Bonjour Tristesse: Historischer Stadtkern von Avignon
Die Provence ist ein Touristenmagnet. Der Papastpalast und die berühmte Brücke gehören sogar zum Weltkulturerbe der Unesco. Wer sich vom Alttagsstress erholen und die innere Ödnis richtig ausleben möchte, wird hier mit endloser Langeweile belohnt.
Avignon, ein geheimnsvoll klingender Name mit Historie. Zwischen 1309 und 1376 hausten hier die Päpste, weil sie Knatsch mit der Kurie in Rom hatten. Der Zoff um die richtige Auslegung der Testamente und der Kirchenregeln setzte sich danach fort, denn die Kardinäle putschten gegen den Pontifex in Rom und wählten in Avignon einen Gegenpapst. Erst 1417 kehrte der Oberhirte der katholischen Schafsherde dauerhaft nach Rom zurück. Wo er bis heute hockt.
Ein Monument der Leere
Was blieb von diesem mittelalterlichen Streit? Der Papstpalast in Avignon: bemerkenswertes Monument der inneren Leere. Schaut man sich das Ensemble ohne historisierende Verzückung an, erscheint es als Knast, als Klotz, als Nekropole. Wo, bitte schön, geht es zum Palast? Zum Hort seelischer Erleuchtung?!
Es ist eines der langweiligsten Gebäude der Welt, offenbart die inhaltliche Ödnis des Katholizimus, die Leere seiner Psalmen und die erstarrten Rituale seiner Würdenträger. Eine Burg für den Mummenschanz der Greise: Noch immer scheinen die Schreie der gemarteten Ketzer durch die dumpfen, dunklen Säle der Trutzburg zu schweben, scheinen aus den modrigen Kellern aufzusteigen, vom Weinen geschändeten Kinder ganz zu schweigen.
Freilich: Heute wird in dieser Kirche nicht mehr gefoltert, heute wirft die alte Buchte jede Menge Geld ab. So horrend ist der Eintritt, einfach unverschämt. Aber man kann sich den Besuch getrost sparen, denn dieselbe Ödnis wird auf dem Vorplatz geboten oder in der engen, stickigen Altstadt um die Ecke.
Total öde Klötze
Die ganze Innenstadt von Avignon ist unglaublich langweilig und dem Kommerz vollkommen ergeben. Im Sommer ist es unerträglich heiß, steigt das Thermometer auf über vierzig Grad Celsius. Erfrischendes Grün gibt es nur an der Fassade des Kaufhauses „Les Halles“. Sogar im Herbst herrschen noch mehr als dreißig Grad, werfen die alten Gemäuer die Hitze erbarmungslos zurück.
Man könnte im Winter anreisen. Doch außer Stein und Kommerz bietet Avignon rein gar nichts, was wiederum eine eigene Qualität markiert, neudeutsch: Alleinstellungsmerkmal. Wer sich einmal von innerem Stress und Aufregung reinigen will, die weltliche Katharsis sucht, sollte unbedingt hierher fahren.
Denn Avignon ist so tot, wie die Seele der katholischen Päpste. Das Essen in den Restaurants ist schlecht und teuer; der Service erinnert an die Spätis im Berliner Kiez. Wer sich so richtig langweilen und so richtig ausgenommen werden will, der ist in Avignon genau an der richtigen Stelle. Obendrein rangiert die Papststadt ganz oben in der Kriminalstatistik französischer Mittelstädte. Also: Die Chancen stehen gut, obendrein auch noch beklaut zu werden.
Ach ja, die Brücke …
Nicht einmal die malerische Rhone kann am desaströsen Eindruck etwas ändern. Sie bringt kaum Erfrischung in die Stadt, nur an den Ufern – im Schatten der Büsche – ist es halbwegs erträglich. Dort kann man hocken und den Touristen zuschauen, die zur berühmten Pont Saint-Bénézet strömen – in ungeordneten, grölenden Horden.
Na, Sie wissen schon: „Sur le pont d‘Avignon“ trällert der Volksmund, mittlerweile gilt die Brücke als Wahrzeichen der Stadt und Teil des Weltkulturerbes. Auch sie steckt voll schaler Symbolik: Im Jahr 1668 wurde die Brücke aus dem 14. Jahrhundert von den Fluten der Rhone fortgerissen. Seitdem endet sie nach vier Bögen mitten im Fluss.
So wie der Papstpalast nix mit seelischer Erbauung zu tun hat, so ist die Brücke längst keine Brücke mehr. Nur ein armseliger Stumpf mit totem Ende – wie alles in Avignon. Zeit, von der Uferböschung aufzustehen. Zeit, sich den Staub von der Hose zu klopfen und schleunigst das Weite zu suchen.