Danke, Pete!
Der amerikanische Folkpoet Pete Seeger durfte 94 Jahre alt werden, er starb 2014. Nun, anno 2020, wäre die Hundert rund. Der Sänger der Bürgerrechtler: Seine Lieder waren und sind Hymnen der Weltveränderung.
Wenn einer zur Gitarre greift, muss er glauben. Wenn einer das Instrument anschlägt, muss er hoffen. Auf den anderen Menschen, den besseren Menschen. Auf das, was im Menschen verborgen schlummert und zur Resonanz fähig ist wie eine Saite.
Musik, so hat der deutsche Philosoph Ernst Bloch einmal sinngemäß gesagt, ist die unmittelbare, unverstellte Erfahrung der Schöpfung. Ist pures Leben, Da-Sein mit Hoffnung. Und wenn diese Hoffnung eine Stimme hatte, dann waren es der brüchige Bass und das Banjo von Pete Seeger. Sag mir, wo die Blumen sind. Wo sind sie geblieben?
Die Jahre: Wo sind sie geblieben?
Sag mir, wo die Jahre sind, wo sind sie geblieben? Schnitt, mehr als drei Jahrzehnte zurück: Der Alte Markt in Leipzig, an einem Sonnabend im Spätsommer 1989, gegen zehn Uhr abends. Trotz der vorgerückten Stunde ist es schwül. Eine Gruppe Studenten hockt um ein blutjunges Mädchen mit Gitarre.
Mit hoher Stimme singt sie dieses Lied: Sag mir, wo die Blumen sind! Sie singt: We shall overcome, some day! Und sie will diesen Song anstimmen: Joshua fit the battle of Jericho, als plötzlich ein Streifenwagen der Volkspolizei stoppt. Ausweiskontrolle. Die Gitarre wird beschlagnahmt, landet im Kofferraum des Lada. Gehen Sie auseinander, Bürger! Diese Versammlung ist nicht genehmigt!
An einem Montag, anno 1989 in Leipzig
An diesem Abend gingen wir tatsächlich auseinander, brave Bürger. Wenige Wochen später weigerten wir uns. Schluss mit den Genehmigungen. Pete Seegers Songs waren mit uns, als wir in uns in Dresden auf der Prager Straße mit der Polizei prügelten. Als in Leipzig im Oktober 1989 fast Hunderttausend auf die Straße gingen. We shall overcome!
Und immer wieder: Sag mir, wo die Blumen sind! Es waren Nelken, und sie steckten in den Uniformen der Polizisten, die mit verlegenen Gesichtern Spalier standen. So junge Kerls, und es war ihnen dermaßen peinlich. Als die Straßen von den Montagsdemonstrationen überschwemmt wurden, verbrüderten sie sich mit der demonstrierenden Menge.
Die Kraft der Lieder
Nur wenn man in solch historischen Momenten am richtigen Ort war, kann man die Kraft der Lieder ermessen. Dann weiß man, dass es für solche Songs keine Halbwertszeit gibt, und kein Verfallsdatum. Seegers Folksongs waren dabei, als bei den Ostermärschen Mitte der achtziger Jahre in Westdeutschland Millionen auf die Straße gingen.
Sie gehörten zum Widerstand gegen den Krieg in Vietnam, und sie gehörten zu den Protesten gegen die Castortransporte im Wendland. Auch künftig werden sie nicht wegzudenken sein, wenn sich Menschen empören und aufstehen, weil die politische Kaste einen neuen Krieg anzettelt, die Atommeiler weiter fördert oder die totale Überwachung auf die Spitze treibt
Das Banjo in der greisen Hand
Pete Seeger wurde 94 Jahre alt, und bis zum Ende hatte er sein Banjo in der greisen Hand. War auf Konzerten unterwegs, gab Interviews, schrieb kämpferische Artikel und zeigte eine unglaubliche Präsenz. Erst kurz vor Ultimo wurde es stiller um seine Person. Um ihn, wohlgemerkt, nicht um seine Lieder.
Denn seine Musik war und ist für den Menschen gemacht, nicht für den Kommerz. Sie geht ihre eigenen Wege, weil die Hoffnung wie die Morgenröte ist. Weil der Protest nicht aufhört. Weil das Ohr des Menschen das feinste aller Sinnesorgane ist. If I Had a Hammer – Das war auch so eine Hymne.
Ein großes Glück für Amerika, dass es ihn gab. Ein großes Geschenk für die Welt, dass er nie den Mut zu seinen Liedern verlor, trotz der Repressalien im sogenannten freiesten Land der Welt. Eine großartige Erinnerung an seine Songs, die in stürmischen Zeiten mit uns waren. Danke, Pete, thanks! We shall overcome, some day!
Der Autor ist Verfasser des Romans Die Glöckner von Utopia, der die packenden Ereignisse in Ostdeutschland zwischen 1987 und 1989 erzählt.