LSD: Glück aus der Retorte?
Vor 77 Jahren wurde das LSD entdeckt. Von Albert Hofmann, einem unscheinbaren Chemiker in Basel, der die Droge 1943 im Selbstversuch erprobte. Dennoch wurde er alt, sogar steinalt: Vor sieben Jahren starb er hochbetagt, mit 102 Jahren. Bis zuletzt nannte er die magische Substanz „mein Sorgenkind“. Und stritt für sein Lebenswerk.
Diese Schweizer: Ein bisschen eigenbrötlerisch, ein bisschen selbstverliebt, kühl und unnahbar wie die Alpen, unerreichbare Viertausender eben. Und doch: Irgendwie so nah am Puls dieser Erde. So naturverbunden und bodenständig, wissend und grün wie die Wiesen und die Gletscher. Die Unberührbaren im Herzen Europas.
Als Hitler in Prag und Wien einmarschierte, hockte im Baseler Labor der Chemiefirma Sandoz ein junger Chemiker, gerade 32 Jahre alt. Fernab der politischen Turbulenzen isolierte er Stoffe aus der Natur, um sie später auf ihre medizinische Wirksamkeit zu überprüfen. Sandoz war der erste Pharmakonzern, der eine solche Naturstoffabteilung gegründet hatte.
Aus dem Mutterkorn des Roggens
Im Jahr 1938 experimentierte Hofmann mit dem Mutterkorn des Roggens, einem schwarzen Pilz, der seit dem Mittelalter bekannt ist. Daraus extrahierte er das Lysergsäurediethylamid, abgekürzt LSD. Weil die medizinischen Überprüfungen in einer anderen Abteilung liefen, verschwand diese Entdeckung vorerst im Stahlschrank.
1938 war ein Schicksalsjahr: Im gleichen Jahr entdeckten Otto Hahn und Fritz Straßmann in Berlin die künstliche Spaltung der Atomkerne. Und das Münchener Abkommen gab Hitler freie Hand, um seinen Weltkrieg vorzubereiten.
Zwei Monate nach Stalingrad
Fünf Jahre später hatte der Krieg seinen Höhepunkt erreicht: Zwischen Englands Küsten und Hawaii rannten Armeen von Millionen Soldaten gegeneinander an, der Erdkreis brannte. Im Februar 1943 stürmte die Rote Armee den Kessel von Stalingrad, der Vormarsch der teutonischen Horden war gestoppt. Über deutschen Städten erschienen alliierte Bomber, und zwischen friedlichen Atollen der Südsee lieferten sich amerikanische und japanische Flugzeugträger mörderische Schlachten.
Und noch immer hockte Albert Hofmann in seinem Baseler Labor. Als er ein Medikament für den Blutkreislauf suchte, erinnerte er sich des seltsamen Abkömmlings der Lysergsäure und kramte die alten Berichte hervor.
Ein Selbstversuch mit der rätselhaften Substanz
Im April 1943 wagte er einen Selbstversuch mit der rätselhaften Substanz. Er wählte eine sehr schwache Dosis. Es folgte „ein Trip ins Ungewisse“, wie er später bekannte. „Es war ein furchtbares Erlebnis, als sei ich in einer anderen Welt. Furchtbar quälend. Die Angst: Wahrscheinlich ist es das Ende. Ich bin schon drüben.“
Der Bruchteil eines Milligramms hatte ausgereicht, um ihn in eine unbekannte Welt zu befördern. Originalton Hofmann: „Alles, was ich dachte, war bildlich da.“ Bei späteren Trips sucht er den Beistand eines erfahrenen Mediziners. Nun wandeln sich die Bilder: Keine Angst mehr, nur noch Glück und Geborgenheit.
Ganz der Wissenschaftler, notierte Hofmann seine Eindrücke, zumal die Erlebnisse auch nach dem Abklingen der Wirkung nicht aus seiner Erinnerung verschwanden. Daraufhin unterzogen sich Kollegen ähnlichen Versuchen.
Viel stärker als Meskalin
Schnell stellte sich heraus: Das Lysergsäurediethylamid wirkt stark auf die Psyche und zwar fünftausend bis zehntausend Mal stärker als das Meskalin, ein botanisches Halluzinogen, das zur Jahrhundertwende entdeckt worden war.
Meskalin war damals unter Intellektuellen und Künstlern sehr verbreitet. Aldous Huxley fasste seine Visionen im Meskalinrausch in dem Essay „Die Pforten der Wahrnehmung“ zusammen, der 1953 erschien.
Nun kam das LSD, aus dem Sandoz bald ein Medikament für psychisch kranke Patienten herstellte. Zwei Jahre nach Kriegsende testete ein Züricher Psychiater den neuen Wirkstoff erstmals an sich selbst.
Damit war der Anwendung in der Psychotherapie das Tor geöffnet. Der amerikanische Psychologe Humphrey Osmond nannte die Wirkungen des LSD „psychedelisch“, was so viel bedeutet wie: die Seele enthüllend, entfaltend. Stanislav Grof, ein tschechischer Psychiater, der später in die USA auswanderte, urteilte: „Psychedelische Erfahrungen reichen weiter und tiefer als die Psychoanalyse.“ Grof experimentierte mehr als fünfzig Jahre mit LSD. Denn nach der Zulassung als Medikament wurde es zehn Jahre lang ausschließlich unter ärztlicher Aufsicht verwendet.
Ein Verwandter der Botenstoffe im Gehirn
Chemisch gesehen ist Lysergsäurediethylamid mit Botenstoffen im Gehirn verwandt. Es setzt die Selbstkontrolle des Gehirns außer Kraft, reguliert die Ängste herunter und verstärkt Glücksgefühle. Akustische Wahrnehmungen werden in Bilder umgesetzt, in „Farben wie glitzerndes Wasser“, wie Albert Hofmann bestätigte. „Das Ich löst sich in der Umgebung auf. Man fließt mit dem Erleben, man ist das Erleben selbst. Das kann man genießen.“
Auf diese Weise kann man depressive Patienten stabilisieren. Oder, wie Grof sagte: „Es war der Heilige Gral der Psychiatrie“. Das LSD erwies sich als Katalysator für die innere Fantasie. „Wie das Mikroskop für den Biologen oder das Teleskop für den Astronomen erlaubt das LSD einen tiefen Blick in die verborgene Psyche der Patienten“, gab Hofmann zu Protokoll. „Von großer Bedeutung erschien mir auch, dass ich mich an alle Einzelheiten des im LSD-Rausch Erlebten erinnern konnte.“
Ein Rausch ohne Kater
Je mehr sich Hofmann mit seinem „Wunderkind“ beschäftigte, umso mehr verblüffte es ihn: „Was ich ferner an LSD erstaunlich fand, war seine Eigenschaft, einen derart umfassenden, gewaltigen Rauschzustand zu erzeugen, ohne einen Kater zu hinterlassen. Ganz im Gegenteil fühlte ich mich am Tag nach dem LSD-Experiment in ausgezeichneter physischer und psychischer Verfassung.“
Wie Meskalin einige Jahrzehnte zuvor gelangte auch das LSD auf den Schwarzmarkt. Laien nahmen sich der Substanz an. Bald gehörte es in den intellektuellen Kreisen Amerikas zum guten Ton, „high“ zu sein. Bekannte Schauspieler wie Cary Grant nahmen LSD, das damals noch frei zugänglich war. Auch das Militär und die CIA interessierten sich dafür, denn LSD schien als Wahrheitsserum für Verhöre geeignet.
So war es der amerikanische Staat, der die Verbreitung der „Zauberdroge“ ankurbelte. Zahlreiche Institute erhielten Forschungsaufträge, ob sich LSD zur Gehirnwäsche oder zur gezielten Veränderung einer Persönlichkeit eignet. Solche Versuche fanden nicht etwa in Stalins Russland statt, sondern im „freiesten Land der Welt“.
Orange Sunshine war unzuverlässig
In den fünfziger Jahren war LSD die stärkste bekannte Droge. Die US Army plante, Lysergsäurediethylamid über feindlichen Städten zu versprühen, um den Widerstand der gegnerischen Streitkräfte und der Bevölkerung zu brechen. Das als „Orange Sunshine“ bezeichnete LSD verweigerte jedoch den Dienst als Waffe. Es erwies sich unzuverlässig und schwer vorhersehbar in seiner Wirkung.
Deshalb entschieden sich die Luftwaffengeneräle im Vietnamkrieg lieber für eine andere Chemikalie, ein Entlaubungsmittel aus der Gruppe der Dioxine, dessen Namen nach der farblichen Markierung der Transportfässer gewählt wurde: Agent Orange.
Kosmisches Gelächter statt Enthemmung
Mitte der sechziger Jahre landeten amerikanische GIs in Südvietnam. Wie die Soldaten in allen Kriegen der Geschichte bekamen die Schlächter jede Menge Alkohol auf den Weg. Im Unterschied zum LSD enthemmt Whisky die aggressiven Triebe. Er macht böse und brutal. Im Alkoholrausch begangene Taten belasten die Seele kaum, denn sie verschwinden im Vergessen.
LSD hingegen ruft beim Menschen nur ein „kosmisches Gelächter“ hervor, macht ihn unfähig zur gezielten Aktion oder gar Gewalt. Bezeichnenderweise sind keine Fälle von Vergiftung durch LSD bekannt, anders als beim Alkohol oder Suchtdrogen wie Heroin, Kokain oder den Amphetaminen.
Ein Mann springt aus dem Fenster
Zwar gab es Tote durch LSD, jedoch nur durch die „Fremdartigkeit und Unberechenbarkeit seiner psychischen Wirkungen“, wie Albert Hofmann berichtete. Das erste Opfer war ein gewisser Dr. Olson, dem man Anfang der fünfziger Jahre bei Drogenexperimenten der US Army ohne sein Wissen eine hohe Dosis LSD verabreichte. Der Mann sprang aus dem Fenster. „Seiner Familie war damals unerklärlich, wie es bei diesem ruhigen, ausgeglichenen Mann zu dieser Tat hatte kommen können“, schrieb Hofmann in seinen Lebenserinnerungen. „Erst fünfzehn Jahre später, als die Geheimakten über jene Versuche veröffentlicht wurden, erfuhr sie den wahren Sachverhalt.“
Der damalige US-Präsident Gerald Ford musste den Hinterbliebenen öffentlich das Bedauern der Nation versichern. Kurz darauf analysierte Hofmann in seinem Baseler Labor einige Pilze, mit denen sich die Hochlandindianer Mexikos seit Generationen in prophetischen Rauschzustand versetzten. Das isolierte Psilocybin zeigte nahe Verwandtschaft zum LSD. Offenbar handelte es sich um eine sakrale Droge, die einigen Naturvölkern schon sehr lange bekannt war.
Ein gewisser Dr. Leary
Zurück zur Army, zurück in die USA. Die Verbreitung des LSD an den Universitäten erreichte auch die renommierte Harvard-Universität, wo Timothy Leary unterrichtete. Der Psychologe wandte sich der Droge zu und setzte öffentliche Selbsterfahrungstrips auf den Lehrplan. Schnell wandelten sich die Seminare in kollektive LSD-Partys, die Studenten strömten scharenweise in die Happenings des „Drogenapostels“. Leary und seine Kollegen wurden wegen unwissenschaftlichen Verhaltens der Universität verwiesen.
Ein Mäzen stellte ihnen daraufhin das rund hundert Hektar große Anwesen von Millbrook im Norden des US-Bundesstaates New York zur Verfügung. Dort gründete Leary eine psychedelische Kommune, die sich über mediale Aufmerksamkeit nicht beklagen konnte. Als er im „Playboy“ über die sexuelle Stimulation durch LSD dozierte, kam die Lawine ins Rollen.
Turn on, tune in, drop out
Fortan gaben sich in Millbrook die Gäste die Klinke in die Hand. „Turn on, tune in, drop out“: Das war Learys Slogan, der auch der Slogan der Hippie-Bewegung werden sollte. Millbrook war aber nicht der Ort für drogeninduzierte Exzesse, wie es später dargestellt wurde, um das LSD zu verteufeln. „In Millbrook nahm man fremde Personen als Freunde wahr, egal, aus welcher Bevölkerungsschicht sie kamen“, berichten ehemalige Mitglieder der Kommune in dem Dokumentarfilm „Substance“ des Schweizer Regisseurs Martin Witz. „Sogar die Mitglieder königlicher Familien kamen zu uns.“
Während Alkohol bisher noch jede Party ruiniert hat, erhebt LSD sie zum göttlichen Fest. Acid, wie das Lysergsäurediethylamid kurz genannt wurde, nivellierte die sozialen Unterschiede. Was in Millbrook abging, war eine anthropologische Revolte, Vorschau auf ein Leben ohne Hierarchien und Machtstrukturen. „Wir sind keine dummen Tiere, die nur einem Weg folgen“, sagte Timothy Leary damals in einem seiner zahlreichen Fernsehinterviews. „Wir sind auf der Erde, um zu fliegen.“
Kesey fliegt übers Kuckucksnest
Einmal quer durch den Kontinent, zur pazifischen Sonnenküste von Kalifornien: Dort scharte der Autor Ken Kesey eine kleine Gruppe von Aussteigern um sich, die im schrill bemalten Schulbus über die Lande fuhren und LSD-Trips propagierten. Kesey hatte in dem Roman „Einer flog übers Kuckucksnest“ die Erfahrungen verarbeitet, die er als Proband bei LSD-Experimenten in einer Klinik gesammelt hatte.
Mit seinen Merry Pranksters begann die eigentliche Hippie-Bewegung. 1963 waren die Sandoz-Patente ausgelaufen, nun konnte jeder bessere Chemiker mit der entsprechenden Ausrüstung ganz legal LSD synthetisieren. Der Prozess ist sehr langwierig, wenn man eine hohe Reinheit erzielen will.
Leary an der Ostküste und Kesey in Kalifornien propagierten die spirituelle Revolution mit LSD. Noch wurde Acid von den Behörden geduldet. Im heruntergekommenen Stadtteil Haight Ashbury in San Francisco wurden die Drogen produziert und vermarktet. Dank der Medien und fantastisch anmutender Berichte über die „Zauberdroge“ strömten zigtausende junge Menschen nach San Francisco.
Doch LSD war nur das Symptom der Hippie-Bewegung. Die Ursachen lagen viel tiefer: In der gähnenden Langeweile der gut situierten Vorstädte Amerikas, in der seelenlosen Jagd nach Geld und im Krieg in Indochina, zu dem viele junge Männer als Wehrpflichtige eingezogen wurden. „Amerika ist heute ein Irrenhaus“, polemisierte Timothy Leary damals. „Die amerikanischen Menschen sind total besessen vom Materiellen, von Macht und Krieg. Es ist wirklich ein Irrenhaus.“
Mordlust der GIs schwand
Und nun zeigte das LSD seine Macht, aber anders, als von der Army seinerzeit erhofft: Learys Jünger schmuggelten die Droge heimlich nach Vietnam, um die GIs zu versorgen. Die Mordlust der Soldaten schwand, die Moral der Truppe bröckelte. Nichts verunsichert Unteroffziere und Generäle stärker wie „kosmisches Gelächter“. Stell Dir vor, es ist Krieg, und keiner will schießen.
Auf Fronturlaub zu Hause berichteten die Soldaten von der Gräuel im Namen der Demokratie. Der Widerstand innerhalb der USA wuchs, in der Flower-Power-Bewegung verbündeten sich Kriegsgegner und Hippies. LSD wurde ein Politikum, zumal klerikale Fundamentalisten einem telegenen Messias wie Timothy Leary nichts entgegenzusetzen hatten. Orange Sunshine statt Agent Orange: Rund 5.000 Dosen LSD passten in eine kleine Handtasche. Kein Problem, sie nach Saigon zu bringen.
Aber Leary ging noch viel weiter: Öffentlich rief der die amerikanischen Schüler auf, die Schule zu schwänzen: „Denn Schulerziehung ist die schlimmste Droge.“
Haight Ashbury erlebte einen ungeahnten Aufschwung. Aus dem ganzen Kontinent fielen bunt angezogene Jugendhorden in dem Viertel ein. Zehntausende kampierten auf den Bürgersteigen, als sei Christus im Reagenzglas auferstanden.
Der Ort der Träume
San Francisco wurde zum Ort ihrer Träume, ihrer Sehnsüchte, das kann nur verstehen, wer jemals geträumt hat und sich nach einem anderen Leben sehnte – jenseits des Kommerzes und des Geldes. Es war die Zeit der großen Konzerte von „The Greatful Dead“ und Jimi Hendrix. Veränderung schien möglich, fast in Reichweite. Der „Summer of Love“ 1967 markierte den Höhepunkt der Hippie-Bewegung, bevor massive Polizeieinsätze dem Zauber ein Ende bereiteten.
Denn die Hippie-Invasion spielte den Gegnern der Revolte in die Hände: Immer häufiger tauchten in den Bildern der Fernsehanstalten und der Zeitungen die verwahrlosten und verirrten Jugendlichen auf, von Polizisten im Wahnrausch aufgegriffen.
Kurzurlaub für die desorientierte Seele
Der Kapitalismus hatte sich des LSD bemächtigt. Er versprach Kurzurlaub für die desorientierte Seele, den schnellen Ersatz für die innere Emanzipation, die man nur mit sehr viel Arbeit erreichen kann.
Das LSD wurde mit Erwartungen überfrachtet, an denen schon andere gescheitert sind. Man denke nur an die Hostie beim kirchlichen Abendmahl: Symbol der unmündigen Gläubigen, die brav am Daumen ihres Hirten nuckeln. Nur nicht die verbotenen Früchte des Paradieses kosten, nur nicht selber Christus sein!
Der Geist aus der Flasche
Obwohl LSD keine giftige Suchtdroge ist, erschrak das bürgerliche Amerika vor der eigenen Freiheit – und zog die Reißleine. Bei Überdosis und fehlender Betreuung kann die kosmische LSD-Reise schnell zum Horrortrip geraten: Dann dominieren Ängste und Dämonen die innere Show. Das hatte schon Hofmanns erster Selbstversuch ergeben.
In Haight Ashbury drohte der Notstand. Leary und seine Jünger hatten den Geist aus der Flasche gelassen, nun verloren sie die Kontrolle. „Das LSD braucht Vorbereitung und Reife“, kristierte Albert Hofmann rückblickend. „Es ist unverantwortlich, jungen Menschen mit einem solchen Instrument reinzupfuschen.“ Womit er sicher nicht ganz Unrecht hatte. Aber das ist keine Eigenart des LSD. Das trifft für Alkohol, Computerspiele oder Motorräder gleichfalls zu. Allein in Deutschland gibt es jedes Jahr mehr Tote durch Motorradunfälle, als weltweit jemals durch LSD.
Ronald Reagan tritt zum Kreuzzug an
Back to USA: Im Herbst 1968 trat Ronald Reagan vor die Fernsehkameras, sicher nicht zum ersten Mal. Reagan war als Schauspieler bekannt geworden. Seinem Job, fremde Texte nachzusprechen, blieb er als Gouverneur von Kalifornien treu: „Es ist weder klug noch kultiviert, einen LSD-Trip zu machen”, wetterte er.
Obwohl es durch das LSD nur wenige Tote und überhaupt keine Vergiftungen gab, wurde Haight Ashbury im Oktober 1968 von der Polizei geräumt. Die Behörden verhängten ein Totalverbot für LSD, das bis heute gilt. US-Präsident Richard Nixon stempelte Leary öffentlich zum gefährlichsten Mann Amerikas, bis er sich im Zuge der Watergate-Affäre selbst als Betrüger outete.
Leary verschwand im Knast, wegen des Besitzes von Marihuana, das 1965 bei seiner Tochter an der mexikanischen Grenze gefunden worden war. Susan Leary wurde zu fünf Jahren Haft auf Bewährung verurteilt. Ihr Vater erhielt aufgrund des Marihuana-Tax-Actes eine Gefängnisstrafe von 33 Jahren wegen Steuerhinterziehung aufgebrummt.
Leary flieht in die Schweiz
Zwar wurde dieses Urteil 1969 vom Obersten Gerichtshof aufgehoben und der Marihuana-Tax-Act für verfassungswidrig erklärt. Doch schon im Juni 1970 fand die Polizei in Learys Wagen erneut zwei Joints, wofür er zehn Jahre Knast aufgebrummt bekam. Im September des gleichen Jahres konnte er aus dem Gefängnis in Kalifornien fliehen, die Black Panther brachten ihn über Algerien nach Europa.
In der Schweiz ersuchte er um Asyl, was die Regierung in Bern jedoch ablehnte. Allerdings lehnte sie auch einen Auslieferungsantrag der Amerikaner ab. Leary reiste nach Wien aus, von dort nach Kabul in Afghanistan, wo er 1973 erneut in amerikanische Hände fiel. Bis 1976 hockte er seine Strafe ab, danach blieben ihm noch zwanzig Jahre, bis er 1996 im Alter von 75 Jahren starb.
Zeit seines Lebens unterschied er sehr scharf zwischen psychedelischen Drogen wie LSD oder Haschisch und süchtig machenden Rauschgiften. Ganz zu schweigen von der Systemdroge Alkohol, die allein in Deutschland jedes Jahr rund 74.000 Menschen tötet, legal und gesellschaftlich akzeptiert. Ein LSD-Rausch dauert höchstens zwölf Stunden, ohne Kater, ohne Erinnerungslücken. Selbst die stetige Höherdosierung erzeugt keine Sucht wie andere Drogen. Akute LSD-Krisen kann der Arzt mit Chlorpromazin oder anderen Beruhigungsmitteln unter Kontrolle halten. Mit Blick auf die Hysterie und die Menschenjagd in den USA urteilte der Ethnobotaniker Terence McKenna: „LSD erzeugt psychotisches Verhalten bei denen, die es nie genommen haben.“
Ein politisierter Wissenschaftler
Albert Hofmann war viel älter als Leary, und er hat ihn um fast zwanzig Jahre überlebt. Bis zu seinem Ende hat ihn sein Sorgenkind politisiert, wie nur wenige Wissenschaftler. Bis 1971 arbeitete er bei Sandoz. Auch danach sprach er sich immer wieder für die therapeutische Anwendung von LSD aus. I
n zahlreichen Interviews, auf Konferenzen und Schriften hat er sich der Verteufelung der „Wunderdroge“ widersetzt. „Je tiefer man in die lebendige Natur hineinsieht, desto wunderbarer erkennt man sie und fühlt sich geborgen“, resümierte er kurz vor seinem Tod. „Man geht nicht mehr blind durchs Paradies. Denn Gott schlummert in dir.“
Albert Hofmann war ein Mystiker, wie Meister Eckehart oder William Blake aus England. Im Interview bekannte er: „Der Tod des Körpers ist nicht der Tod des Ichs. Der Mensch ist in größere Netze eingewoben.“
Doch ebenso erkannte er die Grenzen des LSD, der Droge des „Drop-out“ (Ausstiegs). Denn der Ausstieg allein beantwortet noch nicht die Lebensfrage, wohin der neue Einstieg erfolgen soll. Hoffnung und Revolte sind nur von Dauer, wenn sie ein positives Alternativkonzept erproben. Das geht nicht ohne innere Arbeit ab, dazu reicht der kurze Trip in die verborgenen Tiefen der Seele nicht aus. Er kann nur der Anstoß sein, die Inspiration.
Die eigentliche Befreiung ist im Alltag zu schaffen, bei vollem Bewusstsein und Verstand. LSD ersetzt nicht die Weisheit, die eine anthropologische Emanzipation benötigt. Aber es ist der Schlüssel zur Erkenntnis, zu der ausgerechnet eine amerikanische Regierungsbehörde die gängigen Bilder lieferte: Auf dem Höhepunkt der Hippie-Bewegung funkte die US-Weltraumbehörde Nasa erstmals Fotos vom Blauen Planeten zur Erde. Der kosmische Trip als Synonym für die innere Reise, „weil der Innenraum der Seele genauso unendlich und geheimnisvoll ist wie der Weltraum“.
Das letzte Wort
So könnte Albert Hofmann das letzte Wort haben. Denn nach dem Verbot des LSD in den USA zogen die meisten der so genannten zivilisierten Länder nach. Nur für einige Spezialkliniken galten Sondergenehmigungen, um hoffnungslos erkrankten Krebspatienten das Sterben zu erleichtern. Auch diese Genehmigungen liefen irgendwann aus.
Nun ruhen die Forschungen, weil die Wissenschaftler den Papierkrieg um die Droge fürchten. Lediglich Versuche mit Psilocybin sind seit einiger Zeit wieder möglich, um Todkranke auf das Ende einzustimmen. Die stärkste Stelle im Dokumentarfilm von Martin Witz ist das kurze Interview mit einem gestandenen Mann, der an Krebs leidet und in England mit Psilocybin behandelt wird. „Ich empfand nur Vertrautheit und Stille“, berichtet er in die Kamera. Da stockt er, bricht ab, mit Tränen in den Augen. Denn es gibt keine Worte mehr. Nur noch Frieden.
Tipps zur weiteren Information:
The Substance – Albert Hofmann’s LSD
Ein Dokumentarfilm von Martin Witz
DVD, 93 Minuten
Nachtschatten Verlag Solothurn, 2012
ISBN 978-3-03788-271-9
Preis: 25 Euro, CHF 29,80
Website des Nachtschatten Verlags
Christian Rätsch (Hrsg.)
Das Tor zu inneren Räumen
Heilige Pflanzen und psychedelische Substanzen
als Quelle spiritueller Inspiration
Edition Rauschkunde
280 Seiten, Paperback
Werner Pieper´s MedienXperimente, 1996
ISBN 978-3-930442-10-2
Albert Hofmann
LSD – mein Sorgenkind
Die Entdeckung einer „Wunderdroge“
220 Seiten, Paperback
Deutscher Taschenbuchverlag, 2001
ISBN 978-3-423-36135-4
Mathias Bröckers, Roger Liggenstorfer (Hrsg.)
Albert Hofmann und die Entdeckung des LSD
Auf dem Weg nach Eleusis
180 Seiten, kartoniert
Nachtschatten Verlag Solothurn, 2006
ISBN 978-3-03788-241-2