Coleridge: Aus Liebe zur Natur – aus Menschenliebe
Vor 250 Jahren wurde der englische Romantiker Samuel Taylor Coleridge geboren. Seine Balladen sind legendär, allen voran The Rime of the Ancient Mariner. Das Jubiläum erlaubt eine neue Sicht auf seine Lyrik, die zeitlos ist.
Ein Dreigestirn glänzt am Himmel der englischen Romantik: William Wordsworth, Samuel Taylor Coleridge und Robert Southey. Sie werden als Lake Poets bezeichnet, weil ihre Balladen und Gedichte maßgeblich von der düster-romantischen Stimmung des Seendistrikts (Lake District) im Nordwesten Englands beeinflusst wurden.
Unterhalb der schottischen Grenze fällt das bergige Terrain, das von zahllosen Seen besprenkelte Land, in die Irische See. Vor allem in den sonnenarmen Monaten wird es von gnadenlosen Stürmen heimgesucht.
Ein inspirierendes Poem
William Wordworth ist für die Engländer, was den Deutschen ihr Dichterfürst Goethe ist. Und Coleridge hält durchaus dem Vergleich zu Friedrich Schiller stand, wenn er auch älter werden durfte (1772-1834) und weniger als Dramatiker auffiel. Mit seinem Poem Kubla Khan inspirierte er Generationen von Jugendlichen und Dichtern, es erinnert an seltsam harmonische Traumbilder.
Es gilt als eines der besten Gedichte englischer Zunge überhaupt, wurde von unzähligen Kritikern und Lyrikexperten filettiert, gedeutet und interpretiert. Der Autor dieses Blogs nutzte eine Sequenz des Gedichts, stellte sie dem zweiten Teil Axum seines Romans Die Nomaden von Laetoli voran:
A damsel with a dulcimer
In a vision once I saw:
It was an Abyssinian maid
And on her dulcimer she play’d,
Singing of Mount Abora.
Ein junges Weib mit Laute
in der Vision ich einst erschaute:
Ein Mädchen aus Abessinia,
das sang vom Berge Abora.
Hier finden Sie Leseproben des Romans Nomaden von Laetoli.
Von den Toten zurückgekehrt
Das wichtigste Werk von Coleridge ist jedoch zweifellos The Rime of the Ancient Mariner, eine lange Ballade. In einzigartigen Bildern lässt sie einen gestrandeten Seemann auferstehen, der von den Toten zurückgekehrt scheint.
In maßloser Arroganz schießt er einen wunderschönen Albatros vom Himmel. Fortan wird sein Schiff für den Frevel bestraft. Die Besatzung stirbt an Hunger, Skorbut und schlaffen Segeln. Der untote Seemann wird von ewiger Ruhelosigkeit und Selbstzweifeln gepeinigt.
Ein Vorbild für Moby Dick
Ein bisschen Fliegender Holländer, ein bisschen Moby Dick klingen an. Man kann davon ausgehen, dass Coleridges Mariner sowohl für Richard Wagner als auch für Herman Melville als Vorbild diente, ebenso für Theodor Fontanes John Maynard. Denn der englische Romantiker war bis zum Beginn des Zwanzigsten Jahrhunderts jedem vertraut, der sich in Lyrik vertiefte.
Die Romantik als Stilrichtung wird in Deutschland meist spöttisch abgetan. Das hat zum Einen damit zu tun, dass die naturnahe Dichtung von den Nazis missbraucht wurde. Zum anderen steckt in der Romantik, in der bekennenden Liebe zur Natur zugleich Menschenliebe.
Deutsche Übersetzung von Freiligrath
Das eine ist ohne das andere undenkbar, das wird bei Coleridge spürbar. Wohl deshalb hat sich kein Geringerer als Ferdinand Freiligrath des Mariners angenommen und den Text ins Deutsche übertragen. Heute wirkt die Ballade vom alten Seemann sprachlich etwas angestaubt, gibt die atemberaubende Dramatik des Originals nur unzureichend wieder.
Dramatisch sind und bleiben die unvergesslichen Illustrationen des französischen Grafikers Gustave Doré. Sie fassen die düstere, beklemmende Sage auf einzigartige Weise in Bilder, die maßgeblich zur Popularität des Mariner beitrugen.
Neue Übersetzung im Verlag Dörlemann
Anlässlich der 250. Geburtstages hat Urs Aerni einen interessanten Artikel über die neuen Übersetzungen der Gedichte Coleridges durch Florian Bissig veröffentlicht. Sie sind soeben bei Dörlemann erschienen. Bissig hat zudem eine Biografie des Romantikers vorgelegt.
Vielleicht gelingt es auf diese Weise, den großen Dichter der Vergessenheit zu entreißen. Denn in den deutschsprachigen Regionen fiel er beinahe ins Dunkel der Zeit, ist Coleridge eigentlich nur noch Liebhabern ein Begriff.
Urs Heinz Aerni über die Neuerscheinungen bei Dörlemann
Tigerlillies nehmen sich der Sache an
Das Jubiläum haben die bekannten Tigerlillies zum Anlass genommen, den Mariner musikalisch in ihrem bizarr-morbiden Stil zu interpretieren. Herausgekommen ist eine gewagte und gelungene Version des uralten Stoffes, den die Band zudem mit einem eigenwilligen Bühnenbild präsentierte:
Tigerlillies: Rime of the Ancient Mariner
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