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H. S. Eglund

Schriftsteller • Writer • Publizist

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© H.S. Eglund
  • Der markante Museumsbau steht direkt an der Wasserkante, unübersehbar für die einlaufenden Schiffe. © H.S. Eglund
  • Tauchboot von Cousteau, mit dem er seine Unterwasserfilme drehte. © H.S. Eglund
  • Offenes Korallenbecken im Meeresmuseum von Monaco. © H.S. Eglund
  • Offenes Korallenbecken im Meeresmuseum von Monaco. © H.S. Eglund
  • Albert hat sich das Museum einiges kosten lassen: Fresco im Boden der Eingangshalle. © H.S. Eglund
  • Die Skeletthalle des Museums mit dem gigantischen Fossil einer urzeitlichen Schildkröte. © H.S. Eglund
  • Wirken ein bisschen nekrophil, die vielen Skelette des Museums. © H.S. Eglund
  • Man sagt, Albert habe diesen Wal selber erlegt. Damals galt das wohl als männlich. © H.S. Eglund
  • Blick auf den Zwergenstaat, der an den Ausläufern der Seealpen klebt wie Schwalbennester. © H.S. Eglund
  • Pfiffige Idee: Das Dach des Museums wurde zum Abenteuerspielplatz für die jungen Besucher umgebaut. © H.S. Eglund
  • Arche oder Geisterschiff? Das Meeresmuseum will zum Schutz der Ozeane beitragen. © H.S. Eglund
  • Alberts Liebesfrust: Der Gründer des Museums sammelte pseudowissenschaftliche Artefakte aus aller Welt - meistens Skelette und ausgestopfte Tiere. © H.S. Eglund
  • Attrappe eines Riesenkalmars. © H.S. Eglund
  • Urzeitlich anmutende Lebensform in einer der vielen, sehr interessanten Aquarien. © H.S. Eglund
  • Blick auf das Freiglände, wo verletzte Schildkröten ein Refugium finden. © H.S. Eglund
  • Die Schönheit der schweigenden Welt unter Wasser. © H.S. Eglund
  • Die Schönheit der schweigenden Welt unter Wasser. © H.S. Eglund
  • Glascontainer für zauberhaft schwebende Quallen. © H.S. Eglund
  • Attrappe einer Koralle im Schaukasten. © H.S. Eglund
  • Im größten der Becken tummeln sich sogar Schwarzspitzenhaie. © H.S. Eglund
  • Kreisch, was für die Kinder: bedrohlich wirkender Krake mit Glutaugen. © H.S. Eglund
  • Die Schönheit der schweigenden Welt unter Wasser - und darüber. © H.S. Eglund
Samstag, 22. August 2020

Tipp: Die Fülle der Ozeane

Skandale im Fürstenhaus, ein Spielcasino und Schildkröten auf dem Dach: Monaco hat viele Seiten. Der Besuch im Zwergenstaat gerät zum Abenteuer. Doch nach dem Nervenkrieg auf den Straßen wird die Geduld belohnt.

Schon die Anfahrt ist ein Test: Nach der Ausfahrt von der französischen Autobahn sind mehrere Tunnel nach Monaco gesperrt. Blechkolonnen stauen sich auf den Ausweichrouten, rutschen träge – sehr träge – in Richtung Zentrum. Irgendwie ähnelt die Stadt Hongkong, den grauen Vororten von Sha Tin, wo jeder Betonblock ein eigens Stadtviertel für Tausende Seelen ist.

Kein Wunder, denn auch Hongkong klebt an Hängen, die zum Meer abfallen, platzt aus allen Nähten. Dort sind die Wohnungen so klein wie Briefkästen, um Millionen Kulis unterzubringen. In Monaco sind die Briefkästen so groß wie Wohnungen, um ein paar Zehntausend Supperreiche in die Enklave zu locken.

Die kleine Münze und die dicke Marie

Offiziell sind 38.000 Einwohner in Monaco gemeldet, als Einheimische im Fürstenstaat – rund 19.000 pro Quadratkilometer. In Hongkong leben 7.000 Menschen pro Quadratkilometer. Ungezählt – in beiden Fällen – sind Millionen Touristen, die jedes Jahr einfallen.

In die Steueroase an der Cote d‘Azur darf nur sein Geld bringen, wer in Monaco lebt oder eine Wohnung besitzt oder mietet. So bringen die kleinen Münzen der Armen von Hongkong und die dicke Marie der Steuerflüchtlinge am Mittelmeer die gleiche Architektur hervor. Und die gleiche schlechte Luft auf den Straßen und den gleichen Lärm und den gleichen Stress.

Immer enger rücken die Schluchten zusammen, immer höher schießen die Gebäude gen Himmel, immer tiefer rollt der Wagen die steile Küste hinab, frisst Serpentine um Serpentine. Obwohl Monaco nur zwei Quadratmeter Fläche fasst, dauert es knapp zwei Stunden, bis der Wagen im Parkhaus steht – mit Blick aufs Meer.

Neoklassizistische Trutzburg

Ein unverstellter Blick, denn hier fallen die Ausläufer der Seealpen steil ins Wasser. Yachten kreuzen auf der glänzenden See, die ohne Ende ist. Eine Rolltreppe führt hinauf zur Promenade, zum wohl interessantesten Gebäude des Fürstentums: dem Musée Océanographique an der Avenue Saint-Martin.

Die neoklassizistische Trutzburg wurde 1910 errichtet. Ein bisschen erinnert sie ans Chateau d‘If vor Marseille, gleichfalls eine Attraktion für die Touristen; bekannt aus „Der Graf von Monte Christo“ von Alexandre Dumas. Sie erinnert an das Britische Museum in London oder an den wuchtigen Preußenklotz des Berliner Naturkundemuseums, und bestimmt hatte Fürst Albert I. solche Vorbilder im Sinn.

Etwas gegen den Frust

Denn er brauchte etwas Großes, Heroisches, etwas gegen seinen Frust. 1889 hatte er die Amerikanerin Alice Heine geheiratet und als Fürst Lady nach Monaco geführt. Unter den Adelshäusern Europas galt die Ehe als Sünde, denn die junge Frau aus New Qrleans war eine verwitwete, bürgerliche Jüdin.

Allen Unkenrufen zum Trotz erwies sie sich als würdige Landesmutter, förderte vor allem die Kunst. Dabei fiel ihr ein englischer Musikus auf, fortan ihr Liebhaber. Der Fürst verlor die Contenance, vor versammelten Hofstaat ohrfeigte er die Erlauchte, die daraufhin den Dienst quittierte – im Bett und als Fürstin. Und der Fürst wählte (mit Hans Albers): „Seemanns Braut ist die See“.

Die Kadaver eines Geiers

Albert blieb bis zu seinem Tod im Jahr 1922 allein und widmete sich vor allem seinen Studien der Meereskunde. Er harpunierte den Wal, schlitzte Schildkröten auf, hackte Korallen von den Riffen und schoß allerlei Getier.

Die Kadaver schleppte er an seinen Felsen, wie der Geier seine Beute. So zeugt seine Sammlung von den Anfängen einer Wissenschaft, die seitdem – zum Glück – die Harpune mit der Kamera vertauscht hat. Vermutlich stehen in den Museen dieser Welt heute mehr ausgestopfte Eisbären, als lebende Exemplare durch die Arktis schlurfen.

Eine Halle voll Skelette

Das Ozeanografische Museum von Monaco wurde für diesen Zweck errichtet. Die Eingangshalle widmet sich den Sammlungen des Gründers, der selber als Bronzestatue verewigt ist. Spannend sind weniger die ausgestopften Kreaturen oder die riesigen Skelette von Walen, Delfinen oder Schildröten.

Wirklich interessant ist die bemerkenswerte Unterwasserwelt, die das Museum in großzügigen und akribisch ausgestatteten Aquarien bietet. Denn nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Harpune tätsächlich von der Kamera abgelöst. Leben zu bewahren wurde wichtiger, als tote Objekte zu horten.

Ein Taucher namens Cousteau

Der Franzose Jacques-Yves Cousteau machte das Museum weltberühmt. Der Wissenschaftler mit der roten Wollmütze hatte schon vor dem Krieg die Waffentaucher der französischen Marine ausgebildet. Während der deutschen Besatzung ging er zur Resistance und entwickelte – faktisch unter den Augen der Nazis – neuartige Tauchtechnik und Unterwasserkameras. 1942 drehte er seinen ersten Film.

Nach dem Krieg, 1946, entwickelten er und seine Mitstreiter die Aqualunge weiter, einen Druckregler, der das autonome Tauchen mit Pressluft erleichterte. Damit wurde es möglich, auf die schweren, klobigen Tauchanzüge früherer Jahrzehnte zu verzichten und sich gleichsam wie die Fische frei im Wasser zu bewegen.

Knatsch zwischen Fürst und Seemann?

Mit dem Forschungsschiff Calypso unternahm Cousteau 1951 seine erste Expedition ins Rote Meer. Sechs Jahre später wurde er Leiter des Museums in Monaco. In den darauffolgenden Jahrzehnten bis zu seinem Tod 1997 drehte er mehr als 100 Unterwasserfilme, dokumentierte die Vielfalt und den Reichtum jener verborgenen Welt, die dem Blauen Planeten seinen Namen gab.

Cousteaus Bücher wurde in nahezu alle wichtigen Sprachen übersetzt, seine Filme erreichten weltweit ein Millionenpublikum – über alle Generationen hinweg. Doch irgendwie gab es Knatsch zwischen dem Seemann und dem Fürsten. Denn in den Ausstellungen wird Cousteau nur mit einigen läppischen Zitaten erwähnt. In der Museumsboutique fehlen die Filme und die Bücher des Franzosen gänzlich.

Aus jeder Ecke grinst ein Ahne

Dafür grinst aus jeder Ecke ein fürstliches Antlitz, die ganze Ahnenreihe seit Albert I.: Louis II. (Fürst von 1922 bis 1949), Rainier III. (1949 bis 2005) bis Albert II. (seitdem). Letzter präsentiert sich als Ökologe und Naturschützer, seine Liebe gilt den Schildkröten.

Ein bisschen scheint der blasse Aristokrat aus der Zeit gefallen. „Seine Durchlaucht“, der „Fürst“, das will heute niemand mehr wissen, und ernst nehmen kann man es ohnehin nicht. Alberts Engagement für Natur und Meere steht außer Zweifel, auch Monarchen können aufgeklärt sein.

Sein Vater, Museumspatron Rainier III., angelte lieber nach Grazien. Zwar hatte er in diesem Fach mehr Glück als sein Großvater, denn Grace Kelly blieb bis zu ihrem Unfalltod im Jahr 1982 bei ihm.

Doch es war Cousteau, der mit der Kamera in die blaue Tiefe tauchte. Er war der neue Forschertyp, der stille Beobachter, der Gast im Ozean, um von seiner Schönheit zu erzählen, nicht um zu töten.

So war und ist es das markante Gesicht des hageren Franzosen an der Reeling der Calypso, das den weltweiten Ruf des Museums als modernen Tempel der Wissenschaft begründete, und das jedes Jahr rund 675.000 bis 780.000 Menschen nach Monaco zieht. Die Preise sind sehr moderat, so ist es der Besuchermagnet schlechthin an der Cote d‘Azur.

Hundert Aquarien locken

Es locken vor allem die Aquarien: Mehr als 100 Becken – kleine mit 100 Litern bis große, künstliche Riffe mit 450.000 Litern – bieten die ganze Fülle des maritimen Lebens in den Ozeanen und ihren Randmeeren. Die Zeit vergeht wie im Flug, hier kann man Stunden verbringen, nahezu auf Augenhöhe mit den Kreaturen der See – im lautlosen Flimmern der Farben und Lichter.

Besonders hervorzuheben ist die akribische Beschriftung in drei Sprachen. Im Kinosaal laufen die Filme Cousteaus – immerhin. Auf einer hochgelegenen Terrasse findet sich eine Rettungsstation für verletzte Schildkröten – besonders für Kinder ein Muss.

Und vom Dach des maritimen Tempels bietet sich ein freier, unverstellter Überblick auf Hongkong, sorry, Monaco. Der Tag begann früh, im Stau vorm Tunnel Rainier III. Schnell, viel zu schnell, sind die Stunden vergangen. Schon zieht der Abend herauf. Das Meer glänzt wie Zinn. Ein großes, weißes Schiff steuert zum Hafen. Es riecht nach Tang, und die Möwen kreischen frech.

© H.S. Eglund
  • Blick vom Flimsattel zur Schweizer Seite ins Engadin. © H.S. Eglund
  • Auf dem Flimsattel taut das Eis nie vollständig. © H.S. Eglund
  • Früher befand sich auf dem Flimsattel eine Grenzstation. Die massiven Holzhütten der Grenzer stehen noch heute. Ein Schild beweist: Ein Schritt, und Du bist in der Schweiz. © H.S. Eglund
  • Anfahrt per Seilbahn zum Flimsattel über die malerische Idalp. © H.S. Eglund
  • Im Sommer ruht der Skizirkus, die Restaurants und Lifte sind verwaist. Herrlich, diese Ruhe! © H.S. Eglund
Samstag, 22. August 2020

Tipp: Von Ischgl über die Flimspitze nach Samnaun

Im Winter tobt in Ischgl der Skizirkus. Zigtausende tummeln sich im Dorf und auf der Silvretta Arena. Doch im Sommer ist es still, kaum eine Menschenseele zu sehen. Und der Blick über die Alpen ist einzigartig.

Eigentlich ist Ischgl ein Bergdorf, kaum 1.600 Einwohner. Gegründet im späten Mittelalter, waren hier einst Bauern ansässig. Bergbauern, die ihre Herden im Frühjahr auf die Almen brachten und im Herbst in die engen Ställe holten. Hier zu leben, war schwer, sehr schwer. Denn die Berge geben wenig her, was der Mensch gebrauchen kann. Ihre Böden sind steil, karg und meistens unbenutzbar.

Nur im Sommer reicht die steile Sonne bis ins Tal, und nur die Sonnenhänge lassen sich als Futterwiesen bestellten. Ansonsten steht der Wald dicht und geht weiter oben schnell in baumlose Almen über. Bis zu den Gipfeln der Verwallgruppe, der Silvretta oder der Samnaungruppe, die braun und bleich und vergletschert in der Sonne glitzern.

Früher Kühe, heute Skitouristen

Heute ist das freilich anders. Nicht mehr Kühe werden gemolken, sondern Skitouristen. Allein in Ischgl gibt es mehr als 10.000 Ställplätze für die Gäste, sorry: Gästebetten. Nirgends in Österreich gibt es so viele Vier- und Fünf-Sterne-Hotels wie hier. Und die Bergbahnen können pro Stunde mehr als 90.000 Menschen auf die Idalp bringen, auf die Winterweide der Skifreunde.

Das klingt vielleicht böse, ist aber nicht so gemeint. Wer sind auf den Skipisten anstellen will, um hoch zu fahren und wieder abzufahren und wieder hoch zu fahren und wieder abzufahren, der soll das tun. Österreich ist ein freies Land, das weiß der Autor sehr zu schätzen.

Das Skigeschäft in Ischgl ist ausgezeichnet organisiert. Das Gebiet ist mit 240 Kilometern Piste und 45 Liftanlagen eines ger größten Skigebiete der Alpen, obendrein gilt es als außerordentlich schneesicher.

Zum Anfang der Skisaison Ende November, zu Ostern und zum Abschluss Anfang Mai steppt der längst ausgestorbene Alpenbär: Dann kommen internationale Popstars auf die Almbühne der Silvretta Arena. Dann dröhnen die Berge von den Bässen und Fanfaren und vom frenetischen Gebrüll der Fans, glitzern nicht eisige Sterne am Himmel sondern buntes  Feuerwerk.

Ein feines Wispern

Im Sommer hingegen grölt niemand. Die Berge sind so still, wie die Alpen nur sein können, und wenn man Glück hat, kann man lauschen, wie die Sonne das Gras verbrennt: Es ist ein feines Wispern, wie raschelndes Papier. Dazu streicht der Wind sachte über die Hänge, als wollte er nur mal vorfühlen.

Auch im Sommer führen die Seilbahnen über die Idalp und den Flimsattel zur früheren Grenze nach der Schweiz. Meistens sind einige Strecken nur reduziert in Betrieb, weil der Sommer für Wartungsarbeiten genutzt wird.

Früher führten geheime Schmugglerrouten durch die unwirtlichigen Berge, heute als öffentliche Wanderwege ausgezeichnet. Auf dem Flimsattel erreicht die Bergbahn ihren höchten Punkt, bevor sie nach Graubünden abfällt, bis fast nach Samnaun. Die benachbarte Flimspitze markiert den Grenzverlauf, sie kratzt an der Höhe von 3.000 Metern.

Noch ist die alte Grenzstation zu sehen, obwohl sie längst nicht mehr genutzt wird. Im Juli 2019 herrschten in Ischgl wochenlang hohe Temperaturen über dreißig Grad. Auf der Idalp ließen die überjährigen, ausgedehnten Eisfelder die Werte auf knapp zwanzig Grad fallen, zudem fuhr ein frostiger Wind unter die Haut der wenigen Touristen, die sich aus den Gondeln schälten.

Ein überwältigender Ausblick

Doch der Lohn war ein überwältigender Ausblick zur Schweizer Seite, auf das Engadin und die Silvrettagruppe, und über zahlreiche ferne Gipfel der Alpen. In dieser Höhe herrschen Schnee, Geröll und Felsen; kaum dass sich einige Gräser im stetigen Wind und den harschen Bedingungen halten können.

Es ist die Heimat von Steinbock und Bergziege, und einer sehr jungen Spezies: den Mountainbikern. Die Region um Ischgl bietet im Sommer mehr als 1.200 Kilometer Touren speziell für Radwanderer an. Im August läuft hier der am höchsten dotierte Marathon für Mountainbiker, der Ironbike von Ischgl.

Allerdings haben der Skizirkus und die Biker den Bergen schwer zugesetzt. Wenn der Schnee im Sommer abgetaut ist, werden die Wunden durch Erosion und Übernutzung offensichtlich. Unberührt und jungfräulich sind die Almen längst nicht mehr, nicht oberhalb von Ischgl, höchstens an den Hängen und Gipfeln, die man von hier aus in allen Richtungen sehen kann. Bei gutem Wetter ist der Ausblick nahezu unverstellt und unbegrenzt. Doch der Wanderer sei gewarnt: Im Paznaun ziehen heftige Sommergewitter – mitunter mit starkem Hagelschlag – manchmal sehr schnell auf. Das ist nicht zu unterschätzen und erfordert die entsprechende Ausrütung für plötzliche Platzregen, Sturmböen und Temperaturstürze.

Auge im Auge mit dem Wild

Noch ein Tipp für den Sommer, vor allem für Familien: Zu Ischgl gehört das frühere Vorwerk Mathon, rund vier Kilometer taleinwärts an der 188 gelegen. Dort befindet sich ein kleiner Wildpark mit einheimischen Arten, wo man locker ein paar Stunden zubringen kann.

In den umliegenden Wäldern kann man sehr gut wandern, weil die Wege gut beschattet sind und zahlreiche Wildwasser die Routen kreuzen. Läuft man von Mathon nach Ischgl auf der Südseite des Tals, kommt man am Freibad von Ischgl heraus, das sich zum Abschluss einer schweißtreibenden Sommerwanderung anbietet.

Kostenfrei mit der Silvretta Card

Mit der Silvretta Card ist das Freibad kostenfrei. Wer eine Unterkunft im Tal bucht, bekommt diese Touristenkarte direkt von den Gastgebern ausgestellt. Auf Wunsch kann man schon vor Reisebeginn einen Voucher für die Hochalpenstraße durch die Silvretta erhalten, um bei der Anfahrt von Westen die Mautgebühren zu sparen.

Die Card erlaubt die kostenfreie Nutzung der öffentlichen Busse, die regelmäßig von Landeck bis nach Ischgl, Mathon, weiter zum Kopssee und zur Bielerhöhe fahren. Zudem sind alle Seilbahnen, Museen und Bäder inklusive, ebenso der kleine, feine Badeteich im Dorf See, das Hallenbad in Galtür und wie erwähnt das Freibad in Ischgl.

So wird der Aufenthalt vor allem für Familien und Rentner erleichtert. Faktisch bleibt das Auto drei Wochen an der Unterkunft stehen, denn mit Bussen und Seilbahnen sind alle interessanten Ecken im Paznaun gut erreichbar.

© H.S. Eglund
  • Das Schöne an Legenden ist, dass sie einen wahren Kern enthalten. © H.S. Eglund
  • Das Alpinarium ist großzügig ausgestaltet, es lädt zu einer ganz eigenen Wanderung ein. © H.S. Eglund
  • Schnaps aus Enzian: Blau, blau, blau ist der Bergtourist ... © H.S. Eglund
  • Der Beginn des Bergtourismus. © H.S. Eglund
  • Bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts war Tirol eine bitterarme Gegend. © H.S. Eglund
  • Der Ort heute. © H.S. Eglund
  • Das Zentrum des Ortes mit der Kirche. Sie überstand die Lawine von 1999. © H.S. Eglund
  • Nach der Lawine wurde der Ort wieder aufgebaut. © H.S. Eglund
Samstag, 22. August 2020

Mit Hemingway nach Galtür

Im Februar 1999 wurde Galtür von einer verheerenden Lawine getroffen. Auf den Trümmern entstand das Alpinarium, das die Vergangenheit mit der Gegenwart versöhnt. Und die kaum bekannte Geschichte der Skiregion erzählt – auch in der Literatur.

Galtür im Paznaun: In kaum einer anderen Region von Tirol liegen das Glück und das Leid der Alpen so nah beieinander wie in diesem Dorf. Nur rund 800 Menschen leben hier, und sie leben gut. Früher waren sie Bergbauern, denn Galtür liegt auf knapp 1.600 Metern Höhe, am Übergang des Paznaun zur Bielerhöhe und dem Montafon.

Die Gegend ist rau, denn nur im Sommer schafft es die Sonne bis in die Talsohle. Im Winter hängt sie so tief, dass die es kaum über die Gipfel der Silvretta schafft. Doch das ist ein Segen, denn Galtür gilt als schneesicher und gehört neben Ischgl zu den wichtigsten Skigebieten in Tirol. In der eisigen Saison tummeln sich hier tausende Touristen.

Das Ende der Idylle

Ende Februar 1999 ging vom nördlichen Hang zwischen Grieskopf und Grieskogel aus etwa 2.700 Metern eine gigantische Lawine ab. Es folgten weitere Lawinen, die Galtür und den Vorort Valzur verheerten. Tagelange Schneefälle waren vorausgegangen, mit mehreren Metern Neuschnee. Sofort lief eine der spektakulärsten Hilfsaktionen mit Helikoptern an. Doch für 31 Menschen kam jede Hilfe zu spät, sie fanden im Schnee ihr Grab.

Es dauerte bis zum Ende jenes Winters, dass die Bagger die festgefrorenen und festgepressten Schneeblöcke beräumen konnten. Erst danach ließen sich die Schäden einigermaßen schätzen: Galtür und Valzur waren faktisch komplett zerstört. Noch heute sind die Wunden nicht verheilt. Obwohl Galtür neu aufgebaut wurde, fehlt die historische Klammer, nur wenig blieb vom alten Dorf übrig.

Stattdessen ist die Gemeinde heute durch gewaltige Mauern gegen Lawinen geschützt, zudem wurden die oberen Hänge durch Fangzäune aus Stahl gesichert. Aus den Hilfsgeldern, die damals aus ganz Europa nach Galtür flossen, wurde auch das Alpinarium gebaut, mittlerweile ein echter Publikumsmagnet. Es erzählt die Geschichte von Schönheit und Gefahr, von der verwundbaren Existenz der frühesten Bauernsiedlungen bis heute, zum Zentrum des Skitourismus.

Wunderschöner Piz Buin

Denn die Gegend ist wunderschön. Bis hierher steigt das Paznauntal auf, bevor es zur Bielerhöhe mit dem Silvretta-Stausee übergeht. Etwas westlich liegt der Kopssee, eine fußläufige Stunde von Galtür, vorbei an malerischen Almen, immer das vielfältige Panorama der Alpen vor Augen, das sich mit jedem Schritt zu wandeln scheint – bis hoch zum vergletscherten Piz Buin, mit mehr als 3.300 Metern Höhe.

Hier im Dreiländereck von Tirol, Vorarlberg und dem Montafon herrschte bis zum Ende des Ersten Weltkriegs noch die blanke Armut. Die Bergbauern hatten wenig zu lachen und noch weniger zu beißen. Im Frühjahr trieben sie die Kühe auf die Almen zur Sommerweide, im Frühherbst wieder ins Tal in die Winterställe. Oder sie lebten in kargen Hütten am Berg, den ganzen Winter über vom Tal abgeschnitten. Im Mittelalter wurden Steuern an die Herren von Landeck in Form von Käse abgeführt, Geld war bis in die Neuzeit knapp.

Reiche Ausländer kamen in die Berge

Der Wandel setzte ein, als reiche Engländer und Amerikaner im 19 Jahrhundert die Alpen als Reiseziel entdeckten. So kletterte Gertrude Bell in der Silvretta mit einheimischen Führern. Die renommierte Weltenbummlerin und Archäologin wurde später im Orient zur Legende, vergleichbar mit T. E. Lawrence.

Nach dem Ersten Weltkrieg brachten das starke Pfund und der starke Dollar den Reisenden aus Großbritannien und Übersee erhebliche Vorteile. Tirol galt als Schnäppchen, billiger und einfacher zu erreichen als die Schweiz.

Der junge Hemingway in Schruns

Mitte der Zwanziger Jahre kam der junge Ernest Hemingway nach Schruns, um Ski zu fahren. Er kannte die Alpen aus seiner Zeit als Ambulanzfahrer im Krieg, auf italienischer Seite. Seinerzeit lebte er in Paris, wo er seine Dollars gut in Francs tauschen konnte, ebenso in Geld für Reisen nach Deutschland oder Österreich.

Aus Schruns berichtete er unter anderem über den Wintersport, das war so etwas wie die erste Marketingkampagne für den Skizirkus. In einflussreichen Hochglanzmagazinen erschienen seine Depeschen. Dafür hat ihm Schruns eine Bürste gestiftet, reichlich verkitscht, aber Marketing lebt von der Imagepflege.

In seinem Reportagen beschreibt Hemingway, dass sich im Montafon die reiche Kundschaft zum Winterurlaub traf, ebenso gefallene Adelige, von den Revolutionen vertrieben und jede Menge windige Geschäftsleute.

Eine Kurzgeschichte über die einfachen Bauern

Am besten ist jedoch seine Kurzgeschichte „Gebirgsidyll“, denn sie widmet sich dem Leben der einfachen Leute in Galtür und seiner Umgebung. Mit dem für ihn typischen scharfen Auge kristallisiert er das bittere Elend heraus. Freilich, heute möchten die Marketingmanager von Galtür diese Zeiten vergessen machen, doch zeigt das Alpinarium auf eindrucksvolle Weise, welcher Wandel in den vergangenen hundert Jahren über das Paznaun und das Montafon hinweggegangen ist.

Das Automobil hat die Berge erobert, geteerte Straßen haben Trampelpfade und Pferde ersetzt. Hotels haben Bretterhöfe und Verschläge abgelöst. Geheime Wege über die Schweizer Grenze, die früher nur Schmuggler kannten, sind heute öffentlich als Wanderwege ausgezeichnet.

Doch zurück zu Hemingway, der vom Montafon über die Berge nach Galtür kam, am Ende eines längeren Aufenthalts in der schneereichen Region, „aus dem unnatürlichen Hochgebirgsfrühling an diesem Maimorgen“:

„Wollen Sie nicht etwas mit uns trinken?“ fragte ich den Wirt. Er setzte sich. „Diese Bauern sind Viecher“, sagte der Wirt.
„Den sahen wir vorhin bei einer Beerdigung, als wir in den Ort kamen.“
„Das war seine Frau.“
„Ach!“
„Er ist ein Viech. All diese Bauern sind Viecher.“

Gute Geschichten wurden in den alten Zeiten ebenso hoch geschätzt wie heute. Um die Sache etwas abzukürzen: Der Wirt ruft den Totengräber Franz zum Tisch, wo die beiden Amerikaner sitzen.

„Dieser Bauer!“ sagte der Wirt. „Heute brachte er seine Frau her, um sie zu begraben. Sie starb vorigen November.“
„Dezember“, sagte der Totengräber.
„Das kommt aufs selbe raus. Sie starb also vorigen Dezember, und er benachrichtigte die Dorfbehörde.“
„Am 18. Dezember“, sagte der Totengräber.
„Auf keinen Fall konnte er sie herbringen, um sie zu beerdigen, ehe der Schnee weggeschmolzen war.“
„Er lebt auf der anderen Seite von Paznaun“, sagte der Totengräber. „Aber er gehört zu unserer Gemeinde.“
„Er konnte sie überhaupt nicht herschaffen?“ fragte ich.
„Nein, bis der Schnee schmilzt, kann er von da, wo er wohnt, nur auf Skiern herkommen. Also, heute brachte er sie zur Beerdigung, und der Priester wollte sie nicht beerdigen, als er ihr Gesicht sah. Mach du weiter und erzähl‘s!“ sagte er zu dem Totengräber. „Sprich hochdeutsch und nicht Dialekt!“

Priester waren damals genauso weltfremd wie heute. Und dieser wollte nicht kapieren, was doch offensichtlich war: Bergbauer Olz hatte seine Frau sehr geliebt.

„Also“, sagt Olz, „als sie starb, meldete ich es der Dorfbehörde und legte sie in den Schuppen oben auf die großen Holzscheite drauf. Als ich von den Holzscheiten zum ersten Mal holen kam, war sie steif, und ich lehnte sie gegen die Wand. Ihr Mund klaffte, und wenn ich bei Nacht in den Schuppen kam, um das große Holz zu zerkleinern, hängte ich die Laterne dran auf.“
„Hast du das oft getan?“
„Jedesmal, wenn ich bei Nacht im Schuppen arbeitete.“
„Das war sehr unrecht von dir“, sagte der Priester. „Hast du deine Frau geliebt?“
„Ja, ich habe sie geliebt“, sagte Olz. „Und wie ich sie geliebt habe.“

Soweit der tiefe Blick in die Bauernseele Tirols. Hemingway konnte die Geschichte kaum glauben, deshalb fragt sein Protagonist Nick Adams vorsichtshalber nach:

„Halten Sie das für wahr?“, fragte ich den Wirt.
„Natürlich ist es wahr“, sagte er. „Diese Bauern sind Viecher.“

Mehr als tausend Jahre alt

Galtür wurde vor rund tausend Jahren gegründet, von Bergbauern, die ihre kleinen Herden aus Ziegen und Rindern im Frühjahr auf die Almen brachten und im Herbst in die Ställe holten. Hier zu leben, war sehr schwer. Denn die Berge gaben wenig her, was der Mensch gebrauchen kann. Die Böden sind steil, karg und meistens unkultivierbar.

Nur im Sommer reicht die Sonne bis ins Paznaun, und nur die Sonnenhänge lassen sich als Futterwiesen bestellten. Ansonsten steht der Wald dicht und geht weiter oben schnell in baumlose Almen über. Bis zu den Gipfeln der Verwallgruppe, der Silvretta oder der Samnaungruppe, die braun und bleich und vergletschert in der Sonne glitzern.

Erste Straßen im 19. Jahrhundert

Das Tal des Paznaun lag am Rande der Alpen, fernab der Machtzentren Österreichs. Im Dreißigjährigen Krieg wurde Galtür geplündert. Der Ort ging in Flammen auf. Erst 1645 wurden die enormen Steuerschulden des geschändeten Dorfes erlassen.

Im 18. Jahrhundert wurde Galtür zum Wallfahrtsort gemacht. Die frühere Holzkirche wurde zwischen 1776 und 1778 zum steinernen Barockbau ausgebaut, wie sie heute noch zu sehen ist.

Die ersten Straßen wurden im 19. Jahrhundert gebaut. Dadurch wurde Galtür für Reisende und den langen Arm der Innsbrucker Steuerbeamten erschlossen. Damals bestand der Ort aus der Kirche und einem Dutzend Hütten, regelrechtes Fanal der Armut. Über die neue Straße wurden billige Lebensmittel gebracht, die Preise verfielen und die Bergbauern verarmten noch mehr. Zeitweise wurden die uralten Wege und hohen Pässe als Schmugglerpfade verwendet, um das nackte Überleben zu sichern. Die Gegend war so arm, dass die hungernden Kinder nach Oberschwaben verkauft wurden, um dort bei den Bauern unterzukommen. Auch dies ist im Alpinarium dokumentiert.

Erst die Ankunft ausländischer Bergsteiger und der Bau der Jamtalhütte – dem ersten Hotel am Platz – ging es bergauf. Der Tourismus wurde zum Motor für Wohlstand, die karge Landwirtschaft trat in den Hintergrund. Allerdings gibt es einige Berghöfe nach wie vor, und die Milch, der Käse oder die Wurst aus dieser Region sind ausgezeichnet.

© H.S. Eglund
  • Das Hauptgebäude der Saline am Ufer der Saale. © H.S. Eglund
  • Über die Jahrzehnte hat sich Salz auf den Reisern abgelagert. © H.S. Eglund
  • Allein die Holzkonstruktion ist beeindruckend. © H.S. Eglund
  • Das Gradierwerk ist begehbar. Vor allem für Lungenkrankheiten und Beschwerden der Atemwege wirkt das Mikroklima lindernd. © H.S. Eglund
  • Diese Reiser wirken wie Sickerwände, durch die Sole nach unten rieselt und sich langsam mit Salz anreichert. © H.S. Eglund
  • Die imposanten Ausmaße des Gradierwerks lassen sich bei einem Besuch erfassen. © H.S. Eglund
  • Die Sole wird für medizinische Zwecke genutzt. © H.S. Eglund
  • In der Nähe des Gradierwerkes herrscht ein Mikroklima wie an der Nordsee. © H.S. Eglund
  • Das Gelände ist heute ein großzügiger Park. © H.S. Eglund
  • Kopf des Gradierwerkes. Früher war es noch länger, doch verfielen Teile dem Zahn der Zeit. © H.S. Eglund
Samstag, 22. August 2020

Oster-Tipp: Bad Dürrenberg und Geiseltal

Sachsen-Anhalt ist beinahe wie ein Dschungelcamp, hier kann man gut die Einheimischen studieren. Ein Besuch lohnt sich: Weil die vergangene Größe als Industrierevier und zaghafte Zukunft im Tourismus eng beieinander liegen.

Autobahnausfahrt auf der A9, südlich kurz vor Leipzig. Wer dort abbiegt, gelangt in den Osten. In den tiefen, echten Osten, wie er östlicher kaum sein kann. Das Land zwischen den chemischen Werken von Leuna und Buna (Schkopau) ist flach wie ein Teller und gezeichnet von Jahrhunderten des Abbaus von Kohle, von großflächigen Schlägen für die Zuckerrübe, von einer Vergangenheit als industrieller Kern, der in der I.G. Farben gipfelte.

Industriekern der I.G. Farben

Hier wurden Ammniak und Benzin synthetisiert, Buna produzierte künstliches Gummi für Hitlers Wehrmacht, später für die holpernden Räder der DDR-Wirtschaft. Nach dem Krieg blieben Chemie und Kohle die dominierenden Zweige. Zigtausende strömten zur Schicht in die chemischen Fabriken, deren Gestank bis nach Leipzig wehte. In den Tagebauen im Geiseltal röhrten gigantische Bagger, hier hatte der Prolet noch ordentlich Dreck unter den Nägeln.

In der DDR bekam die Region Sonderration, das war man Kumpeln und Chemikern schuldig – bis der Traum platzte, und das Ausmaß des Desasters offenkundig wurde. Beide, Leuna wie Buna, waren zur Wende vor dreißg Jahren teure Sanierungsfälle, Jahrzehnte lang nichts investiert, lief ätzende Suppe aus den Rohren auf den Boden, ins Grundwasser und in die Flüsse.

Schluss mit der Schluderei

Der Westen machte Schluss damit. Die chemischen Werke gibt es zwar immer noch, doch da tropft nix mehr, solcherart Schluderei leistet sich kein Kapitalist. Wo früher Menschenmassen durch die Werkstore drängten, ist die Belegschaft heute auf einen Bruchteil geschrumpft. Statt Dreck unter den Nägeln trägt der Anlagenfahrer heutzutage weiße Kittel und Glacehandschuhe. Und in den Tagebauen fuhr die letzte Schicht im Sommer 1993 ein. Nun ruht still der See.

All diese Brüche sind gut sichtbar, und das macht diese Gegend durchaus interessant. Die Sehnsucht nach den Hitlers und Honeckers ist den Leuten ins Blut geschrieben, denn damals galt man was. Das hat mit Faschismus oder Stalinismus erstmal wenig zu tun, so weit dachten und denken die Leute nicht. Das war und ist vielmehr der Stolz des sogenannten Kleinen Mannes, der buddeln und schrauben und chemische Ingredenzien kochen durfte.

Der nicht erkannte, dass seine Arbeit dem Krieg nützte (unter Hitler) und die Umwelt auf katastrophale Weise zerstörte (unter Hitler und Honecker). Dass sich der Prolet auf Kosten seiner eigenen Kinder in die Tasche log: mit Eigenheim oder Neubauwohnung, mit Bergarbeiterversorgung und Schichtzulage. Mit dem qualmenden, knatternden Trabi vorm Tor.

Man war versorgt und wurde offiziös gebauchpinselt: Den Herren war noch jede Losung recht, damit sich die Proleten auf die Schulter klopfen und keinen eigenen Kopf machen. Der lächerliche Stolz auf die vergangenen Dreckschleudern ist den Leuten bis heute nicht auszutreiben – das gilt überall, auch fürs Ruhrgebiet oder die Kumpel am Rhein. Und bis heute gaukeln Wirtschaftspolitiker ihren Leuten vor, dass die guten alten Zeiten wiederkommen – irgendwann.

Der Prolet tritt von der Bühne

Aber das Zeitalter des tumben Proleten kommt nicht zurück, nie wieder wird es solche gigantischen Chemiefabriken oder Tagebaue geben wie einst. Das Zeitalter von Kohle, Stahl, Benzin und Gummi tritt ab, weil sich die Arbeitswelt verändert.

So ist Bad Dürrenberg, einst ein schmuckes, reiches Industriestädtchen, faktisch ausgestorben. Kaum ein Ort, der auf den ersten Blick so leer und langweilig wirkt. Und dennoch so viele versteckte Juwelen offenbart. Denn die Uhren drehen sich weiter . Die Menschen arrangieren sich mit den neuen Bedinungen – was bleibt ihnen anderes übrig? Wo früher Dreck, Qualm und Säure herrschten, kommen nun Touristen. Zumindest einige. Aber immerhin: immer mehr.

Eine alte Saline an der Saale

Besonders spektakulär ist die alte Saline direkt am Ufer der Saale mit dem beeindruckenden Gradierwerk. Zwölf Meter hoch sind die Reisigwände, durch die langsam salziges Wasser rieselt, dass mächtige Pumpen aus der Erde fördern. Dabei reichert sich die Sole an, weil das Wasser auf seinem Weg nach unten verdunstet.

Die restaurierten Wände des Gradierwerks summieren sich auf 636 Meter, früher war das Bauwerk dreimal so lang. Das Mikroklima ist fantastisch: Selbst an heißen Sommertagen wirken die Salzreiser kühlend und entstauben die Luft – beinahe wie an der See. Zudem bietet sich dem interessierten Besucher ein besonderes Baudenkmal, denn die Anlage wurde sehr nah am historischen Original aus dem 19. Jahrhundert restauriert.

Der größte künstliche See Deutschlands

Im Sommer 1993 wurde im unweit gelegenen Tagebau Geiseltal die letzte Braunkohle gefördert, dann war Schicht imRevier. Seit 1700 ist der Abbau von Kohle urkundlich verbürgt, seit 1905 im großtechnischen Maßstab. Die gigantische Grube reicht fast achtzig Meter tief. Insgesamt wurden hier 1,4 Milliarden Tonnen Braunkohle aus der Erde geholt – für Kraftwerke, für die Zuckerfabriken in der Umgebung und für die chemische Industrie.

Zwischen 2003 und 2011 wurde der Tagebau mit dem Wasser der Saale geflutet. Auf diese Weise entstand der größte künstliche See Deutschlands (19 Quadratkilometer Fläche), einer der zehn wasserreichsten Seen zwischen Küste und Alpen. Freilich sind Ufer und Umland noch stark von der industriellen Vergangenenheit gezeichnet. Das ist keine intakte Natur, das wird noch Jahrhunderte dauern.

Doch langsam heilen die Wunden, die das Zeitalter der Industrie geschlagen hat. Dieser Prozess wird noch sehr lange dauern, denn die wirkliche Renaturierung der Restlöcher des Kohlebergbaus ist faktisch unmöglich. Die Abraumhalden bieten keinen Mutterboden, das ökologische Gleichgewicht aus Millionen Jahren wurde innerhalb weniger Jahrzehnte zerstört. Doch interessant zu sehen, wie sich die Natur den See und weiteren Seen in seiner Nähe und seine Ufer zurückholt – auf neue Weise.

Sehr freundliche Leute, dort

Und vor allem: Die Leute sind sehr freundlich, sowohl als Gastgeber von Unterkünften mit gewissem DDR-Charme, als auch in den Restaurants an der Uferpromenade des Geiseltalsees. Ostalgie mag es geben, aber sie drängt sich nicht auf.

So wie die Natur durch die Industrie zerrissen wurde, lebten auch die Kumpel und Proleten der gigantischen Tagebaue und Fabriken in innerer Zerrissenheit. Der Dreck, die Schichten, fehlendes Licht und frische Luft, Abgase und Lärm setzten den Menschen zu, von Havarien und Unfällen ganz zu schweigen.

Nun herrschen Stille, und Wasser und Grün. Man hat den Eindruck, dass die Narben der Industriegesellschaft  langsam auch in den Einheimischen verheilen. Vielleicht ist der Stolz auf das, was da früher war, sogar hilfreich, tiefenpsychologisch betrachtet. Denn die Bagger und Schlote kehren nicht zurück, das ist bleiche Romantik ohne Zukunftsvision. Wer nach vorne blicken will, braucht Hinterland.

In dieser Weltecke im Herzen Deutschlands wird der Wandel deutlich sichtbar. Die Menschen, die dort geblieben sind und ihren Alltag haben, machen das Beste draus. An der Autobahn A9, rechts und links, drehen sich gewaltige Windparks. So steht Altes neben Neuem, gehen Vergangenheit und Zukunft ineinander über. Für den Besucher: sehr, sehr spannend.

© H.S. Eglund
  • Blick über den Pool des Petit Bonheur auf den Golfe de Saint-Tropez. © H.S. Eglund
  • Ein Stück hangaufwärts von Ste. Maxime befindet sich die Feriensiedlung Petit Bonheur. © H.S. Eglund
  • Im Hafen von Ste. Maxime ist es ungleich ruhiger und beschaulicher als in St. Tropez. © H.S. Eglund
  • Abendstimmung im kleinen Hafen von Ste. Maxime. © H.S. Eglund
  • Weil die vielen Yachten und Boote an der französischen Mittelmeerküste noch immer mit Diesel laufen, liegt permanent ein stechender Geruch von Abgasen über den Häfen und Liegeplätzen. © H.S. Eglund
  • Die Altstadt von Ste. Maxime ist eine Boutiquenmeile für die Touristen. © H.S. Eglund
  • Touristentrödel in Ste. Maxime, unmittelbar am Golf von St. Tropez gelegen. © H.S. Eglund
  • Das frühere Hafenfort von St. Tropez. © H.S. Eglund
  • Schiffskran für die Yachten. © H.S. Eglund
  • Sehen und gesehen werden: Yachten im Hafen von St. Tropez. © H.S. Eglund
  • Alte Seilwinde im Hafen von St. Tropez. © H.S. Eglund
  • Blick von St. Tropez über den Golf in Richtung Frejus. © H.S. Eglund
  • An der Kaimauer von St. Tropez, auf dem Weg zum Leuchtturm. © H.S. Eglund
  • Der kleine Leuchtturm von St. Tropez am Ende der Kaimauer. © H.S. Eglund
  • Blick auf den Golf vom Leuchtturm in St. Tropez. © H.S. Eglund
Samstag, 22. August 2020

Tipp: Dösen in St. Trop

An der Cote d‘Azur flanieren die Schönen und Reichen. Heißt es. Hieß es früher. Die Wahrheit heute: Im Herbst und Winter fluten Regen und Schlamm die Hänge, im Sommer brennt der Busch im Hinterland der Küste. Wirkliche Refugien sind rar: Ballermann für gehobene Ansprüche.

Wer denkt nicht ans französische Kino, an Starregisseur Roger Vadim, an Curd Jürgens und Brigitte Bardot, deren schmollende Lippen Vadim entdeckt und die er später geehelicht hatte, und die er verewigte: „Und immer lockt das Weib“? Wer denkt nicht an Louis de Funès als Gendarm Balduin Cruchot, der in St. Tropez barbusiges Baden verbieten und die Touristen vor fiesen Außerirdischen rettet will?

Ein bisschen davon gibt es noch im Musée de la Gendarmerie et du Cinema, gleich an der Schleife der D98A, die direkt ins Stadtzentrum von St. Tropez führt. Dort wurden die Filme mit De Funès gedreht, seinerzeit tatsächlich Sitz der Polizei in dem verschlafenen Kaff am gleichnamigen Golf von St. Tropez. Selten so gelacht, seitdem.

Hier tobt der Bär

Mittlerweile gibt es an der einst ruhigen und wirklich betuchter Kundschaft vorbehaltenen Küste kaum etwas zu lachen. Faktisch die gesamte Küstenlinie von Marseille bis Monaco ist zur lückenlosen Kette von Hotels, Restaurants und Marinas ausgebaut.

Besonders obszön sind die Bettenburgen von Antibes, die den Ort überragen wie Pyramiden aus Beton. Einige Strände sind für die Öffentlichkeit zugänglich, auch für Nacktbader (naturiste), aber Stille und Beschaulichkeit sind verschwunden. Kaum so wenig gelacht, dort.

Zugang zur Cote d‘Azur bekommt man über die Autobahnen von Lyon oder Paris, die immer teurer werden, je weiter man sich der Küste nähert. Kurz vorm Mittelmeer verzweigen sich die Autokolonnen dann Richtung Marseille, St. Trop, Cannes oder Nizza. Zwischen St. Tropez und Fréjus gibt es einige kleine Parks und Strände, die nicht so übervölkert sind wie nach Fréjus, Richtung Cannes oder Nizza.

Dreck, Abgase und Blechlawinen

Bekannt durch die alljährlichen Filmfestivals ist Cannes längst kein beschaulicher Badeort mehr, sondern eine moderne, französische Großstadt. Soll heißen: Sie erstickt in Dreck, Abgasen und Lawinen aus Blech. Die Vorstädte stehen den Banlieues von Paris an Häßlichkeit und sozialen Gegensätzen kaum nach.

Ebenso in Nizza, mittlerweile zur fünftgrößten Stadt Frankreichs angeschwollen: Wer dort Urlaub machen will, käme auch in Dortmund oder Hannover auf seine Kosten – zu deutlich besseren Preisen.

„Petit Bonheur“ bietet Stille

Besser ist es um Ste. Maxime, halbe Strecke zwischen Fréjus und St. Tropez. Der kleine Küstenort liegt quasi im Schatten der bekannteren Plätze. Etwas hügelan von Ste. Maxime befindet sich die Appartmentanlage „Petit Bonheur“, weit genug vom Rummel der Küstenstraße und der Flaniermeilen entfernt. Hier ist es still, wirklich still, und man hat einen wunderbaren Ausblick auf den Golf von St. Tropez. Die Sonnenuntergänge sind spektakulär und oft fällt abends ein kühler Wind aus den Seealpen, der die Hitze erträglich macht.

Ein großer Pool mit kleinem Kinderbecken macht „Petit Bonheur“ zum Domizil für Familien. Denn familienfreundlich sind die Badestrände an der Cote d‘Azur normalerweise nicht. Von Mai bis in den späten September knallt die Sonne erbarmungslos auf den Sand. Für Schwimmer ist wenig Platz, weil überall Kite-Surfer über die Wellen schießen, ohne Rücksicht auf Verluste.

Viel zu warm, viel zu teuer

Zudem ist das Mittelmeer schon im Juni viel zu warm, um Erfrischung zu bringen. Hinzu kommen die gepfefferten Preise für Getränke, Mahlzeiten, Sonnenschirme und Strandliegen. Zwar wird die regionale Küche in vielen Reiseführern gerühmt, doch nur in wenigen Etablissements stimmen Preis und Leistung.

Ist halt Mekka für die Touristen, und die sollen zahlen. Im Sommer ist es wegen der Hitze, der Brände und der Menschenmassen nahezu unerträglich. Ursprünglich – im 19 Jahrhundert – galt die Cote d‘Azur als Winterquartier. Zahlungskräftige Kunden aus England, den USA oder Paris kamen hierher, um dem Regen und der Kälte daheim zu entgehen.

Regelmäßig dicht

Der Sommertourismus – heute die Hauptsaison – entwickelte sich erst nach dem Zweiten Weltkrieg. 1936 wurde in Frankreich der bezahlte Jahresurlaub eingeführt. Seit dem Wirtschaftswunder der 50er Jahre strömten immer mehr deutsche Touristen ans französische Mittelmeer.

In der Ferienzeit sind die Autobahnen gen Süden nahezu dauerhaft verstopft. Die Küstenstraße entlang der Strände ist vor allem zwischen Ste. Maxime und St. Tropez, sowie zwischen Cannes und Nizza regelmäßig dicht.

Stau oder Schlamm?

Seit einigen Jahren ist es auch im Winter nicht mehr wirklich anheimelig. Starke Regenfälle im Hinterland und Schlammlawinen lassen Berghänge rutschen und Bäche zu reißenden Strömen anschwellen. Das Risiko wächst, stecken zu bleiben: im Stau (im Sommer) oder im Schlamm und Fluten (im Winter).

Fazit: Die Cote d‘Azur ist auch nicht mehr das, was sie einst war. Oder niemals gewesen ist, nur im Film. Keine Traumfabrik, keine wirklich erkundenswerte Küste, nur Geldschneiderei und der übliche Touristennepp. Okay, warum eigentlich nicht? Wer auf so was steht…

© H. S. Eglund
  • Der Palast der Päpste im Exil von Avignon - weder schön, noch einladend, noch interessant. © H.S. Eglund
  • Die Reiseführer lügen: Avignon ist nicht einmal einen Zwischenstopp wert. © H.S. Eglund
  • Gut beschirmt vorm Palais des Papes: Das Essen ist schlecht und natürlich viel zu teuer. Doch die Wirte wissen: Essen muss der Mensch, irgendwo. © H.S. Eglund
  • Zugang zur Altstadt hinterm Papstpalast. © H.S. Eglund
  • Der Katholizismus ist die ängstlichste Religion der Welt. So gleicht der Papstpalast in Avignon einer Trutzburg. Wen wundert's. © H.S. Eglund
  • Das Mittelter, das Zeitalter der Päpste, muss furchtbar langweilig gewesen sein. © H.S. Eglund
  • Katholisches Nachtleben: nee, oder? © H.S. Eglund
  • Endlich Grün in dieser grauen Stadt! © H.S. Eglund
  • Die Stadtmauer um den päpstlichen Bezirk. © H.S. Eglund
Samstag, 22. August 2020

Bonjour Tristesse: Historischer Stadtkern von Avignon

Die Provence ist ein Touristenmagnet. Der Papastpalast und die berühmte Brücke gehören sogar zum Weltkulturerbe der Unesco. Wer sich vom Alttagsstress erholen und die innere Ödnis richtig ausleben möchte, wird hier mit endloser Langeweile belohnt.

Avignon, ein geheimnsvoll klingender Name mit Historie. Zwischen 1309 und 1376 hausten hier die Päpste, weil sie Knatsch mit der Kurie in Rom hatten. Der Zoff um die richtige Auslegung der Testamente und der Kirchenregeln setzte sich danach fort, denn die Kardinäle putschten gegen den Pontifex in Rom und wählten in Avignon einen Gegenpapst. Erst 1417 kehrte der Oberhirte der katholischen Schafsherde dauerhaft nach Rom zurück. Wo er bis heute hockt.

Ein Monument der Leere

Was blieb von diesem mittelalterlichen Streit? Der Papstpalast in Avignon: bemerkenswertes Monument der inneren Leere. Schaut man sich das Ensemble ohne historisierende Verzückung an, erscheint es als Knast, als Klotz, als Nekropole. Wo, bitte schön, geht es zum Palast? Zum Hort seelischer Erleuchtung?!

Es ist eines der langweiligsten Gebäude der Welt, offenbart die inhaltliche Ödnis des Katholizimus, die Leere seiner Psalmen und die erstarrten Rituale seiner Würdenträger. Eine Burg für den Mummenschanz der Greise: Noch immer scheinen die Schreie der gemarteten Ketzer durch die dumpfen, dunklen Säle der Trutzburg zu schweben, scheinen aus den modrigen Kellern aufzusteigen, vom Weinen geschändeten Kinder ganz zu schweigen.

Freilich: Heute wird in dieser Kirche nicht mehr gefoltert, heute wirft die alte Buchte jede Menge Geld ab. So horrend ist der Eintritt, einfach unverschämt. Aber man kann sich den Besuch getrost sparen, denn dieselbe Ödnis wird auf dem Vorplatz geboten oder in der engen, stickigen Altstadt um die Ecke.

Total öde Klötze

Die ganze Innenstadt von Avignon ist unglaublich langweilig und dem Kommerz vollkommen ergeben. Im Sommer ist es unerträglich heiß, steigt das Thermometer auf über vierzig Grad Celsius. Erfrischendes Grün gibt es nur an der Fassade des Kaufhauses „Les Halles“. Sogar im Herbst herrschen noch mehr als dreißig Grad, werfen die alten Gemäuer die Hitze erbarmungslos zurück.

Man könnte im Winter anreisen. Doch außer Stein und Kommerz bietet Avignon rein gar nichts, was wiederum eine eigene Qualität markiert, neudeutsch: Alleinstellungsmerkmal. Wer sich einmal von innerem Stress und Aufregung reinigen will, die weltliche Katharsis sucht, sollte unbedingt hierher fahren.

Denn Avignon ist so tot, wie die Seele der katholischen Päpste. Das Essen in den Restaurants ist schlecht und teuer; der Service erinnert an die Spätis im Berliner Kiez. Wer sich so richtig langweilen und so richtig ausgenommen werden will, der ist in Avignon genau an der richtigen Stelle. Obendrein rangiert die Papststadt ganz oben in der Kriminalstatistik französischer Mittelstädte. Also: Die Chancen stehen gut, obendrein auch noch beklaut zu werden.

Ach ja, die Brücke …

Nicht einmal die malerische Rhone kann am desaströsen Eindruck etwas ändern. Sie bringt kaum Erfrischung in die Stadt, nur an den Ufern – im Schatten der Büsche – ist es halbwegs erträglich. Dort kann man hocken und den Touristen zuschauen, die zur berühmten Pont Saint-Bénézet strömen – in ungeordneten, grölenden Horden.

Na, Sie wissen schon: „Sur le pont d‘Avignon“ trällert der Volksmund, mittlerweile gilt die Brücke als Wahrzeichen der Stadt und Teil des Weltkulturerbes. Auch sie steckt voll schaler Symbolik: Im Jahr 1668 wurde die Brücke aus dem 14. Jahrhundert von den Fluten der Rhone fortgerissen. Seitdem endet sie nach vier Bögen mitten im Fluss.

So wie der Papstpalast nix mit seelischer Erbauung zu tun hat, so ist die Brücke längst keine Brücke mehr. Nur ein armseliger Stumpf mit totem Ende – wie alles in Avignon. Zeit, von der Uferböschung aufzustehen. Zeit, sich den Staub von der Hose zu klopfen und schleunigst das Weite zu suchen.

© H.S. Eglund
  • Der Kopssee ist deutlich kleiner als der Silvrettasee, aber nicht weniger malerisch. © H.S. Eglund
  • Blick auf die nördlichen Hänge des Paznaun-Tals, die zur Verwall-Gruppe gehören. © H.S. Eglund
  • Obwohl im Tal mehr als 30 Grad Celsius herrschten, lag auf der Veringalm noch harscher Schnee. Entsprechende Ausrüstung zum Wandern ist unbedingt zu beachten. © H.S. Eglund
  • Bis in den Hochsommer halten sich die Schneefelder auf den Almen und den Bergkuppen der Silvretta. © H.S. Eglund
  • Schneefeld auf dem Weg von der Veringalm zur Acherhütte. © H.S. Eglund
  • Der Badesee in See bietet willkommene Erfrischung nach einer langen Bergwanderung. © H.S. Eglund
  • Abendhimmel über See im Paznaun-Tal, am Ende eines wunderbaren Julitages. © H.S. Eglund
  • Restaurant am Silvrettasee: Dort halten die Busse aus dem Montafon und dem Paznaun. Und dort beginnt die Staumauer des Sees. © H.S. Eglund
  • Der Silvretta-Stausee fängt das Schmelzwasser ein und hält es zur Versorgung der Gemeinden im Tal vor. © H.S. Eglund
  • Zufluss zum Silvretta-Stausee auf der Bielerhöhe aḿ westlichen Ausgang des Paznaun-Tals. © H.S. Eglund
Dienstag, 9. Juni 2020

Tipp: Wandern im Paznaun

Das Paznaun in Tirol gilt als Mekka der Skifahrer. Sobald Schnee liegt, stauen sich lange Warteschlangen vor den Restaurants, an den Parkplätzen und Seilbahnen. Die Pisten sind übervölkert und die Zufahrten dicht, von morgens bis spät in die Nacht. Dagegen im Sommer: fast leer, still und wunderschön.

Das Paznaun erstreckt sich von Landeck bis zur Silvretta-Gruppe im Westen. Nördlich des langgestreckten Tals ragt die Verwallgruppe auf, südlich – auf der Schweizer Seite – das Unterengadin mit der Silvretta und der Samnaungruppe. Höchster Berg ist das Fluchthorn mit 3.399 Metern.

Wie eingezängt windet sich die Talstraße entlang reißender Fluten, die das Schmelzwasser aus den Bergen in tiefere Gefilde bringen. Unzählige Bäche und Wasserfälle sammeln sich zur Trisanna, die schäumend durch die Talenge schießt.

Große Schneefelder auf den Höhen

Noch im Hochsommer ist das Wasser aus den Bergen klar und eisig, denn bis in den August und den September halten sich die großen Schneefelder auf den Höhen. Tausende Rinnsale unterm Eis sickern gen Tal, vereinen sich, bilden Rinnen, Gräben, Bäche. Über den weiten Almen ist das gurgelnde Wasser oft das einzige Geräusch, abgesehen vom Wind und dem Geschrei der Vögel.

Im Winter deckt der Schnee die Gräben, Wiesen und Spalten zu, legt sich als meterdicker Mantel des Schweigens über die Berge und das Tal. Doch die Stille dauert nicht lange, ab November stauen sich die Autos auf der 188, der Zufahrt von Landeck. Dann ziehen die Skitouristen in die Hotels ein, die während der warmen und heißen Monaten nahezu leer standen, drängend brüllend und johlend auf die Almen und die Pisten.

Ballermann bei Minusgraden

Am schlimmsten ist es in Ischgl: In dem sommers verschlafenen Ort tobt der quietschende, kreischende und qualmende Skizirkus. Ballermann klappt nicht nur auf den Sonneninseln des Mittelmeers, das geht auch bei minus zwanzig Grad und mannshohem Schnee.

Dafür ist das Paznaun bekannt: für den winterlichen Skitourismus. Von Innsbruck und Landeck kommend, reihen sich die Gastorte wie Perlen auf der Kette der Trisanna: Tobadill, See, Kappl, Ischgl und Galtür, am höchsten gelegen, kurz vor dem Übergang zur Silvretta-Gruppe und zum Montafon im Westen.

Jede Jahreszeit hat ihre Schönheit, vor allem in den Bergen Tirols. Doch Zigtausende Skiläufer, die jeden Winter über die Pisten herfallen wie klamme Heuschrecken, kennen die schönsten Seiten des Paznaun nicht. Im Sommer, wenn die dicken Schneepanzer auf den Almen und Gipfeln langsam abgetaut sind und die Wiesen in voller Blüte stehen, zeigt sich dieser Teil der Alpen von seiner besten Seite: still, beinahe menschenleer und wunderschön.

Reines Labsal

Denn die Hotels, Pensionen und Gasthöfe stehen nahezu unbenutzt. Nur wenige Reisende verirren sich hierher, obwohl die Berge gerade im Sommer sehr gut zu erwandern sind. Die Straßen sind frei, keine Lawine droht, und das klare, frische Bergwasser bietet reines Labsal.

Unser Tipp ist das Paznaun im Sommer. Freilich, es kann heiß werden, brütend. Im vergangenen Juli kletterten die Thermometer in Innsbruck auf über vierzig Grad Celsius. In See und Ischgl herrschten rund fünfunddreißig Grad, und in zweitausend Meter Höhe auf der Medrigalm waren es noch gut dreißig Grad.

Das muss man beim Wandern beachten, denn schnell läßt man die Baumgrenze hinter sich. Dann ist Schatten rar, dann helfen die eisigen Bergbäche, an denen man kühl ausruhen kann.

Vorteile der Silvretta Card

Vorteilhaft: Die Wege über die Almen sind in der Regel gut gekennzeichnet. Gastliche Berghütten laden ein, um die harten Muskeln zu massieren. Und die Seilbahnen laufen auch im Sommer, um die Gäste aus und ins Tal zu bringen.

Zudem gibt es im Paznaun die Silvretta Card. Wer eine Unterkunft im Tal bucht, bekommt sie direkt von den Gastgebern ausgestellt. Auf Wunsch kann man schon vor Reisebeginn einen Voucher für die Hochalpenstraße durch die Silvretta erhalten, um bei der Anfahrt von Westen die Mautgebühren zu sparen.

Die Card erlaubt die kostenfreie Nutzung der öffentlichen Busse, die regelmäßig von Landeck bis zum Kopssee und zur Bielerhöhe fahren. Zudem sind alle Seilbahnen, Museen und Bäder inklusive, ebenso der kleine, feine Badeteich im Dorf See, das Hallenbad in Galtür und das Freibad in Ischgl.

So wird der Aufenthalt vor allem für Familien und Rentner erleichtert. Faktisch bleibt das Auto drei Wochen an der Unterkunft stehen, denn mit Bussen und Seilbahnen sind alle interessanten Ecken im Paznaun gut erreichbar.

See ist ein guter Ausgangspunkt

Als Ausgangspunkt bietet sich das Dorf See an. Dort geht es noch nicht so steil und unvermittelt zu den Bergen hoch wie in Kappl oder in Ischgl. See bildet faktisch den Eingang zum Paznauntal. Die Bergbahn führt zur Medrigalm hoch, ein Almgebiet, das sich bis zum Medrigkopf in 2.450 Metern Höhe erstreckt.

See hat rund 1.300 Einwohner, und fast alle leben vom Tourismus. Im Sommer ist es überhaupt kein Problem, eine gute Unterkunft zu finden. Sportapart Schweighofer etwas außerhalb vom Ortskern bietet einen kühlen Pool, was im heißen Sommer sehr erfrischend ist.

Zudem reicht der Blick von der Anhöhe bis weit ins Tal hinein, man sieht die mitunter sehr heftigen Sommergewitter meist rechtzeitig heranfliegen. Die Gastleute sind freundlich, kundig und hilfsbereit. Die Bushaltestelle liegt um die Ecke, und das Seebad nebst Bergbahn nur einen Steinwurf entfernt.

Zentrum in Ischgl

Der nächste größere Ort ins Tal hinein ist Kappl, mit 2.600 Einwohnern die größte Gemeinde im Paznaun. Es folgt Ischgl, das 1.600 Einwohner hat. Im Winter werden hier Zigtausende Skitouristen durchgebracht, der kleine Ort bietet mehr als 10.000 Gästebetten.

So ruhig wie in See ist es hier nicht, obwohl im Sommer kaum etwas los ist. Dann mutet der Ort an wie eine entseelte Puppenstube. Das Skigebiet, die Silvretta Arena“, ist verwaist, allerdings gerade deshalb von bezeichnender Schönheit.

Die Seilbahnen führen über die Idalp und den Flimsattel zur Schweizer Seite, dort hinunter bis fast nach Samnaun. Es ist mit 240 Kilometern Piste und 45 Liftanlagen eines ger größten Skigebiete der Alpen, obendrein gilt es als außerordentlich schneesicher.

Die Spuren des Rummels

Die Wintersaison beginnt Ende November und dauert bis Ende April. Zum Start der Saison und zu ihrem Ende gibt es dort oben sogar Popkonzerte mit internationalen Stars. Was da abgeht, verdeutlicht diese Zahl: Alle Bergbahnen in Ischgl können pro Stunde rund 90.000 Menschen befördern, den Berg rauf und wieder runter.

Dieser Rummel geht an den Bergen nicht spurlos vorüber. Wenn der Schnee weggetaut ist, kann man auf der Idalp sehr gut sehen, wie Erosion und Übernutzung ihren Tribut fordern. Dort zu Wandern, macht nicht halb so viel Freude wie auf der Medrigalm oder der Veringalm von See, wo die Wiesen noch intakt und die Hänge unverwundet sind. Auch wenn es freilich beschwerlicher ist, und manchmal ein stürzender Bergbach den Pfad weggerissen hat. Dann gibt es keinen anderen Weg, als durch das reißende Wasser hindurch.

Die prachtvolle Vielfalt der Almwiesen

Unmittelbar nach Ischgl kommt das touristische Vorwerk von Mathon, das zur Gemeinde Ischgl gehört. Mathon bietet einen hübschen Wildtierpark, vor allem im Sommer einen Ausflug wert. Anschließend windet sich die Talstraße 188 nach Valzur, das bereits zu Galtür gehört. Das Skigebiet ist kleiner als in Ischgl, deutlich kleiner, und es schwingt sich von 1.635 Metern bis auf knapp 2.300 Meter auf. Von dort kann man sogar über die Bielerhöhe ins Montafon abfahren.

Im Sommer bietet die Bergwelt von Galtür mehr als 250 Kilometer Wege zum Schlendern, Wandern oder Nordic Walking. Fünf Schutzhütten, vier Almen und zwei Gasthöfe erlauben Pausen und Verpflegung unterwegs.

Westlich schließt sich der Kopssee an, südwestlich die Bielerhöhe mit dem Silvretta-Stausee, selbst lohnenswerte Ziele zum Wandern. Von dort geht es mit dem Bus oder dem Bike ins nordwestlich gelegene Montafon oder gen süden in die Schweiz. Der Wanderweg vom Kopssee an den Almen des Muttelberges entlang bis nach Galtür bietet die Fülle und prachtvolle Vielfalt der Almwiesen.

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