Rudolf Bahro: „Es denkt in der DDR“
Vor einem Vierteljahrhundert starb der Kritiker des Realsozialismus, der sich zum radikalen Ökologen wandelte. Er begriff die Wachstumskrise als innere Krise des Menschen, seiner furchtsamen Psyche und des totalitären Machtanspruchs des Patriarchats. Heute steht all dies zur Debatte. Denn es denkt überall, in Ost und West, im Norden und im Süden.
Von den einst so lautstarken Regimekritikern aus Ostdeutschland ist kaum noch etwas zu hören. Meist beschränken sie sich auf retrospektive Kritik an der DDR – Schnee von gestern.
Doch die Energiewende, Klimaschutz, Abbau der Bürokratie und mehr direkte Mitsprache der Menschen in diesem Land – das stand schon 1989 auf der Tagesordnung. Und harrt bis heute der Verwirklichung.
Junge, wie die Zeit vergeht
Drei Jahrzehnte liegt die Wiedervereinigung Deutschland zurück. Junge, wie die Zeit vergeht. Und von den Kritikern des Osten sind es vor allem zwei Namen, die aktuell geblieben sind: Robert Havemann, der vor vierzig Jahren starb. Und Rudolf Bahro, der nunmehr seit einem Vierteljahrhundert unter der Erde liegt, auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof an der Chauseestraße in Berlin-Mitte.
Bahros Buch Die Alternative schrieb er im Verborgenen, veröffentlichte sie 1977 im Westen, kam dafür ins Gelbe Elend nach Bautzen und wurde 1979 nach drüben abgeschoben. Wie Robert Havemann, der sein Leben in weitgehender Isolation in Grünheide bei Berlin verbrachte, nutzte Bahro die Aufmerksamkeit durch westliche Medien geschickt aus.
In einem seiner ersten Interviews sagte er damals: Es denkt in der DDR. Kaum jemand glaubte seinerzeit daran, dass die SED-Herrschaft eines Tages unter die Räder kommen würde. Bahro sollte Recht behalten.
Experimente mit alternativen Lebensformen
Nach seiner Abschiebung trat er im Westen zunächst als linker Kritiker des Realsozialismus und Stalinismus auf. Er experimentierte mit alternativen Lebensformen, etwa in Kommunen oder einige Wochen bei Bhagwan in Rajneeshpuram im US-Bundesstaat Oregon.
Später gehörte Bahro zu den Wegbereitern der Grünen, weitete seine Kritik aus zu einer kritischen Analyse der Wachstumsgesellschaft, die im Osten wie im Westen gleichermaßen bestand, auf differenzierter ökonomischer Grundlage. Zunehmend erkannte er die innere, seelische Krise des Menschen als Kern des Problems, wurde zum radikalen Ökologen.
Die Logik der Rettung
Sein wichtigstes Buch war Logik der Rettung, im Jahr 1987 erschienen. Darin zeigt er sich als mutiger und visionärer Vordenker des ökologischen Zeitalters. Damals hielten ihn viele für einen Spinner, übrigens auch bei den Grünen. Doch im wesentlichen, im Kern, hat sich sein Ansatz als richtig und zukunftsweisend erwiesen.
Nicht zuletzt fiel Rudolf Bahro als Mensch auf, in all seinen Widersprüchen. Setzt man sich mit Bahros Biografie auseinander, mit seiner Suche nach dem, was Menschsein eigentlich bedeutet, tritt ein Wort Hölderlins hervor, aus einem Brief von Diotima an Hyperion:
Du wärst der denkende Mensch nicht, wärst Du nicht der leidende, der gärende Mensch gewesen.
Die hervorragend recherchierte und sehr ausgewogene Biografie Rudolf Bahro – Glaube an das Veränderbare von Guntolf Herzberg und Kurt Seifert (erschienen 2002 bei Christoph Links in Berlin) liefert tiefe Einblicke, macht den Menschen Bahro lebendig und holt ihn in die Gegenwart.
Das ökologische Zeitalter, es kommt mit heftigen Geburtswehen. Dass es kommt, hat Rudolf Bahro gesehen. Denn es gibt keine Alternative: Nicht zur Erde, nicht zur friedlichen Gemeinschaft aller Menschen.
Zeit, seine Bücher und Schriften erneut zur Hand zu nehmen. Denn Bahro blieb nicht bei der Kritik der Zustände stehen. Er bot Auswege durch eigenes Handeln, blieb Optimist und erkannte den Wandel als positive Aufgabe.
Nachtrag: Rudolf Bahro starb am 5. Dezember 1997 in Berlin. Im Frühjahr 1998 verabschiedeten sich Freunde und Weggefährten von ihm, mit einer Feier an der Humboldt-Universität. Dort war er 1993 zum außerordentlichen Professor berufen worden, gegen erhebliche Widerstände durch akademische und politische Kleingeister.
Damals hatte ich das Glück, dieser Abschiedsfeier als Berichterstatter des Tagesspiegels beizuwohnen. Am 28. April 1998 erschien mein Report Mit grenzenloser Toleranz rebellisch, dem nichts hinzuzufügen ist.
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