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H. S. Eglund

Schriftsteller • Writer • Publizist

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© Ko-Hum
Samstag, 20. März 2021

Neuer Trailer: Im Fluge nach Ostafrika

Auf den sozialen Kanälen macht ein neues Video zum jüngsten Roman von H.S. Eglund die Runde. Eindrucksvolle Bilder und ein exotischer Soundtrack – eigens für den Buchtrailer komponiert – unterstreichen die packende Handlung. Auch der Autor selbst kommt zu Wort.

Der neue Roman Nomaden von Laetoli von H.S. Eglund spielt im heißen, trockenen Osten Afrikas – im Rift Valley und an der Küste des Indischen Ozeans. Die Handlung verbindet Archäologie, Anthropologie, Geschichte, vielfältige Kulturen, Politik und authentische Charaktere – vor der einzigartigen Kulisse der Vulkane, Savannen, Inseln und Gebirge.

Der junge Wissenschaftler Martin Anderson steht vor einer glänzenden Karriere. Ihn erreicht ein Ruf von Professor Miller, einer Koryphäe der Archäologie. In Laetoli in Tansania forscht Miller an Millionen Jahre alten Fossilen menschlicher Vorfahren. Der alte Kauz behauptet: Ich habe die ersten Menschen gesehen! Hat ihn der Afrikakoller erwischt?

Andersons Reise verschlägt ihn ins Rift Valley und zur Serengeti, nach Axum im Norden Äthiopiens und auf die Insel Sansibar. Unbedingt will er die Wiege der Zivilisation finden. Doch das dunkle, heiße Afrika entzieht sich jeder Logik. So gerät die Expediton des jungen Forschers zur Suche nach sich selbst. Andersons Verwirrung wächst, als er Sewe Akashi begegnet, Millers junger Assistentin.

Der Roman ist soeben im ViCON-Verlag in der Schweiz erschienen und im Buchhandel lieferbar.

Hier geht‘s zum Video.

Bestellung beim ViCON-Verlag.

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© H.S. Eglund/Romeon
  • So kalt und grau kann Berlin sein: Blick auf die Danziger im Prenzlauer Berg. © H.S. Eglund
  • Ödnis des Lockdowns: Leere in der Kulturbrauerei. Was fehlt? Ein Gedicht! © H.S. Eglund
  • Sogar die Häuser ducken sich gegen den grauen Regen. © H.S. Eglund
  • Grau verrät die Abwesenheit von Himmel. © H.S. Eglund
  • Heute geht die Sonne zweimal auf. © H.S. Eglund
  • Dies' Fenster im Gegenlicht/Ist selbst ein Gedicht, ein Gedicht © H.S. Eglund
Samstag, 13. März 2021

Lyrik (I): Der ferne Hügel

Seit dem Amtseid von Joe Biden tobt in den Feuilletons ein Streit, ob Amanda Gormans Poem The Hill We Climb gute Lyrik ist, und wer es übersetzen darf. Ein grauer Tag brachte die Erkenntnis: Gute Lyrik schaut Dir über die Schulter wie ein Freund. Sie schmeckt hell - wie ein Schluck vom Elixier des Lichts.

Spätwinterliche Tiefdruckgebiete sind ein Gräuel. Lange währte der Winter, war lange eisig und dunkel, und dazu die lange Ödnis des Lockdowns. Kurz keimte die Sonne, brachte helle, warme Tage. Und nun erneut der Absturz in die Finsternis.

Früher, als es noch gedruckte Zeitungen gab, wühlte man sich an solchen Tagen durch die Feuilletons. Heute kriegt man die Newsletter von Volltext und Perlentaucher, komprimierte Listings der aktuellen Debatten.

Doppelplusungut für weiße Übersetzer

Ganz offenbar herrscht in den Hirnen der Redakteure gleichfalls tiefer Druck. Denn ersthaft wird gestritten, ob Amanda Gormans Gedicht The Hill We Climb wirklich gelungen ist. Und ob es übersetzt werden sollte, und vor allem: Von wem? Zwei weißhäutige Übersetzer*innen wurden bereits abgelehnt.

Sie erhielten das Prädikat Doppelplusungut, ihr Profil passe nicht. Gemeint ist: Ihre Hautfarbe ist falsch, ihnen fehlt der Migrationshintergrund. Dabei wendet sich Amanda Gorman ausdrücklich gegen die Trennung der Geschlechter, der Rassen, der Portemonnaies. Sie sagt WE, WIR, wie Barak Obama: „Yes, we can!“

Der Streit geht also weiter. Amanada Gormans Gedicht (und andere Gedichte von ihr) stehen turmhoch darüber. Denn ihr Fundament reicht tief, sehr tief. Lyrik ist so alt wie des Menschen Gedächtnis, älter als die Schrift, älter als alle Schriften. Sie ist Oral History, das unmittelbar gesprochene Wort in akzeptabler Form, um es aus dem Alltagsgeschwätz zu heben.

Lyrik ist das ewige Lied des Menschen, von dem Beethoven sagte: „Wir Sterbliche mit den unsterblichen Seelen“.

Der glückliche Sisyphos

Was ist gute Lyrik? Die Suche nach dem Hügel, den es zu erklimmen gilt? Dieser Hügel bleibt immer fern. Nicht der Gipfel ist das Ziel, sondern der Aufstieg. Ein Experte für dieses Thema ist Reinhold Messner, von dem der schöne Satz stammt: „Wir müssen uns Sisyphos als glücklichen Menschen vorstellen.“

Immer neu antreten. Immer aufs Neue bereit für den Aufstieg, auch wenn er mühselig ist. Weil er mühselig ist. Das Ziel bleibt unerreichbar, es ist Fata Morgana und Utopia und Ultima Thule zugleich, und an grauen Tagen liegt es unsichtbar hinter dem bleichen, regenverhangenen Himmel.

Gute Lyrik ist wie ein warmer, heller Strahl des Sonnenlichts, das Dich trifft, wie ein Blick aus den Augen eines Freundes. So gesehen, war Gormans Poem wirklich gut, richtig gut. Denn die junge Frau hatte den Mut, den Popanz der Amtseinführung eines US-Präsidenten in den Schatten zu stellen.

Mal was neues, etwas wirklich neues: Hoffnung auf ein anderes Amerika, auf eine andere Politik. Einen Moment lang wurde der politische Apparat geerdet, verpflichtet und auf neue Weise vereidigt. Ich war an Carl Sandburgs berühmtes Gedicht erinnert: I am the people, the mob, the crowd, the mass! Und an Walt Whitmans For you these from me, O Democracy, to serve you!

Jeder pickt sich heraus, was er braucht

Das war die laute, die medienwirksame Seite des Auftritts der jungen Frau. Die Debatte, wer das Gedicht übersetzen darf, ist dagegen völlig unwürdig. Denn bekanntlich lässt sich nichts so schwer übersetzen wie Lyrik oder Liedtexte, und am Ende pickt sich ohnehin jeder heraus, was er braucht.

Lyrik ist Gebrauchsware, Ausdruck des Augenblicks – egal, ob im Licht der Scheinwerfer oder abseits in dunkler Ecke. Mir geriet dieser Tage ein schmales Bändchen in die Finger, Gedichte von Klara Günther: Aus der Dunkelheit ins Licht. Anders als Frau Gorman ist Frau Günther völlig unbekannt. Das hat mit der Qualität der Gedichte nichts zu tun, denn jede Leserin und jeder Leser empfängt ein Gedicht auf eigene Weise, unter eigenen Vorzeichen.

Zu feige zum Suicid

Auch Klara Günther hatte den Mut zum Gedicht, und allein deshalb ist das Büchlein wert, angeschaut zu werden. Denn nach wie vor treibt mich die Frage um: Was ist gute Lyrik? Das Thema von Amanda Gorman ist die soziale, kulturelle und politische Emanzipation von Schichten, die nicht zum ökonomischen und politischen Establishment gehören.

Bei Klara Günther geht es um etwas anderes: „Zum Suicid zu feige, entschied ich mich, nach dem Licht zu suchen“, schreibt sie im Vorwort. Sie hätte ebensogut schreiben können: „Zum Suicid zu feige, schrieb ich ein Gedicht. Weitere folgten.“

Das ist authentisch, das trifft mich, denn ich habe innerhalb eines Jahres zwei gute Bekannte verloren. Sie haben den Kampf gegen die Depression nicht gewonnen, obwohl ich mir bei diesem Urteil nicht wirklich sicher bin. Vielleicht haben sie ihn auf ihre Weise entschieden, durch die letzte, eigene Tat. Als ultimative Verweigerung gegen das Grau des Alltags und den Irrsinn dieser Welt.

Die Illusion verweigert

Günthers Vorwort verweigert dem Leser jede Illusion: Wirklich gute Gedichte kommen nicht in die Welt, um das Publikum zu ergötzen. Sie sind unmittelbarer Ausdruck einer Not, von Leid, und manchmal einer Hoffnung, eines Ziels. Das gilt für Gorman, das gilt für Klara Günther (wie auch für Sandburg und Whitman).

Deshalb finden sie ihr Publikum, weil wir alle irgendwie im Aufbruch stecken, unser Leben lang. „Du wärst der denkende Mensch nicht, wärst Du nicht der leidende, gärende Mensch gewesen“, sagt Diotima zu Hyperion. Und in Patmos schreibt Hölderlin:

Nah ist
Und schwer zu fassen der Gott.
Wo aber Gefahr ist, wächst
Das Rettende auch.
Im Finstern wohnen
Die Adler und furchtlos gehen
Die Söhne der Alpen über den Abgrund hinweg.

Furcht, Gefahr auf der einen Seite; Rettung und Licht auf der anderen. Gute Lyrik strahlt aus wie das Echo in den Schweizer Bergen, das sich an vielen Graten bricht. Ob es ein menschliches Ohr erreicht, und von dort ein Hirn, ein Herz, das entscheidet der Empfänger selbst und allein. Der Physiker spricht von Resonanz: schwingen in gleicher Frequenz. Klara Günther formuliert es auf diese Weise:

Gedichte
…
Verdichtet.
Gemalt mit Worten.
Sie auszudruecken
befreit mich
von innerem Druck.

So geraten die Gedichte zum Kommentar ihrer inneren Reise, die gegen die äußere Reise steht, oft im Widerspruch, im Zweifel, manchmal stimmig mit sich im Reinen. Gedichte sind Selbstbefreiung, zumindest wie Günther sie praktiziert, und sie ermuntern, nichts unversucht zu lassen:

Viel zu oft
habe ich mich
auf der Suche
nach mir
verlaufen
und in fremden Gärten
nach meinem Schatz
gegraben.

Gedichte werden aus Unzufriedenheit geboren, aus der Gischt stürmischer Wellen im Innern. Sie sind der Schaum unserer Tage – ohne Alltag, vom äußeren Anschein und anerzogener Disziplin entkleidet. Jede Leserin und jeder Leser muss entscheiden, ob dieses Senkblei in die Tiefe der Psyche auch ihre oder seine Tiefenströmung auslotet, berührt oder aufzuwühlen vermag.

Klara Günther pflegt keine besonders kunstvollen Wortschnörkel. Mir gefällt, das sie geradewegs auf ihr Ziel losstapft. Hier ein Beispiel aus dem Gedicht Zeit:

Ich glaube
es ist an der Zeit,
mich zu besinnen,
auf das,
was seit Jahrhunderten
oder Jahrtausenden
in mir ist.

Man kann das banal nennen: schon tausendmal gesagt – so oder auf ähnliche Weise. Das stimmt. In zehntausend Jahren menschlichen Ausdrucks ist alles Wesentliche bereits gesagt und erzählt, vom ersten Schamanen über Shakespeare bis zu zeitgenössichen Poetinnen in Washington oder im fränkischen Dorf.

Das ist überhaupt nicht schlimm. Im Gegenteil: Offenbar gibt es etwas unveränderliches, unzerstörbares, dass sich ähnlicher Worte bedient, um sichtbar und fühlbar zu werden. Jede neue Generation, jeder neue Mensch ist gefordert, seine Worte für den inneren Aufruhr zu finden. Sich mit Begriffen, Bildern und Gefühlen in der Welt – im Leben – auf neue Weise einzuordnen, zu verorten, den eigenen Kurs zu bestimmen.

Ins Risiko gehen

Freilich, das muss man nicht tun. Man muss keine Gedichte lesen, man muss diesen Blog von Eglund nicht lesen. Man kann Musik hören, sie entfaltet eine ähnliche Resonanz; man kann Bilder anschauen oder einfach nichts tun – eins mit sich und Haus, Auto und Netflix.

Alles schick. Nur eins dürfte nicht funktionieren: Leben ohne Risiko. Denn Leben ist Risiko, wie Klara Günther schreibt:

Wenn ich nichts riskiere,
riskiere ich
zu sterben bevor ich gelebt habe.

Der Tag ist grau und nass und kalt, widerlich kalt. Det is Berlin, Keule, riskante Sache. Irgendwie habe ich das Gefühl, auf meine Frage keine wirklich überzeugende Antwort gefunden zu haben: Was ist gute Lyrik? Bleibt also ein Thema, ich komme darauf zurück. Der Weg ist das Ziel, und Sisyphos ein glücklicher Mensch.

Gedichte von Klara Günther:
Aus der Dunkelheit ins Licht
Romeon Verlag, Kaarst, 2017
ISBN 978-3-96229-029-0

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Podcast: Hässlichkeit weitet Horizonte

Leseprobe im Video: Das frühe Ende einer Safari

Der erste Journalist der Zeitenwende

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© H.S. Eglund
  • Arminius als Zwitter von römischem Kaisertum und Deutschem Reich nach 1871. © H.S. Eglund
  • Das Hermannsdenkmal ist historisierender Kitsch. Auf alle Fälle einen Besuch wert. © H.S. Eglund
  • © H.S. Eglund
Sonntag, 7. März 2021

Der erste Journalist der Zeitenwende

Vor 1.900 Jahren erschien der erste Reiseführer über die Lande der Teutonen. Sein Autor war Tacitus, er schrieb vom Hörensagen. Der erste Journalist nach Christi Geburt war auch der erste, der die seltsame Gemütsart der Germanen erklärte: Treue.

Der römische Politiker Tacitus ist Lateinern bekannt als erster Autor unserer Geschichtsschreibung: In den Annalen, die er zwischen 115 bis 117 verfasste, zeichnete er die römische Politik vom Tode des Kaisers Augustus bis zum Selbstmord Neros nach.

Tacitus selbst, der um 55 in Rom geboren wurde und um 121 starb, hatte etliche römische Kaiser überlebt, darunter Vespasian, Titus und den blutigen Despoten Domitian.

Unter diesen machte er Karriere: als Redner, Politiker, Beamter und Autor. Kaiser Titus erhob ihn in den Senatorenstand. Kaiser Nerva machte ihn zum Konsul, unter Trajan wurde er Prokonsul für Asien, was damals in etwa dem heutigen Kleinasien entsprach. Etwa 121 starb er, vier Jahre nachdem Hadrian den Kaiserthron in Rom bestiegen hatte.

Die Geschichte der Schönen und Reichen

Tacitus schrieb Historia als Geschichte der Kaiser, der Schönen und Reichen. Einfache freie Bürger oder Sklaven kamen darin nicht vor. Auf diese Weise prägte er das Fach bis ins 19. Jahrhundert – bis soziale und ökonomische Triebkräfte in der Geschichtswissenschaft aufkamen.

Er war zugleich der erste Journalist. Denn er verband zwei wichtige Tugenden, auf die sich besonders namhafte Journalisten bis heute berufen: Er berichtete vom Hörensagen. Und er servierte seinen Lesern weniger Berichte, mehr Bewertungen. Er hob die Trennung von Meinung und Fakt auf, bevor sie sich in der jungen Branche der Schreiberlinge etablieren konnte.

117 erschien Germania

117 erschien sein Werk Germania. Man könnte das Pamphlet als erste Auslandsreportage, als ersten Reiseführer bezeichnen. Germania bezeichnete seinerzeit die Regionen östlich und nördlich des Limes: von den Galliern im Westen und Rätern im Süden an den Alpen, von Rhein und Donau begrenzt, im Norden das Weltmeer.

Gleich zu Beginn seines Traktats schrieb der Historienbarde: „Wer hätte Lust verspüren sollen, Asien oder Afrika oder Italien zu verlassen und Germanien aufzusuchen, dieses unwirtliche Land mit seinem rauhen Klima, trostlos zu bebauen und zu beschauen.“

Erst das Urteil, dann die Fakten

Ein weiteres klassisches Beispiel, wie man den Gegenstand der Darstellung von vorneherein verunglimpft: Er bezeichnete die Germanen als gefährlichste Feinde Roms. Damit war das Schema festgelegt, dass man heute in jeder Tageszeitung lesen oder auf jedem Fernsehkanal sehen kann: Erst kommt das Urteil, dann die entsprechende Begründung, faktisch getarnt.

Tacitus hat Germanien nie bereist, zumindest sind dafür keine Beweise überliefert. Der Limes am Rhein und südlich des Siedlungsgebiets der barbarischen Völker bis zur Donau bei Regensburg war für ihn eine Grenze zur Wildnis, „faktisch vollständig von Wald und schaurigen Sümpfen bedeckt“, wie uns der antike Autor wissen lässt.

Ein Trauma wie später Stalingrad

Seine Informationen bekam er wohl von römischen Soldaten und Kaufleuten, die sich in den unwegsamen Dschungel wagten, um mit Fellen, Bernstein und Silber zu handeln. Der ganze Report ist geprägt von Angst und Abscheu, vom Trauma der Varusschlacht, als die Germanen im neunten Jahr der Zeitrechnung drei römische Legionen samt deren Hilfstruppen vernichteten – auf eigenem Boden, im Teutoburger Wald im heutigen Ostwestfalen. Drei Legionen – das war ein Achtel des römischen Heeres.

Und so ergibt sich bei der Lektüre eine erstaunliche Parallele zur Berichterstattung unserer Tage beispielsweise über Russland, die auf ähnliche Weise vom Trauma der Schlacht bei Stalingrad geprägt ist.

Derselbe arrogante Ton

Da kehrt derselbe arrogante Ton wieder, um die Ängste und Minderwertigkeitsgefühle zu übertünchen, derselbe Hochmut der Verlierer: Der Römer als Träger der Hochkultur, der Germane als Barbar: „trotzige blaue Augen, rotblondes Haar und hoher Wuchs, bei Durst und Hitze werden sie weich, aber gegen Kälte und Hunger sind sie durch das Klima und die kargen Böden abgehärtet“.

Bei Detmold steht das Hermannsdenkmal, für Hermann – Armin – Arminius, den Fürsten der Etrusker im Kampf gegen die römischen Eindringlinge. Es zeigt den Germanen als römischen Feldherren, ein historisierendes Klischee, reiner Unsinn, aber politisch opportun – berief sich das Deutsche Reich doch ausdrücklich auf klassische Vorbilder. Die preußischen Könige – ab 1871 die deutschen Kaiser – sahen sich in Ahnenlinie mit Cäsar, Vespasian und Titus, als neue Blüte neoklassizistischer Hochkultur.

Waldmenschen aus dem Osten

In den Augen der Römer hätte die Varusschlacht schlimmer nicht laufen können: Ein ungehobelter Haufen schmutziger Waldmenschen hatte die geordneten und geschulten Legionen des Kaisers niedergemezelt.

Das traf ins Mark der römischen Überlegenheitsfantasien. Dazu Tacitus: „Die Germanen hatten kaum Eisen im Gebrauch. Schwerter und Lanzen gab nur es wenige, nur Speere (Framen mit kurzer Eisenspitze) und Schild.“ Zur Schlacht ordneten sich die Germanen in keilförmigen Haufen, sie seien „meistens Krieger zu Fuß“.

Zunächst hatten Römer diese Wilden gut im Griff. Statthalter Varus hatte einen guten Teil der Wälder östlich des Rheins erobert. Sein Vasall Arminius jedoch wechselte in die Opposition, historisch sind die genauen Hintergründe verworren. Freilich – Tacitus gibt die Schuld am Krieg dem östlichen Nachbarn: „Diesem Volke behagt die Ruhe nicht.“

Wenn die Germanen nicht gerade mit Krieg beschäftigt seien, gehen die Männer auf die Jagd oder ruhen aus. „Die Sorge für Haus, Hof und Feld bleibt den Frauen, den Alten und allen Schwachen im Haushalt überlassen.“

Unerhört rückständig

Für römische Augen war das unerhört rückständig, denn die freien Bürger Roms ließen die Arbeit von Sklaven verrichten – zu denen auch Germanen gehörten. Überhaupt war Germanien wenig verlockend: „Getreide gedeiht gut, Edelobst dagegen gar nicht.“ Oder: „Viehherden sind der Germanen einziger und liebster Reichtum.“

Es gab weder Gold, noch Silber. Die Frage, warum die Römer überhaupt den Rhein überschritten hatten, lässt Tacitus unbeantwortet – er stellt sie nicht einmal.

Dennoch sind Details seiner Reportage interessant. Denn sie zeigen einen anderen Entwicklungsweg, den die Völker und Stämme Germaniens beschritten, ein anderes Verständnis von Herrschaft und Macht.

Nur Priester durften töten

Beispielsweise durften die germanischen Könige und Herzöge ihre Untertanen nicht töten, fesseln oder schlagen. Das war ausschließlich den Priestern vorbehalten – etwa für Menschenopfer, die sie Merkur widmeten. „Merkus genießt die höchste Verehrung“, schreibt Tacitus, und: „Herkules und Mars werden durch Tieropfer gnädig gestimmt“.

Ein Teil der Sueben (Schwaben) opferte der Isis, der altägyptischen Göttin der Geburt und der Magie, auch als Totengöttin bekannt. Diese Religion hatte sich von den Ägyptern über die Griechen und Römer erhalten.

Die Germanen liebten Vorzeichen und Losorakel, das haben sie sich bis heute bewahrt. Der Vogelflug wurde gedeutet, ebenso die Mahnungen von Pferden, vor allem der schneeweißen Rosse in heiligen Hainen und Lichtungen.

Ein Volk ohne Steuern

Anders als die Römer mit ihren sozial sehr fest gefügten Kasten pflegten die Germanen einen eher demokratischen Umgang: Der Thing der Freien entschied über alle wichtigen Fragen. Die Fürsten hatten keine Befehlsgewalt, nur Vorschlagsrecht. Sie wurden gewählt und waren in ihren Gauen als Richter tätig.

Auch kannten die Germanen damals noch keine Steuern. „Man gibt seinem Fürsten unaufgefordert etwas ab“, weiß Tacitus zu berichten. Die Kehrseite der Medaille: Ein solch hinterwäldlerisches Gemeinwesen konnte niemals die stolze Größe Roms erreichen. Tacitus: „Nicht einmal behauene Steine oder Ziegel benutzen die Germanen, nur unbehauenes Holz.“ Und: „Einige Stämme der Germanen sind in Tierfelle gekleidet.“ Die Kinder seien „mangelhaft bekleidet und ungepflegt“.

Plötzlich wechselt der Ton

Doch plötzlich wechselt der Ton. Wenn Tacitus von den Frauen der Germanen schreibt, scheint er eine ferne, nebulöse Geliebte zu beschwören, ein Wunschbild. Das hat er mit den Romanen von Konsalik gemeinsam, in denen Russinnen nur als sexhungrige Hexen oder sittsame Engel skizziert sind.

Tacitus wählte die Engel: „Den Frauen der Germanen ist eine gewisse Heiligkeit und Sehergabe eigen“, lässt er uns wissen. So erwähnt er Veleda, die unter Vespasian als göttliches Wesen verehrt wurde. Veleda vom Stamm der Brukterer hatte germanische Siege gegen die römischen Fremdherren prophezeit.

Und der römische Schreiber lobte ausdrücklich die germanische Zucht: „Gleichwohl halten die Germanen strenge Zucht in der Ehe, und wohl keine ihrer Sitten verdient höheres Lob, denn fast als die einzigen von allen nichtrömischen Völkern begnügen sie sich mit nur einer Gattin.“

Die Mitgift brachte der Mann in die Familie der Frau ein. Zudem kannten die Germanen bereits die Primogenitur, die Vererbung des Besitzes an die ältesten Söhne. Man erbte auch die Freundschaften und die Feindschaften des Vaters oder von Blutsverwandten.

Ein Saft, so ähnlich wie Wein

Andererseits galt: „Geselligkeit und Gastfreundschaft pflegt kein anderes Volk eifriger“, wie Tacitus schreibt. „Irgendeinem Menschen, wer es auch sei, kein Obdach zu gewähren, gilt als Sünde.“

Schon damals erkennt er den Hang der Germanen zum Gelage: „Tag und Nacht durchzutrinken ist für niemanden eine Schande.“ Ihr Lieblingsgetränk ist ein „Saft aus Gerste oder Weizen, der infolge von Gärung eine gewisse Ähnlichkeit mit Wein hat“.

Und als erster Literat überhaupt erwähnt Tacitus die Treue der Germanen. Sie seien von blinder Leidenschaft für das Würfelspiel besessen. „Wer verliert, geht freiwillig in die Knechtschaft, er lässt sich binden und verkaufen. Sie selbst nennen es Treue.“

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© Rebecca Budd
Sonntag, 28. Februar 2021

Podcast: Hässlichkeit weitet Horizonte

Clanmother Rebecca Budd aus Vancouver hatte sich für die neue Folge von Tea, Toast & Trivia ein besonders spannendes Thema ausgesucht: Hässlichkeit, neudeutsch Ugliness. Kundiger Gesprächspartner war Klausbernd Vollmar aus Cley-next-the-Sea in Norfolk. Mit ihm hatte sie bereits über Farben und Schönheit gesprochen. Der Podcast beweist: Hässlichkeit ist viel interessanter, denn sie berührt die Dämonen in uns selbst.

Der neue Podcast von Clanmother Rebecca Budd mit dem Psychologen Klausbernd Vollmar wagt sich an ein heißes Eisen: Über Schönheit reden alle gern, sie ist en vogue. Das Hässliche, die Hässlichkeit hingegen sind beinahe tabou. „Darüber wird selten gesprochen“, führt Klausbernd Vollmar ein.

Denn Hässlichkeit berührt unangenehme Dinge: Exkremente, Krankheiten oder Enstellungen. Narben sind hässlich, oder Zeichen von Alterung: Falten, Flecken, schlaffe Haut und Fett. Ein spezieller Zweig der Chirurgie lebt davon, die Zeichen der zunehmenden Hässlichkeit in zeitlose Schönheit umzumünzen. Schönheit vergeht, Hässlichkeit nicht – allen Skalpellen und Lasern zum Trotz.

Ein Wort der Furcht, der Angst

Ugliness, wie es im Englischen heißt, stammt vom Wikingerwort für Furcht, ist skandinavischen Ursprungs, wie Klausbernd Vollmar erläutert. Hässlichkeit im Deutschen geht auf Hass zurück, ebenso ein Ausdruck von Furcht und Angst.

Hass verursacht entstellte Fratzen, unkontrollierte emotionale Ausbrüche, die die Angst kaschieren sollen. Die Angst vor dem Unbekannten – das uns bei näherem Hinsehen nicht selten sehr vertraut ist. „Jemand, den man als hässlich bezeichnet, empfindet man als eklig oder unattraktiv“, sagt Klausbernd Vollmar. „Andererseits erzeugt Hässlichkeit eine starke Anziehungskraft. Sie zwingt uns, zweimal hinzuschauen.“

Ausbruch aus der Norm des Kollektivs

Wenn Schönheit die kollektive Norm des Wünschenswerten, des Erstrebten umfasst, beschreibt Hässlichkeit die Abweichung von dieser Norm, die Antithese. „Niemand möchte sich mit Häßlichkeit identifizieren“, meint Vollmar.

Und doch steht Hässliches, Monströses offenbar hoch im Kurs: Seit Hieronymus Bosch und Vincent van Gogh gehören hässliche Motive zu den anerkannten Elementen der Kunst. Obwohl Hexen und Juden (und andere Feindbilder) über Jahrhunderte als hässlich galten, um sie auszugrenzen, sind betont hässliche Charaktere in Film und Fernsehen von magischem Wert: Gollum oder Sauron aus Herr der Ringe, die Sith in Star Wars, das Biest in Beauty and the beast, Mary Shelleys Frankenstein, der Glöckner von Notre Dame von Victor Hugo oder Salvatore in Der Name der Rose, so herrlich verkörpert von Ron Perlman.

Das Monströse kultivieren

Seit dem Einzug der Computertricks wird die Filmindustrie, werden die Computer Games überflutet von nie zuvor erschauten Monstern. Sie kultivieren das Abstoßende, das rebellische Element, das sich der Schönheit verweigert – und garantieren Aufmerksamkeit. „Zweimal hinschauen“, wie Klausbernd Vollmar sagt, bevor er aus Shakespeares Macbeth zitiert: „Foul is fair and fair is foul.“ Schönheit vergeht, das Hässliche bleibt.

Denn die Welt ist nicht schön, sie ist mitunter hässlich, sehr sehr hässlich. Um das zu verstehen, muss man genauer hinschauen, sich das Hässliche erschließen. Man muss die Angst überwinden, die sie impliziert.

Zu verschiedenen Zeiten in verschiedenen Kulturen wurde Hässlichkeit verschieden genormt und interpretiert. Heute bietet sich durch die Omnipotenz von Hässlichkeit in den Medien die Chance, die Ängste und Vorbehalte zu überwinden.

Eine Übung in Toleranz

Diente Hässlichkeit früher vor allem dazu, auszugrenzen und Feindbilder zu pflegen, tragen die modernen Medienmonster nicht selten menschliche Züge. Sie spiegeln die Dämonen, die in jedem von uns stecken. So wird „zweimal hinschauen“ zur Toleranzübung.

Für die Cineasten unter uns: Paradebeispiele sind die Genese der Monster in Alien, der kleinen Felldinger in Gremlins, der Schaben in Men in Black oder der außerirdischen Grünlinge in Mars Attacks. Ganz großes Kino …

Verwirrende Distanz

Schönheit verspricht Schutz und Sicherheit, Hässlichkeit verwirrt und zwingt, die emotionale Distanz durch offenes Herz und freien Geist zu überwinden. Sie kann sogar Spaß machen, wie die sehr erfolgreiche Rocky Horror Picture Show beweist. Und bei Beauty and the Beast steckt hinter der Fratze des Monsters ein Prinz, wie beim Froschkönig.

Dieses Nugget hinter der hässlichen Fassade zu entdecken, ist Goldgräbertum, oft mühselig und fruchtlos, aber manchmal, mit viel Glück …

Ganzheitlichkeit akzeptieren

Der Podcast ist verhältnismäßig lang, mehr als eine halbe Stunde. Der feinen Gesprächsführung von Clanmother Rebecca ist zu verdanken, dass er nie langweilig oder zum einseitigen Monolog gerät. Die Suche nach Verständnis für das Hässliche, sagt sie sinngemäß, ist die Chance, die es für den Betrachter birgt. „Hässlichkeit zu akzeptieren, bedeutet, die Ganzheitlichkeit zu akzeptieren“, bringt sie es auf den Punkt. „Denn sie gehört zum Leben.“

Die Welt – in uns und um uns – ist nicht nur in Schönheit und Licht und wunderbaren Farben gemalt. Sie ist real und somit durchaus hässlich. Die Angst davor zu überwinden – bis zur Angst vorm hässlichen Tod – öffnet neue Horizonte.

Urängste befragen und bewältigen

So gesehen sind betont abstoßende Subkulturen wie Punk oder Gothic keine bloße Absage an den Mainstream und die Hochglanzgesellschaft. Sie markieren die Suche nach einem Lebensweg, der tiefe Urängste befragt und zu bewältigen sucht.

Denn das Konzept der Schönen und Reichen allein reicht nicht aus, um mit der realen, der echten und wirklichen Welt klar zu kommen.

Im Podcast benutzt Klausbernd Vollmar den interessanten Begriff des Zeitgeists, der auch im Englischen Zeitgeist heißt. Längst wissen wir doch, dass eine schöne und glatte Fassade oft nur den hässlichen Kern verbirgt.

Der Hohepriester der reichen Schönen mit dem verdorbenen Selbst ist Raymond Chandler, Autor klassischer Krimis um Privatdetektiv Philip Marlowe. Er hat die emotionale Distanz der Hässlichkeit vermessen wie kaum ein anderer. Hier ein Beispiel, aus Der lange Abschied:

Ein Bursche in Shantung-Jacke und offenem Hemd tauchte hinter ihr auf und grinste mir über ihren Kopf weg zu. Er hatte kurzes rotes Haar und ein Gesicht wie eine kollabierte Lunge. Er war der hässlichste Kerl, den ich je zu Gesicht bekommen hatte.

Lesen Sie das zweimal, mindestens. Eine kollabierte Lunge … Denken Sie darüber nach, öffnen Sie Geist und Herz. Dann werden Sie mühelos erkennen, wie viel Schönheit sich in dieser Passage versteckt.

Podcast: Ugliness (36:10 min.) – Unbedingt reinhören!

Website von Tea, Toast & Trivia

Hier geht es zu Klausbernd Vollmars Blog The World according to Dina.

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© H.S. Eglund
Donnerstag, 25. Februar 2021

Leseprobe im Video: Das frühe Ende einer Safari

Bei der Einfahrt in den Krater des Ngorongoro gerät Martin Anderson ins Grübeln: Die Hitze lastet auf seinen Sinnen, Selbstzweifel zernagen ihn. Was hat er im heißen, stickigen Osten Afrikas verloren? Was gehen ihn die Hirngespinste von Professor Miller an?

Tagelang muss Martin Anderson auf die Genehmigung warten, um in Laetoli nach den geheimnisvollen Frühmenschen forschen zu dürfen. Denn Professor Aaron Miller behauptet, er habe sie dort gesehen – leibhaftig! Um die Wartezeit zu überbrücken, begleitet Anderson den Professor und seine Assistentin Sewe Akashi auf einer Safari in den Ngorongoro-Krater.

In der drückenden Hitze der Savanne fühlt sich Anderson gestrandet, nagen die Zweifel an ihm. Spinnt der alte Professor? Hat ihn der Afrikakoller erwischt? Plötzlich wird Miller vom Fieber ergriffen, schüttelt ihn die Malaria. Sewe ist alarmiert, erbarmungslos tritt Tourguide Isaak aufs Gaspedal. Plötzlich ist die trügerische Ruhe vorbei, plötzlich zählt jede Sekunde …

Die Leseprobe aus dem ersten Teil des Romans Nomaden von Laetoli wurde von H.S. Eglund eingesprochen und mit beeindruckenden Bildern aus Tansania ergänzt. Auch sie stammen vom Autor, der in dieser Region auf mehreren Reisen unterwegs war.

Hier finden Sie das Video. (Dauer: 4:57 min.)

Leseproben als PDF-Texte

Hörproben als Audiodateien

 

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© A. Rensinghof/Priocar
Sonntag, 21. Februar 2021

Vorsatz Media: 7 Tipps für nachhaltige Filme

Nachhaltigkeit ist nicht nur inhaltlicher Schwerpunkt der Filmproduktionsfirma Vorsatz Media aus Berlin. Der gesamte Workflow ist ebenfalls nachhaltig, dabei helfen Organisation und Technologien. William Vorsatz empfiehlt sieben einfache Lösungen, die auch für andere Studios und deren Kunden interessant sein dürften.

William Vorsatz fährt jeden Morgen mit dem Fahrrad zur Arbeit. Das ist in Berlin gut möglich. Keiner seiner Mitarbeiter kommt mit dem Auto ins Studio. Es würde auch seltsam anmuten, mit Emissionen in den Job zu starten und dann Filme über Solarenergie, Bioplastik und Recycling zu drehen.

Üblicherweise werden bei Filmproduktionen Tonnen an Kohlendioxid freigesetzt. Da sind die Flüge, Autofahrten, Generatoren, Scheinwerfer, Catering und Kopien. Mit ökologisch optimierter Planung lässt der größte Teil der klimaschädlichen Emissionen vermeiden.

Wie das funktioniert? Das erfahren Sie hier.

H.S. Eglund und William Vorsatz haben zahlreiche Videos für die solare Energiewende produziert.

Eine Auswahl finden Sie hier.

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© H.S. Eglund
Samstag, 13. Februar 2021

Eglund in Social Media: Bücher, Bits & Bytes

Ab sofort ist H.S. Eglund auf Facebook, Instagram & Youtube unterwegs. Denn mit Leserinnen und Lesern ins Gespräch zu kommen, dafür gibt es viele Wege.

Der Berliner Autor H.S. Eglund baut seine Präsenz in den sozialen Medien aus. Seine Beiträge, Videos und Bilder finden Sie hier: Facebook, Instagram und Youtube. Und natürlich wie bisher über seine Website. Neugierig geworden? Dann schauen Sie rein!

Das erste Video zum neuen Roman Nomaden von Laetoli

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© H.S. Eglund
  • Addis Abeba wurde von Menelik II. gegründet und 1898 zur Hauptstadt Äthiopiens. © H.S. Eglund
  • Das Plenargebäude der OAU (Organisation der Afrikanischen Einheit) in Addis Abeba. © H.S. Eglund
  • Der Autor im Gespräch mit Meles Zenawi, dem damaligen Premier von Äthiopien und Führer der Tigray. Die Aufnahme entstand 2002 in Addis Abeba. © H.S. Eglund
  • Blick auf Aksum, unweit der Grenze zu Eritrea. © H.S. Eglund
  • Blick von Aksum gen Norden zur eritreischen Grenze. © H.S. Eglund
  • Die kargen, trockenen Böden lassen nur den Anbau der anspruchslosen Zwerghirse Teff zu. © H.S. Eglund
  • Das Gebiet um Aksum war Anfang der 1990er hart umkämpft. © H.S. Eglund
  • Unweit der Stelen findet man die Reste des Befreiungskrieges vom Ende der 1980er Jahre. © H.S. Eglund
  • Das historische Stelenfeld von Aksum wird Tag und Nacht bewacht. © H.S. Eglund
  • Magnet für die Touristen: Antike Stele in Aksum in Tigray. © H.S. Eglund
  • Diese Stele aus dem antiken Aksum wurde aufwändig restauriert. © H.S. Eglund
  • Die Obelisken von Aksum stehen den Stelen in Karnak und Theben kaum nach. © H.S. Eglund
  • Wasser ist in Äthiopien und speziell im Norden knapp. © H.S. Eglund
Mittwoch, 10. Februar 2021

Tigray: Zankapfel im Norden Äthiopiens

Meldungen über einen Bürgerkrieg beherrschen die Medien. H.S. Eglund kennt das Land und speziell die Region um Aksum sehr gut. Auf einer seiner Reisen sprach er sogar mit dem damaligen äthiopischen Premier Meles Zenawi. Welche Ursachen hat der Konflikt, und wo liegt seine Lösung?

Trockenes, karges Land, das in weiten Hügeln zur Grenze nach Eritrea ansteigt: Tigray ist die nördlichste Provinz Äthiopiens. Das Terrain bietet kaum fruchtbare Böden, nur dürre Hirse lässt sich hier kultivieren. Klimatisch wird die Region durch die Bruthölle des Roten Meeres dominiert. Und der Gluthauch der Sahara weht vom Südsudan bis zur östlich gelegenen Danakilsenke, die unter dem Meeresspiegel liegt. Hier zu leben, ist richtig hart.

Die Tigray sind ein zäher, sehniger Menschenschlag. Sie sind nicht so dunkel wie die Eritreer, doch kleiner und drahtiger als die Amharen, deren Provinzen sich südlich anschließen bis nach Addis Abeba.

Von den reicheren Provinzen in der Landesmitte oder im Süden ist Tigray durch das äthiopische Hochland getrennt. Wenn Regen fällt, kann der ausgedörrte Boden das Wasser kaum aufnehmen – wie gebrannt ist seine Oberfläche. Selten, sehr selten fällt Regen. Die wenigen Wege und Straßen verwandeln sich innerhalb von Minuten in glitschige Bäche.

Der Konflikt weist weit in die Vergangenheit

Wenn man den Konflikt der Tigray mit der Zentralregierung in Addis Abeba verstehen will, muss man weit zurückreisen. Die Hauptstadt der Provinz ist Mekele, aber historisch wurde die Region von zwei anderen Orten geprägt: In der Spätantike war Aksum die Kapitale des aksumitischen Reiches, in dem Altertumsforscher das sagenhafte Goldland Punt vermuten. Punt war ein magisches Ziel, in das die Pharaonin Hatschepsut eine Expedition schickte. Sie ist in den Wandfriesen im Tal der Könige verewigt.

Und Adua markierte den Beginn des modernen Äthiopiens. Im Jahr 1896 schlug Kaiser Menelik II. mit seinen Lanzenträgern ein gut ausgerüstetes Kolonialkorps der Italiener. Dieser Sieg sicherte Äthiopiens Unabhängigkeit.

Giftgaskrieg der Italiener

Die Italiener hatten zuvor das heutige Eritrea erobert, am südwestlichen Küstenstreifen des Roten Meeres. Von dort wollten sie Italienisch-Ostafrika ausdehnen. Dieser Versuch scheiterte, erst 1936 gelang es Mussolinis Truppen, Äthiopien zu überrennen und Addis Abeba zu nehmen. Der Weg der Armee von General Badoglio war mit Zehntausenden Opfern eines erbarmungslosen Giftgaskrieges gepflastert, der ganze Landstriche entvölkerte.

Der äthiopische Kaiser Haile Selassie – ein Enkel Meneliks – musste nach London fliehen. Tigray wurde Eritrea einverleibt und Teil der italienischen Kolonialdomäne am Roten Meer. Fünf Jahre lang machten sich die Italiener breit, noch heute zeigen ihre Bauten, wie stark sie damals die Provinzen prägten.

Wie die Basken oder die Iren

Haile Selassie kehrte 1941 im Schutz der englischen Desert Rats in seinen Palast zurück. Die Briten warfen die Italiener ins Meer. Nach dem Krieg schlugen die Vereinten Nationen vor, die eritreischen Gebiete – darunter Tigray – in eine Föderation mit Äthiopien einzubringen.

Die äthiopischen Kaiser – auch der letzte unter ihnen: Haile Selassie – gehörten dem Volk der Amharen an. Dieser eher somalisch geprägte Menschentyp stellte während der jahrtausendealten Dynastie – die sich auf Salomo und Königin Saba zurückführte – die äthiopischen Eliten in der Armee, in der Verwaltung und in der Wirtschaft.

Um sich die ethnischen Verhältnisse vorzustellen, hilft ein Blick in die Geschichte Europas. Eine ähnliche Ambivalenz gibt es zwischen Spaniern und Basken oder zwischen Engländern und Iren.

Dem Kaiser und seinem Hofstaat in Addis Abeba galten die Tigray und die Eritreer als aufmüpfige, schwer zähmbare Untertanen, eine ständige Bedrohung der Verbindungsstraße von Addis nach Massawa, dem Zugang zum Roten Meer. Anders als im Südwesten und Süden des Landes, wo es viele Seen und fruchtbare Böden gibt – sogar Regenwälder –, waren Tigray und Eritrea nur Kostgänger, ständig von Dürren und Hungersnöten bedroht.

Die Arroganz der amharischen Elite

Die Arroganz, mit der Haile Selassie und seine amharischen Beamten die nördlichen Völker regierten, schlug sich in erbarmungsloser Ignoranz nieder. Seit Mitte der 1960er Jahren formierte sich eine Unabhängigkeitsbewegung, die Addis Abeba schwer zu schaffen machte.

Haile Selassie strafte die unbotmäßigen Provinzen ab, indem er Hilfslieferungen blockierte. Anfang der 1970er Jahre sendete die BBC erschreckende Bilder aus der Dürrezone. Dort verhungerten Millionen. Haile Selassie, Gründer der Organisation der Afrikanischen Einheit und einst als Hoffnungsträger des freien, unabhängigen Afrika gefeiert, stand nun als Despot im Rampenlicht.

Wie gegen die Tigray und die Eritreer im Norden herrschte die amharische Elite auch gegen die Oromo, die den Süden Äthiopiens bevölkern. Sie stehen den schwarzafrikanischen Völkern Kenias näher als den semitischen Somali und den Eritreern. Gibt es rund sieben Millionen Tigray und Eritreer, zählen die Oromo etwa 26 Millionen. Sie sind die größte Ethnie in Äthiopien. Auch sie erhoben sich immer wieder zu Revolten, die von den Truppen des Kaisers blutig niedergeschlagen wurden.

Die Zöpfe der Rastafarians

Als Ras Tafari (Prinz Tafari) hatte Haile Selassie der afrikanischen Erweckungsbewegung in den 1950er und 1960 seinen Namen und die amharischen Farben geliehen. Mehr noch: Er spendierte einen Fetzen Land, um schwarzen US-Amerikanern die Heimkehr nach Afrika schmackhaft zu machen – wo ihre Vorfahren als Sklaven gefangen worden waren.

Die ehemaligen Sklaven kamen nicht, denn die harte, heiße Erde Äthiopiens lockte niemanden aus den Slums von Chicago, New York oder Los Angeles. Dafür stieg Selassies Popularität, wurden die Zöpfe und Farben der Rastafarians zur Mode unter der gelangweilten Jugend in Europa und Nordamerika. Noch heute befindet sich der Tempel der Rastafarians in Shashamene, knapp fünf Autostunden südlich von Addis Abeba.

Als die Leibgarde putschte

Bis in die 1970er Jahre hatte Selassie beinahe jeden Kredit verspielt: im Inland und bei den Diplomaten. Während sein Hof in feudalem Glanz prasste, verhungerten die Menschen: im Osten im Ogaden, besonders aber im Norden in Tigray und in Eritrea.

1974 wurde der Kaiser durch einem Putsch der Offiziere seiner Leibwache entthront und musste abdanken. Kurz darauf starb er, am Ende seiner Kräfte.

Seine Zeit und die Zeit der despotischen Herrscher, die sich auf bibelfeste Ahnen berufen konnten, war vorüber. Die Macht übernahm eine Junta, Derg genannt, deren Führer 1977 ein roter Despot wurde: Mengistu Haile Mariam.

Mengistu sucht den Schulterschluss mit Moskau

Hatten die Briten und die Amerikaner Haile Selassie unterstützt, suchte Mengistu den Schulterschluss mit Moskau. Die Russen bauten auf einer Insel vor der Küste Eritreas eine Abhörstation, um den Schiffsverkehr im Roten Meer zu kontrollieren – die Zufahrt zum Suezkanal.

Mengistu – wie alle rote Kaiser und Zaren – regierte mit eiserner Hand, mit Terror. Auch er gehörte zur amharischen Elite, auch er stand den Eritreern und Tigray mit Argwohn, wenn nicht sogar mit Hass gegenüber. Denn die Unruhen im Norden Äthiopiens bedrohten die Verbindungen zu den lebenswichtigen Häfen am Roten Meer, wo der Nachschub aus der Sowjetunion anlandete – ebenso aus der DDR, die beispielsweise in Gondar ein Krankenhaus baute.

Eritreer und Tigray zogen in Addis ein

Seit den 1980er Jahren machten Eritreer und Tigray gemeinsame Sache. 1991 – die Waffenlieferungen aus dem Ostblock waren versiegt – gelang es ihnen, den Derg militärisch auszuschalten. Mengistu floh zu seinem Busenfreund Robert Mugabe nach Zimbabwe. Die vereinten Befreiungsfronten der Tigray und der Eritreer zogen in Addis Abeba ein.

Fortan stellten sie die neuen Eliten und die Zentralregierung. Erstmals war die Hegemonie der Amharen gebrochen, erstmals überhaupt in der Geschichte Äthiopiens.

Für die Provinz Tigray begann eine historisch einmalige Blüte, weil die Sieger zunächst ihr Stammland aufbauen wollten. Der Preis für die Unterstützung durch die nördlichen Nachbarn: Eritrea wurde in die Unabhängigkeit entlassen. Äthiopien gab seinen direkten Zugang zum Roten Meer freiwillig auf.

Die eritreische Hafenstadt Assab wurde zum Freihafen erklärt, damit die Äthiopier zollfreie Waren einführen konnten. Die Raffinerie von Assab stand den Äthiopiern gleichfalls offen. Im Gegenzug gab Addis Abeba 30 Prozent seines Erdöl an die Eritreer ab.

Alte Allianz – neue Feindschaft

Der Streit entbrannte, als Äthiopien seine eigene Ölförderung einstellte und die Versorgungsprobleme in Eritrea wuchsen. Eigentlich ist dieses kleine, ausgedörrte Land allein nicht lebensfähig. Es hängt an den Ernten im Süden Äthiopiens und an den Waren, die der große Nachbar über die Häfen am Roten Meer handelt.

So schlug die alte Allianz in neue Feindschaft um: Bis zum Jahr 2000 tobte ein erbitterter Streit um ziemlich belanglose Landzipfel im Grenzgebiet. Die äthiopische Luftwaffe bombardierte Massawa, die Hauptstadt Eritreas. Die Eritreer warfen Bomben über Mekele ab, der Hauptstadt der Region Tigray.

Die Äthiopier stoppten alle Güter gen Norden und wickelten ihren Handel fortan über Djibouti ab, zumal die französische Enklave mit Addis Abeba über eine Eisenbahn verbunden ist.

Ato Meles führte die Tigray nach Addis

Das Ende vom Lied: Die äthiopische Armee besetzte die umstrittenen Gebiete, seitdem herrscht weitgehend Ruhe. Zum Ende dieses Konflikts suchte der damalige äthiopische Premier Meles Zenawi nach Ausgleich, um die Lage im Norden unter Kontrolle zu halten.

Zenawi, ein schmächtiger Mediziner, den man aufgrund seiner Statur leicht unterschätzte, hatte die Befreiungsfront der Tigray im Kampf gegen den Derg angeführt. Seit den Wahlen 1995 bis zu seinem frühen Tod im Jahr 2012 war er Premierminister von Äthiopien. Er sprach eher zurückhaltend und leise, war ein ausgezeichneter Kenner seines Landes und seiner Probleme.

Ein persönliches Gespräch im Kaiserpalast

Im Jahr 2002 konnte der Autor persönlich mit Ato Meles sprechen. Bei einem Besuch in Addis Abeba ergab sich die Gelegenheit zum Interview, im ehemaligen Kaiserpalast von Menelik II, damals die Residenz des Premiers.

Eindringlich erläuterte Meles Zenawi die strategische Bedeutung der eritreischen Häfen. Doch daneben ging es um die touristischen Potenziale des Nordens. In Tigray und den angrenzenden Provinzen befinden sich alte Königsstädte (Gondar), ragen antike Stelen (Aksum) wie in Karnak oder Theben in den Himmel, wurden im Mittelalter skurrile Felsenkirchen aus dem vulkanischen Tuff gehauen (Lalibela). Ohne Frieden gab es keine Aussicht, die Touristen – und dringend benötigte Devisen – ins Land zu holen.

Wachsende Ströme von Touristen

Und tatsächlich: Nach Ende des Konflikts mit Eritrea kamen immer mehr Reisende in das farbenfrohe, exotische Land. Davon profitierte Addis Abeba, das beispielsweise einen modernen Flughafenterminal bekam. Davon profitierten in erster Linie die nördlichen Regionen, allen voran Aksum in Tigray.

Und: Der Frieden mit Eritrea gab Addis freie Hand gegen den zweiten Konfliktgegner, die Somalis im Osten. Sie wollten sich den Bruderkrieg zunutze machen, um weite Teile des Ogadens zu beanspruchen.

Die Somalis traten unter dem grünen Banner des Propheten an, während in Äthiopien die christliche Orthodoxie dominiert. Neben ethnische Spannungen treten religiöse Konflikte, die faktisch nicht zu entwirren sind.

Eine Million Mann unter Waffen

Die äthiopische Armee hält rund eine Million Mann unter Waffen hält und ist sehr gut mit militärischem Gerät (MiG-23 und russische Panzer) ausgestattet. Deshalb wurde der Konflikt im Ogaden befriedet wie der Grenzstreit im Norden. Doch bleibt die Situation unsicher, ist weit von einer politischen Lösung entfernt.

Äthiopien gelang unter Meles Zenawi eine dynamische wirtschaftliche Entwicklung. Freilich, das hatte soziale Verwerfungen zur Folge; alte Eliten mussten ihre Privilegien an neue Machthaber abgeben.

Proteste gegen seine Regierung unterdrückte Zenawi durch Inhaftierungen, Folter und Willkür. Die mit der Machtübernahme der Tigray eingeleitete Demokratisierung wurde teilweise revidiert, viele seinerzeit verhaftete Journalisten stecken noch heute im Knast.

Jetzt sitzen die Oromo am Hebel

Mittlerweile herrschen in Addis die Oromo, verkörpert durch Premierminister Ahmed Abiy. Er wurde 2018 gewählt. Weil Wahlen in Afrika sehr oft ethnisch geprägten Strukturen folgen, setzten sich die Oromo als größte Ethnie in Äthiopien durch.

Abiy ist noch jung, Mitte 40. Unbelastet von der Vorgeschichte des Kaisers oder des Derg gelang ihm die Aussöhnung mit Eritrea, das brachte ihm den Friedensnobelpreis ein. Der Konflikt mit den Tigray, die unter Zenawi und seinem Nachfolger die Hebel in Addis bedienten, spitzte sich hingegen zu.

Denn auch Abiy geht rüde mit der Opposition um, unterdrückte Unruhen zwischen Amharen und Oromo mit eiserner Hand. Im vergangenen Jahr brach zudem der Tourismus zusammen. Aufgrund der Coronapandemie blieben die Einnahmen aus, die vor allem nach Gondar, Lalibela und Aksum in den Norden Äthiopiens flossen.

Das verschärfte die Krise, denn die Bevorzugung der Provinz Tigray durch die Elite in Addis ist vorbei. Nun finden sich die Tigray in nahezu aussichtsloser Lage, denn der Pakt zwischen Massawa und Addis Abeba nimmt sie in die Zange. Zwar versuchte die militärisch noch immer potente Tigray Liberation Front, Flugplätze in Eritrea zu beschießen. Doch die Demonstration einstiger Größe verpuffte: Die Eritreer schlugen zurück, sekundiert von der äthiopischen Armee.

Halbmond und Georgskreuz konkurrieren

Die Meldungen sind dürftig, die Lage unklar. Flüchtlinge im Sudan berichten von Gräueltaten äthiopischer Milizen und Bombardements. Erst seit kurzem dürfen Hilfsorganisationen in die unwegsame Region einfahren, um Lebensmittel und andere notwendige Güter zu liefern. Die Europäische Union hat ihre Hilfsfonds für Äthiopien eingefroren.

Wenig hilfreich für die Lösung des Konflikts ist die selbstherrliche Kommunikationspolitik Abiys. Er rühmt sich, schon als Kind von der Kaiserkrone geträumt zu haben – der erste Oromo-Kaiser zu sein. Und er rühmt sich, die fehlenden Millionen bei den Arabern zu holen.

Denn in den südlichen Provinzen – dem Stammland der Oromo – ist der Islam auf dem Vormarsch. Unverblümt konkurrieren der Halbmond und das orthodoxe Kreuz des Heiligen Georg um Seelen und Ressourcen.

Das Wasser schwindet, die Bevölkerung wächst

Das Problem ist offensichtlich: Wer in Addis regiert, begünstigt die eigenen Leute. Äthiopien ist ein sehr armes Land, dessen natürlichen Ressourcen unter enormem Stress stehen.

Die zahlreichen Seen im Süden schwinden, weil der Klimawandel die Temperaturen nach oben treibt. Die Böden fallen trocken, so wird die fruchtbare Savanne zur Trockensteppe, bald zur Wüste.

Zugleich explodiert die Bevölkerung: Rund 112 Millionen Menschen leben in einem Land, dass dreimal so groß wie Deutschland ist. Nur rund ein Viertel Äthiopiens ist überhaupt landwirtschaftlich erschlossen, meist im Süden, an den Seen im Rift Valley.

Das Wasser des Blauen Nil

Um die Nordprovinzen besser mit Wasser zu versorgen, richten sich begehrliche Blicke auf den Tanasee, die Quelle des Blauen Nil. Er schließt sich unmittelbar südlich an das äthiopische Hochland an. Bei Bahir Dar wälzt sich das Wasser über beeindruckende Katarakte, Tis Issat, wie die Äthiopier diese Fälle nennen. Danach wendet sich der Fluss gen Nordwesten, zum Sudan, wo er sich bei Khartum mit dem Weißen Nil vereint.

Mit einem Damm wollen die Äthiopier die Wasserader nutzen, um neue Felder für die Landwirtschaft zu gewinnen. Schon ist der Konflikt mit dem Sudan und Ägypten programmiert, deren Existenz am Nil hängt. Dieser Konflikt hat eine gleichfalls eine lange Vorgeschichte, die bis zu den Pharaonen zurückreicht.

Das jährliche Pro-Kopf-Einkommen in Äthiopien beträgt rund 850 US-Dollar. Normalerweise fließen jedes Jahr Millionen Dollar und Euro Entwicklungshilfe nach Addis Abeba, um das Land wirtschaftlich auf die Beine zu bringen.

Das Bildungssystem und die Krankenhäuser sind vorbildhaft – nicht nur im afrikanischen Vergleich. Und nirgends ist die Stellung der Frauen ähnlich gleichberechtigt, wie in Äthiopien. Da braucht das Land sogar den Vergleich mit Europa nicht zu scheuen.

Ein brüchiger Frieden

Und doch: All das Geld kann den Schwund der natürlichen Ressourcen nicht aufhalten. Unter Meles Zenawi hatte eine zaghafte Demokratisierung eingesetzt, die mit enormen sozialen, wirtschaftlichen und ökologischen Problemen kämpft.

Das scheinbar unentwirrbare Knäuel aus historischen, ethnischen, sozialen und religiösen Konflikten lässt sich nicht nach dem Schema von Schwarz und Weiß auflösen.

So bleibt nur die Hoffnung, dass der brüchige Friede hält. Dass er die nötige Atempause verschafft, damit Äthiopien – in allen Provinzen und Regionen – weitere Fortschritte erreicht. Es ist ein faszinierendes Land mit enormen Möglichkeiten und stolzen, freundlichen Menschen. Von außen lassen sich die Probleme nicht bewältigen, nicht durch Waffen, nicht durch eingefrorene Konten oder gutgemeinte Ratschläge.

Aksum in der Provinz Tigray ist Schauplatz des neuen Romans Nomaden von Laetoli von H.S. Eglund. Leseproben und Audiofiles finden Sie hier.

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© H.S Eglund
Samstag, 6. Februar 2021

Auf Youtube: Der neue Roman in packenden Bildern

Soeben ist der erste Videotrailer zum neuen Roman von H.S. Eglund erschienen: eine spannende Story in eindrucksvollen Fotografien aus dem Osten Afrikas.

Laetoli – Aksum – Jambiani: Drei Stationen markieren den Weg des jungen Forschers Martin Anderson. Er steht vor einer glänzenden Karriere, als ihn der Ruf von Professor Miller erreicht, einer Koryphäe der Archäologie. In Laetoli in Tansania forscht Miller an Millionen Jahre alten Fossilen menschlicher Vorfahren. Der alte Kauz behauptet: Ich habe die ersten Menschen gesehen! Hat ihn der Afrikakoller erwischt?

Andersons Reise verschlägt ihn zu den Vulkanen des Rift Valley und zur Serengeti, nach Axum im Norden Äthiopiens und auf die Insel Sansibar. Unbedingt will er die Wiege der Zivilisation finden. Doch das dunkle, heiße Afrika entzieht sich jeder Logik. So gerät die Expediton des jungen Forschers zur Suche nach sich selbst. Andersons Verwirrung wächst, als er Sewe Akashi begegnet, Millers junger Assistentin.

Der neue Roman von H.S. Eglund spielt im Osten Afrikas, zwischen den grasigen Savannen am Victoria-See, der kahlen Halbwüste am Roten Meer und der Küste des Indischen Ozeans. Der Trailer auf Youtube fängt die Szenerie in eindrucksvollen Bildern ein: Reinschnuppern! Reinstöbern!

Hier geht‘s zum Video.

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© Warner Bros.
Mittwoch, 3. Februar 2021

James Dean: Rebel Without a Cause?

Vor 90 Jahren wurde einer der faszinierendsten Schaupieler Amerikas geboren: James Byron Dean, genannt Jimmy. Innerhalb eines Jahres avancierte er zum Idol und schrieb Kinogeschichte – mit nur drei Filmen. Kurz darauf war er tot – und blieb der ewig junge Aufrührer.

Ich erinnere mich genau: Ich saß allein vor der Glotze in der guten Stube, Geschwister und Eltern waren außer Haus, und es war spät am Abend; Sonnabendabend, der späte Film nach dem Wort zum Sonntag. Die Sprecherin sah gut aus, und sie kündigte diesen Film an: … denn sie wissen nicht was sie tun.

Die Namen, die sie nannte: Nicholas Ray als Regisseur und James Dean in der Hauptrolle; sie klangen geheimnisvoll und weit wie die Prärie oder die Rocky Mountains, besondere Sehnsuchtsorte in der Fantasie des Halbwüchsigen im grauen, abgerockten Ruinenviertel der Industriestadt Leipzig, irgendwann Ende der 1970er.

Nach dem Wort zum Sonntag

Erst das Wort zum Sonntag, danach Jimmy Dean – stärker konnte der Kontrast nicht sein. Der graue, gesichtslose Pfarrer, der eine ähnlich verlogene Sprache benutzte wie die Funktionäre im Osten – und danach James Dean, der so war, wie jeder Halbwüchsige sich selber wünscht: Sei ein Rebell, auch wenn Du keinen Grund dazu hast! Pass Dich nicht an, niemals!

Jugend kommt kantig in die Welt, die Rebellion ist ihr Recht – und ein bisschen ihre Aufgabe. Im Englischen trägt Deans bekanntester Film den Titel: Rebel Without a Cause – Rebell ohne Grund. Rebellisch zu sein, dafür braucht man keine Gründe, nicht in diesem Alter: die Ödnis der geordneten Verhältnisse, die moralische Enge der amerikanischen Städte, wie der Städte Europas, Deutschlands – und der DDR. Gründe wie das staubtrockene Vorbild der Eltern, die im Job und im Alltag ergrauten und verdorrten.

Eine Explosion in Schwarzweiß

Als ich den Film sah, war James Dean schon ein Vierteljahrhundert tot. Meine Realität war eine gänzlich andere als für den Außenseiter Jim Stark. Leipzig war nicht Los Angeles, ich stand nicht außerhalb der Clique, und doch war mir alles unglaublich vertraut: der gelangweilte, nach Liebe hungernde, mit der Gruppe konfrontierte Teenager.

Der zerrissene Einzelgänger, der Outlaw – Dean hat ihn nicht gespielt. Er hat ihn ganz tief aus seinem Inneren heraufgeholt, wie die tiefe Eruption eines emotionalen Vulkans. Das war echt und genauso explosiv wie Feuer spuckende Berge.

Das war präzise – ohne erkennbare Berechnung. Das war brutal – gegen sich selbst, bis zur Grenze der Selbstverstümmelung. In Judy (gespielt von Natalie Wood) hatte er die perfekte Partnerin, die weibliche Seite derselben Medaille.

Diese Schmerzen, diese Sehnsucht, diese Zerrissenheit Jim Starks: Das ging nicht durchs Auge ins Hirn, das traf direkt ins Herz. Das wühlte mich auf, und dieses Gefühl ist noch immer da, wenn ich mir jenen Abend in Erinnerung rufe.

Traumtänzer werden nicht alt

Was ich damals nicht wusste, nicht wissen konnte: Jemand, der so viel gibt, sich als Künstler derart entblößt, lebt am Rande der Erschöpfung. Solche Traumtänzer sind genial, aber sie werden nicht alt. So steht James Dean in einer Reihe mit Jimmy Hendrix, Janis Joplin oder James „Jim“ Morrison; Dean war der jüngste unter diesen Giganten.

Als er im September 1955 mit seinem Porsche Spyder in den Tod fuhr, war er nicht einmal 25 Jahre alt. Es blieben drei Filme: Jenseits von Eden, … denn sie wissen nicht, was sie tun und Giganten. Jenseits von Eden war die epochale Verfilmung eines Romans von John Steinbeck (Regie: Elia Kazan). Und Giganten zeigte James Dean in einem Western, der den Beginn des Ölzeitalters markiert. Diese beiden Filme brachten ihm poshum zwei Oscars ein – als bester Hauptdarsteller. Auch sie zeigten ihn gespalten, verzweifelt, unfertig und von widrigen Ereignissen getrieben.

Ein Heiliger, ein erstarrtes Denkmal

Die näheren Umstände seines Unfalls Ende September 1955 sind vielfach beschrieben und in Dokumentarfilmen nachgezeichnet. So exzessiv wie seine Filmrollen geriet der Kult um seine Person. Sein früher Tod machte Auflage: Die Medien stilisierten ihn zum Heiligen, als sei er im Augenblick des Unfalls zu seinem eigenen, ewig jugendlichen Denkmal erstarrt.

Die Kreuzung der State Routes 41 und 46 bei Cholame in Kalifornien wird noch heute als James Dean Memorial Junction bezeichnet. Kurz vor seinem Tod hatte Dean einen Werbespot gedreht, in dem er vor Raserei warnte. Nicht einmal Hollywood kann solche Stories erfinden.

Wer war James Dean?

Wer war James Dean? Ein glühendes Talent, ein strahlender Meteor am falschen Himmel der Traumfabrik? Der grellste Komet in der Geschichte des amerikanischen Films?

Einen Abend lang, für eine schlaflose Nacht war er der untersetzte, seltsam gebrochen strahlende Held, der Underdog, der schnelle Autos liebte. In den Augen des jugendlichen Zuschauers, der bis nach dem Wort zum Sonntag ausgehalten hatte, war er der große Bruder, die Ikone, wie sie nur in der Literatur und auf der Leinwand entsteht.

James Dean hat sich selbst gezeigt, erbarmungslos und offen. Mit neun Jahren verlor er die Mutter, wuchs in kleinen, engen Verhältnissen bei Verwandten auf, der Vater im Krieg in Europa. James Dean, der einen Traum hatte – den Traum von der Karriere am Broadway, beim Film. Der ganz unten anfing: als Platzanweiser und Parkwächter, bis er 1951 seine erste, klitzekleine Rolle bekam. Der innerhalb von drei, vier Jahren kometenhaft aufstieg und alle anderen überstrahlte.

Das letzte Wort gehört dem Regisseur seines ersten, durchschlagenden Filmerfolgs: „James Dean sah genauso aus wie Cal Trask in Jenseits von Eden“, erinnerte sich eila Kazan Jahre später. „Und er sprach auch so. Als er das New Yorker Büro von Warner Brothers betrat, wusste ich sofort, dass ich den richtigen Mann für die Rolle gefunden hatte. Er war vorsichtig, störrisch und misstrauisch und schien voller unterdrückter Gefühle.“

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