Tipp: Von Ischgl über die Flimspitze nach Samnaun
Im Winter tobt in Ischgl der Skizirkus. Zigtausende tummeln sich im Dorf und auf der Silvretta Arena. Doch im Sommer ist es still, kaum eine Menschenseele zu sehen. Und der Blick über die Alpen ist einzigartig.
Eigentlich ist Ischgl ein Bergdorf, kaum 1.600 Einwohner. Gegründet im späten Mittelalter, waren hier einst Bauern ansässig. Bergbauern, die ihre Herden im Frühjahr auf die Almen brachten und im Herbst in die engen Ställe holten. Hier zu leben, war schwer, sehr schwer. Denn die Berge geben wenig her, was der Mensch gebrauchen kann. Ihre Böden sind steil, karg und meistens unbenutzbar.
Nur im Sommer reicht die steile Sonne bis ins Tal, und nur die Sonnenhänge lassen sich als Futterwiesen bestellten. Ansonsten steht der Wald dicht und geht weiter oben schnell in baumlose Almen über. Bis zu den Gipfeln der Verwallgruppe, der Silvretta oder der Samnaungruppe, die braun und bleich und vergletschert in der Sonne glitzern.
Früher Kühe, heute Skitouristen
Heute ist das freilich anders. Nicht mehr Kühe werden gemolken, sondern Skitouristen. Allein in Ischgl gibt es mehr als 10.000 Ställplätze für die Gäste, sorry: Gästebetten. Nirgends in Österreich gibt es so viele Vier- und Fünf-Sterne-Hotels wie hier. Und die Bergbahnen können pro Stunde mehr als 90.000 Menschen auf die Idalp bringen, auf die Winterweide der Skifreunde.
Das klingt vielleicht böse, ist aber nicht so gemeint. Wer sind auf den Skipisten anstellen will, um hoch zu fahren und wieder abzufahren und wieder hoch zu fahren und wieder abzufahren, der soll das tun. Österreich ist ein freies Land, das weiß der Autor sehr zu schätzen.
Das Skigeschäft in Ischgl ist ausgezeichnet organisiert. Das Gebiet ist mit 240 Kilometern Piste und 45 Liftanlagen eines ger größten Skigebiete der Alpen, obendrein gilt es als außerordentlich schneesicher.
Zum Anfang der Skisaison Ende November, zu Ostern und zum Abschluss Anfang Mai steppt der längst ausgestorbene Alpenbär: Dann kommen internationale Popstars auf die Almbühne der Silvretta Arena. Dann dröhnen die Berge von den Bässen und Fanfaren und vom frenetischen Gebrüll der Fans, glitzern nicht eisige Sterne am Himmel sondern buntes Feuerwerk.
Ein feines Wispern
Im Sommer hingegen grölt niemand. Die Berge sind so still, wie die Alpen nur sein können, und wenn man Glück hat, kann man lauschen, wie die Sonne das Gras verbrennt: Es ist ein feines Wispern, wie raschelndes Papier. Dazu streicht der Wind sachte über die Hänge, als wollte er nur mal vorfühlen.
Auch im Sommer führen die Seilbahnen über die Idalp und den Flimsattel zur früheren Grenze nach der Schweiz. Meistens sind einige Strecken nur reduziert in Betrieb, weil der Sommer für Wartungsarbeiten genutzt wird.
Früher führten geheime Schmugglerrouten durch die unwirtlichigen Berge, heute als öffentliche Wanderwege ausgezeichnet. Auf dem Flimsattel erreicht die Bergbahn ihren höchten Punkt, bevor sie nach Graubünden abfällt, bis fast nach Samnaun. Die benachbarte Flimspitze markiert den Grenzverlauf, sie kratzt an der Höhe von 3.000 Metern.
Noch ist die alte Grenzstation zu sehen, obwohl sie längst nicht mehr genutzt wird. Im Juli 2019 herrschten in Ischgl wochenlang hohe Temperaturen über dreißig Grad. Auf der Idalp ließen die überjährigen, ausgedehnten Eisfelder die Werte auf knapp zwanzig Grad fallen, zudem fuhr ein frostiger Wind unter die Haut der wenigen Touristen, die sich aus den Gondeln schälten.
Ein überwältigender Ausblick
Doch der Lohn war ein überwältigender Ausblick zur Schweizer Seite, auf das Engadin und die Silvrettagruppe, und über zahlreiche ferne Gipfel der Alpen. In dieser Höhe herrschen Schnee, Geröll und Felsen; kaum dass sich einige Gräser im stetigen Wind und den harschen Bedingungen halten können.
Es ist die Heimat von Steinbock und Bergziege, und einer sehr jungen Spezies: den Mountainbikern. Die Region um Ischgl bietet im Sommer mehr als 1.200 Kilometer Touren speziell für Radwanderer an. Im August läuft hier der am höchsten dotierte Marathon für Mountainbiker, der Ironbike von Ischgl.
Allerdings haben der Skizirkus und die Biker den Bergen schwer zugesetzt. Wenn der Schnee im Sommer abgetaut ist, werden die Wunden durch Erosion und Übernutzung offensichtlich. Unberührt und jungfräulich sind die Almen längst nicht mehr, nicht oberhalb von Ischgl, höchstens an den Hängen und Gipfeln, die man von hier aus in allen Richtungen sehen kann. Bei gutem Wetter ist der Ausblick nahezu unverstellt und unbegrenzt. Doch der Wanderer sei gewarnt: Im Paznaun ziehen heftige Sommergewitter – mitunter mit starkem Hagelschlag – manchmal sehr schnell auf. Das ist nicht zu unterschätzen und erfordert die entsprechende Ausrütung für plötzliche Platzregen, Sturmböen und Temperaturstürze.
Auge im Auge mit dem Wild
Noch ein Tipp für den Sommer, vor allem für Familien: Zu Ischgl gehört das frühere Vorwerk Mathon, rund vier Kilometer taleinwärts an der 188 gelegen. Dort befindet sich ein kleiner Wildpark mit einheimischen Arten, wo man locker ein paar Stunden zubringen kann.
In den umliegenden Wäldern kann man sehr gut wandern, weil die Wege gut beschattet sind und zahlreiche Wildwasser die Routen kreuzen. Läuft man von Mathon nach Ischgl auf der Südseite des Tals, kommt man am Freibad von Ischgl heraus, das sich zum Abschluss einer schweißtreibenden Sommerwanderung anbietet.
Kostenfrei mit der Silvretta Card
Mit der Silvretta Card ist das Freibad kostenfrei. Wer eine Unterkunft im Tal bucht, bekommt diese Touristenkarte direkt von den Gastgebern ausgestellt. Auf Wunsch kann man schon vor Reisebeginn einen Voucher für die Hochalpenstraße durch die Silvretta erhalten, um bei der Anfahrt von Westen die Mautgebühren zu sparen.
Die Card erlaubt die kostenfreie Nutzung der öffentlichen Busse, die regelmäßig von Landeck bis nach Ischgl, Mathon, weiter zum Kopssee und zur Bielerhöhe fahren. Zudem sind alle Seilbahnen, Museen und Bäder inklusive, ebenso der kleine, feine Badeteich im Dorf See, das Hallenbad in Galtür und wie erwähnt das Freibad in Ischgl.
So wird der Aufenthalt vor allem für Familien und Rentner erleichtert. Faktisch bleibt das Auto drei Wochen an der Unterkunft stehen, denn mit Bussen und Seilbahnen sind alle interessanten Ecken im Paznaun gut erreichbar.