werden dort rund tausend Exponate präsentiert, darunter vierzig vollständige Rüstungen, 200 Helme, 150 Masken, 160 Schwerter und unzählige, teilweise erstaunliche Stücke über die gefürchtete Kriegerkaste.

Die Elite des Kaiserreichs

Seit dem frühen Mittelalter bis zur Meiji-Restauration im Jahr 1868 stellten die Samurai die Elite des Kaiserreichs, das bis dahin weitgehend isoliert blieb. Die Samurai traten zunächst als Diener ihrer Herren in die Geschichte ein, in deren Verlauf sie zu Kriegern aufstiegen, die Adel und Thron stützten.

Nur den Samurai war es erlaubt, Schwerter zu tragen. In Japan werden sie als Bushi bezeichnet. Herrenlose Samurai nennt man Ronin.

Wichtigste Privilegien verloren

Erst in der Mitte des 19. Jahrhundert begannen die zögerliche Öffnung und der steile Aufstieg Japans zur ersten Industriemacht Asiens. Die Modernisierung wurde nur gegen den Widerstand der Samurai möglich, die ihre wichtigsten Privilegien verloren. Deshalb verschwanden sie aus der japanischen Gesellschaft, wie Ritter und Raubritter aus Europa verschwanden.

Sehr alte Artefakte

Die ältesten Artefakte in Janssens Sammlung gehen auf die Kofun-Zeit zurück, ins früheste Mittelalter, etwa zwischen den Jahren 300 und 538 nach Christus datiert. Das Gros der Sammlung vereint Objekte aus dem späteren Mittelalter und der frühen Neuzeit zwischen dem 15. und dem 18. Jahrhundert.

Drei Rüstungen aus der Edo-Zeit

Als besonders Kleinodien bezeichnet das Museum drei Rüstungen aus der Edo-Zeit (1603 bis 1868), als in Japan die Shogune regierten. Nach der Schlacht von Sekigahara übernahmen die Fürsten des Tokugawa-Clans die Macht, die sie bis zur Regentschaft des Kaisers Meiji nicht mehr aus der Hand gaben.

Bekannt ist diese historische Zeit durch den Roman Shogun von James Clavell, durch das Buch Gorin no sho (Buch der Fünf Ringe) des Ronin Miyamoto Musashi und die Filme des japanischen Regisseurs Akira Kurosawa. Bezug auf diesen Abschnitt der japanischen Geschichte nimmt der Film Ghost Dog – Der Weg des Samurai von Jim Jarmusch, in dem der Samurai-Kodex Hagakure eine wesentliche Rolle spielt.

Gute Einblicke geben zahllose Kinostreifen, wobei die Filme über den blinden Samurai Zatoichi von und mit Shintaro Katsu oder Takeshi Kitano besonders sehenswert sind. Ein cineastisches Bonbon ist zweifellos Die blinde, schwertschwingende Frau von Regisseur Sadatsugu Matsuda. Szenen aus einigen Filmen werden im Museum gezeigt.

Besonderes Augenmerk liegt auf Klingen

Besonderes Augenmerk der Sammlung liegt auf der mittelalterlichen Schmiedekunst, auf den Klingen von Meistern aus dem elften bis 14. Jahrhundert. Daneben werden Skulpturen, Malereien, ein echtes No-Theater und ein Teehaus vorgestellt, mit Utensilien der Teezeremonie.

Sehr eindrucksvoll ist der Anblick der Masken, wie sie von den Schauspielern in No-Stücken verwendet werden. Neben der Dauerausstellung über die Samurai sind wechselnde Präsentationen zu verschiedenen Themen der japanischen Kultur geplant.

Spannende Kulturgeschichte

Der Besuch war eine echte Entdeckung. Man muss kein Liebhaber der japanischen Kultur sein, um sich auf diese modern gestaltete Ausstellung einzulassen.

Ein bisschen Zeit, ein bisschen Fantasie – und der Besucher reist Jahrhunderte zurück, um den halben Erdball nach Osten, taucht in eine reizvolle, exotische Welt. So spannend kann Kulturgeschichte sein. Arigato, gosaimas!

Website des Samurai Museum Berlin

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© Kiepenheuer & Witsch
  • Keine Zeile veraltet: Das Interview mit René Wintzen, das 1978 veröffentlicht wurde. © Kiepenheuer & Witsch
Sonntag, 26. Juni 2022

Heinrich Böll: Wir kommen von weither

Vor 50 Jahren bekam der gebürtige Rheinländer den Nobelpreis für Literatur. Anlass für eine Erinnerung – an ihn und an seine deutschen Erinnerungen.

Zwischen Kriegsende 1945 und dem Ende des Kalten Krieges 1989 wurden drei deutsche Schriftsteller mit den Nobelpreis geehrt: Hermann Hesse (1946), Nelly Sachs (1966) und Heinrich Böll. Hesse lebte seit 1919 in der Schweiz, wo er 1962 verstarb. Nach dem Gemetzel des Ersten Weltkriegs hatte er die eidgenössische Staatsbürgerschaft angenommen.

Die gebürtige Berlinerin Nelly Sachs war 1940 mit ihrer Mutter nach Schweden geflohen, wo sie mit Unterstützung von Selma Lagerlöf Asyl bekamen. Nach dem Krieg kehrte sie nur zu Reisen nach Deutschland zurück, permanente Rückkehr war für sie ausgeschlossen.

Bei Kriegsende keine dreißig Lenze

Einzig Heinrich Böll lebte in Deutschland, als ihn die Entscheidung des Nobelkomitees erreichte. Mehr noch: Er galt als Sprachrohr einer Generation, die bei Kriegsende noch keine dreißig Lenze zählte. Böll war an allen wichtigen Fronten gewesen, als Soldat in Frankreich, später in Russland.

Kritisch begleitete er die Restauration kirchlich-chauvinistischer Kreise in Westdeutschland, die sich im Filz der CDU und des katholischen oder evangelischen Klerus manifestierte. So wurde er zur Zielscheibe unter anderem der Springerpresse in Berlin.

Tod im Tauwetter

Seine Romane, Kurzgeschichten und Essays erlebten weltweit Millionenauflagen. Böll war einer der wichtigsten Fürsprecher echter Demokratisierung in Deutschland, unterstützte Willy Brandt und die Sozialdemokraten und suchte das Gespräch mit sogenannten Linksterroristen.

Auch setzte er sich für Dissidenten aus dem Osten ein: Wolf Biermann, Andrej Sacharow, Alexander Solschenitzyn oder Lew Kopelew. Als er 1985 starb, begann in Moskau gerade ein politisches Tauwetter, das zum Ende des Kalten Krieges führte.

Anlässlich des 50. Jahrestages seines Nobelpreises mag an dieser Stelle das wunderbare Gedicht genügen, das er am 8. Mai 1985 für seine siebenjährige Enkelin Samay schrieb:

Wir kommen weit her, liebes Kind,
und müssen weit gehen

Wir kommen weit her,
liebes Kind,
und müssen weit gehen.
Keine Angst,
alle sind bei Dir,
die vor Dir waren.
Deine Mutter,
Dein Vater
und alle, die vor ihnen waren,
weit weit zurück.
Alle sind bei Dir,
keine Angst.
Wir kommen weit her
und müssen weit gehen,
liebes Kind.

Eine weitere Empfehlung – neben seinen unvergleichlichen Romanen – ist das Interview Eine deutsche Erinnerung, das er 1975 mit dem französischen Intellektuellen René Wintzen führte, und das Wintzen drei Jahre später in Buchform publizierte, in Deutschland erschienen bei Kiepenheuer & Witsch.

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© H.S. Eglund
  • Dieser Pfeiler auf der polnischen Seite überstand die Sprengungen. © H.S. Eglund
  • Der Fluss wird heute von üppigen Uferwiesen begrenzt. © H.S. Eglund
  • Wehr der Neiße bei Forst, mit Blick nach Norden. © H.S. Eglund
  • Die Wehrbrücke verbindet Polen mit Deutschland, ist aber nicht öffentlich nutzbar. © H.S. Eglund
  • Die Neiße bietet in der trockenen Lausitz ein wasserreiches Feuchtbiotop. © H.S. Eglund
  • Die grünen Auen setzen sich auf der polnischen Seite in einem ausgedehnten Schutzgebiet fort. © H.S. Eglund
  • Symbolischer Grenzpfahl, mit Blick nach Polen. © H.S. Eglund
  • Entlang der Neiße führen Wanderwege für Radfahrer, auf denen sich die Umgebung sehr gut entdecken lässt. © H.S. Eglund
  • Die schattigen Flussufer beheimaten unzählige Vogelarten und Kleintiere. © H.S. Eglund
Donnerstag, 16. Juni 2022

Grenzfluss Neiße – Endlich herrscht Ruhe!

Die Ostgrenze von Sachsen und Südbrandenburg ist durch diesen Fluss markiert. Der historische Zankapfel grünt und blüht und beweist, dass auch Geschichte in ruhigere Fahrwasser münden kann. Ein Besuch vor Ort.

Idyllisch, die sanft abfallenden Terrassen, von kniehohem Gras überwuchert. Hier, im Grenzgebiet zwischen dem deutschen Forst und der polnischen Seite, stehen die Überreste einer einstmals mondänen Brücke, die den Fluss und seine Uferzone weit überspannte.

Lange Brücke ist auf den verwitterten Quadern aus Sandstein zu lesen. Die großzügigen Treppen, die Pfeiler der Straßenlaternen und die Brückenbögen lassen erahnen, dass hier einstmals reger Verkehr lief.

Wehrmacht sprengte die Übergänge

Die Lange Brücke gibt es nicht mehr, auch wenn die Debatten um den Wiederaufbau seit Ende des Zweiten Weltkriegs nicht verstummen. Im Frühjahr 1945 hatte die Wehrmacht das Bauwerk gesprengt, um der Roten Armee den Weg zu verlegen.

Fast 90 Prozent aller Neißebrücken erlitten dieses Schicksal. Obwohl das jenseitige Ufer seinerzeit noch zum Deutschen Reich gehörte.

Einfallstor nach Schlesien

Die Lange Brücke war das Einfallstor nach Schlesien, führte aus der reichen Tuchmacherstadt Forst in Richtung Breslau, heute Wrocław. Über Jahrhunderte war die Gebiete östlich von Neiße und Oder umstritten.

Ursprünglich von slawischen Stämmen besiedelt, rückten germanische Völker vor, brachten das Christentum gen Osten. Der Deutsche Orden erhielt preußische Lehen, um Gebiete im Osten und Norden des heutigen Polen zu erobern und zu verwalten.

Kriege Preußens gegen Sachsen und Österreich

Weiter südlich hatten sich die Sachsen bis nach Schlesien ausgedehnt, das reich an Erzen und Kohle ist. Kattowitz und Breslau waren deutsche Siedlungen, als es Deutschland als nationales Gebilde noch nicht gab.

Der Reichsgründung von 1871 gingen Kriege der Preußen gegen Sachsen und Österreich voraus, vor allem um Schlesien. Polen war zerfleddert und aufgeteilt, zwischen Preußen, Russland und Österreich.

Stalin verschob Völker

Am Ende des Zweiten Weltkrieg rückten Stalins Armeen nach Osten vor. Es folgten weiträumige Vertreibungen der Bevölkerung: Aus der Westukraine wurden vor allen polnischstämmige Familien nach Osten abgeschoben und in den ehemaligen deutschen Gebieten angesiedelt, die ab 1945 zu Polen gehörten.

Von dort wurde die deutschsprachige Bevölkerung weitgehend in die beiden deutschen Staaten ausgesiedelt. Seitdem herrscht Ruhe, zumindest an der deutsch-polnischen Grenze.

Willy Brandts politisches Signal

1945 war die deutsche Herrenrasse geschlagen und ausgeblutet. Oder und Neiße wurden als Friedensgrenze deklariert, für alle Zeit. Willy Brandt fiel 1970 in Warschau auf die Knie, um die polnischen Opfer der Naziherrschaft zu Ehren.

Sein wichtigstes politisches Signal war jedoch die Anerkennung der deutschen Grenze im Osten. Die keifenden Revanchisten in Westdeutschland mussten ihre Hoffnungen endgültig aufgeben, die alten Güter und Schächte in den ehemaligen Ostgebieten wiederzuerlangen – auf welchem Wege auch immer.

Geschichte lässt sich befrieden

So ist die Neiße ein Beispiel, dass sich Geschichte befrieden lässt. Still ist es geworden, still und saftig grün. Auf beiden Ufern des Flusses hat sich die Natur erholt und üppig ausgebreitet.

Endlich Ruhe! Endlich sind die alten Konflikte, die bis in die frühen Tage der europäischen Geschichte zurückreichen, ausgestanden!

Ein Schutzgebiet für Wälder und Niederungen

Auf der polnischen Seite der Neiße bei Forst erstreckt sind ein Schutzgebiet, das von dichten Wäldern, Sträuchern und feuchten Niederungen dominiert wird. Insgesamt ist die Lausitzer Neiße 254 Kilometer lang. Ab Görlitz unten in Sachsen bildet sie die Grenze, bevor sie vor Eisenhüttenstadt in die Oder mündet.

Von Tschechien zur Oder

Der Fluss entspringt mehreren Quellen im tschechischen Isergebirge. In Tschechien fließt die Neiße durch Jablonec nad Nisou (Gablonz) und Liberec (Reichenberg), erreicht bei Hartau die deutsche Grenze.

Auf seinem Weg nach Norden passiert der Fluss in Sachsen: Görlitz/Zgorzelec, Rothenburg, Sobolice (Zoblitz) und Bad Muskau. Es folgen in Brandenburg die beiden Städte Forst und Guben (Gubin), bevor die Neiße etwa 15 Kilometer vor Eisenhüttenstadt bei Ratzdorf (Kosarzyn) in die Oder eingeht.

Stiller, nachdenklicher Fluss

Ruinen alter Brücken säumen den Fluss beinahe entlang des gesamten Verlaufs. Denn nach dem Krieg fand kaum Wiederaufbau statt.

Trotz des Beitritts Polens zur EU und zum Schengenraum sind noch viele Brücken gesperrt, weil ihre Sanierung sehr teuer ist. So haben Geschichte und Natur Zeit, zu atmen – ohne Krieg, Streit und Autoverkehr.

Motorboote sind nicht erlaubt

Bei Wassersportlern erfreut sich der Fluss wachsender Beliebtheit Es gibt keine Einschränkungen, zudem gibt es Flussabschnitte mit starken Wildwassern. Und damit die Ruhe nicht gestört wird, sind Motorboote auf der gesamten Flusslänge verboten.

Die Neiße heute: Ein wunderbarer Weg, um über Geschichte und europäische Nachbarschaft nachzudenken, um ungestört zu wandern und die grünen Auen zu genießen.

Aktuelle Videos zur Lausitz:
Video: Eglund am Tagebau Welzow-Süd in der Lausitz
Video: Mit Eglund am Kohlekraftwerk in Schwarze Pumpe
Zur Buchmesse: Eglund liest aus seinem Roman Zen Solar

Lesen Sie auch:
Scharfenberg: Schatzsuche unter der Erde
Raddusch: Eine Burg in der Pampa

© TTT
Sonntag, 12. Juni 2022

Emily Carr: Dasein im Schoß der Wildnis

Tea, Toast & Trivia: Clanmother Rebecca Budd war in Victoria unterwegs, an der Südspitze von Vancouver Island. Im Beacon Hill Park wandelte sie auf den Spuren der kanadischen Malerin und Schriftstellerin Emily Carr. Lange bevor kulturelle Vielfalt und Ökologie en vogue wurden, ließ sich Carr von indianischer Kunst und dem Respekt vor der Natur inspirieren. Eine echte Entdeckung – typisch Kanada.

Rebecca Budd aus Vancouver hat eine neue Entdeckung präsentiert. Dieses Mal nicht als Podcast, sondern als wunderschön gemachtes Video. Sie besuchte den Beacon Hill Park in Victoria, der das südliche Ende von Vancouver Island markiert.

Dort weilte sie im James Bay Inn von Emily Carr, die in Beacon Hill ein kleines Gasthaus betrieb. In Deutschland ist Carr weitgehend unbekannt, in Kanada hingegen gehört sie zum Allgemeingut.

Ein Sprung zur anderen Seite der Erde

Das Video setzt das historische Gebäude, den wundervollen Park und eindrucksvolle Passagen aus Emilly Carrs Autobiografie stimmungsvoll ins Szene, unterlegt mit traumhafter Musik. So gelingt ein aufregender Sprung über den Großen Teich, zur anderen Seite der riesigen amerikanischen Landmasse, an die Küste des Pazifik.

Und eine literarische Entdeckung für jeden, der sich gern auf die Socken macht. Emily Carr wurde 1871 in Victoria geboren, der Hauptstadt der westlichsten Provinz Kanadas, von British Columbia. Sie starb im März 1945, gleichfalls in Victoria.

So umreißt ihre Lebenszeit die Spanne von der Gründung des Deutschen Reiches in Versailles bis zum Untergang Hitlers – vor völlig anderem historischen und kulturellen Hintergrund.

Galerie in der Scheune ihres Elternhauses

1890 begann sie, in San Francisco Kunst zu studieren. Drei Jahre danach kam sie nach Victoria zurück, baute in der Scheune ihres Elternhauses eine kleine Galerie auf und unterrichtete Kinder.

1899 zog sie nach London, um an der Westminster School of Art ihr Talent zu schulen. Auch in Cornwall, in Bushey und in Hertfordshire widmete sie sich der Malerei. Im Jahr 1905 kehrte sie nach Westkanada zurück, um bei Indianern Alaskas und der kanadischen Pazifikküste zu leben.

Vom Impressionismus beeinflusst

Fortan dokumentierte sie deren Leben in ihren Bildern. Sie zeichnet die Totempfähle der Indianer an der Nordwestküste, beispielsweise der Haida, der Kwakiutl, der Nootka und der Stämme der sogenannten First Nations.

1910 reiste sie nach Paris, um sich mit neuen Strömungen der europäischen Malerei vertraut zu machen. Dazu gehörten die Techniken und Gemälde von Henri Matisse und Pablo Picasso. Beeinflusst von den Impressionisten, änderte sie ihren Stil, malte in Kanada jedoch weiterhin indianische Motive.

Einsatz für die Indianer der Nordwestküste

Ihre Arbeiten erregten zunehmend Aufmerksamkeit, sie wurde zu Ausstellungen eingeladen. Außerdem setzte sich Emily Carr dafür ein, die Ureinwohner Kanadas als vollwertige Bürger und Teil der kulturellen Identität des Landes anzuerkennen.

Damals waren die Indianer nicht einmal wahlberechtigt, viele ihrer Rituale offiziell verboten. Indianische Kinder wurden in kirchlich geführten Heimen gedemütigt und missbraucht.

Tiefes Verständnis für die Natur

Emily Carr wurde als Künstlerin immer bekannter, blieb allerdings in ihrer Heimat Victoria bis zu ihrem Lebensende unverstanden – vor allem, was ihr Engagement für die indianische Bevölkerung betraf. Als Gastgeberin führte sie das James Bay Inn und zog sich aus dem öffentlichen Leben weitgehend zurück.

Ihre Malerei und ihre Schriften sind von tiefem Verständnis für die Natur und naturnahe Lebensweise durchdrungen. Ihr Grabstein trägt die Aufschrift: Artist and Author – Lover of Nature.

Zur Schullektüre erkoren

Heute gilt Emily Carr als herausragende Künstlerin Kanadas. Ihr Erzählband Klee Wyck über ihre Erfahrungen mit den Indianern wurde zur Schullektüre erkoren. Die frühere Vancouver School of Art firmiert heute als Emily Carr University of Art and Design.

Lust auf mehr? Dann hören Sie rein (in englischer Sprache):
Emily Carr & James Bay Inn – A Reflection (9:30 Min.)

Website von Tea, Toast & Trivia

Mehr von Tea, Toast & Trivia auf Eglunds Blog:
Podcast: Zeitreise in den Dunkelwald – mit H.S. Eglund
Podcast: Kommunikation ist keine Kunst – oder doch? (mit Eglund)
Podcast: Hässlichkeit weitet Horizonte (mit Klausbernd Vollmar)
Podcast: Über Schönheit in Natur und Kunst (mit Klausbernd Vollmar)
Podcast: Die Robben von Blakeney Point (mit Hanne Siebers)

© H.S. Eglund
Montag, 6. Juni 2022

Video: Addis Abeba – Neue Blume zwischen Aposteln und Mercato

Seltsam, diese ehrwürdige und quirrlige Stadt zu Füßen der Entotoberge: Addis Abeba, erst Ende des 19. Jahrhunderts als „Neue Blume“ durch Kaiser Menelik II. gegründet. Binnen kurzer Zeit stieg sie zu einer der wichtigsten Metropolen Afrikas auf.

Hier treffen aufeinander: die gewaltige Marienkathedrale der Orthodoxie, gelb gewandete Priester, Aposteln gleich aus dem Alten Testament, und Mercato, das Handelsviertel, eine undurchdringliche Kasbah für Waren und Geld.

In Mercato, so das Gerücht, kann man alles kaufen: Bananen, Mangos, Tee, Kaffee, Küchengeräte, Kleider und Stoffe aus allen Weltwinkeln, Autos, Häuser, Kalaschnikows und Helikopter, sogar Beamte und Regierungen.

Hier sehen Sie das Video. (Dauer: 0:53 Min.)
Zum Roman: Nomaden von Laetoli
Bestellungen beim ViCON-Verlag

Weitere Videos:
Video: Karges Hochland am Rand der Kalahari (0:49 Min.)
Video: Zum Kap der Guten Hoffnung (0:59 Min.)
Video: Das Erbe der Diamanten (0:58 Min.)
Video: Sossusvlei – Dünen aus rotem Sand (0:59 Min.)
Video: Das Meer in der Wüste (0:58 Min.)
Video: Sonnenaufgang überm Ngorongoro (1:00 Min.)
Video: Marabus – Buchhalter der Wildnis (0:56 Min.)
Video: Brandberg – Im Louvre der Felsmalerei (0:58 Min.)
Video: Gondar – Stadt der Könige (0:59 Min.)
Video: Im Osten der Indische Ozean (1:00 Min.)
Video: Die kurze Blüte der Serengeti (1:00 Min.)
Video: Die Löwen von Seronera (0:58 Min.)

Leseprobe im Video: Das frühe Ende einer Safari (4:57 Min.)
Leseprobe im Video: Die Attacke aus dem Norden (9:46 Min.)
Leseprobe im Video: Am Strand von Jambiani (6:12 Min.)

© H.S. Eglund
  • Der Autor vorm Eingang des Ars Electronica Centers in Linz. © M.O. Kohum
  • Das Gebäude ist luftig angelegt und bietet viel Freiraum für Entdeckungen. © H.S. Eglund
  • Augen auf und hinab in die Räume im Souterrain. Dort lauern spannende Entdeckungen. © H.S. Eglund
  • Langeweile kommt im Ars Electronica Center nirgends auf. © H.S. Eglund
  • Blick in den Saal, der sich mit schwindenden Ressourcen befasst. © H.S. Eglund
  • Sich einlassen: Die Besucher bleiben in Bewegung, haben Auslauf - physisch und mental. © H.S. Eglund
  • Selber Hand anlegen, selber erfahren: Dieses Konzept geht in Linz voll auf. © H.S. Eglund
  • Durch künstliche Intelligenz erzeugte Formenvielfalt. Sie führt zurück auf den Reichtum der Natur. © H.S. Eglund
  • Bizarre Klanginstallation, die der Besucher durchläuft. © H.S. Eglund
  • Hier werden Auge und Ohr in Anspruch genommen. © H.S. Eglund
  • Im Bio Lab können die Besucher eigene Experimente durchführen, unterstützt durch Infotrainerinnen und Infotrainer. © H.S. Eglund
  • Archaische Form eines Fossils, mit mathematischen Algorithmen erzeugt. © H.S. Eglund
  • Mit künstlicher Intelligenz erzeugtes Gewebe - federleicht und schwebend. © H.S. Eglund
  • Interessante Exponate wechseln sich mit Experimenten ab, bei denen die Besucher selbst aktiv werden. © H.S. Eglund
  • Eine solche Struktur lässt sich mit 3D-Druck erzeugen, mit konventionellen Verfahren nicht. © H.S. Eglund
  • Leicht angerostet: Vorläufer der Vinylplatte. © H.S. Eglund
  • Schau- und Lauschtafeln im Salon für Technik in der Musik. © H.S. Eglund
  • Kanäle oder Synapsen, frei verschaltbar. © H.S. Eglund
  • Klangwerk mit mechanischem Tonträger. © H.S. Eglund
  • Exponat aus der Ausstellung zu den Grenzen der Ressourcen. © H.S. Eglund
  • Der Abbau von Ölsanden in Kanada frisst gigantische Flächen. © H.S. Eglund
  • Essbare Erden als alternative Nahrungsmittel. © H.S. Eglund
  • Puppen und Roboter, steuerbar durch die Besucher. © H.S. Eglund
Samstag, 30. April 2022

Ars Electronica Center – das Ende aller Horizonte

Noch ein Museum? Wissenschaft zum Anfassen? Mitnichten. In Linz gehen Kunst und Forschung eine kreative Symbiose ein – und eröffnen völlig neue Wege, grenzenlos.

Linz ist die Hauptstadt von Oberösterreich, und als solche sehr ehrwürdig. Die Altstadt ist eine hübsche Puppenstube, auf dem Hauptplatz paradieren Blaskapellen in historischen Uniformen: Landsknechte aus dem späten Mittelalter, feldgraue Soldaten der k.u.k. Monarchie, exotische Gebirgsjäger, wie den Filmen von Luis Trenker entsprungen.

Fesche Jungs, gell?!

Fesch sehen sie aus, diese Jungs, gell?! Und unglaublich blöde. Am Pult steht ein katholischer Greis in Soutane, schwadroniert über Glauben und Pflichten, über Wehrdienst in bedrohlichen Zeiten. Alle schwitzen, es ist der erste warme Tag des Frühlings.

Das war Linz, früher, als es noch den Kaiser in Wien gab. Zum Glück ist das längst vorbei, nur manchmal zeigt sich noch die katholische Verstaubtheit. Warum auch nicht, nirgends ist der Mensch frei von seiner Vergangenheit. Niemand bleibt stehen, nicht mal die Touristen. Zu absurd ist die Zeremonie.

Jenseits vom Mummenschanz

Vom Hauptplatz sind es nur wenige Schritte zur Donau, wo der Wind die Hitze vertreibt. Hier lässt sich freier atmen, der Mummenschanz liegt hinter uns. Vor uns, auf der anderen Seite, thront der Glaspalast des Ars Electronica Centers.

Schon am Vorabend war er aufgefallen, als seine Fassade in den Farben der Ukraine erstrahlte, glitzernd reflektiert vom dunklen Fluss. Dieser Würfel markiert das andere Linz: Eine moderne, kreative Stadt, die viel mehr zu bieten hat als Historientheater.

Ars Electronica beschäftigt sich seit 1979 mit der Frage, wie Technik auf die Menschen, die Welt und ihre Zukunft wirkt. 1996 wurde das Museum der Zukunft eröffnet. 2009 wurde der zweigeschossige Bau aufgestockt und erweitert. 2019 wurden die Ausstellungen thematisch neu geordnet. Nun lautet die Leitidee: Compass – Navigating the Future.

Jedem Tierchen sein Pläsierchen

Jedem Tierchen sein Pläsierchen, Linz bietet beides: monarchistische Parade und moderne Kunst. Aber nicht Kunst im Sinne von Galerie oder Museum, wo ambitionierte Schinken hängen, wie bunte Perlen auf einer Kette. Wo sich die Besucher artig und mit gebührendem Abstand halten, leise tuschelnd.

Das Ars Electronica Center liefert künstlerische Perspektiven zum Zeitalter der Wissenschaft. Keine Kunst über Wissenschaft, über wissenschaftliche Themen, sondern eine Symbiose des kreativen und des logischen Denkens. Logik und Emotion – Logos und Eros – Ansprache aller Sinne – kommen auf ihre Kosten, daraus entsteht wirklich Neues.

Die Ausstellungen und Exponate fordern auf: Zum Anfassen, zur Teilnahme, zur eigenen Kreation von etwas, was zwischen Science und The Arts liegt. Die Grenzen des Denkens und der Sinne scheinen sich aufzulösen, bekannte Horizonte verschwinden – in den unendlichen Weiten des Weltalls, im Nichts, in der bizarren Vielfalt unterm Mikroskop.

Ins Weltall und ins Innere von uns selbst

Künstlicher Intelligenz beim Denken zuschauen, selbstfahrende Autos trainieren, Roboter programmieren und vermenschlichen. Bisher unmögliche Strukturen dreidimensional drucken oder die eigene DNS mit der Genschere bearbeiten. Das sind Beispiele, wie das Center moderne Themen aufbereitet, anbietet und zum Mitmachen inspiriert.

Interaktive Stationen, Kunstwerke, Forschungsprojekte, Großprojektionen und Labore: Das Ars Electronica Center erlaubt vielfältige Ausflüge in die Künstliche Intelligenz und Neurowissenschaften, Robotik und autonome Mobilität, in Genetik und Biotechnologie, ins Universum und ins Innere von uns selbst. Da geht man nicht einfach durch, das braucht Zeit, ausreichend Zeit. Ein Tag ist zu wenig, bestimmt.

So gibt es beispielsweise die Ars Electronica Labs, in denen die Besucherinnen und Besucher selbst experimentieren können: mit 3D-Druck, mit künstlicher Intelligenz, mit Gensequenzen oder Licht. Ein spezieller Abschnitt befasst sich mit Musik und der Brücke, die sie zur künstlichen Intelligenz schlagen kann – und schlägt. Für Kinder und Jugendliche wurden Labore eingerichtet, wo Wissenschaft zum Spielfeld wird, wo analoge und digitale Entdeckungen lauern.

Vom Keller bis unters Dach

Dass draußen die Sonne lockt, ist schnell vergessen. Denn die Ideen und Exponate regen intensiv dazu an, das weitläufige Gebäude von den unteren Etagen bis unters Dach zu erkunden.

Den Abschluss bildet eine Präsentation über Zeit und Raum, über Galaxien und schwarze Löcher. Sie findet im Deep Space statt, dem Kinosaal für dreidimensionale Dokumentationen. Keine Sitzreihen. Alle hocken auf dem Boden, mit dunklen Brillen für die räumlichen Effekte, mittenmang kreischende Kinder.

Erfrischung in der Altstadt

So spannend kann Linz sein. Die wohlverdiente Erfrischung nach stundenlangen Entdeckungen im Ars Electronica Center gibt es hinterher – natürlich in der Altstadt. Der Pope und die Kasper sind verschwunden, Gott sei Dank!

Erst jetzt kann man ungestört bewundern, wie schön diese alte Stadt eigentlich ist. Und wie kühl der Drink im Café Traxlmayer.

Website des Ars Electronica Center in Linz

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  • Bücher Blog von Stephanie Hermann. © HSE
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Sonntag, 24. April 2022

Nomaden von Laetoli – im Urteil des Publikums

Der neue Roman von H.S. Eglund findet bei Leserinnen und Lesern unterschiedliche Resonanz. Das ist der Sinn von Literatur – denn jeder liest vor seinem geistigen Auge eine andere Geschichte. Die meisten Rezensenten finden das Buch lesenswert, auch wenn es manchmal die Erwartungen nicht erfüllt. Eigentlich ein schönes Kompliment, sonst wäre es ja langweilig.

Der Roman Nomaden von Laetoli hat in den Medien vielfaches Echo erzeugt. Neben Interviews und kurzen Rezensionen in der Presse haben sich vor allem Buchbloggerinnen und Buchblogger damit befasst. Zudem haben Verlag und Autor auf Lovelybooks eine Leserunde gestartet.

Fazit: Der Roman und seine Handlung lösen bei den Leserinnen und Lesern sehr unterschiedliche Reaktionen aus. Besonders geschätzt wird er, wenn sich die Leser ohne Erwartungen auf die Reise Martin Andersons durch Ostafrika einlassen.

Schwierigkeiten haben manche Leserinnen oder Leser, die einen Abenteuerroman nach Vorbild von Karl May erwarten. Oder eine archäologische Detektivstory, die am Ende die Frage klärt, ob Aaron Miller die frühzeitlichen Menschen wirklich gesehen hat.

Nicht einfach, den Überblick zu behalten

Streckenweise sei es auch nicht einfach, den Überblick in der Handlung des Romans zu behalten, der in drei Teilen aus Tansania, Äthiopien und Sansibar erzählt. Bei der Durchsicht der Rezensionen fällt auf, dass Frauen offenbar mit weniger Vorurteilen an die Lektüre gehen, sich mehr durch die Handlung tragen lassen.

Männliche Leser sind eher vom Erkenntnisinteresse getrieben. Sie erwarten Antworten und logische Erzählmuster. So setzt sich also jeder Archetyp auf eigene Weise mit Martin Andersons Reise zu sich selbst auseinander, mit dem Osten Afrikas, der sich Logik und Erwartungen weitgehend entzieht.

Nichts für Schnellleser

Offenbar ist der Roman nichts für Schnellleser oder für kurzweilige Unterhaltung mit exotischem Flair. Durchweg alle Rezensionen zeugen von Belesenheit und hohem Interesse an der Literatur und am Thema, das ist eine schöne Erfahrung.

Sogar diejenigen Rezensenten, die Mühe hatten, den vielfältigen Strängen und Fakten des Romans zu folgen, haben sich offenbar durchgekämpft. Hier einige Auszüge:

Nicole Plath aus Ensdorf schrieb auf ihrem Blog:

Eine spannende Geschichte nimmt den Leser mit nach Afrika. Autor H.S. Eglund beschreibt Landschaften und Gegebenheiten so, dass man als Leser das Gefühl hat, selbst dabei gewesen zu sein. Es passieren so viele interessante Ereignisse, dass eine Rezension ohne Spoilern schwer möglich ist.

Im Buch begleitet man Martin Anderson auf seinen Nachforschungen, und, soviel kann ich ohne zu spoilern verraten, er wird interessante Theorien und Entdeckungen zu den ersten Menschen erfahren. Durch einen guten Schreibstil ist das Buch schnell zu Ende gelesen. Die Geschichte hat bei mir ein gutes Kopfkino ausgelöst und auch zum Nachdenken angeregt.

Meike Jashrin notierte auf Nicht ohne Buch:

H.S. Eglund hat seinen Roman in drei Teile geteilt, die die Wegpunkte Andersons in Afrika markieren: Laetoli, Aksum, Jambiani. Sein erster Weg führt ihn nach Laetoli, wo er auf Miller trifft. Die Geschichte entwickelt sich langsam und der Ton bleibt durchweg sehr ruhig, trotz der teils dramatischen Ereignisse.

Ein Spannungsbogen wird für mich in keinem der drei Teile aufgebaut. Daher habe ich für meine Verhältnisse auch sehr lange für die Lektüre des Buches gebraucht. Es fiel mir nicht schwer, regelmäßig Pausen zu machen. Dennoch: Die Geschichte hat ihren ganz eigenen Reiz und so musste ich trotzdem immer weiterlesen.

Die Stärke des Buches liegt meiner Meinung nach ganz klar bei den Landschafts- und Reisebeschreibungen, die mir Afrika buchstäblich vor Augen geführt haben. Auch die teils philosophischen Fragen und Diskussionen waren interessant. An der ein oder anderen Stelle hätte ich mich allerdings Erklärungsansätze aus der aktuellen Forschung gewünscht. So wurden viele Fragen in den Raum geworfen, aber nur wenige mögliche Erklärungen geliefert.

„Warum wanderte der frühe Mensch aus Ostafrika aus? Wohin brach er auf?“ (S.34)

Ebenso hat mir das kritische Hinterfragen akademischer Lehransätze gefallen. Sind unsere Methoden wirklich optimal, um stets bestmögliche Ergebnisse zu erzielen?

„Wir sprechen von Wissenschaft, nicht von Religion.“ „Der Glaube an die Objektivität ist das Dogma der Wissenschaft, ist ihre verdammte Religion. […] Aus reiner Vernunft ist noch nie Vernünftiges entstanden, aus analytischem Verständnis noch nie die Verständigung zwischen Menschen.“ (S.71)

Insgesamt für mich ein Buch, auf das man sich einlassen muss, das kein spannendes Abenteuer im Sinne eines Abenteuerromans bietet, dafür aber mit spannenden und teils hochaktuellen Fragen punkten kann. Ein Buch, das Mitdenken erfordert und zumindest mich verleitet hat, den ein oder anderen Begriff oder Fakt zu googeln und genauer nachzulesen.

So war mir zum Beispiel der Zweig der Ethnobotanik bislang nie irgendwo begegnet. Wer also Lust auf eine Reise nach Afrika hat und der Philosophie nicht abgeneigt ist, der wird mit Nomaden von Laetoli sicher eine interessante Lektüre finden.

Stephanie Hermann aus Hamburg schätzte in ihrem Blog ein:

Das Buch klang sehr spannend und das war es dann anfangs auch, aber irgendwann habe ich irgendwie den Überblick verloren und es waren mir auch zu viele Details und die Handlung dann nicht mehr fesselnd genug. Es ist viel mehr eine Mischung aus Reisebeschreibung, philosophischen Diskussionen und wissenschaftlichen und kritischen Passagen.

Das Buch war somit ganz anders als erwartet und ich finde der Klappentext ist schon sehr irreführend. Trotzdem hat das Buch durchaus auch seine positiven Seiten, man muss nur einfach wissen was man nicht bekommt – nämlich einen spannenden Roman. Dieses Buch zwingt einen zum Nachdenken und man legt es immer wieder weg, wenn man sich aber darauf einlässt bekommt man Interessante Denkanstöße.

Weitere kritische Stimmen finden Sie in der Leserunde des Autors auf Lovelybooks.

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© H.S. Eglund
Sonntag, 10. April 2022

Zum Tod von Abraham Lincoln: O Captain! My Captain!

Als Walt Whitman die Nachricht erhielt, dass Präsident Lincoln ermordet worden war, erklärte er den 14. April zu seinem persönlichen Gedenktag – eine Erinnerung, angeregt durch den Bücherbaum.

Bücherbäume sind eine spannende Erfindung. Man geht hin, eigentlich schleicht man sich an: Mal sehen, welches Gold Nugget heute im Körbchen liegt. Und siehe da, eine Monografie über Abraham Lincoln, erschienen in der DDR.

Atemlos lesen wir den Autor: Jürgen Kuczynski (1904-1997), der Altmeister der Wirtschaftsgeschichte im Osten Deutschlands. Kuczynskis weitsichtige Gedanken in Dialog mit meinem Urenkel bekamen beinahe prophetische Bedeutung für die politische Wende Ende der 1980er.

Nun also Kuczynski über Old Abe, und dazu muss man wissen, dass Kuczynski als junger Mann Mitte der 1920er Jahre in den USA studierte. Damals, vor fast hundert Jahren, lag der amerikanische Bürgerkrieg, lag das Ende der Sklaverei in den Südstaaten und in den loyalen Border States gerade sieben Jahrzehnte zurück.

Material von Sandburg, Marx und Engels

Kuczynski nutzte Material von Carl Sandburg (1878-1967), vor allem dessen einzigartige, mehrbändige Biografie über Lincoln (der übrigens der erste republikanische Präsident der US-Geschichte war). Er bediente sich im Briefwechsel von Karl Marx und Friedrich Engels, die Zeitzeugen jener dramatischen Jahre waren und große Hoffnungen in den amerikanischen Aufbruch setzten, in den enormen Fortschritt in der Demokratisierung, den die Abschaffung der Sklaverei bedeutete.

Er stützte sich auch auf Berichte der sächsischen Gesandtschaft in den Vereinigten Staaten, denn der Dresdener Hof, damals noch unabhängiges Königreich unter der Ägide des preußischen Kaisers, hatte eigene Diplomaten drüben – vor allem wegen der großen, deutschstämmigen Gemeinde in Übersee.

Wer Karl May gelesen hat, weiß Bescheid. Ich sage nur: Old Shatterhand und Gunstick Uncle, der Präriepoet. Diese Unterlagen fand Kuczynski in Archiven in Dresden.

Der Zusammenhalt der Union

Zurück zu Old Abe, der sich mit seiner ausgeglichenen und mit den Südstaaten zunächst auf Ausgleich bedachten Politik großes Ansehen erwarb. Immer wieder argumentierte Lincoln für den Zusammenhalt der Union, stellte die Frage der Sklaverei zunächst hintenan. Erst als die Südstaaten aus dem Verbund ausscherten, die Sezession erklärten und das Feuer auf Fort Sumter eröffneten, revidierte Lincoln seine Zurückhaltung.

Zunehmend erkannte er, dass die Union nur erhalten werden konnte, wenn die Sklaverei fällt – ohne Einschränkung. Obwohl ihn das politische Establishment ablehnte – als Anwalt aus dem Mittleren Westen war er den Börsianern, Bankern und Industriellen in New York und Pennsylvania suspekt –, errang er 1865 seinen zweiten Wahlsieg als Präsident.

Im Laufe des Bürgerkrieges, der seine gesamte erste Amtszeit ausgefüllt hatte, war er vom nahezu unbekannten Westler zum echten Volkspräsidenten aufgestiegen. Kaum hatte er seine zweite Amtszeit angetreten – die er großmütig dem Frieden mit den geschlagenen Südstaaten widmen wollte –, traf ihn am 14. April 1865 die heimtückische Kugel seines Mörders.

Ein Meisterwerk voller Einblicke

Kuczynskis Monografie ist ein Meisterwerk, weil es einen detaillierten Einblick in die Vereinigten Staaten zwischen 1830 und 1865 gibt: in die Ströme der Zuwanderer, in die neuen Staaten im Westen, in die Konflikte mit Mexiko und den Monarchien Europas, in seine wirtschaftliche Entwicklung und die Hemmnisse, die sich aus der Sklaverei ergaben.

Der erste Präsident der USA, George Washington (1732-1799), war in seiner Zeit einer der größten Besitzer von Plantagen in Virginia gewesen, der selbst viele Sklaven besaß. Sklaven waren in den ersten Jahrzehnten die einzig verfügbare Quelle für billige Arbeitskraft, vor allem in der Landwirtschaft.

Ab 1830 wurden die USA jedoch zunehmend durch die Arbeit freier Bauern (Farmer) im Westen sowie durch die rasch aufstrebende Industrie geprägt. Im Mittelwesten griffen kundige Farmer zu moderner Landtechnik, um die großen Schläge zu bewirtschaften. Im Süden hingegen wurde Handarbeit konserviert, weil die Sklaven als billig galten und ungebildet blieben.

Bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts verdrängten die USA die französische Industrie, nur übertroffen von der Warenproduktion in Großbritannien und Deutschland. Die Nordstaaten hatten die Südstaaten in der wirtschaftlichen Entwicklung klar überholt: der Kapitalismus und das Maschinenzeitalter drohten, den beschaulichen Süden zu überrollen. Der Anlass, an dem sich der Konflikt schließlich zum Krieg entzündete, war die Sklaverei – die in den nördlichen und westlichen Staaten abgeschafft worden war.

Man möchte seufzen

Kuczynskis Darstellung ist darüber hinaus eine hervorragende Quelle, um die inneren Befindlichkeiten der amerikanischen Politik in den Bundesstaaten und in Washington, D.C. zu verstehen. Er zeigt, wie Lincoln seine begrenzten Möglichkeiten geschickt nutzte, um die Union nicht nur zu retten – sondern zu stärken, indem er das Land modernisierte.

Angesichts von Leuten wie George W. Bush, Donald Trump oder auch der blutarme Joe Biden möchte man seufzen, wie wenig Esprit und Wille zur politischen Gestaltung im modernen Amerika geblieben zu sein scheint. Andererseits ist es ernüchternd zu lesen, dass schon Old Abe gegen Parteiapparate und Bürokraten ankämpfte, wie er Kompromisse schloss und seine Erfolge mit großer persönlicher Anstrengung regelrecht durchboxte.

Ein unerhört modernes Buch

So gesehen, ist es ein unerhört modernes Buch. Denn es beweist einmal mehr, dass nichts die politische Veränderung aufzuhalten vermag, wenn die Zeit dafür gekommen ist. In seinen Zielen wurde Lincoln seinerzeit ganz maßgeblich von deutschen Einwanderern unterstützt, die nach der Niederschlagung der 1848er Revolution durch preußische Soldaten über den Großen Teich geflüchtet waren. Sie siedelten sich in Illinois an, in Iowa, in Wisconsin und in anderen Staaten des Mittelwestens, wo sie großen Einfluss erlangten.

In diesen turbulenten Zeiten, die wir durchleben – nicht weniger turbulent als Lincolns Tage –, geprägt durch Coronakrise, Ukrainekrieg, Klimakrise und soziale Herausforderungen, war die Lektüre des Bändchen wie ein großer Schluck aus der Pulle für Mut.

Ein großer Schluck aus der Mutpulle

Lincoln steht für den Wandel, steht für die Menschen, die sich entscheiden und bereit sind, dafür etwas zu riskieren. Es war Amerikas beste Stunde, und zugleich seine schwierigste. Hölderlins prophetische Worte tauchen aus den Zeilen auf: Wo Gefahr ist, da wächst das Rettende auch.

Und Lincolns Tod war Amerikas größter Verlust, höchstens zu vergleichen mit dem frühen Tod von Franklin D. Roosevelt kurz vorm Ende des Zweiten Weltkriegs. So wollen wir es halten mit Walt Whitmann (1819-1892), der Old Abe sein berühmtestes Gedicht widmete:

O Captain! my Captain! our fearful trip is done,
The ship has weather’d every rack, the prize we sought is won,
The port is near, the bells I hear, the people all exulting,
While follow eyes the steady keel, the vessel grim and daring;
But O heart! heart! heart!
O the bleeding drops of red,
Where on the deck my Captain lies,
Fallen cold and dead.

O Captain! my Captain! rise up and hear the bells;
Rise up—for you the flag is flung—for you the bugle trills,
For you bouquets and ribbon’d wreaths—for you the shores a-crowding,
For you they call, the swaying mass, their eager faces turning;
Here Captain! dear father!
This arm beneath your head!
It is some dream that on the deck,
You’ve fallen cold and dead.

My Captain does not answer, his lips are pale and still,
My father does not feel my arm, he has no pulse nor will,
The ship is anchor’d safe and sound, its voyage closed and done,
From fearful trip the victor ship comes in with object won;
Exult O shores, and ring O bells!
But I with mournful tread,
Walk the deck my Captain lies,
Fallen cold and dead.

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© TTT
Donnerstag, 31. März 2022

Podcast: Zeitreise in den Dunkelwald – mit H.S. Eglund

Globetrotting trotz Corona: Clanmother Rebecca Budd aus Vancouver ließ sich – virtuell – entführen. In ihrem jüngsten Podcast von Tea, Toast & Trivia sprachen sie mit Eglund über das Erzgebirge. Denn das Bergland im sächsisch-böhmischen Grenzgebiet gehört mittlerweile zum Weltkulturerbe der Unesco.

Clanmother und Eglund gemeinsam unterwegs: Ausgangspunkt der Zeitreise ins Erzgebirge sind die Berichte des römischen Geschichtsschreibers Tacitus, der in seine Werk Germania vor 2.000 Jahren erstmals einen besonderen Landstrich erwähnt:

So haben das Land weiter östlich (vom Hercynischen Walde – H.S.E.) die Bojer innegehabt, ein gallischer Stamm. Noch ist der Name Boihämum erhalten als Erinnerung an die Geschichte des Landes, wenn auch dessen Bewohner gewechselt haben.

Boihämum – das heutige Böhmen – erhielt seinen Namen von den Bojern, die als lebenslustig und ein bisschen faul beschrieben wurden. Deshalb wird der Begriff Boheme für (Lebens)Künstler benutzt, für Menschen, die sich eher geistigen Freuden zugezogen fühlen als harter, schwerer Arbeit.

Undurchdringlicher Miriquidi

Boihämum war gegen die nördliche angrenzenden Berge – das heutige Erzgebirge – und die sächsischen Germanen durch den Dunkelwald, den legendären Miriquidi getrennt. Dieser Landstrich lag außerhalb der römischen Erfahrungswelt, denn vor zwei Jahrtausenden galt der Wald als undurchdringlich. Hier fanden die Kenntnisse des römischen Schreibers ihre Grenze.

Die bis zu 1.200 Meter aufsteigenden Berge waren unbewohnt, galten als sehr unwirtlich. Noch heute markiert das Erzgebirge im Winter und Frühjahr die kältesten Temperaturen zwischen Alpen und Ostsee. Auch sind heftige Stürme und Starkregen keine Seltenheit.

Fränkische Bauern rodeten den Dunkelwald

Die Besiedlung des Erzgebirges begann erst vor rund tausend Jahren, als der Markgraf von Meißen fränkische Bauern ins Land holte. Sie begannen, den Dschungel zu roden. Sie wuschen glitzernde Graupen (Metallkörner aus Zinn oder Silber) aus den Bächen und Flüssen, zunächst im sogenannten Seifenabbau.

Dabei arbeiteten sich die Seifner entgegen dem Flußlauf vor. Wo die Erzader aus dem Ufersand trat, stießen sie in die Böschung vor – mit der Spitzhacke. Diese Methode wurde später beim Goldrausch in Kalifornien und am Klondike angewendet. Auch hier dominierte die Goldwäsche, bis die Erzadern in die Berge mündeten. Untertage wurden Bergeisen und Schlägel zu den wichtigsten Werkzeugen der Bergleute.

Berggeschrey zog Tausende an

Den Gängen von Zinn, Blei, Kupfer und Silber folgend wurde das Erzgebirge – neben den Alpen und dem Harz – zur Wiege des Bergbaus in deutschen Landen. Im 12. Jahrhundert wurden bei Freiberg reiche Erzgänge mit Blei und Silber entdeckt. Teilweise reichten die Erzgänge bis zur Grasnarbe und waren außerordentlich reich.

Das erste Berggeschrey zog Tausende arme Bauern und Tagelöhner nach Sachsen, um als Bergarbeiter ihr Glück zu versuchen. Freiberg entstand mit seinem Bergamt, fortan Vorbild für alle freien Bergstädte wie Annaberg, Schneeberg oder Sankt Joachimsthal (heute Jachymov in Tschechien).

Als 1477 in Schneeberg gediegen Silber aus dem Berg geholt wurde, hub das zweite Berggeschrey an, das rund hundert Jahre dauerte. Zu dieser Zeit wurden die letzten Urwaldriesen des Miriquidi gerodet, um Holz für den Ausbau der Silbergruben und die Hütten der Bergleute zu bekommen. Bis zu 600 Meter teuften die Bergleute die Schächte im Schneeberger Revier ab. Auch in Böhmen wurden ergiebige Erzgänge entdeckt und aufgefahren.

Konkurrenz des Adels und der Pfaffen

Mit diesem Silber wurde der Meißner Dom erbaut. Dieses Silber floß nach Prag auf den Hradschin, sächsisches und böhmisches Silber steckt im Petersdom in Rom. Das kaiserliche Bergregal – die Vergabe von Bodenschätzen an die Landherren und den Klerus – führte zu wachsenden Spannungen. Denn Bischöfe und Markgrafen konkurrierten um die ergiebigsten Gruben, der Kaiser musste entscheiden.

Natürlich war auch der Kaiser in Prag (später Wien) an den Einnahmen aus dem Silberbergbau beteiligt. Weil es in Europa nur sehr wenige Goldminen gab, war der metallische Reichtum des Mittelalters und der Neuzeit vor allem auf Silber aus Sachsen, Tirol und von den Eidgenossen gegründet.

Silberbarone bejubeln Luther

So wundert es nicht, dass der sächsische Kurfürst Friedrich der Weise und etwa später die Grafen Schlick in Böhmen den Auftritt Luthers zum Anlass nahmen, um die uralte Fehde mit dem römisch-katholischen Klerus endgültig zu entscheiden. Im Zwickauer und Freiberger Revier war die Reformation besonders erfolgreich, denn dort litten die Bergleute besonders heftig unter den Zwangsabgaben an mehrere Herren: Landesherr, Adel, Bischof und Rom.

So begann der Dreißigjährige Krieg als Aufstand der evangelischen Silberbarone in Böhmen gegen den katholischen Kaiser in Prag. Verschärft wurde der Kampf durch die Schwemme von Gold und Silber aus den Minen Südamerikas, das durch die Karavellen der Spanier und Portugiesen nach Europa geschifft wurde – beides katholische Mächte und eng mit dem Kaiser des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation verbunden.

Wer Metall hatte, hatte Geld, hatte die Macht

Reformation und Gegenreformation – vor allem in Böhmen – sind eng mit dem Silberbergbau verbunden. Denn wer die Gruben regierte, bekam Geld in die Kassen. Silber und Silbermünzen lösten das älteste Kapital der Geschichte ab: Sie wurden wertvoller sogar als Ackerland und Weide. So stand der Bergbau an der Wiege des Kapitalismus und der industriellen Revolution.

Das böhmische Silber wurde berühmt. Die Münzen der Grafen Schlick aus Sankt Joachimsthal gaben dem Thaler – oder Taler – seinen Namen. Im 16. und 17. Jahrhundert wurde er in ganz Europe als harte Währung geschätzt – aufgrund seines hohen Silbergehalts.

Als sich die 13 Kolonien in Nordamerika von der englischen Besatzung freimachten, suchten sie eine eigene Währung, die sich vom Pfund, von der Mark oder dem Franken unterscheiden sollte. Sie übernahmen den Taler – umbenannt in Dollar – und machten ihn zur führenden Währung weltweit.

Das Ende des Silberbergbaus

Mit dem Dreißigjährigen Krieg und seinen Verwüstungen brach der Silberbergbau im Erzgebirge und Böhmen zusammen. Manche Dörfer versteckten sich vor der marodierende Soldateska Wallensteins in ehemalige Stollen, um der Brandschatzung, Vergewaltigung und Ermordung zu entkommen.

Als der Krieg vorbei war, herrschte im früheren Silberland die bitterste Armut. Viele Bergleute flohen deshalb im 18. Jahrhundert nach Übersee, nach Amerika, wo sie halfen, reiche Bergbaugebiete in den Appalachen aufzuspüren und zu entwickeln.

Andere Familien wandten sich gen Osten, folgten dem Ruf der russischen Zaren. Peter und Katharina, die beiden Großen im Kreml, warben säschische und böhmische Bergleute gezielt ab, um eigene Minen auszubeuten – im Donbass und im Ural.

1898 – das Jahr der Pechblende

Der Niedergang des Silbers wurde 1898 besiegelt, als das britische Pfund Sterling und der US-Dollar den Goldstandard einführten. Damit war das Silber als Münzmetall entwertet, die letzten Gruben im Erzgebirge schlossen ihre Schächte und Stollen.

1898 war aber auch das Jahr, in dem Henri Becquerel und Marie Curie in Paris an einem seltsamen Mineral forschten – an Pechblende aus Sankt Joachimsthal. Dieses pechschwarze, knollenartige Mineral hatten die Bergleute wagenweise aus den Silbergruben geholt – und auf Halde geworfen.

Für sie war es wertlos, weil es kein Metall enthielt, zumindest kein Edelmetall. Aber: Becquerel und Curie entdeckten daran die Radioaktivität. Später fand Marie Curie in der Pechblende neben dem Schwermetall Uran auch Spuren von Radium.

Uran war schon 1789 von dem Apotheker Martin Klaproth in Berlin aus Pechblende isoliert worden. Das Mineral stammte aus der Gegend von Johanngeorgenstadt, eine der jüngsten Bergstädte am Kamm des Erzgebirges – von böhmischen Bergleuten gegründet, die vor der Gegenreformation nach dem Dreißigjährigen Krieg ins protestantische Sachsen flohen. Klaproth versetzte das Erz mit Säure und erhitzte es. Das schwarze Pulver, das daraus entstand, nannte er Uranit.

Ein Erzräuber erfährt neue Ehren

Pechblende ist seitdem als Uranerz bekannt, und im Erzgebirge ist dieses Mineral besonders reichhaltig. Im Mittelalter zeigten seine schwarzglänzenden Knollen das Ende von Silbergängen an, weshalb es die Bergleute als Erzräuber verfluchten.

Mit der Entdeckung der Radioaktivität un der Zerfallsreihe des Urans – Marie Curie extrahierte ein Gramm Radium aus zwei Tonnen Joachimsthalter Pechblende – hob weltweit ein Radium Rush an, auch bekannt als drittes Berggeschrey. Radium und radioaktive Strahlen galten als neues Heilmittel in der Medizin, bis die Verstrahlung ihre ersten Todesopfer forderte – auch Marie Curie.

Nach den Gruben kamen die Bäder

In Schlema und in Sankt Joachimsthal entstanden weltbekannte Radonbäder, die zahlungskräftige Klientel anzogen. So wurde das Erzgebirge zum Zauberberg, die Gebäude der Sanatorien in Jachymov sind noch heute eindrucksvoll – trotz ihrer historischen Patina.

Das Edelgas Radon gehört ebenfalls zur Zerfallsreihe des Uran, das in der Pechblende – und anderen Uranmineralien – steckt. Wohl dosiert, erwies es sich als nützlich gegen Hautkrankheiten und andere Symptome, unter anderem nervöse Leiden. Im Erzgebirge kommt es gelöst in Bergquellen vor, die es aus der Pechblende aufnehmen.

Bis zum Zweiten Weltkrieg kamen die Kurgäste aus aller Welt. Karlsbad und Franzensbad auf der böhmischen Seite sind noch heute ein Begriff. Mittlerweile hat auch Schlema seinen Status als Bad und Heilquelle neu begründet.

Uran wird zum strategischen Sprengstoff

Mit dem Zweiten Weltkrieg wurde Uran zum strategischen Metall, weil es den Sprengstoff für die Atombombe gab. Unmittelbar nach Kriegsende kamen sowjetische Spezialisten ins Erzgebirge und nach Böhmen.

Dort begannen sie, die alten Erzhalden aus dem Mittelalter mit Geigerzählern abzusuchen. Sie fanden Pechblende mit mehr als zwanzig Prozent Urananteil. Damals verfügten die Sowjets kaum über eigene Ressourcen. Die Uranerze aus dem belgischen Kongo hatten sich die Amerikaner unter den Nagel gerissen, die obendrein in Colorado und in Kanada über große Urangruben verfügten.

Stalins einzige Chance

So war die Pechblende aus dem Erzgebirge Stalins einzige Chance, im Rennen um die atomare Aufrüstung mitzuhalten. Aus diesem Grunde wurde unmittelbar nach dem Krieg die Sowjetische Aktiengesellschaft SAG Wismut gegründet, um Uran für sowjetische Atommeiler und Atombomben aus der Erde zu holen, aufzubereiten und nach Osten zu karren. Auch auf der böhmischen Seite wurde Uran abgebaut.

Die Bedingungen im Uranbergbau ähnelten zunächst den Schilderungen aus dem Mittelalter. Mit Spitzhacke, Schlägel, Eisen und Karbidlampe gingen die Bergleute wie Maulwürfe untertage. Tödliche Unfälle, gefährliche Verletzungen und Verstrahlung mit Lungenkrebs oder Leukämie waren die Folge.

Berüchtigte Straflager in Jachymov

Auf der tschechischen Seite entstanden berüchtigte Straflager, in denen politische und andere Häftlinge nach dem Vorbild des sowjetischen Gulag-Systems ausgebeutet, ausgezehrt und umgebracht wurden. Auf der sächsischen Seite türmten viele der zwangsweise eingewiesenen Bergleute nach Bayern, oder kamen in anderen Erwerbszweigen unter. Erst gegen Ende der 1950er Jahre wurde der Uranbergbau bei der Wismut professionalisiert und modernisiert.

Bis zur Wiedervereinigung holte die Wismut rund 220.000 Tonnen Uran aus dem Erzgebirge und aus Tagebauen in Thüringen – als Reparation für die Sowjetunion. Erst 1990 ging dieses barbarische Kapitel der Nachkriegsgeschichte zu Ende.

Zu diesem Zeitpunkt war das Erzgebirge hochgradig verstrahlt, durch aggressive Säuren und Arsen verseucht und vielerorts eine Bergbauwüste. Unzählige Bergleute litten an Staublunge, Rheuma und Krebs, hervorgerufen durch die radioaktiven Stäube, Mineralien und Wässer in den Gruben.

Lesen wie aus einem alten Buch

Dreißig Jahre später weisen nur einige Museen oder Markierungen in der Landschaft auf den Uranbergbau hin. Die bewegte Geschichte des Erzgebirges – Kruzne Hory auf Tschechisch – lässt sich dennoch überall in dieser Region lesen wie aus einem alten Buch.

Heute sind die Schächte, Halden und Absetzbecken verschwunden. Die Hügel sind bewaldet und grün, mit herrlichen Schluchten und Gewässern. Die Grenze zwischen Sachsen und Böhmen ist offen, frei passierbar. Die Unesco hat beide Seiten des Erzgebirges – in Sachsen und Böhmen – als historische Montanregion zum Weltkulturerbe erhoben.

Lust auf mehr? Dann hören Sie rein (in englischer Sprache):
Podcast: Traveling To The Erzgebirge With Eglund (23:55 min.)

Website von Tea, Toast & Trivia

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Scharfenberg: Schatzsuche unter der Erde
Tacitus: Der erste Journalist der Zeitenwende
Patrice Lumumba: Opfer der Uranbarone

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