Tipp: Die Fülle der Ozeane
Skandale im Fürstenhaus, ein Spielcasino und Schildkröten auf dem Dach: Monaco hat viele Seiten. Der Besuch im Zwergenstaat gerät zum Abenteuer. Doch nach dem Nervenkrieg auf den Straßen wird die Geduld belohnt.
Schon die Anfahrt ist ein Test: Nach der Ausfahrt von der französischen Autobahn sind mehrere Tunnel nach Monaco gesperrt. Blechkolonnen stauen sich auf den Ausweichrouten, rutschen träge – sehr träge – in Richtung Zentrum. Irgendwie ähnelt die Stadt Hongkong, den grauen Vororten von Sha Tin, wo jeder Betonblock ein eigens Stadtviertel für Tausende Seelen ist.
Kein Wunder, denn auch Hongkong klebt an Hängen, die zum Meer abfallen, platzt aus allen Nähten. Dort sind die Wohnungen so klein wie Briefkästen, um Millionen Kulis unterzubringen. In Monaco sind die Briefkästen so groß wie Wohnungen, um ein paar Zehntausend Supperreiche in die Enklave zu locken.
Die kleine Münze und die dicke Marie
Offiziell sind 38.000 Einwohner in Monaco gemeldet, als Einheimische im Fürstenstaat – rund 19.000 pro Quadratkilometer. In Hongkong leben 7.000 Menschen pro Quadratkilometer. Ungezählt – in beiden Fällen – sind Millionen Touristen, die jedes Jahr einfallen.
In die Steueroase an der Cote d‘Azur darf nur sein Geld bringen, wer in Monaco lebt oder eine Wohnung besitzt oder mietet. So bringen die kleinen Münzen der Armen von Hongkong und die dicke Marie der Steuerflüchtlinge am Mittelmeer die gleiche Architektur hervor. Und die gleiche schlechte Luft auf den Straßen und den gleichen Lärm und den gleichen Stress.
Immer enger rücken die Schluchten zusammen, immer höher schießen die Gebäude gen Himmel, immer tiefer rollt der Wagen die steile Küste hinab, frisst Serpentine um Serpentine. Obwohl Monaco nur zwei Quadratmeter Fläche fasst, dauert es knapp zwei Stunden, bis der Wagen im Parkhaus steht – mit Blick aufs Meer.
Neoklassizistische Trutzburg
Ein unverstellter Blick, denn hier fallen die Ausläufer der Seealpen steil ins Wasser. Yachten kreuzen auf der glänzenden See, die ohne Ende ist. Eine Rolltreppe führt hinauf zur Promenade, zum wohl interessantesten Gebäude des Fürstentums: dem Musée Océanographique an der Avenue Saint-Martin.
Die neoklassizistische Trutzburg wurde 1910 errichtet. Ein bisschen erinnert sie ans Chateau d‘If vor Marseille, gleichfalls eine Attraktion für die Touristen; bekannt aus „Der Graf von Monte Christo“ von Alexandre Dumas. Sie erinnert an das Britische Museum in London oder an den wuchtigen Preußenklotz des Berliner Naturkundemuseums, und bestimmt hatte Fürst Albert I. solche Vorbilder im Sinn.
Etwas gegen den Frust
Denn er brauchte etwas Großes, Heroisches, etwas gegen seinen Frust. 1889 hatte er die Amerikanerin Alice Heine geheiratet und als Fürst Lady nach Monaco geführt. Unter den Adelshäusern Europas galt die Ehe als Sünde, denn die junge Frau aus New Qrleans war eine verwitwete, bürgerliche Jüdin.
Allen Unkenrufen zum Trotz erwies sie sich als würdige Landesmutter, förderte vor allem die Kunst. Dabei fiel ihr ein englischer Musikus auf, fortan ihr Liebhaber. Der Fürst verlor die Contenance, vor versammelten Hofstaat ohrfeigte er die Erlauchte, die daraufhin den Dienst quittierte – im Bett und als Fürstin. Und der Fürst wählte (mit Hans Albers): „Seemanns Braut ist die See“.
Die Kadaver eines Geiers
Albert blieb bis zu seinem Tod im Jahr 1922 allein und widmete sich vor allem seinen Studien der Meereskunde. Er harpunierte den Wal, schlitzte Schildkröten auf, hackte Korallen von den Riffen und schoß allerlei Getier.
Die Kadaver schleppte er an seinen Felsen, wie der Geier seine Beute. So zeugt seine Sammlung von den Anfängen einer Wissenschaft, die seitdem – zum Glück – die Harpune mit der Kamera vertauscht hat. Vermutlich stehen in den Museen dieser Welt heute mehr ausgestopfte Eisbären, als lebende Exemplare durch die Arktis schlurfen.
Eine Halle voll Skelette
Das Ozeanografische Museum von Monaco wurde für diesen Zweck errichtet. Die Eingangshalle widmet sich den Sammlungen des Gründers, der selber als Bronzestatue verewigt ist. Spannend sind weniger die ausgestopften Kreaturen oder die riesigen Skelette von Walen, Delfinen oder Schildröten.
Wirklich interessant ist die bemerkenswerte Unterwasserwelt, die das Museum in großzügigen und akribisch ausgestatteten Aquarien bietet. Denn nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Harpune tätsächlich von der Kamera abgelöst. Leben zu bewahren wurde wichtiger, als tote Objekte zu horten.
Ein Taucher namens Cousteau
Der Franzose Jacques-Yves Cousteau machte das Museum weltberühmt. Der Wissenschaftler mit der roten Wollmütze hatte schon vor dem Krieg die Waffentaucher der französischen Marine ausgebildet. Während der deutschen Besatzung ging er zur Resistance und entwickelte – faktisch unter den Augen der Nazis – neuartige Tauchtechnik und Unterwasserkameras. 1942 drehte er seinen ersten Film.
Nach dem Krieg, 1946, entwickelten er und seine Mitstreiter die Aqualunge weiter, einen Druckregler, der das autonome Tauchen mit Pressluft erleichterte. Damit wurde es möglich, auf die schweren, klobigen Tauchanzüge früherer Jahrzehnte zu verzichten und sich gleichsam wie die Fische frei im Wasser zu bewegen.
Knatsch zwischen Fürst und Seemann?
Mit dem Forschungsschiff Calypso unternahm Cousteau 1951 seine erste Expedition ins Rote Meer. Sechs Jahre später wurde er Leiter des Museums in Monaco. In den darauffolgenden Jahrzehnten bis zu seinem Tod 1997 drehte er mehr als 100 Unterwasserfilme, dokumentierte die Vielfalt und den Reichtum jener verborgenen Welt, die dem Blauen Planeten seinen Namen gab.
Cousteaus Bücher wurde in nahezu alle wichtigen Sprachen übersetzt, seine Filme erreichten weltweit ein Millionenpublikum – über alle Generationen hinweg. Doch irgendwie gab es Knatsch zwischen dem Seemann und dem Fürsten. Denn in den Ausstellungen wird Cousteau nur mit einigen läppischen Zitaten erwähnt. In der Museumsboutique fehlen die Filme und die Bücher des Franzosen gänzlich.
Aus jeder Ecke grinst ein Ahne
Dafür grinst aus jeder Ecke ein fürstliches Antlitz, die ganze Ahnenreihe seit Albert I.: Louis II. (Fürst von 1922 bis 1949), Rainier III. (1949 bis 2005) bis Albert II. (seitdem). Letzter präsentiert sich als Ökologe und Naturschützer, seine Liebe gilt den Schildkröten.
Ein bisschen scheint der blasse Aristokrat aus der Zeit gefallen. „Seine Durchlaucht“, der „Fürst“, das will heute niemand mehr wissen, und ernst nehmen kann man es ohnehin nicht. Alberts Engagement für Natur und Meere steht außer Zweifel, auch Monarchen können aufgeklärt sein.
Sein Vater, Museumspatron Rainier III., angelte lieber nach Grazien. Zwar hatte er in diesem Fach mehr Glück als sein Großvater, denn Grace Kelly blieb bis zu ihrem Unfalltod im Jahr 1982 bei ihm.
Doch es war Cousteau, der mit der Kamera in die blaue Tiefe tauchte. Er war der neue Forschertyp, der stille Beobachter, der Gast im Ozean, um von seiner Schönheit zu erzählen, nicht um zu töten.
So war und ist es das markante Gesicht des hageren Franzosen an der Reeling der Calypso, das den weltweiten Ruf des Museums als modernen Tempel der Wissenschaft begründete, und das jedes Jahr rund 675.000 bis 780.000 Menschen nach Monaco zieht. Die Preise sind sehr moderat, so ist es der Besuchermagnet schlechthin an der Cote d‘Azur.
Hundert Aquarien locken
Es locken vor allem die Aquarien: Mehr als 100 Becken – kleine mit 100 Litern bis große, künstliche Riffe mit 450.000 Litern – bieten die ganze Fülle des maritimen Lebens in den Ozeanen und ihren Randmeeren. Die Zeit vergeht wie im Flug, hier kann man Stunden verbringen, nahezu auf Augenhöhe mit den Kreaturen der See – im lautlosen Flimmern der Farben und Lichter.
Besonders hervorzuheben ist die akribische Beschriftung in drei Sprachen. Im Kinosaal laufen die Filme Cousteaus – immerhin. Auf einer hochgelegenen Terrasse findet sich eine Rettungsstation für verletzte Schildkröten – besonders für Kinder ein Muss.
Und vom Dach des maritimen Tempels bietet sich ein freier, unverstellter Überblick auf Hongkong, sorry, Monaco. Der Tag begann früh, im Stau vorm Tunnel Rainier III. Schnell, viel zu schnell, sind die Stunden vergangen. Schon zieht der Abend herauf. Das Meer glänzt wie Zinn. Ein großes, weißes Schiff steuert zum Hafen. Es riecht nach Tang, und die Möwen kreischen frech.